Habecks zweite erste Chance.

Die Bundestagswahl 2025 nähert sich und es werden nach Medienberichten auch bereits personelle Entscheidungen zur Vorbereitung der Habeck-Kampagne getroffen. Das ist doch ein schöner Anlass, um auf die strategischen Optionen für Robert Habeck und die Grünen zu blicken. Die anderen Parteien folgen dann in loser Reihenfolge. Die strategischen Gedanken bilden nicht in jedem Fall dieser Reihe persönliche Präferenzen ab, manchmal aber doch und manchmal auch das krasse Gegenteil. Enjoy.

Das strategische Ziel der Grünen ist so klar wie ein Ziel nur klar sein kann: Robert Habeck muss seine Partei so stark machen, dass auf Bundesebene keine Zweierkoalition ohne die Grünen möglich ist. Dreier-Konstellationen auf Bundesebene haben doch sehr an Charme verloren. Selbst wenn die FDP knapp wieder in den Bundestag käme – was unwahrscheinlich ist – will niemand ohne Not mit ihr arbeiten und ein BSW in einer Dreier-Konstellation kann man sich auch nicht wirklich vorstellen.

Gehen wir also davon aus, dass die FDP nicht mehr in der Regierung vertreten sein wird, weil sie entweder zu schwach ist oder zu verbrannt oder nicht mehr vorhanden oder alles zusammen. Aus aktueller Sicht gäbe es dann nur zwei Optionen für Zweier-Konstellationen und das sind Union/SPD oder Union/Grüne. Der Union und selbstredend auch der SPD wäre die erste Konstellation lieber.

Aber was man sich wünscht und was einem der Wähler am Ende kredenzt, ist manchmal recht verschieden. Zwischen den Wünschen und dem Ergebnis liegt dann eben ein Wahlkampf.

Das vordergründige Problem: Die Grünen sind so out-of-vogue wie schon lange nicht mehr. Augenrollen bei der puren Erwähnung der Partei begegnet einem häufiger und das ist noch eine der angenehmsten Reaktionen. In anderen Regionen der Republik wird man dafür mit Schmorgurken aus nicht biologischem Anbau beworfen.

Ein Blick auf die Umfragen, Themenlagen und Potentiale lässt auf dem Weg bis zur Bundestagswahl 2025 in einem Jahr jedoch auch klare Chancen erkennen. Und diese liegen nicht nur – aber auch – in der Schwäche der anderen. Sie liegen auch in der Stärke Robert Habecks.

Mit aktuell 11-13% in den nationalen Umfragen notieren die Grünen nur wenig unterhalb ihres Wahlergebnisses von 14,8% im Jahr 2021. Sie ist die robusteste der Ampelparteien. Die FDP kam vor drei Jahren noch auf 11,5% und steht heute bei immer noch erstaunlichen 3-5%. Die SPD errang 25,7% und steht bei 15%. Umfragengewinner sind die Union, die von 24,1% auf 31-33 % zulegt, AfD von 10,3% auf 17-18% und BSW auf 8% national.

Auch wenn Heizungstechnologien und Energiewende, Elektromobilität und Radwege zum lustigen Draufschlagen in bestimmten Kreisen einladen, ist eine andere Entwicklung beachtenswert: Die Themenbedeutung von Klima- und Umweltschutz notiert immer noch in fast allen Erhebungen auf Platz 2 oder 3 der Dringlichkeit. Robert Habeck hat sich wieder auf einen der mittleren Plätze in der Politikerbewertung hochgearbeitet und gesellschaftspolitische Themen werden bei einem Kandidaten Merz auf Unionsseite an Relevanz zunehmen. Auch die aktuellen Top-Themen wie Migration und Wirtschaft müssen nicht zwingend in einem Jahr noch die Debatten dominieren.

Hinzu kommt, dass nach dem beliebten Motto „Aktion-Reaktion“ auf den aktuellen Backlash auch eine Gegenbewegung folgen kann. Für mehr Umweltschutz, gegen einen Rechtsruck, der auch die Union unterwandert, für die Verteidigung gesellschaftlicher Errungenschaften wie Gleichberechtigung, Minderheitenschutz etc., für Fortschritt gegen Rückschritt oder Stillstand. Diese Bewegung braucht einen Anführer.

