DIE WOKE WÄRMEPUMPE

Wir schreiben das Jahr 2023 und die Entscheidung für eine Heizungstechnologie bestimmt den politischen Gradmesser zwischen Wokeness und AfD-Nähe. Willkommen im gesellschaftlichen Drama des Wärme-Wahnsinns um woke Wärmepumpen, verlotterte Diskurse, verwirrte Wähler.

Wer wissen will, wie sehr der Heizungswahnsinn Deutschland erfasst hat, dem lege ich den Artikel „In einem aufgeheizten Land“ auf der Seite 3 der Süddeutschen Zeitung vom 3.6.2023 ans Herzen. Darin begleitet Autor Jan Schmidbauer einen gutwilligen, gestandenen und nervenstarken Heizungsinstallateur auf seinen Beratungsterminen. Aus nachvollziehbaren Gründen empfiehlt er sowohl einem jungen Paar, einer älteren Dame als auch einem Bauern und dessen Sohn den Einbau einer Luft-Wärmepumpe, je nach Gegebenheit ergänzt durch Photovoltaik und weiteren Maßnahmen zur Energiegewinnung oder -einsparung. In allen drei Fällen wäre der Einbau einer Wärmepumpe technisch kein Problem. In jedem Fall führten diese Maßnahmen zu einer deutlichen Wertsteigerung der Immobilie bei gleichzeitiger Senkung der Betriebskosten. Zwei von drei entscheiden sich an diesem Tag dann für eine Gasheizung, der dritte für eine Ölheizung. 

Mit ihrer Entscheidung reduzieren sowohl die ältere Dame als auch das junge Paar – bei beiden ist die bestehende Heizung kaputt, sie brauchen also so oder so eine neue – den Wert ihrer Immobilie um geschätzte 50.000 EUR  – statt ihn um 50.000 EUR zu steigern. Denn wohl dem, der heute schon ein Haus mit einer modernen Heizung hat. Den Bauern mit der Ölheizung bzw. seinen Sohn werden wir dann in spätestens zehn Jahren auf einer Demo gegen die EU und die explodierenden Heizöl-Kosten wieder treffen.

Eine nicht minder ernüchternde Anekdote des Heizungsmonteurs: Nach dem Einbau einer Luft-Wärmepumpe in einem Neubauobjekt habe sich der Nachbar in den Tagen danach über die Lärmbelästigung beschwert. Zu einem Zeitpunkt, als der Monteur die Heizung noch gar nicht angeschaltet hatte. 

Umweltschutz und Klimawandel spielten bei der Entscheidung keine Rolle – auch nicht bei den jungen Eltern. Eher drängt sich der Verdacht auf, dass die Wahl der (Alt-)Technologien ideologiegetrieben waren.

Willkommen im Deutschland des Jahres 2023, in dem eine Luft-Wärmepumpe Zeichen von Wokeness zu sein scheint und man lieber dem Habeck eines auswischt, als sich selbst und seinen Nachkommen etwas Gutes zu tun.

Wie konnte es soweit kommen und wer treibt diesen Irrsinn, der Menschen zu offensichtlichen und kostenintensiven Fehlentscheidungen animiert, eigentlich an? 

Das Wärmepumpen-Desaster ist nur ein Aspekt eines verlotterten politischen Diskurses bei gleichzeitigem Click-Bait-Kalkül vieler Medienhäuser im Augenblick höchster Verunsicherung der Öffentlichkeit angesichts multipler Krisen, einer verkrachten Regierung und einer Opposition, die ihre Orientierungslosigkeit mit populistischer Rhetorik zu kaschieren versucht.

Die Mischung macht’s. Und diese Mischung ist toxisch.

Denn sie erfüllt alle Voraussetzungen für eine Abwärtsspirale im gesellschaftlichen Diskurs, die schwer wenn überhaupt wieder umzukehren ist.

Beginnen wir bei Punkt 1: Der verlotterte politische Diskurs

Kein verantwortungsvoll handelnder Akteur kann ein Interesse daran haben, dass Immobilienbesitzer im Jahre 2023, 2024 und erst recht nicht in den folgenden Jahren, neue Heizungen einbauen bzw. alte ersetzen, die maßgeblich oder sogar ausschließlich mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. 

Selbst wenn man der Meinung ist, dass man dies nur dringend empfehlen und nicht gesetzlich vorschreiben sollte, muss die Empfehlung immer lauten: 

„Liebe Leute, baut keine neuen Gas- oder Ölheizungen ein, sondern setzt auf Wärmepumpen, Solar und Photovoltaik – sowie auf alle Alternativen, die bei euch in der Region zur Verfügung stehen. Zu eurem eigenen Nutzen. Ihr schadet euch, dem Wert eurer Immobilie und ganz nebenbei auch noch der Umwelt, wenn ihr das anders macht.“ – Mit freundlichen Grüßen CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne, Linke, FW.

Was wir stattdessen zu hören und sehen bekommen sind substanzlose Phantasien von E-Fuels, angeblicher Technologieoffenheit (FDP) und einem „Heizungs-Hammer“ (CDU/BILD). Die CDU sammelt sogar Unterschriften mit der Argumentation „Dieser Heizungs-Hammer trifft die Menschen mit voller Wucht. Viele haben Angst …“ Eine Angst, welche die Partei wider besseren Wissens selbst schürt. 

In der CDU-Kampagne findet sich kein einziger Hinweis darauf, dass es grundsätzlich schon sehr sinnvoll wäre, auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Es findet sich auch kein Hinweis darauf, dass in dem bisherigen Entwurf nur irreparabel defekte Heizungen in Bestandsbauten und Neubauten betroffen sind. Was bedeutet, dass alle mit einer funktionierenden Heizung sich sowieso um gar nichts kümmern müssen und diese auch erst ersetzen müssen, wenn sie nicht mehr repariert werden kann – also dann, wenn sie sowieso eine neue Heizung brauchen. Wie bisher warten Häuslebesitzer also darauf, dass irgendwann einmal die Heizung den Geist aufgibt. Ob das in 5, 10, 15 oder 20 Jahren ist. Und dann kauft man wie bisher eine neue. Und wählt aus dem dann verfügbaren Angebot. 

