Die Selbstpulverisierung der SPD Berlin.

Auf Basis falscher Wahlanalysen treiben die Parteivorsitzenden Giffey und Saleh die Partei in einen Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Bei der nächsten Wahl droht der SPD in Berlin die Bedeutungslosigkeit.

Das Ergebnis war eine Katastrophe. Das Ergebnis der SPD Berlin am 26. September 2021 – dem Tag der Bundestagswahl und in Berlin auch noch der Wahlen zum Abgeordnetenhaus, zu den Bezirksverordnetenversammlungen, dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ und des Berlin-Marathons,  blieb deutlich unter den eigenen Hoffnungen. Die Partei hatte zuvor den nicht so wirklich glücklich wirkenden Regierenden Bürgermeister Michael Müller zum Abschied auf Raten „überredet“, um mit der neuen Spitzenkandidatin Franziska Giffey zu punkten. Die SPD wollte wieder an Wahlergebnisse eines Klaus Wowereit um die 30% anknüpfen. Aber der Wahlkampf in Berlin hätte nicht schlimmer laufen können. Wo auch immer sich die Gelegenheit bot, machte die Kandidatin deutlich, dass ihr eine Koalition mit CDU und im Zweifel auch noch FDP („Deutschland-Koalition“) lieber wäre, als das Rot-Grün-Rote Bündnis ihres Amtsvorgängers fortzuführen. 

Und das mitten in einem Wahlkampf, in dem gleichzeitig die Bundes-SPD alles daran setzte, die Menschen davon zu überzeugen, dass eine Regierung ohne CDU/CSU der einzige Weg sei, um endlich dringend notwendige Reformen im Land angehen zu können. Am deutlichsten widersprach Giffey den Initiator*innen des Volksentscheides „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Über deren Anliegen lässt sich trefflich streiten – aber dass den Berliner*innen der Ist-Zustand auf dem Wohnungsmarkt nach zwanzig Jahren SPD-geführtem Senat mehr als ungenügend erschien, war offensichtlich.

Der Wahltag war dann ein mehrfaches Desaster. Das größte Desaster, das schließlich zu Neuwahlen führte, wurde bereits ausreichend erörtert. Für die SPD aber war das eigentliche Ergebnis auch schon ernüchternd genug. Die SPD Berlin kam bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2021 auf nur 21,4% der Stimmen – und unterbot damit das Ergebnis von Michael Müller 2016 (21,6%). Während Müller noch auf einen Abstand von vier Prozentpunkten zur zweitplatzierten CDU kam, landete die SPD mit Giffey nur noch 2,5 Prozentpunkte vor den Grünen. 

Und nicht nur das: Während die Bundes-SPD ihr Wahlergebnis 2021 in Berlin im Vergleich zu 2017 um 5,6 Prozentpunkte auf 23,4% steigern konnte – schaffte es die SPD Berlin am selben Wahltag, Stimmanteile zu verlieren. Also am Tag, als Deutschland erstmals seit gut zwei Jahrzehnten die SPD zur stärksten Partei im Bund machte. Es kam noch schlimmer. Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, wurde von den Berliner*innen mit satten 59,1% angenommen. Wie weit, so fragte man sich, kann sich eine Großstadt-SPD eigentlich noch von ihrer Klientel entfernen?

Im Vergleich zu 2016 waren die Grünen die Gewinner*innen der Wahl 2021 und verbesserten sich um 3,7 Punkte auf das mit 18,9% beste Ergebnis ihrer Geschichte. Schon im Vorfeld der Wahl 2021 wurde deutlich, dass sich kein Giffey-Effekt für die SPD einstellen wollte. In den Umfragen tat sich nach ihrer Nominierung absolut nichts. Am Wahltag lag Giffey nach den Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen in der Direktwahl bei 39% – aber selbst Müller lag 2016 noch bei 54%. Die Spitzenkandidatin hatte zu diesem Zeitpunkt zwar noch keinen „Amtsbonus“ erarbeiten können – aber diesen würde sie auch im Amt nicht mehr bekommen. Ihre Direktwahl-Quote lag 2023 noch unter der von 2021 – bei 32%. Ein Amtsmalus. Klaus Wowereit, zur Erinnerung, lag gerne mal bei 65%. 

Schon 2021 machten die Berliner*innen also deutlich, dass sie in der Spitzenkandidatin kein überzeugendes personelles Angebot der SPD sahen. Die Berliner*innen fremdelten mit Franziska Giffey und Franziska Giffey mit Berlin. So blieb es auch. Die drängendsten Probleme, damals wie heute, waren der Miet- und Wohnungsmarkt und die Verkehrswende – aber in dieser Kandidatin sahen sie keine Zukunftskompetenz.

Die Forschungsgruppe Wahlen schreibt in ihrer Wahlanalyse zur Wahl 2023:

„Spitzenkandidat/innen: Giffey ohne Zugkraft: Mitverantwortlich für das schwache SPD-Ergebnis ist eine Spitzenkandidatin, die weit weniger Zugkraft entfaltet als andere Länder-Regierungschefs. […] Beim Ansehen verfehlt Giffey klar das Niveau ihrer Amtsvorgänger Michael Müller oder Klaus Wowereit und liegt auf der +5/-5-Skala mit 0,4 (2021: 0,9) nur knapp vor Kai Wegner (CDU), der – wie alle Berliner CDU-Kandidaten seit 2001 – mit 0,3 (2021: 0,1) ebenfalls schwach bleibt.“ 

Schwach blieb die Regierende Bürgermeisterin auch in der Aufarbeitung der Wahlunregelmäßigkeiten 2021, die zwar nicht von ihr, aber von einem ihrer Senatoren zu verantworten waren. Er durfte bleiben. Ein konsequentes Durchgreifen, wie es etwa Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz nach ihrer Amtsübernahme demonstriert hatte, blieb aus.