Merz ist wiederum in seinem Grünen-Bashing gefangen, das er einst losgetreten hat und nun nicht mehr los wird. Weil viele seiner Leute ihn ernst genommen haben und sich nicht mehr einfangen lassen. Von Markus Söder wurde Merz wiederum nie ernst genommen und er überfüllt dessen vermeintlichen Auftrag nur, weil er ihm damit am effektivsten schaden kann. Denn Merz verliert natürlich eine wichtige Option, die er aber am Ende doch noch brauchen wird – wenn die Grünen an der SPD vorbeiziehen. Was bleibt ihm sonst übrig?

Die Union ist also wieder dort, wo sie 2020/21 schon einmal war: So siegessicher und selbstberauscht, dass sie sich wieder lustige Ränkespiele bis in die Zielgerade meint leisten zu können. Das Kandidatenkarussel der Union ist wieder neu eröffnet, Brücken in alle Richtungen werden eingerissen – auch innerparteiliche.

Zurück zu den Grünen, denen alles hilft, was den anderen schadet aber denen auch das weitere Kandidatenumfeld in die Hände spielt: Habeck kann reden und Emotionen in Worte fassen und auslösen. Habeck kann im zunehmenden Kulturkampf der Republik das immer noch relevante progressive Lager hinter sich versammeln, motivieren, vielleicht sogar klimaneutral elektrisieren.

Und viele Merkel-Wähler:innen die 2021 von der Union zur SPD gewechselt waren, sind heute wieder heimatlos. Nicht nur, aber erst recht im Vergleich zu Merz und Scholz hat Habeck definitiv einen „Schlag bei den Frauen“ (sagt meine Mama). Vielleicht kann er sogar noch eine kleine Portion aus den Konkursmassen von FDP und Linken abgreifen.

Ein weiterer Vorteil: Die Grünen sind eine urbane und speckgürtelstarke Partei, weshalb aktuelle Wahlergebnisse der Ost-Wahlen in Bezug auf die BTW wenig Relevanz haben, da im Osten ja kaum jemand wohnt. Von etwa 83,5 Mio. Bundesbürgern leben noch 12,6 Mio. im Osten (ohne Berlin), so dass die deutlich dichter besiedelten Regionen im Westen plus Berlin und die wenigen Städte im Osten viel wichtiger sind. Das ist ein großer Vorteil für die Grünen, die sich im Mittel- und Personaleinsatz konzentrieren können.

Bei einer aus Sicht vieler progressiver Wähler:innen wenig attraktiven Wiederauflage der Großen Koalition – und dann noch unter Merz – können die Grünen und Habeck das von nicht wenigen erwünschte Korrektiv sein. Und das kann entscheidend sein, um am Ende als Nr. 2 durch die Zielgerade zu kommen. 46-48% der Wählerstimmen können für eine Zweier-Konstellation reichen – und es ist gut möglich, dass Union/SPD daran scheitern Union/Grüne aber nicht.

Als Warnung vor der GroKo kann sich Habeck einen aktuell wohl bekannten Schlachtruf ausleihen und mit eigenen Inhalten und Parolen füllen: We are not going back!

Das kann klappen.

So wird Robert Habeck Bundeskanzler.

Obwohl viele diese Bundestagswahl bereits abgehakt haben, gibt es einen plausiblen Weg für die Grünen, diese Wahl zu gewinnen. Sie müssten es nur wollen. Und das ist die eigentliche Frage: Wollen sie es überhaupt?

Die Bundestagswahl 2021 hatte bis vor wenigen Tagen kein Thema, jetzt hat sie eines. Es ist ein Überthema, eine massive Intervention, ein Game-Changer wie wir ihn selten so nah vor Wahlen erleben. Die Toten der vergangenen Tage werden die deutsche Politik auf Jahre prägen und verändern und das ist auch das mindeste, was diese Gesellschaft ihnen schuldig ist.