Stattdessen weisen eigentlich wirtschaftsfreundliche Parteien ihrer eigenen Klientel einen Weg, der wie in dem erwähnten Artikel zu einer offensichtlichen Wertevernichtung führt.

Punkt 2: Der mediale Click-Bait-Hammer

Überschriften, die bei diesem aber auch anderen Themen mit bewusst verzerrten oder ins groteske verkehrten „Informationen“ arbeiten, betreffen nicht nur die BILD. Sie sind allgegenwärtig.

Besonders der Hinweis darauf, dass es hier nicht um ein Verbot bestehender Heizungen geht, wird nicht nur in der Headline sondern gerne auch im Text selbst unterschlagen. Sehr ähnlich wie schon beim angeblichen EU-weiten „Verbrennerverbot“ 2035, bei dem es ausschließlich um die NEUZULASSUNG von Fahrzeugen geht. In mehr als einem Jahrzehnt werden also keine Verbrenner mehr neu zugelassen. Keiner muss seine zuvor erworbene Möhre aufgeben, sondern kann sie fahren, bis sie ihm unter dem Hintern wegrostet.

Aber die Erfahrung zeigt: Wer Aufregung schürt, erhält Aufmerksamkeit.

Dass diese aufregende bis verhetzende Methode vor allem unvollständige oder „Alternative Wahrheiten“ produziert und damit den Diskurs in einer Gesellschaft vergiftet – das ist der Preis, den wir am Ende alle zahlen.

Punkt 3: Multiple Krisen und eine verkrachte Regierung.

Wer diesem Blog folgt weiß, dass die zentrale Aufgabe einer Regierung in Zeiten multipler Krisen darin besteht, Orientierung und Halt zu bieten. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Die Folgen: Vertrauensverluste für ausnahmslos alle demokratischen Akteure und Institutionen auf breiter Ebene.

Das Vertrauen in die politische Führung Deutschlands erodiert und ist gleichzeitig hoch volatil. Politiker:innen werden in bisher nicht gekanntem Ausmaß in der Beliebtheit nach oben katapultiert, nur um wenige Monate später das Schlusslicht zu bilden. Baerbock, Spahn, Habeck, Lauterbach – es ist ein einzige Achterbahnfahrt. 

Sehr deutlich wird dies in den seit Jahrzehnten erhobenen Daten der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF. Zum Beispiel bei der Bewertung der Spitzenpolitiker:innen. Über die letzten dreißig Jahre notierten dort selbst mäßig beliebte Politiker:innen fast durchgehend im deutlich positiven Bereich auf einer Skala von +5  bis -5. Ein ordentlicher Mittelwert lag bei etwa 1.0, ein Spitzenwert bei 2.0. Eher schlecht bewertet wurde man mit 0,5.

Angela Merkel notierte zum Ende ihrer Amtszeit im Mai 2021 bei +2,2, Olaf Scholz landete bei +1,0 das Schlusslicht bildete Christian Lindner mit 0,0. Niemand in der Top 10 notierte negativ. Der Bundesregierung attestierten 62% der Befragten, einen „guten Job“ zu machen. (Politbarometer KW 18 2021). Diese ungefähre Bandbreite der Werte hatten über fast drei Jahrzehnte Bestand. Aber nicht mehr in den letzten Monaten.

Im Mai 2023 attestiert nur eine Minderheit von 41% der Bundesregierung eine gute Arbeit. Die Top 10 der Politiker:innen sinkt schon nach dem 3. Platz in den negativen Bereich (1. Pistorius +1,7;  2. Scholz +0,5, 3. Baerbock 0,0.). Die Repräsentant:innen der Opposition profitieren im Gegenzug nicht von dem schlechten Erscheinungsbild der Bundesregierung. Oppositionsführer Merz landet mit -0,3 noch vor Söder (-0,4). Einstmalige Spitzenreiter wie Lauterbach (-0,1) oder Habeck (-0,6) werden nach unten durchgereicht. Deutliches Schlusslicht ist Frau Wagenknecht mit -1,4.

Diese und noch viele weitere Daten bezeugen, dass zwischen 2021 und 2023 ein deutlicher Vertrauensverlust in die handelnden Akteure an der Spitze von Regierung und Opposition stattfand.

Merz, Söder und auch mal wieder Spahn suchen nun ihr Heil einmal mehr am rechten Rand der Rhetorik und bedienen sich dem beliebten AfD-Sprech vom Heizungs-, Gender-, Migrations-Wahnsinn. 

Wie schon so oft bewiesen – nicht nur in Deutschland – gewinnen sie damit nichts, stärken aber die AfD. 

Die FDP versucht sich weiter an dem in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mehrfach gescheiterten Weg der Opposition in der Koalition, die Grünen irrlichtern, reflektieren und reagieren weiter glücklos kommunikativ und die SPD versucht sich mal wieder darin, es allen und damit niemandem recht zu machen.

Na, herzlichen Glückwunsch uns allen.

Noch erweist sich Deutschland als relativ stabil in Bezug auf einen ausufernden Populismus. Aber die Entwicklung ist keine Gute – die Richtung falsch und die Konsequenzen bedrohlich.

So, ich gehe jetzt wieder in den Keller und streichle unsere Luft-Wärme-Pumpe, die aktuell im Sommerschlaf ruht, aber dennoch etwas Liebe und Zuneigung verdient hat. Sie arbeitet seit 2007 verlässlich in unserer Reihenhaussiedlung und leidet an dem Maß an Mißtrauen, Ausgrenzung und Häme, das ihr zur Zeit entgegenschlägt.