Es blieb – und bleibt – überhaupt so vieles aus. Vor allem die Aufarbeitung der beiden Wahlklatschen 2021 und 2023. Giffey und ihr Co-Vorsitzender Saleh gingen und gehen wohl davon aus, dass die Berliner*innen eine konservative Wende gewählt hätten. Das ist objektiv nicht der Fall und zu diesem Schluss kann man nur kommen, wenn man sich selbst aus der Verantwortung nehmen will. Faktisch hat die CDU deutlich zugelegt, die FDP flog dafür aus dem Parlament und damit liegt der konservative Anteil in Berlin bei 28% im Abgeordnetenhaus (die AfD mit 9,1% ist ja für niemanden als Partner diskutabel).

Tatsächlich haben die Berliner*innen – wie schon so oft – eine satte progressive parlamentarische Mehrheit (90 von 159 Mandaten) in der Stadt gewählt – ohne progressive Politik zu bekommen. Sie haben die SPD eher nicht gewählt, weil sie ihnen zu wenig fortschrittlich war. Weil sie das Gefühl vermittelt bekamen, dass diese SPD dem Fortschritt regelrecht im Wege stehe. Dabei geht es nicht immer darum, ob es so war – sondern ob es so schien. Und den Eindruck der SPD als Bremserin in dieser Koalition konnte man durchaus bekommen.

Die CDU profitierte 2023 von einem Mobilisierungserfolg – auch auf Kosten der FDP übrigens – und vor allem auch von einem Mobilisierungsdefizit der SPD. Hervorgerufen auch durch die SPD- „Kompetenzverluste im Bereich ‚Wohnungsmarkt‘“ – so die Forschungsgruppe Wahlen in ihrer Analyse. Was für ein Wunder, wenn man sich gegen 60% der Bevölkerung stellt.

Dabei gab es auch viele Fehler der anderen – allen voran die überflüssige Friedrichstraßenaktion der Grünen. Eine Symbolpolitik rund um eine trostlos verbaute Straße, die außer ein paar Lobbyisten aus umliegenden Büros niemand aufsucht, niemand mag und die Berliner*innen nur nutzen, um von ihr weg zu kommen. Wenn man schon Verkehr beruhigen will, warum nicht da, wo Menschen leben? An der Nummer war alles falsch, sie hat die Grünen auch Stimmen gekostet – aber das löst nicht das Problem der SPD. Ohne ihren Friedrichstraßenmurks wären die Grünen ja deutlich vor der SPD gelandet (mit einer überzeugenderen Spitzenkandidatur sowieso – auch schon 2021).

Der SPD ist es 2023 nicht gelungen, sich wie im Bund 2021 von den Grünen durch progressive und programmatische Kompetenz abzusetzen und wieder deutlich stärkste fortschrittliche Kraft in der Stadt zu werden. Olaf Scholz verkörperte 2021 mehr Progressivität – und vermittelte vor allem auch mehr konkrete progressive Politik als die SPD-Spitze in der größten Metropole Deutschlands. 

Die SPD trägt bei vielen Wähler*innen immer noch die Grundvermutung in sich, dass sie sich bei progressiven Mehrheiten auch für einen fortschrittlichen Kurs entscheiden wird. Vor allem in einer Stadt wie Berlin. Es war in diesem Wahlkampf daher nicht leicht, die Wähler*innen davon zu überzeugen, nach all den Jahren und all den Pannen, diesmal doch noch einmal SPD zu wählen. Das beste Argument war immer, die CDU zu verhindern. Es war auch oft das letzte Argument. Positive Argumente für die SPD – personell oder programmatisch – die auch im Gespräch gezündet hätten, gab es nicht. 

Natürlich ist die Lage nach dieser Wahl schwierig. Aber in der Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen wie in der anderer Institute steht auch klar zu lesen: „Neben einer rot-grün-roten Neuauflage gehen die Berliner/innen auch zu sämtlichen anderen denkbaren Koalitionen auf Distanz.“

Sollte die SPD nun geradezu anbiedernd ihr Heil in den Armen der CDU suchen, machte sie sich in dieser Stadt endgültig überflüssig. Eine schwächere Verhandlungsposition kann man sich ja gar nicht schaffen. Es ist ein strategisch völlig falscher Schritt auf Basis einer völlig falschen Analyse. Die SPD muss natürlich auch gar nicht regieren, sondern könnte auch mal versuchen, sich in der Opposition neu zu sammeln. Auch dann mit neuem Köpfen und neuen Inhalten. 

Aber eine Große Koalition ohne Not? Die SPD hat noch nicht einmal ein demokratietheoretisches Argument auf ihrer Seite, sich der CDU anzudienen. Es gilt nicht, einen Rechtsruck mit der AfD oder sonst etwas dramatisches zu verhindern. Mit ihrem Schritt in Richtung CDU verhindert die SPD nur sich selbst. Also einen Senat unter SPD Führung, der gerade – wenn auch knapp – bestätigt wurde. Wie absurd ist das denn?

Wäre es nicht am vernünftigsten, einer progressiven Mehrheit in Berlin auch einmal einen progressiven Senat folgen zu lassen? 

Dieser Rot-Grün-Rote Senat ist trotz widriger Umstände wiedergewählt worden. Die stärksten – wenn auch überschaubaren – Verluste im progressiven Lager, hat dabei die SPD erlitten. 

Dieser Senat – einschließlich seiner Chefin – hat also vom Volk die Chance bekommen, es besser zu machen als im ersten Anlauf. Die Berliner*innen haben Rot-Grün-Rot bestätigt. Und nicht einmal knapp. Das Bündnis verfügt über 90 von 159 Sitzen – Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün über 86. Was gibt es daran nicht zu verstehen?

Wäre es jetzt für die SPD nicht Zeit, es mit einem wirklich progressiven Senat zu versuchen? Nicht auf der Bremse zu stehen, sondern vorneweg ein progressives Bündnis anzuführen, das die Mehrheit der Berliner*innen 2021 gewählt und 2023 im Amt bestätigt haben? Es wäre die Chance auf den ersten progressiven Senat unter SPD-Führung seit Jahren.