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 führte zu einer 180° Wende in der deutschen Energiepolitik. Es war „der eine Tag“, der Angela Merkel veranlasst hat, ihre kurz zuvor vollzogene 180° Wende wieder rückgängig zu machen und am Ende genau dort zu landen, wo die Rot/Grüne Bundesregierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits Jahre zuvor angekommen war: Beim Atomausstieg. Nur schneller. Fehler erkannt, Fehler korrigiert. Armin Laschet sieht heute keine Veranlassung, nur Aufgrund der Ereignisse eines Tages seine rückständige Umweltpolitik zu ändern. Merkel tat es. Was einmal mehr beweist, in welch intellektueller Kreisklasse Laschet im Vergleich zur Weltpolitikerin Merkel boxt.

Heute erleben wir keine ferne Reaktorkatastrophe an Japans Küste, sondern dutzendfachen, vermutlich hundertfachen Tod und massive Zerstörung mitten in unserem Land. Und der Sommer ist noch jung. In den nächsten Wochen werden wir alle bei einsetzendem stärkerem Regen zusammenzucken und uns fragen: Hört das wieder auf – oder bleibt das 12, 24, 36 Stunden so? Die verheerenden Folgen des Klimawandels sind endgültig bei uns angekommen und nur noch ideologische verblendete Vollpfosten oder skrupellose Lobbyisten leugnen das.

Selbstredend ist dieses Ereignis das Thema für die Grünen. Keine Partei genießt auf irgendeinem Feld höhere Kompetenzwerte als Die Grünen bei Umwelt- und Klimaschutz. Gleichzeitig wird das Thema in den nächsten Tagen die Corona-Krise von Platz eins der wichtigsten Themen, die die Deutschen bewegen, verdrängen.

Schauen wir einmal auf die Zahlen von Deutschlands bestem Meinungsforschungsinstitut, der Forschungsgruppe Wahlen (FGW), die im Auftrag des ZDF seit Jahrzehnten ihre Erhebungen veröffentlicht. Dort standen die Grünen am 7. Mai 2021 bei 26%, die Union bei 25%. In der ungewichteten „Politischen Stimmung“ kamen die Grünen gar auf 32%. In der Beurteilung der 10 wichtigsten Politiker*innen lag Annalena Baerbock mit 1,0 auf dem 7. Platz, allerdings sehr nah an Scholz (1,0), Habeck (1,2) und Söder (1,3). Abgeschlagen folgten Spahn (0,3), Laschet (0,2) und mit der gelben Laterne Lindner (0,0). Thematisch dominierte Corona (74%) vor Umwelt/Klima (26%).

Springen wir auf die jüngsten Zahlen der FGW aus der KW28, veröffentlicht am 16.7.2021, erhoben vom 13.-15.7.2021 – also bevor die Katastrophe Einfluss nehmen konnte. Die Grünen standen bei 20% (politische Stimmung: 22%), die Union bei 30% (Stimmung: 36%). Thematisch lag Corona bei 50%, Umwelt/Klima bereits bei 34%. Im Ranking der 10 wichtigsten Politiker*innen belegte Annalena Baerbock nun zum zweiten Mal in Folge den letzten Platz (-0,5) hinter Lindner (0,2) und Spahn (0,2). Laschet steht bei schwachen 0,5 und Scholz bei 1,0. Falls jemand fragt: Ja, oben thront seit Monaten als einzige mit einer 2 vor dem Komma die Kanzlerin.

Nähern wir uns der Überschrift dieses Beitrages.

Die Grünen waren schon einmal der Union auf den Fersen oder gar knapp vor ihr und das nicht irgendwann, sondern noch im Mai. Dann wurde Annalena Baerbock medial getestet und ist durchgefallen. Baerbock ist heute ein Klotz am Bein der Grünen-Kampagne. Sie zieht die Grünen massiv nach unten und wird das weiter tun. Bleibt Baerbock Kanzlerkandidatin der Grünen, werden deren Werte zwar in Folge der Katastrophe steigen, aber je näher wir dann ab Ende August der Bundestagswahl im September kommen, auch wieder fallen. Weil man Baerbock das Kanzleramt nicht zutraut. Das wird so bleiben. Der Schaden ist innerhalb von acht Wochen nicht zu reparieren.