Das Zuhörproblem

Nachdem sich die größte Aufregung um Panzerlieferungen wieder gelegt hat, lohnt ein Blick auf die begleitende Debatte. Während viele Medienvertreter:innen mit seinem Kommunikationsstil hadern, versteht das Volk Olaf Scholz scheinbar recht gut. Im Vergleich zu Biden, Macron oder Sunak liegt der Kanzler bezüglich der Zustimmungsraten in der Bevölkerung vorne. Woher kommt die Entfremdung zwischen Bevölkerung und Medien?

Die Worte, die Olaf Scholz im allgemeinen wählt, sind weder kryptisch, noch banal, noch von  überbordenden Emotionen geprägt, sondern meist klar, knapp und verständlich. Auch wenn er gerade nichts sagen kann, ist das nicht schwer zu verstehen. Er sagt dann nichts.

Weite Teile der Bevölkerung kommen mit diesem Stil offenbar ganz gut klar, notiert Scholz doch schon seit vielen Jahre in den Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen beständig im oberen Drittel der beliebtesten und wichtigsten Politiker:innen Deutschlands (aktuell auf Rang 3). 55% bescheinigen dem Kanzler zu Ende Januar 2023, einen guten Job zu machen. Angesichts der vielfältigen Krisen unserer Tage ein passabler Wert – und einer der höchsten in vergleichbaren Demokratien. Joe Biden kommt auf 42,3%, Macron auf 36% und Sunak auf 40% Zustimmung (Quellen siehe Grafik).

Nur einer notiert im positiven Bereich.

Woher aber kommen nun diese Unterschiede zwischen dem kritischen, häufig auch in drastischer Sprache geäußerten Missfallen zahlreicher Medien und dem stabilen Eindruck, den der Bundeskanzler bei den meisten Menschen hinterlässt?

Schon lange beobachten wir in der Kommunikationsbranche eine sich immer weiter öffnende Schere zwischen einer recht überschaubaren intensiven Kommunikationselite und breiten Bevölkerungsschichten. Der massive Medienwandel, vor allem im vergangenen Jahrzehnt, hat zu einer Kluft bezüglich der Tiefe von Wissen und auch der Geschwindigkeit im Konsum von allgemeinen, politischen und gesellschaftlichen Informationen zwischen diesen ungleich verteilten Polen geführt, die auch weiter wächst. 

Die Schlüsselbegriffe, um in breiten Bevölkerungsschichten heute zu reüssieren lauten Stabilität und Berechenbarkeit. Am Ende zählt die lange Linie und nicht die hektische Kurzatmigkeit. Das erklärt auch die zunehmende Entfremdung zwischen Medien und Bevölkerung.

Medienvertreter:innen kämpfen seit Jahren mit abnehmender Bedeutung und nicht selten um das eigene wirtschaftliche Überleben. Selbst große Medienhäuser wie Axel Springer stemmen sich mit immer schrilleren Tönen und zweifelhaften wirtschaftlichen Investitionen (BILD TV) vergeblich dem Verfall ihrer einstigen Macht entgegen. Immer mehr Journalist:innen suchen ihre Rettung im Aufbau eigener Medienmarken, die sich im Zweifel auch ohne das aktuelle Verlagshaus monetarisieren lassen. Dafür benötigt werden Follower auf den sozialen Kanälen, hohe Abrufzahlen, Klickraten und möglichst häufige Auftritte in TV-Formaten, reichweitenstarken Podcasts und Newslettern.

Eine solche Reichweite innerhalb einer überschaubaren aber wiederum wichtigen und zahlungskräftigen Zielgruppe, erreicht man am einfachsten über Lautstärke, Polarisierung, Geschwindigkeit und natürlich auch Polemik. Ob das besser oder schlechter ist als „früher“ ist dabei irrelevant. Politik ist keine nostalgische Veranstaltung sondern findet in den Räumen statt, die aktuell zur Verfügung stehen.

Dieser Kampf um Aufmerksamkeit – nicht der Politik, sondern der Medien – führt zu kuriosen Wettrennen um exklusive Erstmeldungen. Nicht selten geht es um Minuten oder gar Sekunden. Zuletzt zu verfolgen bei dem bizarren Nachrichtenzyklus rund um den Rücktritt der Verteidigungsministerin und der Ernennung ihres Nachfolgers. Frau Lambrecht war am Montag, den 16.1. zurückgetreten, am Dienstag wurde ihr Nachfolger, Herr Pistorius, benannt und am Donnerstag vereidigt. 

Man muss keine Meinungsforschung betreiben um zu wissen, dass von den 84 Millionen Einwohner:innen Deutschlands gute 83,99 Millionen mit diesen zeitlichen Abläufen ganz gut klarkamen. Vorausgesetzt, sie haben den Vorgang in der Kürze der Zeit überhaupt mitbekommen. Für zahlreiche Medienvertreter:innen war es andererseits ein absolutes Unding, dass „in Kriegszeiten in Europa der Chefsessel im Verteidigungsministerium unbesetzt“ blieb. Was noch nicht einmal der Fall war, den Lambrecht war ja noch im Amt.

Die unüberschaubare heutige Medienvielfalt und die mit ihr verbundenen Zerstreuungs- oder Eskapismusoptionen führen dazu, dass eine Gleichzeitigkeit des Informationsflusses nicht mehr vorhanden ist. Viele Menschen bekommen immer mehr Informationen entweder gar nicht oder zeitlich stark versetzt mit.

Um Durchzudringen wird daher die lange Linie – also Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, Unaufgeregtheit und am Ende vor allem ein erfolgreiches Management multipler Krisen – immer wichtiger.

In hektischen Zeiten gewinnt die Orientierungsfunktion von Politik immer weiter an Bedeutung. Die Menschen wollen wissen, wofür eine Person, eine Partei, eine Regierung steht. Nicht in jeder Sekunde – sondern langfristig. Heutige Medienmechanismen und seriöse Politikvermittlung stehen immer mehr im Gegensatz zu einander.