Der Autor hat die Wahlkämpfe der SPD in Berlin 2001, 2006, 2011 und 2016 betreut und ist Autor des Spiegel-Bestsellers „Höllenritt Wahlkampf- ein Insider Bericht“.

Wird 2021 zum größten Wahldesaster in der Geschichte der Union?

Bundestag, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern: Der 26. September kann für die SPD zum Superwahltag werden. Und für die Union zum Desaster. Die jüngsten Zahlen: Manuela Schwesig und die SPD in Mecklenburg-Vorpommern: +9. Franziska Giffey und die SPD Berlin: +6. Und Scholz ist in allen Umfragen in der Direktwahl jetzt stärker als Laschet und Baerbock zusammen. Vor allem aber stimmt diesmal eines: DIE MACHTOPTION.

Am 11. November 2020 wagten wir in unserem Blogbeitrag „Das Mega-Giga-Supersexy-Superwahljahr“ folgenden Ausblick:

Stand heute ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Menschen im Herbst 2021, wenn sie die Wahl zwischen Friedrich Merz oder Armin Laschet und Robert Habeck haben, Olaf Scholz wählen.“

„Da die SPD zwar heute keine besonderen Umfragewerte verzeichnet, müsste der OH-MEIN-GOTT-ICH-KANN-DIE-MERKEL-JA-GAR-NICHT-MEHR-WÄHLEN-Effekt mit gut 6 bis 7 Prozentpunkten auf Scholz und die SPD einzahlen, um bei 23 bis 24 % zu landen. Das wären mehr als Schulz 2017, aber auch weniger als Steinbrück 2013 und erscheint damit machbar.“

Zu Union und Grünen: „Bei der CDU gibt es bis Januar und danach nur Unruhe, Unsicherheit und möglicherweise auch noch weitere Verwerfungen, die bereits Merkel in den Verzicht und Kramp-Karrenbauer ins Aus getrieben haben. … Ohne Merkel und den falschen Kandidaten muss da bei 27 % nach unten noch nicht die Grenze liegen…

„Die Grünen werden den Stresstest bestehen müssen, den sie noch nie bestanden haben …“

Soweit der Ausblick vom Dezember 2020. Bei den Grünen ist jetzt Frau Baerbock angetreten, was die Sache für die Partei allerdings nicht besser macht. Aber natürlich stehen sie nach wie vor im Vergleich zu 2017 hervorragend da.

Die Machtoption:

Machtoptionen sind wichtig. Die fehlenden Machtoptionen haben die SPD seit 2009 jedesmal die Mobilisierung gekostet.

Nicht allen wird jede Konstellation gefallen, aber wichtig ist zunächst einmal: Bleibt die SPD weiter in Schlagweite zur Union auf Bundesebene – oder überholt sie sogar – kann Scholz in vielen Varianten Bundeskanzler werden. Natürlich mit der Ampel (SPD, Grüne, FDP), aber wenn die SPD auf 1 landet auch in folgenden Varianten: SPD, Union, Grüne. Oder SPD, Union, FDP oder – sollte es reichen –  SPD/Union und eventuell auch noch SPD, Grüne, Linke. Um eine Mehrheit für Rot/Grün zu sehen (FGW: 42%), muss man schon sehr optimistisch sein. Dafür müsste die Linke rausfallen (möglich) und noch gut 5% bei R/G einzahlen (schwierig). Völlig raus ist allerdings Schwarz/Gelb (FGW: 32%).

Machtoptionen sind auch entscheidend für viele unentschlossene Wählerinnen und Wähler. Denn die SPD kann jetzt noch mehr mit ihrem Kanzlerkandidaten wuchern. Und klar signalisieren: Alle, die Laschet nicht wollen, müssen jetzt Scholz wählen.

Die Entwicklung in den Ländern:

Ein Blick auf die aktuellen Umfragen zu den zeitgleich stattfindenen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern (MV) und Berlin (ist kurz genug) verdeutlicht die Stressposition der Union:

Zu MV: Am 26.8.2021 zeigt Infratest-Dimap für den NDR folgende Entwicklung (im Vergleich zum Vormonat):

SPD:    36%     +9
CDU:    15%     -8
Grüne: 6%       -1
Manuela Schwesig liegt bei der Direktwahl bei 65%.

Und diese Erhebung enthält auch noch einen Hinweis zur Bundestagswahl:
Für die Bundestagswahl liegt Olaf Scholz bei der Direktwahl in MV bei 49%, Armin Laschet kommt auf 12%. Wichtig für die SPD: Olaf Scholz kann offenbar im Osten punkten.

Zu Berlin. In Berlin veröffentlichte Infratest-Dimap am 25.8. folgende Zahlen (im Vergleich zu Mitte Juni):

SPD: 23%        + 6
CDU: 19%        – 3
Grüne: 17%      – 5

Franziska Giffeys Strategie, die Wählerinnen und Wähler darüber entscheiden zu lassen, ob die Plagiatsvorwürfe für diese relevant sind, geht auf. Sie ist als Bundesministerin zurückgetreten und stellt sich nun für die Position der Regierenden Bürgermeisterin neu zur Wahl. Und die Wählerinnen und Wähler sagen: Ist uns wurscht, wir wollen Dich.

Der 26. September 2021 könnte also so ausgehen:

Bundeskanzler: Olaf Scholz, SPD
MP MV : Manuela Schwesig mit einem Spitzenwert, SPD
Regierende Bürgermeisterin Berlin: Franziska Giffey, SPD

Nebeneffekt: Mit Manuela Schwesig, Franziska Giffey und Malu Dreyer hätte die SPD drei starke Länderchefinnen. Auch das ist ein starkes Signal. Die Union hat keine.

Ist das alles möglich. Ja.

Denn die SPD hat Momentum im Bund, in den Ländern und auch bei den Direktwahlwerten ihrer Kandidatinnen.