Wie können die Grünen jetzt das Blatt noch wenden? Nun, diese Katastrophe und die damit verbundene politische Disruption eröffnet der Partei ein kurzes Zeitfenster, um sich neu aufzustellen und zu sortieren. Kann Habeck die Grünen auf Platz 1 führen? Ja, er ist zwar bis dato auch kein Mega-Zugpferd (0,8; Platz 5), aber vor allem ist er kein Bremsklotz am Bein der Grünen. Wer die Bilder seines Wahlkampfauftaktes im Norden gesehen hat, weiß: Das ist der einzige Politiker im Feld, der überhaupt etwas wie Aufbruchstimmung verbreiten kann. Ist er fehleranfällig? Auf jeden Fall! Aber er ist länger im Geschäft, erfahrener und schlicht und ergreifend interessanter als Baerbock.

Würde man den Grünen diesen Wechsel verzeihen? Nun, die Wähler*innen der Grünen sollten diesen Wechsel nicht nur verzeihen, sondern herbeisehnen. Baerbock verhindert mit ihrer gescheiterten Kandidatur den Erfolg der Grünen und damit mehr Klimaschutz, mehr Tierschutz, mehr Umweltschutz. Das ist die Lage und nur die Grünen können sie ändern. Genauer: Nur Baerbock kann das ändern. Dafür braucht es Größe und Verzicht.

Es geht um die historisch einmalige Chance für die Grünen auf das Kanzleramt und Baerbock steht im Weg. Ist das alles gerecht? Weiß ich nicht. Ungerecht ist es jedenfalls nicht. Eine Garantie für den Erfolg ist Habeck auch nicht, aber der Ticket-Wechsel ist die einzige Chance.

Zeitlicher Ablauf:

Dieser Wahlkampf kann noch enormes Momentum für die Grünen entfachen. Das Thema Klimawandel/Umwelt wird stark und entscheidend. Wann wäre dann der beste Zeitpunkt?

Der Fokus in den nächsten zwei Wochen wird sich auf Laschet als Frontrunner richten und er wird dabei nicht gut aussehen. Weder politisch noch sonst irgendwie. Weil er das gar nicht kann. Da sollte man nicht stören.

Ein Rückzug Baerbocks zur Mitte der ersten Augustwoche wäre die zweite große Disruption für die Grünen und würde massive mediale Aufmerksamkeit auf Habeck lenken. Alle Karten würden neu gemischt. Für die Plakate der dritten Welle ist das noch ausreichend und ein Kanzlerkandidatinnen-Plakat für Baerbock gibt es bis dato sowieso noch nicht. Alles käme außerdem rechtzeitig zu Beginn der wichtigen Briefwahl.

Die anderen Parteien können nicht mehr reagieren und Habeck hat wenig Zeit, um Fehler zu machen. Habeck wäre der einzige Kandidat mit der Chance, den Wahlkampf noch elektrisieren zu können. Sehr viele Wählerinnen und Wähler sind noch unentschlossen und empfänglich.

Vor allem aber – und das unterscheidet ihn von anderen Ad-hoc Kandidaten der Vergangenheit: Er ist vorbereitet. Er hat sich seit Jahren darauf vorbereitet. Er ist bereit.

Das ist der Weg für Robert Habeck und die Grünen ins Kanzleramt.
Werden sie es versemmeln?
Wahrscheinlich.

Grünen-Kampagne: Hier stimmt etwas nicht.

Infolge meiner Anmerkungen vom 12. Juli im ZDF heute journal zur Kampagnenpräsentation der Grünen haben mich zahlreiche Rückfragen erreicht. Ich beantworte sie einfach in diesem Beitrag öffentlich, dann ist alles gesagt.

Warum stimmt etwas nicht bei der Grünen-Kampagne?

Ich bin so froh, dass Du das fragst, Frank: Nun, zum ersten Mal in ihrer Geschichte benennt die Partei eine Kanzlerkandidatin. Gleichzeitig belastet diese Kandidatin seit Wochen die Kampagne der Grünen und es wird munter spekuliert, ob nicht doch noch ihr Co-Vorsitzender die Kandidatur übernimmt.