Politik läuft Gefahr, sich in der selben Blase zu bewegen wie viele Medienvertreter:innen heute. Das Ergebnis sind hektische, fehlerhafte, unberechenbare und nicht zu Ende gedachte Entscheidungen. Dies führt zu großen Irritationen in der Bevölkerung, die in diesen Zeiten vor allem eines nicht will: eine irritierende Regierung – wie sie etwa Großbritannien über die letzten Jahre erlebte.

Die Gratwanderung seriöser Politik besteht nun darin, Druck auszuhalten, lange Linien zu verfolgen und nicht dem täglichen medialen Irrsinn zu erliegen. Die Gefahr besteht, genau mit diesem Verhalten den Zorn der hyperaktiven Medien auf sich zu ziehen, die immer schneller immer neues Futter brauchen.

Wie die vergangenen Wochen zeigten. Bezüglich der Unterstützung der Ukraine haben die zentralen Akteure Biden, Sunak, Scholz und Macron ein abgestimmtes Vorgehen verabredet und halten sich daran. Das führt zu der beispiellosen Unterstützung einer Nation, die kein offizieller Verbündeter ist – bei gleichzeitiger gegenseitiger Absicherung. Dass Scholz in der Leopard-Frage beständig daran gearbeitet hat, mit den USA im Gleichschritt zu gehen (und diesen im Zweifel auch einzufordern), hat zu einem engeren Schulterschluss gegen den Aggressor Russland geführt. Exakt dieses Vorgehen hat Scholz immer wieder angekündigt und auch begründet.

Das Problem war nicht, dass Scholz nicht sprach – sondern dass er nicht sagte, was viele Journalist:innen hören wollten. Das ist aber ein gewaltiger Unterschied.

Das für die Ukraine positive Verhandlungsergebnis war nur möglich, weil er sich nicht hat treiben lassen. Genau darin besteht ja Führungsstärke – die im übrigen von den entscheidenden Partnern in der Welt exakt so wahrgenommen wird.

Die letzten Monate bieten ausreichend Anlass, Deutschlands Debattenkultur zu hinterfragen. Der Kanzler agiert dabei kommunikativ sicher nicht fehlerfrei. Aber offensichtlich deutlich näher an der Erwartungshaltung der Bevölkerung, als die mediale Stimmung es vermuten ließe.

Dieser Text sollte als Gastbeitrag in einer Tageszeitung zu dem „Kommunikationsproblem des Bundeskanzlers“ erscheinen. Als der Autor darauf hinwies, dass dieses Problem nicht so eindeutig und einseitig bestünde, wurde die Anfrage zurückgezogen. QED

Neuland.

Deutschland hat seit acht Wochen einen neuen Bundeskanzler. Aber nachdem der letzte Wechsel im Kanzleramt sechzehn Jahre zurückliegt, haben viele – auch in den Medien – offenbar verlernt, was das tatsächlich bedeutet.

Olaf Scholz wurde am 8. Dezember 2021 im Deutschen Bundestag vereidigt. Heute ist der 8. Februar 2022. Dazwischen lagen noch Weihnachten und Neujahr. Zwischen der Wahl am 26. September 2021 und der Vereidigung lagen außerdem noch relativ kurze Koalitionsverhandlungen an deren Ende erst die genaue Aufteilung der Ministerien und die Bestellung der MinisterInnen-Riege lag. Es folgte die Konstituierung einer neuen Regierung in einer bisher auf Bundesebene noch nie dagewesenen Konstellation. Ministerien wurden neu zugeschnitten, eines komplett neu gegründet. StaatssekretärInnen aber auch hunderte von MitarbeiterInnen wurden bestellt, wechselten zum Teil die Resorts oder begannen ihre Arbeit ganz von vorne. Zum Teil wurden Stellen noch gar nicht besetzt, weil man noch auf begehrte MitarbeiterInnen wartet, bis diese aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis wechseln dürfen. Das alles geschieht gerade.

In den 16 Jahren zuvor blieb nach dem Amtsantritt 2005 zumindest im Kanzleramt alles beim Alten, viele Ministerien blieben ebenfalls in der gleichen Hand, CDU/CSU regierten durch und nur der Koalitionspartner wechselte mal von SPD zu FDP und wieder zurück.
Heute regiert zwar die SPD weiter, allerdings wurden die Häuser komplett neu zugeschnitten und zum ersten Mal seit 2005 gibt es zum Beispiel wieder sozialdemokratisch geführte Innen- und Verteidigungsministerien. Die FDP regiert erstmals seit 2013 wieder auf Bundesebene, die Grünen erstmals seit 2005.

2005 übrigens, nur zur Einordnung, war das Jahr in dem Johannes Paul der II. starb, George W. Bush seine zweite Amtszeit antrat, das iPhone noch nicht auf dem Markt war, Facebook gerade ein paar Monate zuvor gegründet wurde und die Welt weder von Twitter noch von Uber, Airbnb und Co. je gehört hatte. Weil es sie noch nicht gab.

Das ist also alles recht lange her. Wer zum Beispiel 2005 in einem Medienhaus mit 25 Jahren nach der Uni anfing ist heute 41 und hat bisher nur in anderen Ländern erleben können, was ein Machtwechsel bedeutet. Eine Transition-Phase – also eine Übergangsphase zur Vorbereitung auf die Regierung, wie es sie in den USA sinnigerweise zwischen dem Wahltag in der ersten Novemberwoche und der Amtseinführung am 20. Januar des Folgejahres gibt – kennt unsere Verfassung nicht. Obwohl es natürlich großen Sinn ergäbe, wenn zwischen dem harten Wahlkampfende und den nicht minder harten Koalitionsverhandlungen noch Zeit wäre, Personal zu rekrutieren und einzuarbeiten. Und auch mal auszuschlafen.

Aber selbst mit Transition-Phase beginnen neue Administrationen häufig rumpelig und es muss sich vieles erst einmal „zurechtruckeln“ (A. Nahles).