Die permanente Krisensituation (Corona, Flut, Afghanistan) macht die Kanzlerfrage für die Wählerinnen und Wähler noch bedeutender. Wer kann Krise? Es wird deutlich: Laschet und Baerbock können es aus Sicht der WählerInnen nicht.

Und schließlich: RRG taugt als Schreckensmodell nicht mehr, denn die SPD hat plötzlich bis zu 5 – in Worten FÜNF Machtoptionen.

Sollte es so kommen, wird die Union sich zwischen Oktober 2021 und dem Frühjahr 2022 erneut eine innerparteiliche Schlammschlacht liefern – und dann lauern da schon die Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und NRW.

Das also ist die Ausgangslage für die Trielle.

Scholz hat jetzt schon mehr erreicht als die meisten erwarteten.
Laschet kämpft gegen den Vergleich zu Söder, Merkel, Merz und – ach ja – Scholz. Baerbock muss konsolidieren.

Dabei ist nicht zu unterschätzen: Das Superwahljahr 2021 begann für die CDU mit den jeweils historisch schlechtesten Wahlergebnissen in ihren einstigen Stammländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Wohl bekomms!

Das Mega-Giga-Supersexy-Superwahljahr kommt!

Nur ein paarmal werden wir noch wach – heißa, dann ist Wahlzeit! Zugegeben, es war etwas ruhig auf diesem Blog – aber seit der Wahl in Hamburg vom 23. Februar ist ja auch nichts Nennenswertes passiert. Dafür kommt’s 2021 knüppeldick. Baden-Württemberg (März), Rheinland-Pfalz (März), Berlin (Herbst), Mecklenburg-Vorpommern (Herbst), Thüringen (hmm … wann eigentlich?), Sachsen-Anhalt (Juni), eine Pandemie und eine Bundestagswahl obendrauf – welch ein Fest für Spekulationen! Lasst uns beginnen!

Wenn das überstrapazierte Wort jemals Sinn ergab, dann kann man es jetzt anwenden: Die Corona-Pandemie verdient auf jeden Fall die Bezeichnung Disruption. Mehr Disruption war nie. Es ist müßig aufzuzählen, was sich bereits verändert hat, denn wir erfahren es alle gleichzeitig. Ob arm, reich, männlich, weiblich, alt, jung, doof oder gescheit: Die Gleichzeitigkeit der Veränderung ist klassenlos. Die Folgen werden es nicht sein. Aber dazu später.

Dafür, dass sehr viele – und vor allem männliche Journalisten in der Spätblüte ihres Testosteronhaushaltes – die Bundeskanzlerin noch ungefähr bis Mitte Februar lautstark des Platzes verweisen wollten und ihre eigene Partei nicht nur sie als Parteivorsitzende, sondern auch gleich ihre Nachfolgerin mit abgesägt hat, steht Frau Merkel zur Zeit ja doch recht gut da. Man könnte sogar sagen: besser denn je, beliebter denn je und klarer in ihren Ansagen denn je.

Und das hat natürlich Folgen: Die Union notiert in den Umfragen mit 38 % gute 10 Prozentpunkte über ihrer Vor-Corona-Marke, die Grünen sind stark, aber nicht mehr so stark, die SPD dümpelt, und die anderen bemühen sich.

Der volatile Stand der Umfrageentwicklung macht vor allem eines deutlich: Der Austausch fand hauptsächlich zwischen den Grünen und der Union statt. Zu Lasten der Grünen. 2020 war bisher noch kein sehr gnädiges Jahr für die einstige Ökopartei, die heute so viel mehr auf einmal sein will. In Hamburg wurde man im Februar nicht, wie angestrebt, die Nummer 1, sondern verwandelte innerhalb von sechs Wochen einen Gleichstand in den Umfragen in einen 15-Prozentpunkte-Rückstand am Wahltag. Und auch in der Pandemie hörte man selten den Ausruf: „Wenn jetzt nur der Habeck Kanzler wäre – dann liefe das alles besser!“

Der „Rally around the Flag“-Effekt, den viele Landesregierungen, aber vor allem die Bundesregierung, derzeit erfährt – also hohe Zustimmung in Zeiten der Krise – ist dabei keineswegs selbstverständlich – wie der Blick über den Tellerrand in viele andere Länder der Welt zeigt. Und an der Spitze dieser Bundesregierung steht seit 2005 Angela Merkel in ihrer dritten großen Krise nach dem Finanzmarkt-Crash um 2009 und der Flüchtlingsfrage ab 2015. Und die Leute lieben sie genau für diese konzentrierte Arbeit, die man weltweit von ihr gewohnt ist.

Ebenfalls zum Wohle der ganzen Union, aber natürlich vor allem der CSU, macht Markus Söder das, was er am besten kann: Gutes für Markus Söder. Das Ehrliche an ihm ist, dass man sich bei Söder nie fragen muss: Macht er das für das Land oder für sich? Da gibt es nie einen Zweifel. Das schafft Berechenbarkeit und Klarheit. Und der Erfolg gibt ihm in diesem Falle recht, da zufällig beides zusammenfällt. Es ist gut für das Land und es ist gut für Söder. Den Unterschied zur Kanzlerin erkennt man daran, dass er die Öffentlichkeit ungefähr im Faktor 378 im Vergleich zu Merkel sucht – und vor allem immer zwischen drei Stunden und fünfzehn Minuten vor den anderen Ministerpräsident*innen.

Nun stellen sich drei große Fragen in Bezug auf das Superwahljahr 2021:

1. Geht das alles einigermaßen glimpflich aus für das wirtschaftliche und soziale Gefüge in diesem Land?

2. Wie reagieren die Menschen ab dem CDU-Parteitag im Januar, wenn ihnen aufgeht, dass sie 2021 nicht ihre geliebte Kanzlerin wählen können, sondern entweder Merz, Laschet oder Röttgen? Vorausgesetzt natürlich, die CDU schafft es im dritten Anlauf, ihren Bundesparteitag tatsächlich stattfinden zu lassen.