Mitten in dieser Gemengelage präsentiert der Bundesgeschäftsführer die ersten beiden Plakatwellen, und es findet sich kein einziges Plakat der Kanzlerkandidatin Baerbock.

Es gibt mehrere Großflächen mit Habeck und Baerbock, Einzelplakate von Baerbock und Habeck, es wurde eine Tour angekündigt von Habeck und später auch von Baerbock.

Aber warum gibt es nicht ein einziges Plakat, auf dem zum Beispiel sinngemäß steht:  „Mehr Umweltschutz ins Kanzleramt: Annalena Baerbock.“ Oder: „Neue Ideen ins Kanzleramt: Annalena Baerbock“ etc.

Ein einziges Plakat hätte gereicht.
Ein einziges Plakat in dieser Richtung hätte alle Fragen beantwortet.
Endgültig. Aber es wurde nicht gemacht.

Daher: Da stimmt etwas nicht.

Die Grünen haben doch Frau Baerbock bereits als Kanzlerkandidatin ausgerufen. Warum sollte ausgerechnet ein Plakat das noch einmal manifestieren?

Das Plakat ist das unflexibelste Medium im Wahlkampf. Besonders die erste Welle der Großflächen hat einen Vorlauf von gut sechs bis acht Wochen. Das ist genau jetzt. Die Großflächen werden gedruckt, trocknen, werden ausgeliefert und dann in großen Hallen schon auf die ersten Sonderstellflächen aufgezogen, damit diese Sonderflächen möglichst rasch innerhalb weniger Tage flächendeckend in Deutschland aufgebaut werden können. Für die erste Welle der Großflächenplakate ist jetzt der „Point of no Return“ erreicht.

Problem: Liefere ich jetzt ein Plakat aus, auf dem explizit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin bezeichnet wird, dann wird dieses Plakat auch in der Republik hängen.

Sollte sie einen Rückzieher machen, hängt sie trotzdem dort.

Lösung: Wenn ich mir sicher sein will, dass diese Plakate in jedem Fall passen, gebe ich nur Großflächen mit Baerbock und Habeck frei und vermeide in jedem Fall die Bezeichnung „Kanzlerin“, „Kanzlerkandidatin“, „Kanzleramt“.

Habeck und die Grünen dementieren doch, dass noch ein Wechsel stattfindet. Wie soll das dennoch gehen?

Niemand dementiert irgendetwas. „Kokolores“ oder „Dazu ist alles gesagt“ sind keine Dementis. Die Entscheidung kann und wird nur Baerbock treffen, so wie sie auch die erste Entscheidung getroffen hat. Zieht sie „aus persönlichen Gründen“ zurück, dann ist es Habeck.

Und dann?

Dann wird die dritte Welle der Plakate auf den Kanzlerkandidaten Habeck zugeschnitten. Dafür ist noch ausreichend Zeit, denn die letzte Plakatwelle hängt erst in den letzten 14 Tagen vor der Wahl. Sie wird also um den 10. September herum plakatiert. Dann stehen die Flächen auch schon überall im Land und es wird von mobilen Teams umplakatiert, was rascher geht als in der ersten Welle. Druckunterlagenschluss ist dann ungefähr Mitte August.

Warum würde ein Profi wie Bundesgeschäftsführer Kellner nicht einfach den Deckel drauf machen und dieses blöde Plakat einfach zeigen?

Weil er nicht durfte. Vermutlich hat sich Baerbock Bedenkzeit in ihrem Urlaub genommen und sich nicht rechtzeitig zur Kampagnenpräsentation entschieden. Die Präsentation zu verschieben, hätte aber noch mehr Fragen aufgeworfen.

Ich bin mir sicher: Wenn Kellner eine Freigabe dafür gehabt hätte, hätte er liebend gerne ein Plakat der Kanzlerkandidatin präsentiert. Gegenfrage: Warum würde er darauf verzichten wollen – bei der ersten Kanzlerkandidatur in der Geschichte der Grünen?