Grundsätzlich nicht einfacher machen den Start einer neuen Regierung eine Pandemie, ein durchgeknallter russischer Präsident und eine Öffentlichkeit, die nach einer Pressekonferenz des Bundeskanzlers am 25. Januar nur wenige Tage später eine „Wo ist Scholz?“-Kampagne startet.

Und was die schon sehr lange andauernde „Ukraine-Krise“ – die in Wahrheit ja ausschließlich dem monströsen Minderwertigkeitskomplex Putins entsprungen ist – und die wichtige Rolle Merkels 2014 in den Gesprächen angeht: Zu diesem Zeitpunkt war Merkel bereits neun Jahre Bundeskanzlerin. Nicht neun Wochen. Ich persönlich begrüße es daher, wenn ein neuer Kanzler nicht in den ersten Tagen meint, die Welt retten oder Waffen in ein Krisengebiet schicken zu müssen. Kann man das vielleicht etwas klarer formulieren? Da geht wohl noch was.

Ansonsten drücken aktuell noch das Wetter, die ebenso notwendigen wie nervigen Masken, die gestiegenen Energiepreise, die Inflation und die nicht enden wollende Irrenparade der Querdenker aufs Gemüt. Aber das wäre unter keinem Kanzler anders.

Kann man daher grundsätzlich auch sagen, dass wir in der Beurteilung der Herausforderungen einer Regierungsübernahme in dieser Zeit auch etwas mehr Geduld von uns selbst verlangen dürften? Ich denke, da geht noch was.

YES WE CAN MAKE AMERICA GREAT AGAIN

An der Europuniversität Viadrina hielt ich auf Einladung einer Internationalen Konferenz des Sprachenzentrums einen Vortrag über die Macht der Sprache.

Nach der Veröffentlichung als Podcast in der Deutschlandfunk Nova Reihe „Hörsaal“ wurde ich häufiger gebeten, den Vortrag auch schriftlich und vor allem auch mit dem im Hörfunk doch eher bedingt sendefähigen Bildmaterial bzw. Links zu veröffentlichen. Hier ist er.

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Und da einige auch fragten, warum ich denn nichts zu Corona schriebe, ein kurzer Hinweis: Hände waschen, Abstand halten, andere nicht anhusten. Es ist alles gesagt.

YES WE CAN MAKE AMERICA GREAT AGAIN.
Sprache und ihre Macht in der politischen Kommunikation.
Vortrag im Audimax der Europauniversität Viadrina, Frankfurt an der Oder, 5. März 2020.

50. Geburtstag AKS an der Uni Viadrina
Freundliche Begrüßung durch Universitätspräsidentin Julia von Blumenthal

  1. INTRO: SPRACHE IST NEUTRAL. OB SIE GUTES ODER BÖSES AUSLÖST LIEGT AN UNS.

Ein Hörsaal voll von Menschen, die ihr berufliches Leben der Vermittlung von Sprachen widmen. Schön!

Sprachkenntnis bedeutet so viel Schönes: Völkerverständigung, Zugang zu fremden Kulturen die sich erst durch Sprachkenntnisse endgültig erschließen lassen, Vielfalt, Integration, Partizipation.

Wenn ich an Sprachunterricht denke, dann sehe ich fröhliche Menschen mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen, die sich zusammengefunden haben, um gemeinsam eine Sprache zu lernen oder ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen. So wie auf jedem Prospekt für eine Sprachreise, auf jeder Homepage einer Sprachschule oder jeder App: Überall gutaussehende, junge, lachende Menschen die eines verbindet: das gemeinsame Erlernen einer neuen Sprache. Vielleicht kommt noch eine Nonne auf dem Fahrrad vorbeigefahren und lächelt gütig.

Aber Sprache – und wer wüsste das besser als Sie – ist nur so gut wie die Menschen, die sie sprechen.

Sprache, das haben wir über die Jahrhunderte gelernt und lernen wir gerade jeden Tag aufs Neue – Sprache ist auch eine Waffe.

Sprache ist Macht.

Sprache markiert Hoheitsgebiete, territoriale und ethnische Zugehörigkeit.

Sprache ist Mittel der Unterdrückung ebenso wie Zeichen der Unabhängigkeit.

Sprache kann ebenso gut für Separation und Segregation stehen wie für Dialog und Integration.

Sprache kann zu Sprachlosigkeit führen.

Denken wir nur einmal an Konflikte der jüngeren Geschichte.

An territoriale „Säuberungen“, die sich häufig nicht nur auf Religion oder Ethnien beziehen, sondern auch auf Sprache. Dann wird Sprachunterricht zu Umerziehung. Oder auch zum Einfallstor, um über Sprache Minderheiten zu mobilisieren und Staaten zu destabilisieren.

Sprache war schon immer auch Unterdrückungs- und Manipulationswerkzeug .

Beispielsweise im Spanien der Franco-Diktatur, als Katalanisch bzw. Mallorquin verboten wurde. Eine Unterdrückung, die allerdings bereits ab etwa 1715 mit den Bourbonen Königen begann.

Ein weiteres Beispiel aus der Spanisch-Französischen Grenzregion ist natürlich Baskisch. Das noch stärker zur Identifikation beiträgt, weil es sich um eine isolierte, nicht verwandte Sprache handelt. Wer sich mehr für diesen Konflikt und auch die Auswirkungen der Sprache interessiert, dem empfehle ich den Roman „Patria“ von Fernando Aramburo.

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Womit wir bei der Literatur, der Kunst, dem Theater, der Oper, der Musik, den Dichtern & Denkern wären. Auch hier kann Sprache alles sein: Schön und häßlich, fröhlich und feindlich, poetisch und kriegerisch, demokratisch und totalitär. Kulturpolitik war und ist in der Geschichte nicht selten Sprachpolitik. So wurden eben das Katalanische im 17. Jahrhundert zunächst von den Bühnen verbannt – denn die Bühnen waren ein Instrument der Sprach- und damit der Machtdominanz.