3. Was machen die anderen aus der Lage?

Stand heute ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Menschen im Herbst 2021, wenn sie die Wahl zwischen Friedrich Merz oder Armin Laschet und Robert Habeck haben, Olaf Scholz wählen.

Und da wären wir bei dem zweiten großen Gewinner des Jahres. Ein ebenso bereits vielfach abgeschriebener Vizekanzler, der aber im Gegensatz zu seiner Chefin nie seinen Rückzug angekündigt und auch nie eine Kandidatur ausgeschlossen hat. Wofür er heftig kritisiert wurde und was wieder einmal beweist, dass er einfach sehr viel schlauer ist als andere. Gut, dass er das so gut verbergen kann.

Nun wird Olaf Scholz auch 2021 Olaf Scholz sein und die Frage ist, ob das für die Strecke bis Herbst 2021 reicht. Was für Scholz spricht ist, dass Armin Laschet auch Armin Laschet, Friedrich Merz Friedrich Merz und Robert Habeck Robert Habeck bleiben werden. Das scheint eine lösbare Aufgabe zu sein. Vieles hängt sowieso vom weiteren Verlauf der Krise nach der Krise ab.

Habeck hat sich in der Krise bisher als völlig überfordert erwiesen, da man in diesem Fall nicht mit der halbtheoretischen Durchdringung einer vollkomplexen Materie punkten konnte, sondern nur durch Handeln. Das ist nicht seins. Das Comeback wird verhalten ausfallen, sollte nicht noch der Bodensee vor dem Herbst 2021 trockenfallen.

Armin Laschet hat seine Portion Glück mit der überraschenden Wahl zum Ministerpräsidenten von NRW 2017 eigentlich für die nächsten 300 Jahre aufgebraucht. Er gewann damals mit dem zweitschlechtesten Ergebnis der CDU in der Geschichte Nordrhein-Westfalens (33 %). Das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte hatte vier Jahre zuvor Norbert Röttgen eingefahren (26,3 %). Bis zum aktuellen Pandemie-Plus der CDU verharrte Laschet mit der CDU nach seiner knappen Wahl auch in den Umfragen zwischen 28 und 32 %. Danach segelte auch er auf dem Merkel-Bonus mit bis zu 40% in den NRW-Umfragen – nur um jetzt wieder bei den 33% Ausgangslage angekommen zu sein.

Seine derzeitige Positionierung als rheinisches Pandemie-Rumpelstilzchen scheint wenig zu beeindrucken. Röttgen überwassert derweil auf dem Rettungsring, den ihm Laschet durch ein paar ungeschickte Handgriffe unfreiwillig zugeworfen hat, und kann noch einmal nach Luft schnappen. Friedrich Merz hat als Spitzenkandidat wiederum noch nie eine Wahl gewonnen oder verloren, weil er sich noch nie einem Wahlkampf gestellt hat. Oder korrekter: weil ihn noch nie jemand aufstellen wollte. Seine bisherigen Äußerungen nach dem vorläufigen Ende des vorzeitigen Ruhestandes lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass er seine Auszeit für Fortbildungsmaßnahmen genutzt hat. Eher plump als elegant versucht ausgerechnet er, sich jetzt den Grünen anzubiedern.

Im Kandidatenfeld der CDU gilt Merz zu Recht als rechts und auch ein bisschen unmodern. Röttgen und Laschet trennt inhaltlich eigentlich nur, dass sie sich nicht ausstehen können. Auf dem Papier würde also Laschet als amtierender MP des größten Bundeslandes mit einem eher liberalen Profil am ehesten als der Kandidat gelten, der von dem aktuellen Merkel-Plus am meisten für die CDU herüberretten könnte.

Wenn da nicht noch Olaf Scholz wäre. Zweifelsohne wäre niemand besser auf das Kanzleramt vorbereitet als er. Ehemaliger Arbeits- und Sozialminister, zweimal höchst erfolgreich gewählter Länderchef (einmal mit absoluter Mehrheit, einmal knapp darunter), amtierender Finanzminister und Vizekanzler mit Spitzenwerten in allen aktuellen Umfragen. Und übrigens auch schon mit beständig guten Werten vor der Pandemie.

Sollte es Deutschland im internationalen Vergleich einigermaßen gut aus der Krise schaffen, bliebe dennoch genug zu tun, um deren Folgen zu managen. Man muss kein Prophet sein, um dann zu erwarten, dass eine Mehrheit der Deutschen gerne einen erfahrenen, sozialen und liberalen Mann an der Spitze der Republik sehen würde. Einen männlichen Merkel, sozusagen. Das wäre zwar vielen professionellen Beobachtern zu langweilig, aber das hat ja zum Glück noch nie jemanden jenseits der Blase interessiert.

Da die SPD zwar heute keine besonderen Umfragewerte verzeichnet, müsste der OH-MEIN-GOTT-ICH-KANN-DIE-MERKEL-JA-GAR-NICHT-MEHR-WÄHLEN-Effekt mit gut 6 bis 7 Prozentpunkten auf Scholz und die SPD einzahlen, um bei 23 bis 24 % zu landen. Das wären mehr als Schulz 2017, aber auch weniger als Steinbrück 2013 und erscheint damit machbar. In Hamburg lag der Scholz-Bonus im Vergleich zu seiner Partei bei rund 10 Prozentpunkten. Kommt die Post-Merkel-Union auf rund 28 % (-4,5), die Grünen auf 20+X, kann es mit Schmackes sogar für RotGrün reichen, da die FDP in dieser Gemengelage durchaus aus dem Bundestag fliegen kann. Aber auch die Ampel könnte im Frühjahr in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eine Renaissance erfahren. Die FDP ist ja die institutionalisierte Jo-Jo-Diät in der deutschen Parteienlandschaft. Sollte sie bis zu den Wahlen auch noch eine politische Linie finden, wäre die Ampel durchaus ein Szenario. Es setzt, wie gesagt, einen eher milden Verlauf der wirtschaftlichen Krise voraus. Fällt diese aber heftiger aus, kann es auch einen Ruf geben, dass jetzt die Karten ganz neu gemischt werden wollten. Das wäre aber sicher auch kein Plus für die Grünen, für die, außer bei Umweltkrisen, keine Kompetenzvermutung vorhanden ist.