Ist das nicht eine olle Verschwörungstheorie?

Nein, weil ich sie direkt von Bill Gates über meinen Impf-Chip empfangen habe. Und außerdem muss man das Wort „Kanzlerkandidatin“ auf der Website der Grünen schon lange suchen. Ich sage auch nicht, dass sie es am Ende nicht doch machen wird. Aber zu 100% ist das am 14. Juli 2021 nicht sicher.

 

 

Stern Interview plus Q&A: Das Kandidatenkarussel

Für den STERN Nr. 34/2020 vom 13.8.2020 sprach ich mit Andreas Hoidn-Borchers und Axel Vornbäumen über die Merkel-Nachfolge. Zu diesem Interview erreichten mich zahlreiche Nachfragen, die ich hier gerne beantworten möchte (und womit ich vermutlich weitere Fragen provoziere…)

Hier aber zunächst einmal das Interview wie im STERN erschienen:

Frank_Interview_Stern
Ex-Berater von Schröder und Steinmeier Wahlkampfprofi – Frank Stauss erwartet das Duell Merz gegen Scholz. Die Ära der Angela Merkel neigt sich dem Ende entgegen. Ein Gespräch mit dem Wahlkampfprofi Frank Stauss über die Nachfolge im Kanzleramt, ideale Kandidaten und den Hallodri-Faktor.

Herr Stauss, nächstes Jahr werden wir einen Wahlkampf am Ende einer Ära erleben – die amtierende Kanzlerin tritt ab. Ihre Prognose: Wird das ein Wahlkampf, wie es ihn noch nie gegeben hat?

Stand jetzt: Ja. Es steht mit Olaf Scholz zwar ein Kandidat fest. Aber es bleiben außergewöhnlich viele Fragezeichen.

Wird Angela Merkel diesen Wahlkampf noch prägen?

Absolut. Allein schon deshalb, weil sie für alle, die antreten, ein ziemlich gemeiner Vergleich ist. Wenn der Wahlkampf richtig losgeht, steht Merkel vermutlich so gut da wie nie zuvor in ihren 16 Jahren Regentschaft.

Wer hat darunter zu leiden?

Eigentlich alle – außer Olaf Scholz. Er ist kurioserweise derjenige, der am stärksten für die Fortführung der Merkel-Linie steht. Wie schwer es ist, neben Merkel zu bestehen, haben wir alle an Frau Kramp-Karrenbauer gesehen. Sie hat es nicht geschafft, als CDU-Chefin wahrgenommen zu werden. Es war die Kanzlerin, die weiter die Richtlinien der Partei bestimmt hat.

Der Unionskandidat startet mit Eisenkugel am Bein?

Ganz so schlimm wird es nicht. Die Bürger sind ja lernfähig. Sie werden aber Monate brauchen, bis sie begreifen, dass Merkel nicht mehr zur Wahl steht. Das führt peu à peu zu einer neuen Betrachtung aller Kandidaten.

Welchen Politiker-Typus wollen die Deutschen nach Merkel als Kanzler?

Mein Gefühl ist, dass der starke Mann, der mit der Faust auf den Tisch haut, eher nicht gesucht wird. Die Deutschen wählen Kontinuität und Beständigkeit. Selbst Gerhard Schröder hat 1998 gegen Helmut Kohl mit dem Slogan gewonnen: „Wir werden nicht alles anders machen. Wir werden es besser machen.“ Ich sehe also eher einen Kandidaten der Kontinuität als der Disruption.

Die Wichtigste für einen erfolgreichen Wahlkampf ist?

Kompetenz. Die entscheidende Frage ist: Kann der das? Und Corona hat es uns noch mal vor Augen geführt: Können die, die sich bewerben, Krisen managen? Das ist letztlich auch der Grund dafür, warum die Grünen als Oppositionspartei in den Umfragen abgefallen sind.

Und die größte Gefahr ist, bei der “Kann der das?”-Frage durchzufallen?