Heute haben wir ganz andere Bühnen. Und wenn wir von Hate-Speech in den sozialen Medien sprechen, sprechen wir natürlich auch über eine Sprache der Ausgrenzung, Aufwiegelung und Hetze.

Nun sind wir hier heute in Deutschland und in direkter Nachbarschaft zu Polen, das vor nicht allzu langer Zeit nicht hier lag, sondern weiter östlich und deshalb muss ich territorial gar nicht weit abschweifen, um über Machtpolitik, Sprachpolitik, Vertreibung, Umsiedlung und Umerziehung zu sprechen.

Und über Vernichtung. Denn Sprache kann hetzen, manipulieren, desinformieren, agitieren und in letzter Konsequenz auch töten und vernichten. Und wo muss man eindringlicher daran erinnern als hier, in Deutschland und direkt an der Grenze zu Polen.

Doch heute stehe ich hier an einem Ort der Versöhnung, der Verbundenheit, der Völkerverständigung und der Hoffnung.

Und damit meine ich nicht nur die Stadt Frankfurt (Oder) – aber eben auch die Stadt. Und natürlich meine ich die Europa-Universität Viadrina, die – wie ihr Name schon sagt – ein großartiges Symbol für die Hoffnung und Verständigung ist.

Mich verbindet mit Frankfurt (Oder) und der Viadrina absolut nichts. Oder- moment mal. Doch! Mein Diplom vom Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin wurde 1993 unterschrieben von der damaligen Dekanin, einer gewissen Gesine Schwan. Für alle, die es nicht wissen, von 1999-2008 war Prof. Schwan Präsidentin der Europa-Universität Viadrina.

Aber zurück ins Jahr 1993, zu mir und endlich auch zu meinem eigentlichen Thema.

Meinem Abschluß als Diplom Politologe 1993 war ein zweijähriger Aufenthalt an der George-Washington-University in Washington DC vorausgegangen. Als Stipendiat der Fulbright-Stiftung lebte ich damit mittendrin in der Herzkammer der politischen Kommunikation.

  1. WAHLKAMPF – DAS MEKKA DER KOMMUNIKATION

Wahlkämpfe hatten mich schon seit frühester Jugend – fast seit meiner Kindheit – fasziniert.

Ich weiß, das ist für ein Kind ein einsames Hobby. Aber wie für alles gibt es auch hierfür eine globale Community. Oder Freaks. To make a long story short. Ich wurde während des Studiums Praktikant bei einem Senator aus Tennessee namens Al Gore,

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Er hatte die bessere Krawatte und ich hatte noch Haare.

dieser wurde Vizepräsidentschaftskandidat von Bill Clinton, ich durfte 1992 mit in das Wahlkampfteam wechseln und mache seither kaum noch etwas anderes.

Ich liebe Wahlkämpfe und noch mehr, sie zu gewinnen.

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Election Night/Morning, Nov.3rd 1992

Wie vor zwei Wochen in Hamburg für die SPD.

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Pressespiegel Hamburg 24.2.2020

Wer mehr darüber erfahren möchte, dem kann ich guten Herzens „Höllenritt Wahlkampf“ als  Lektüre empfehlen. So, enough advertising for myself.

Wahlkampf ist für alle Beteiligten ein Höllenritt – und gleichzeitig faszinierend. Für mich ist es das Hochamt der Demokratie. Es gibt nichts Schöneres, als an einem Wahltag die Menschen in die Wahllokale strömen zu sehen.

Jeder Mensch mit einer Stimme –ob arm oder reich, Mann, Frau, Transgender, Muslima, Christ, ob schlau oder doof, schön oder häßlich – ein Mensch eine Stimme.

Aber zum Wahltag gehört der Wahlkampf.
Das Werben um die Wählerinnen und Wähler.

Seit Erfindung der Demokratie gibt es Wahlkämpfe – und schon wesentlich länger gibt es Kampagnen. Denn wenn man einen König, Kaiser, Sultan, Herrscher vor dem Zeitalter moderner Massenkommunikation bekannt machen wollte, dann geschah dies durch Ausrufe, Aushänge, Gesänge oder auch durch die Prägung von Münzen.

Moderne Wahlkämpfe wurden und werden in den USA geprägt. Weil die USA auch maßgeblich unser heutiges Marketing, Werbung, PR und natürlich die Medienkultur überhaupt prägen. Von Social Media ganz zu schweigen. Die Welt orientiert sich nach wie vor an der hegemonial prägenden Kultur der USA. Und zwar freiwillig. Das gilt von Hollywood und Disney über TV-Formate zu Netflix, Facebook, Twitter, Amazon & co.

Ein Wahlkampf ist heute alles auf einmal. Sie müssen jeden Kanal bedienen, jedes Werkzeug beherrschen.

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Richel/Stauss: Disziplinen der Wahlkampfkommunikation

Als ich 1990 in die USA kam, galt Washington schon lange als das Mekka der politischen Kommunikation. Amerikanische Werbeagenturen hatten schon seit den 60er Jahren moderne TV-Wahlkämpfe geprägt mit John F. Kennedy einen eigentlich als chancenlos betrachteten Kandidaten durch die Macht der Bilder ins Weiße Haus gebracht.

Aber war es wirklich nur die Macht der Bilder? Nun, im Wettstreit mit Richard Nixon – der dann sieben Jahre Präsident wurde – halfen Bilder bestimmt. Aber auch Worte. Wie Sie alle wissen, hinterlassen Sprachbilder, Metaphern die stärkste Wirkung bei den Menschen. In dem Augenblick, in dem ein Wort oder eine Ansammlung von Worten beim Empfänger innerlich ein Bild entstehen lassen ist die Wirkung deutlich stärker und auch nachhaltiger.

Heute wissen wir das aus der Forschung, geahnt haben wir es schon länger. Viel länger. Im amerikanischen Bürgerkrieg nutzte Präsident Lincoln eine bis heute wirkmächtige Metapher:

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Heute sind die USA wieder geteilt.

Es ist kein Bürgerkrieg.