Und dann gibt es ja auch noch Markus Söder. Er hat nach seiner Klatsche bei der Bayrischen Landtagswahl (-10 Prozentpunkte auf knapp 37 %) zwar dazugelernt – aber vermutlich spielt er gerade sowieso nur. Als Political Animal macht es ihm einfach großen Spaß, als Kanzlerkandidat gehandelt zu werden. Man munkelt, er wäre nicht gänzlich uneitel.

Die SPD ist natürlich auch immer gut für Überraschungen. Selten für positive. Ihr großer Vorteil dieses Mal ist, dass sie schon komplett aufgestellt ist: Neue Parteiführung, moderner Generalsekretär und eine ausreichende Vorlaufzeit, um die Wahlen mit einem eingespielten Team professionell vorzubereiten. Bei der CDU gibt es dagegen bis Januar und danach nur Unruhe, Unsicherheit und möglicherweise auch noch weitere Verwerfungen, die bereits Merkel in den Verzicht und Kramp-Karrenbauer ins Aus getrieben haben. Sachsen-Anhalt aber auch Thüringen haben großes Sprengstoffpotential für die Wählbarkeit der CDU im Westen. Ohne Merkel und den falschen Kandidaten muss da bei 27 % nach unten noch nicht die Grenze liegen.

Zum Auftakt des Superwahljahrs stehen gleich zwei Kracher auf dem Spielplan. In Baden-Württemberg verteidigt ein konservativer Ministerpräsident gegen seine erzkonservative Koalitionspartnerin und in Rheinland-Pfalz eine Sozialdemokratin gegen jemand anderes. Zwei weit über ihre Parteien strahlende Amtsinhaber*innen, die bei ihrer Wiederwahl vor allem einer Partei den Auftakt zum Superwahljahr ordentlich verhageln würden: der CDU. Darauf folgen dann Thüringen und Sachsen-Anhalt – die beiden CDU-Landesverbände mit der höchsten AfD-Nähe. Auch das wird interessant.

Soweit für heute. Der CDU steht ein heißes Frühjahr bevor, auch wenn sie natürlich als große Favoritin für die Bundestagswahl ins Superwahljahr startet. Die SPD und Scholz haben sich eine Underdog-Position erarbeitet, was mehr ist als keine, die Grünen werden den Stresstest bestehen müssen, den sie noch nie bestanden haben und die anderen sind auch noch da.

Ich habe den Eindruck, es werden jetzt in kürzeren Abständen Blogbeiträge folgen.
Es wurde ja auch Zeit, dass endlich wieder was passiert …

Dieser Beitrag erschien erstmals auf richelstauss.de

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Guten Morgen, Berlin…

… was, bitte, war das denn? Am Ende einer langen Achterbahnfahrt bleibt die SPD in Berlin klar stärkste Partei, da dankenswerterweise CDU und Grüne sie auf dem Weg nach unten nicht alleine lassen wollten. Die Piraten gingen sogar mutig mit den größten Schritten voran. Und auch sonst ist dem Urnengang der Berliner wenig Erhellendes zu entnehmen. Der geneigte Wähler beweist einmal mehr: Jeder Wahlkampf ist ein Unikat und aus keinem kann man wirklich was lernen.

So, das Ding ist gelaufen, ich hab mir den Schaum vorm Mund abgewischt, muss keine Motivationsblogs mehr schreiben und kann jetzt von der wunderbaren Kanareninsel La Palma aus einen etwas differenzierteren Blick auf die letzten Wochen werfen. Die SPD liegt klar vor den anderen Parteien (hatten nicht viele geschrieben, es gäbe ein Kopf-an-Kopf-Rennen? Die Grünen würden stärker als die SPD?) Dennoch bleibt ein großes: „Aber….“. Denn natürlich ist das Ergebnis insgesamt ein großes Rätsel, aus dem man nun eben das Beste machen muss.

Der 2016er Wahlkampf in Berlin war jedenfalls ein durchwachsener Jahrgang. Es war ein Wahlkampf in der Twighlight-Zone. Zwischen Provinz und Weltstadt, Schultoiletten und Flüchtlingshilfe, Offenheit und Abschottung, online und Bürgerämtern, gestern und heute. Keinem ist es gelungen, aus dem kleinteiligen Irrgarten einen wirklich überzeugenden Ausweg zu finden. Uns auch nicht, wie man sieht. Aber wenigstens sahen wir gut dabei aus.

Nach nun fast 30 Wahlkämpfen meint man ja, schon alles mitgemacht zu haben. Und dazu gehören auch die ganz schrecklichen Erfahrungen, wenn man kein Bein auf den Boden bekommt, wie etwa in Thüringen 2004 oder bei der Bundestagswahl 2009. Das waren Wahlkämpfe, in denen entweder eine große Wutwelle über einen schwappte, oder in denen man die freundliche Gleichgültigkeit spürte, wenn die Leute einen einfach über haben und ignorieren.

Die Wahl in Berlin 2016 war so ein Zwischending. Einerseits gab es wirklich äußerst hinderliche Symbolthemen wie etwa den ewigen BER, die faktischen Probleme auf den Bürgerämtern und steigende Mietpreise. Andererseits steht Berlin wirtschaftlich so gut da wie lange nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit hat einen absoluten Niedrigstand seit 25 Jahren erreicht und die Stadt boomt an allen Ecken und Enden.