Bei Scholz muss man sich da keine großen Sorgen machen, bei Merz ist das anders, er hat ja noch nie regiert. Merz ist die Wildcard. Das kann bei ihm ähnlich schiefgehen, wie es für Martin Schulz schiefgegangen ist. Laschet? Mal sehen, wie er aus der Feuertaufe jetzt herauskommt. Und bei Söder darf man nicht vergessen: Mit ihm hat die CSU in Bayern zehn Prozentpunkte verloren. Da ist im Moment sehr viel Projektion im Spiel.

Die SPD hatte nur die Wahl zwischen Olaf und Scholz?

Ja. Und sie muss sich auch nicht grämen, dass sie in dem Bewerberfeld jemanden hat, der wie kein Zweiter die Voraussetzungen mitbringt, Kanzler zu werden. Jetzt sollte die SPD beweisen, dass sie geschlossen hinter ihm steht.

Welches Duell erwarten Sie? Scholz gegen?

Merz.

Und wer kommt von den Grünen dazu? Robert Habeck? Annalena Baerbock? Oder beide im Doppelpack?

Das hängt von der Ausgangslage ab. Wenn die Grünen eine realistische Chance auf das Kanzleramt haben, werden sich die Wähler und Wählerinnen mit einer Doppelspitze nicht zufriedengeben. Dann wollen sie wissen: Wer soll es denn nun werden? So eine Chance kann übrigens ganz schnell kommen, dafür können 24 oder 25 Prozent reichen. Das gilt auch für die SPD.

Und Ihr Ratschlag wäre?

Baerbock. Sie hat zuletzt eine gute, eine erfrischende Figur gemacht. Und sie setzt sich am stärksten von allen anderen ab. Nicht nur, weil sie eine Frau ist.

Könnten Sie aus dem vorhandenen Personal einen Kanzler klonen: Wie sähe der aus?

Man kann sich die Kandidaten nicht backen. Sie sind, wie sie sind. Deshalb: Gewinnen kann nur, wer bei sich selbst bleibt.

Die wichtigste Währung ist Authentizität?

Ja. Meine Standardempfehlung ist deshalb: Stärken stärken, Schwächen ignorieren.

Wer ist am authentischsten aus dem Bewerberfeld?

Scholz. Der ist so lange dabei, dass man sicher sein kann: Das, was man sieht, ist auch Olaf Scholz. Das gilt auch für Merz.

Der hat sich gerade in einem grünen Jackett ablichten lassen, um seine schwarz-grünen Neigungen zu dokumentieren. Witzig oder peinlich?

Ich finde es ein bisschen overdone. Was er aber sonst von sich gibt, ist doch sehr im Einklang mit dem Merz, den wir alle kennen. Er verbiegt sich nicht.

Wären die Deutschen bereit für einen Kanzler aus Bayern?

Das ist kein Hinderungsgrund mehr.

Ist es für die Kandidaten wichtig, dass sie sich Coronaadäquat verhalten? Um es überspitzt zu formulieren: Tanzen am Ballermann geht nicht?

Der Hallodri-Faktor muss bei null liegen. Disziplin ist wichtig. Alles andere wird abgestraft. Merkel ist auch in dieser Hinsicht der Maßstab.

Wird es ein Wahlkampf der Inhalte oder der Personen?

Er wird wie immer stark von Personen geprägt sein. Das war auch 2017 so. In der Zeit, in der Martin Schulz Projektionsfläche für viele war, kam die SPD in Schlagweite zur Union. Als er sich selbst entzaubert hatte, war die SPD wieder da, wo sie vorher war. Corona hat aber die politische Debatte auch inhaltlich verschoben: Der starke, fürsorgende Staat ist wieder in Mode gekommen.

Sie haben viele Wahlkämpfe für die SPD bestritten. Der beste Rat, den Sie hatten?

Ist immer der Gleiche: Du hast es so weit geschafft. Fang jetzt bloß nicht damit an, Korrekturen an dir vornehmen zu wollen. Besinne dich auf dich selbst.

Und Ihr bester Rat, der ignoriert wurde?

Tritt nicht an!

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Q&A zum STERN-Interview:

Warum erwarte ich Merz als Kanzlerkandidaten der Union?