Und er verläuft auch nicht entlang territorialer Grenzen wie Nord und Süd.

Es ist ein Krieg der Worte und die Grenzen verlaufen zwischen Familien, Freunden, Arbeitskollegen.

Sie verlaufen nicht mehr entlang der klassischen bisherigen sozioökonomischen Prägung von früher: Also etwa zwischen Arbeitern und Angestellten, Katholiken und Protestanten, Reich und Arm, Gewerkschaften und Arbeitgebern – sie verlaufen heute viel stärker entlang soziokultureller Grenzen. Und diese finden sich querbeet.

Und dieser Krieg der Werte und Krieg der Worte baut sehr stark auf Sprache, Sprachbilder und Metaphern.

Noch dazu findet Wahlkampf heute in einer völlig veränderten Medienlandschaft statt.

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Richel/Stauss: Medialer Wandel 1999-2019

 

Wenn Sie in einer solchen Landschaft durchdringen wollen, müssen Sie ihre Botschaft noch stärker zuspitzen, Sie müssen noch stärker emotionalisieren und polarisieren.

Sie müssen mit einer starken Stimme sprechen.

Und mit einer klaren Sprache.

­III. DIE MACHT DER SPRACHE: HOPE VS. FEAR

Die Bedeutung der Sprache, des FRAMINGS und des STORYTELLINGS hat George Lakoff von der University of Berkley, einer der bekanntesten Linguisten und Kognitionswissenschaftler, dies bereits 1996 in seinem Buch „Moral Politics“ hervorgehoben.

Framing

Er machte für eine in Richtung Konservatismus verschobene Debattenhoheit vor allem an der Akzentverschiebung der Republikaner auf der Werteebene verantwortlich.

Es ging nicht mehr nur um die Wirtschaft – es ging immer stärker um Werte. Damals wie auch heute um „Family Values“, die aus Sicht der Konservativen vor allem immer mehr in Gefahr sind.

Lakoff machte deutlich, dass die Konservativen nahezu ihren ganzen Diskurs auf der Ausdehnung dieser Family Values und besonders auch deren Bedrohung aufbauen.

Die Nation wird sprachlich wie eine (große) Familie betrachtet, die von innen wie von außen bedroht wird. Durch Disziplinlosigkeit, Verwahrlosung, Eingriffe von Dritten (Gesetzgeber),

Beschneidung der Hoheitsrechte, Eindringlinge, Unordnung, Veränderung, Aushöhlung, Gender-Rights, Schwulenrechte, Frauenrechte.

Dies alles führt zu Schwäche statt Stärke.

Eine starke Familie schützt sich.

Eine starke Nation schützt sich.

Ein starkes Volk lässt sich nicht unterkriegen.

Tradition macht stark.

Veränderung macht schwach.

 

Das ist ein sehr starkes Framing.

Es fußt maßgeblich auf Angst.

Es geht um Schutz, ums Bewahren.

Bis heute wird in diesen konservativen Familien-Frame alles eingebettet, was Gefühle von Bedrohung durch Veränderung auslöst. Und es wird häufig geleugnet, dass Veränderung überhaupt notwendig sei. Wie etwa, ob es den Klimawandel überhaupt gibt.

Für die Bedrohung kann auch keine Metapher stark genug sein.

Auch in Deutschland nicht.

Die „Fluchtwelle“,

die „Asylschwemme“,

die „Messermigranten“.

Aber Metaphern können auch harmloser daherkommen und dennoch Wirkung entfalten.

Steuern, zum Beispiel, sind aus konservativer Sicht ein unschöner Eingriff in unsere Hoheitsrechte. Sie werden nicht erhoben, um Schulen, Kindergärten, Universitäten, Straßen, Radwege oder soziale Sicherungssystem zu finanzieren. Nein, sie sind eine Last.

Schon längst wird der Diskurs über Steuern von Metaphern geprägt. Sie sind nicht so radikal, aber wirksam.

Wir sprechen von „Steuerlast“.

Gerne angereichert durch „Erdrückende Steuerlast“, von der wir „befreit“ werden müssen.

Positiv spricht man nur von „Steuererleichterungen“ und man sieht förmlich, wie der von der Steuerlast erdrückte Bürger den mit Steinen befüllten Rucksack von sich wirft und erleichtert und befreit seines Weges hüpft. Befreit von dieser Last kann er jetzt wieder Jagen und Sammeln nur für seinen Stamm und seine Familie.

Wer heute „Make America Great Again“ hört, verbindet damit häufig Machtstreben, Ausgrenzung, Dominanz, Macho…. Aber sind die Worte nicht unschuldig?

Reagan 1980: Let`s make America great again.

Ja, im Vergleich zu heute war Ronald Reagan ein eher gemäßigter Präsident. Aber auch er bediente sich dem erfolgreichen konservativen Framing der Stärke.

Heute sind dieselben Worte aber noch weniger unschuldig. Denn heute stehen sie in einem noch wesentlich nationalistischeren Kontext. Es geht nicht nur um die Stärke der eigenen Nation. Es geht auch darum, sie vor Eindringlingen und Einflüssen zu schützen.

In dieses populistisch-konservative Framing werden auch auf den ersten Blick entfernte Ereignisse eingebettet. Das isolationistische Element des Framings bedient der heutige Präsident der USA, der sich lautstark darüber beschwert, dass ein Film aus Korea den Oscar für den besten Film gewonnen hat.

Wie begegnet man erfolgreich diesem starken, alles durchdringenden konservativen Framing?

In dem man eine eigene starke Emotion auslöst.

Einer Gegenemotion, wenn man so will.

In westlichen Demokratien wurde die politische Debatte die längste Zeit entlang der groben Linie: „Mehr Staat“ vs. „Weniger Staat“ geprägt. Man kann fast sämtliche Parteien entlang dieser Demarkationslinie sortieren.

Heute gibt es diese Linie auch noch. Aber die Debatte hat sich viel stärker emotionalisiert.