Dennoch macht der Wähler natürlich die Partei, die am längsten regiert, für die gröbsten Fehler verantwortlich. Wen auch sonst? Das ist nur fair. Allerdings waren die Berliner nach dem Wechsel von Wowereit auf Müller erst einmal sehr offen für den neuen Mann an der Spitze. Das Versagen – vor allem der CDU-Senatoren – auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsaufkommens um den Jahreswechsel 2015/16, war dann allerdings eine böse Erinnerung an alles, was in der Stadt nicht funktioniert. Und auch dafür wurde dann die langjährige Regierungspartei SPD in Haft genommen. Der eigentlich gute Start Müllers wurde überschattet und sein Image als zwar etwas spröder aber ehrlicher und verlässlicher Regierender bekam einen Knacks. Für ihn umso bedauerlicher, als er tatsächlich viele Investitionen in Personal und Schulsanierungen bereits auf den Weg gebracht hatte und auch am Lageso durch starken persönlichen Einsatz die Dinge zum Besseren wenden konnte. Aber Images sind zäh und Weichenstellungen, die noch keine Wirkung zeigen, keine Kategorie im Wahlkampf.

Bei der SPD musste man also spätestens im Frühjahr davon ausgehen, dass die Partei auf jeden Fall Federn lassen würde. Aber da war leider kein besonders dickes Polster. Die SPD kommt in Berlin schon seit zwanzig Jahren nicht mehr deutlich über 30% und Klaus Wowereit hatte 2011 noch 28,3 % ins Ziel retten können. 1999 war man schon mal bei 22,4%.

Doch diese historischen Vergleiche sind eh für die Katz. Dafür hat sich in der Parteienlandschaft einfach viel zu viel verändert. Und am Ende zählt in einer Demokratie eben, wer heute gewonnen hat und den Regierungschef stellen kann und nicht, wer vor ein paar Jahren schon mal mehr hatte. Das ist dann wie bei Olympia. Vielleicht hat vor 4 Jahren schon mal einer weiter geworfen, aber heute gehört die Goldmedaille eben dem, der vorne liegt.

Nicht ganz unwichtig hingegen: Wowereit fuhr seine 28% ein, als die SPD auf Bundesebene bei 30% lag. Im September 2011 notierte die SPD sowohl bei der ARD (Infratest) als auch beim ZDF (FGW) über 30%. Die CDU wiederum befand sich auf heutigem Niveau (32-33%). So gesehen liegt das jetzige Ergebnis, wie schon 2011, etwas unter dem Bundestrend. Das sollte der Berliner SPD allerdings auch klar machen, dass jetzt alle zusammen daran arbeiten müssen, den Laden wieder voran zu bringen. Denn offenbar liegen hier auch hausgemachte Probleme vor. Wie man an RLP und MV, von Hamburg ganz zu schweigen, sieht, kann man als SPD auch heute noch deutlich über dem Bundestrend abschneiden. Dafür müssen sich nicht alle lieben, aber zusammen halten und arbeiten.

Ein sehr ambivalentes Bild zeigten auch unsere Fokusgruppen und Wählerbefragungen. Man ging davon aus, dass Müller weiter machen kann. Aber Enthusiasmus war das nicht. Was aber weniger an Müller lag, als am Gesamterscheinungsbild der SPD. Um es ganz deutlich zu sagen: Ohne Michael Müller, das zeigen alle unsere Daten, hätte sich die SPD kaum über 20% halten können. Müller hatte zwar nicht die Werte von Wowereit, aber für einen Regierungschef mit erst 18 Monaten Amtszeit durchaus gute.

Dennoch standen wir nach den Gruppen vor einem Rätsel. Es gab keine Wechselstimmung, eher eine Verdrussstimmung. Bedeutet: man wollte definitiv diese Konstellation nicht mehr, brannte aber auch für keine andere. Es drohte bereits früh eine „Denkzettelwahl“ aber dennoch wollte man, dass die SPD die nächste Regierung führt. Eine gefährliche Mischung, denn am Ende kann es bei einer solchen Stimmung auch passieren, dass man den ersten Platz verliert, ohne dass es jemand will. Einschliesslich der Wähler.

Grüne und Linke fand man auch „ok“. Henkel dafür unterirdisch. Der Versuch, Grenzwähler zwischen CDU und SPD zu finden, war vergeblich. Die unsicheren CDU Wähler schwankten nur zwischen CDU, AfD und Wahlenthaltung. Links von der CDU war keine Option. Die FDP kam erst spät ins Spiel und lieferte einem Teil der Abtrünnigen einen guten Ausweg ohne Extremismus.

Dann kam erschwerend hinzu, dass es in Berlin auch keine Herausforderer gab, an denen man sich reiben konnte. Das ging so weit, dass der RBB erst gar kein TV-Duell ansetzte, da man keinen klaren Gegenkandidaten zum amtierenden Regierenden Bürgermeister Michael Müller festmachen konnte. Oder besser wollte. Denn außer Frank Henkel hatte sich gar niemand als Kandidat für das oberste Regierungsamt ins Spiel gebracht.

Damit fehlte auf den letzten Metern auch noch ein medialer Höhepunkt, nachdem es zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz noch deutliche Bewegungen in der Wählerschaft innerhalb der letzten 10 Tage gab. Diese 5-er Runden sind dafür einfach kein Ersatz. Auch für den Zuschauer nicht.

Der Wahlkampf verlief entsprechend zäh. Die guten Nachrichten wollte keiner hören, die schlechten waren nicht zu ändern. Müller setzte im Vorwahlkampf durchaus noch politische Themen, wie etwa eine veränderte Struktur, um die Schulsanierung aus dem Bermuda-Dreieck des lokalen Kompetenzgerangels herauszuholen. Das wurde dann zwei Tage positiv kommentiert und danach ging es wieder um kaputte Klos. Ähnliches geschah mit dem Miet-Wohnungsbauprogramm, dem Mieterschutz usw… Themen bzw. vor allem Lösungen von Problemen waren nicht gefragt. Gut, wen würde das weniger überraschen als mich.