Aus drei Gründen:
1. In der Mitgliedschaft der CDU und den Delegierten des Parteitages ist der Wunsch nach einem „starken Mann“ und auch ein Bruch mit der Merkel-Ära verbreiteter als in der Gesamtbevölkerung. Merz ist in der Lage, diese Rolle zu erfüllen und ist außerdem als „Mann von draußen“ am ehesten in der Position, flügelübergreifende Angebote zu unterbreiten. Wenn ihn sein rhetorisches Talent nicht völlig verlassen hat, kann er den CDU-Parteitag so rocken wie einst Oskar Lafontaine den berühmten Mannheimer Parteitag der SPD.

2. Armin Laschet gelingt überhaupt nichts mehr. Der Mann ist nicht nur nicht stark, sondern gemessen an allen aktuellen Umfragen in den Augen der Bevölkerung kein Kanzlermaterial. Er wäre ein schwacher Vorsitzender. Die CDU mag keine schwachen Vorsitzenden. Röttgen war nie ein ernstzunehmender Kandidat. Seine Kandidatur erklärt sich nur aus der persönlichen Abneigung zu Laschet. Die liberalen Stimmen in der CDU werden sich kannibalisieren und Merz gewinnt.

3. Söder ist natürlich der Mann der Stunde in der Union, aber eben auch nur der Stunde. Sein Glanz verblasst jetzt schon und bis Dezember ist es noch hin. Laschet hasst Söder und würde ihm nicht den Vortritt lassen und Merz hat nicht zwanzig Jahre am Comeback gefeilt, um dann nicht zu springen. Und ob Söder überhaupt will oder nur spielt, weiß vermutlich noch nicht mal der Söder.

Also: Mein Tipp ist Merz, was auch zu einem ordentlich konfrontativen Wahlkampf führen würde. Wenn er es nicht wird, dann lag nicht ich falsch, sondern er hat es vermasselt. 🙂

Es gibt ja auch die These, dass die Deutschen nach 16 Jahren Merkel nicht wieder eine eher ruhige und überlegte Kanzlerschaft suchen, sondern einen „starken Mann.“

Die Deutschen – wie der Rest der Welt – erleben gerade in Echtzeit, wie sogenannte „starke Männer“ ihre Länder mit Anlauf vor die Wand fahren. Das erscheint mir kein sehr attraktives Rollenmodell zu sein. Und die Gockelparade in der Union sorgt auch nur für begrenzte Euphorie. Also ganz klar: In der Krise ist Erfahrung gefragt.

Mag ja alles sein, aber ist nicht RRG einfach zu abschreckend in der Krise?

Ja, das ist es. Nicht, weil die ollen Kamellen wie „SED-Nachfolgepartei“ etc. noch ziehen würden, die Linke ist einfach für viele potentielle Grüne und SPD-WählerInnen aus der Mitte eher ein irritierendes Hemmnis auf dem Weg zu einer modernen Regierung.

Mein Rat an SPD und Grüne lautet daher: Seid nicht so verzagt! Folgt dem Baden-Württemberger Modell von 2011! Macht Rot/Grün oder Grün/Rot wieder zu einer Bewegung mit dem Anspruch, die mehr als unattraktiven CDU/CSU Minister endlich aus der Regierung zu werfen. 16 Jahre sind genug und hinter Merkel versteckt sich heute eine unattraktive Partei mit einem unattraktiven Personalangebot. Da geht was! So wie damals die CDU aus der Staatskanzlei in Stuttgart vertrieben wurde kann das auch im Bund gelingen.

Zur Erinnerung: Damals schlossen SPD und Grüne einen Pakt: Wir treten für eine gemeinsame, progressive Regierung an und wer die Nase vorne hat, stellt den Ministerpräsidenten. Folge: CDU 39 %, SPD 23,1 %, Grüne 24,2 %, Linke 2,8 %, FDP 5,3 %. Regiert hat dann Grün/Rot mit grünem MP. Also: Traut euch was, dann geht auch was!

Wer war der Kandidat, dem Du abgeraten hast anzutreten und der dennoch angetreten ist?

Haha. Netter Versuch.

 

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