Während „Mehr Staat“ vs. „Weniger Staat“ durchaus auch zur Emotionalisierung taugte  – „Freiheit statt Sozialismus“ war solch eine Formel, lag ihr doch noch so etwas wie Rationalität zugrunde.

Moderne Wahlkämpfe zeichnet eine wesentlich stärkere Emotionalisierung aus.

Es geht um Hoffnung gegen Angst.

Hope vs. Fear

Mittelerde vs. Mordor

Wenn ich von Hope spreche denken alle sofort an Barack Obama.

„Hope“ war sein zentrales Schlüsselwort.

Er hat sogar ein Buch darüber geschrieben: The Audacity of Hope.

Aber bereits 1992 war es ein zentrales Ausweisschild für den letzten erfolgreichen demokratischen Kandidaten vor Obama: Bill Clinton. Der Mann wurde sogar in einem Kaff namens „Hope, Arkansas“ geboren, weshalb seine Kampagne auch „The Man from Hope“  hieß.

Hier ein Link zu dem Wahlkampfspot.

Newsweek Nov:Dez - Bild Clinton Anhängerin Kopie

Und Hoffnung ist eine starke Emotion.

Politisch wird diese Emotion durch die Verbindung mit Veränderung, mit „Change“.

Es ist die Hoffnung, dass „Change“ eine Veränderung zum Besseren ermöglicht.

„Change“ soll in diesem Frame zu

mehr Zusammenhalt,

mehr Gleichberechtigung,

mehr Umweltschutz,

mehr soziale Sicherheit,

mehr Vielfalt,

mehr Gerechtigkeit etc. führen.

Erfolgreiche progressive Kampagnen der jüngsten Zeit haben diese Emotion massiv bedient und ihre Sprache daran ausgerichtet.

Justin Trudeau hat seine Kampagne sogar unter das Motto „We beat fear with hope“ gestellt.

Trudeau_Hope
„My friends – we beat fear with hope“ Link zur Rede.

Und denken wir an Barack Obamas berühmtem „Yes we can!“- Schlachtruf. Mehr Optimismus geht ja kaum.

Es folgten Nachahmer auf der ganzen Welt.

In Spanien benannte sich eine ganze Partei gleich danach: Podemos.

Aber das ließ die Konkurrenz der PSOE nicht lange auf sich sitzen. Sie konterte mit HAZ QUE PASE – MAKE IT HAPPEN.

PSOE

Progressive Parteien – so meine Erkenntnis, haben dann eine Chance gegen die Sprachmacht der Angst, wenn sie sich dieser positiven Sicht auf die Chancen des Wandels ganz verschreiben.

Viel zu oft sind Parteien mit einer progressiven Agenda auf einem negativen Framing unterwegs.

Sie warnen vor allem Möglichen.

Vor Altersarmut,

der Klimakatastrophe,

Kinderarmut,

Zerrissenheit,

Haß,

Ausgrenzung,

Unterdrückung,

Spaltung,

Verelendung,

Verödung –

Das Fazit lautet: Die Welt geht unter, wenn ihr mich nicht wählt.

Aber am Ende dieser Botschaft bin ich schon so deprimiert, ich will morgens schon nicht mehr aufstehen, um wählen zu gehen, so schrecklich ist das alles.

Jeremy Corbyn hat so gerade eine Wahl in England vor die Wand gefahren.

Und auch Hillary Clinton konnte gegen Trump nur verlieren, weil die Menschen mit ihr keine Hoffnung auf einen Aufbruch verbanden.

Verstehen Sie mich nicht falsch.
Es gibt diese Probleme alle.
Und sie sind groß.
Und man muss sie angehen.

Man kann diese Probleme aber nur lösen, wenn man zuvor gewählt wird.

Die Trennlinie Hope vs. Fear verläuft längst global:

Obama_Trudeau

Trump:Bolsonaro

Und sie wurde auch in Deutschland bereits gefahren.

Hier ein Beispiel vom März 2016 aus dem Wahlkampf in dem Bundesland Rheinland-Pfalz auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdebatte in Deutschland.

Die Entscheidung

Zwei Plakate – zwei sehr unterschiedliche Botschaften.

Zum Abschluss möchte ich Ihnen einen Ausschnitt aus der Rede einer Frau zeigen, gegen die ich zweimal Wahlkämpfe verloren habe. Da sie insgesamt viermal gewonnen hat, war ich also nur zweimal schuld.

Aber was heißt Schuld? Heute muss ich sagen. Zum Glück hat sie gewonnen. Denn es gab in den letzten Jahren mehr als einen Moment, an dem ich dachte: Gott sei Dank, ist sie da!

Sie ist keine große Rednerin. Aber wie sie gleich sehen werden, kann sie dennoch auch mit ihrer kargen Sprache Emotionen entfalten.

Und ohne ihn nur ein einziges Mal zu erwähnen, demontiert sie mit weisen Worten den Präsidenten der USA in seinem eigenen Land. Und sie tut das immer entlang des Framings Hope vs. Fear. Aber schauen wir uns erst einmal an, wie die Amerikaner so etwas bewerben:

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Trailer: Merkel Harvard Commencement Speech 2019

Ich empfehle, die ganze Rede zu sehen. Den entscheidenden Ausschnitt findet man ab Minute 21:00 – bis ca 25:00.

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Wie Sie sehen, ist die Welt nicht immer so schwarz/weiß wie man dachte. Es gibt durchaus auch progressive Konservative. Aber die Zeichen der Zeit sind leider andere.

Wenn Demokratien sich wappnen wollen für den Kampf gegen Populistische und häufig auch Totalitäre Tendenzen, dann müssen sie sich intensiver der stärksten Waffe widmen, die sie haben:

Der Macht der Sprache.

50. Geburtstag AKS an der Uni Viadrina
Vor dem Vortrag mit Organisator Alexander Grimm vom Sprachenzentrum der Viadrina. Alle Bilder von der Viadrina: René Matschkowiak