Aber nach all den kritischen Tönen zur SPD muss man ja auch mal sagen: Was ist denn das für eine Opposition, die da nichts draus machen kann? Wie kann man denn, wenn SPD, CDU und Piraten zusammen über 19% verlieren, als Grüne auch noch über 2% verlieren? Das ist eines der weiteren Rätsel. Apropos. Der Versuch, gemeinsam mit den Grünen noch eine Art Momentum für eine Rot-Grüne Bewegung hinzubekommen scheiterte an mehreren Faktoren. Vor allem aber an der für alle Unbeteiligten einfach nervenden Beziehungskrise der beiden Parteien in Berlin – die man jetzt vielleicht einmal endgültig aufarbeiten könnte. Es wäre der Stadt zu wünschen.

Werfen wir noch einen Blick auf die Metaebene und die bundespolitischen Debatten. Auch mit der „Haltungsfrage“ war es schwer, zu punkten. In Rheinland-Pfalz war das Thema Flüchtlinge im Februar/März noch auf dem absoluten Höhepunkt und überschattete alles. Auch der offene Konflikt zwischen Julia Klöckner und Angela Merkel war dort noch neu. Heute ist das Thema in den Hintergrund gerückt und CDU-Spitzenkandidaten, die sich von Merkel absetzen wollen, sind an der Tagesordnung. Henkels dämliche Doppelte-Burka-Debatte war ja auch nur ein aufgewärmter Klöckner-Flop mit genau den gleichen Folgen.

In Berlin muss man außerdem noch unterscheiden: Im Gegensatz zu Mecklenburg Vorpommern gibt es hier in dem Block derer, die die Flüchtlingspolitik als größtes Problem betrachten, auch nicht wenige, die meinen, es würde zu wenig für Flüchtlinge getan. Dennoch: Das Thema hatte nicht mehr die Bedeutung wie im Frühjahr. Die Wahl drohte auf den letzten Metern zu versuppen. Und wenn eine Wahl kein Thema findet, schlägt die Stunde der „Sonstigen“. Das waren vor 5 Jahren die Piraten und 2016 die FDP. Diese bot in der diffusen Gemengelage eine „seriöse“ Fluchtmöglichkeit, ohne die Regierungsparteien zu stützen oder weiter nach links oder rechts ausschlagen zu müssen.

Die Sommerferien endeten 14 Tage vor der Wahl, medial gab es keine Höhepunkte, die Opposition brachte keinen legitimen Herausforderer hervor, die SPD wurde mehr akzeptiert als gemocht und eigentlich sprach keiner über die Wahl. Dass die AfD auch in Berlin ins Abgeordnetenhaus einziehen würde, war für die meisten auch kein Aufreger mehr. Das war eingepreist und ob es nun 12 oder 14% sein würden, schien auch keinen zu interessieren. Für die SPD kam in den letzten Tagen ein eher wackeliger bis negativer Trend hinzu. Bei der ARD verharrte sie bei 21%, INSA sah sie bei 22, das ZDF mit der Forschungsgruppe Wahlen setzte sie in der allerletzten Umfrage vor der Wahl von 24 auf eher wackelige 23 runter. Alles in allem verlor sie an Boden. Man muss hier noch erwähnen, dass die SPD bereits im Juni und Anfang Juli – also noch vor Beginn des eigentlichen Wahlkampfes, bei Infratest und INSA erstmals bei 21% notierte. Wir waren also durchaus gewarnt und versuchten wiederholt, eine Rakete oder ein Raketchen zu zünden. Da flackerte dann etwas am Firmament und erlosch sofort wieder. Diese Wahl war nicht zu fassen und am Ende zählte nur noch, stringent durchzuziehen.

Michael Müller setzte in den letzten 3 Tagen noch auf eine Schlussmobilisierung der eigenen Anhänger, indem er dringend daran erinnerte, dass eine starke Rechte in Berlin weltweit Erinnerungen an die schlechten alten Zeiten wecken würde. Man setze leichtfertig den weltoffenen Ruf der Stadt aufs Spiel.

Dafür wurde er von konservativen Blättern heftig kritisiert, denen die Sorgen der AfD-Wähler offenbar wichtiger sind, als die Sorgen der engagierten Demokraten und das Klima in der Stadt. Es ist schon seltsam, dass AfD-Wähler immer noch als unmündige Schäfchen betrachtet werden, die in Schutz genommen werden müssen. Obwohl heute kein Wähler der AfD mehr behaupten kann, er hätte nicht gewusst, wen er da wähle. Heute bin ich überzeugt: die Schlussoffensive und die harte Attacke gegen die AfD haben die SPD eher stabilisiert. Es war ein lauter Weckruf und dieser war nötig.

Der Verlust für die SPD schmerzt, bewegt sich etwas über dem Niveau von Mecklenburg-Vorpommern (-5%), aber deutlich unter den Verlusten in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt (jeweils 10%). Hinzugewinnen konnte für die SPD zuletzt nur Malu Dreyer mit ihrem „Wunder von Rheinland-Pfalz“.

Der 2016er Wahlkampf in Berlin wird also nicht in den Olymp der besten Matches dieser Republik einziehen. Und so nehmen wir es eben sportlich: Es war ein schlechtes Spiel, aber wir haben es gewonnen.

Und ich bin mir sicher: Wenn Michael Müller seine erste volle Amtszeit regiert haben wird, werden wir 2021 deutlich bessere Bürgerämter in Berlin haben, wesentlich mehr städtische Mietwohnungen, nicht wesentlich weniger schlecht gelaunte Berliner aber – und ja, das sage ich hier mit aller Entschiedenheit: einen eröffneten Flughafen BER. Obwohl mir das, ehrlich gesagt, völlig egal ist. Ich bin ja auch Berliner.

PS. Einen dicken Dank an alle Kolleginnen und Kollegen bei BUTTERBERLIN für die schönste und meist gelobte Kampagne dieses Wahlkampfes. Das Design war wirklich umwerfend, Alejandro! Und natürlich an alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die sich über viele Monate unentgeltlich und in ihrer Freizeit engagiert haben. Es war mal wieder ein Höllenritt! Wir brechen unsere Zelte ab und ziehen weiter in das deutsche Heartland: NRW.