Regierung ohne Auftrag – Wahl ohne Ambitionen

Das Volk ist beschäftigt (Arbeit, Beziehung, Kita, Chef, Wäsche, Kinder, Geld, Hund) und möchte in Ruhe gelassen werden. Das ist ebenso verständlich wie gesellschaftlich ambitionslos. Aber vielleicht liegt der Hauptgrund der Reformskepsis an gegenseitigen Fehlinterpretationen des Wahlergebnisses von 2021 und seiner Ursachen. 

Da ich aktuell an einem Buchbeitrag zur Bundestagswahl 2021 schreibe, durchlaufe ich den Irrsinn dieses Wahlkampfes und seines Endspurts aufs Neue. 

Mit dem Wissens von heute über die Schwierigkeiten der Ampelregierung zwei Jahre nach dem Urnengang, drängt sich neben den offensichtlichen Gründen – also dem Angriffskrieg Russlands, Inflation, Energiestress, disharmonierende oder gar konträre Parteiprogramme, (verschleppte) Transformationsprozesse etc. – ein zusätzlicher auf: 

Diese Regierung hat vom Volk keinen nennenswerten Veränderungsauftrag erhalten.

Der Verlauf des Wahlkampfes macht dies sehr deutlich. Und das Ergebnis auch. 

Die gescheiterten Wahlkämpfe von Union und Grünen lenkten den Fokus der Bundestagswahl noch stärker auf die zur Auswahl stehenden Führungspersönlichkeiten als dies sowieso schon der Fall gewesen wäre. Eine bedeutende thematische Auseinandersetzung über die Zukunft der Bundesrepublik nach Angela Merkel fand nicht statt. Armin Laschet war in Nordrhein-Westfahlen vor allem deshalb Ministerpräsident geworden, weil er gerade kein erzkonservativer Polarisierer, sondern ein eher integrierender und auch sozialpolitisch orientierter CDU-Kandidat war. 

Sowohl in Verteilungs- als auch Integrationsfragen stand Laschet eher in der Tradition Merkels. Olaf Scholz wiederum war über die letzten Jahre Vizekanzler unter Angela Merkel, die SPD hatte von den sechzehn Jahren ihrer Amtszeit zwölf mehr oder weniger freiwillig an deren Seite verbracht. Auch hier war ein harte Polarisierung kaum möglich beziehungsweise glaubwürdig. Annalena Baerbock gab ebenfalls nicht vor, eine politische Revolution anführen zu wollen. Als erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei mit dem Ziel 30% musste sie wesentlich breitere Wählerschichten ansprechen als den harten Kern der Grünen Wählerschaft. Nach dem dann völlig missglückten Auftakt übte sich die Grünen-Kampagne noch weiter in Zurückhaltung und versuchte, möglichst ohne weitere Verunfallungen ins Ziel zu kommen. 

Entsprechend ambitionslos verliefen die inhaltlichen Zuspitzungen des Wahlkampfes. Keine der drei führenden Parteien hatte ein Interesse daran, durch zu ehrgeizige inhaltliche Forderungen zu irritieren. Die erstmals stattfinden TV-Trielle – immerhin drei an der Zahl – zeigten die Kanzlerkandidaten in relativer Harmonie und die wenigen konkreten Themen – etwa der Mindestlohn-Vorstoß der SPD – boten keinen Anlass zur Dramatisierung. Ein verzweifelter Versuch der Union und ihrer Helfer:innen, noch einen Hauch von Rot-Rot-Grün-Debatte zu entfachen, lief ins Leere.

Am Ende zählte der alte Spruch: Auf den Kanzler kommt es an.
Im ZDF Politbarometer vom 17.9.2021 sprachen Olaf Scholz 67 % der Befragten die Eignung zum Bundeskanzler zu (nicht geeignet: 28 %). Armin Laschet hingegen hielten 67 % für nicht geeignet (geeignet 29 %), Annalena Barbock sogar 69 % (geeignet 26 %).
Noch im Juni lagen Laschet (47 %) und Scholz (49 %) bei dieser Frage der Amtseignung nahezu gleichauf, ihre Parteien aber deutlich auseinander (CDU/CSU 29 %; SPD 14 %, Grüne 22 % – ZDF Politbarometer vom 25.6.2021)

Dieser fulminante persönliche Vorsprung des SPD Kanzlerkandidaten hatte im September dann entsprechende Auswirkungen auf die Sonntagsfrage (SPD 25 %, CDU/CSU 22 %, Grüne 16 %) – aber auch auf die Themen, die von den Befragten als die bedeutendsten genannt wurden. Hier nannten 53 % die soziale Gerechtigkeit, 43 % den Klimaschutz und 25 % das Thema Migration. Man kann in diesem Fall also davon ausgehen, dass Olaf Scholz nicht nur seine Partei sondern auch deren stärkstes Thema nach vorne zog. 

Realistisch betrachtet hatte die Bundestagswahl 2021 aber kein bedeutendes Thema. Selbst die schreckliche Flutkatastrophe vom Juli traf auf eine Bevölkerung, die zu 86 % sowieso schon den Klimawandel als ein großes Problem für Deutschland einordnete und zu 63 % diese konkrete Flutkatastrophe auch direkt dem Klimawandel und seinen Folgen zuordnete (ZDF Politbarometer vom 30.7.2021). Darüber bestand also breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens.

Die Bundestagswahl 2021 wurde eine Persönlichkeitswahl.
Sie war keine Richtungswahl. 

Das ist keine Kritik – sondern ein Fakt. Die Kandidaten Laschet und Baerbock hatten sich aus Sicht der Wählerinnen und Wähler im Verlauf des Wahlkampfes selbst disqualifiziert. Olaf Scholz wurde einmal mehr in seiner Karriere nicht geliebt, aber gewählt. Er hatte sich in einem turbulenten Wahlkampf als sichere und verlässliche Führungspersönlichkeit erwiesen. Seine thematisch weitgehend konfliktfreie Basispositionierung machten ihn und seine Partei für Wechselwähler anschlussfähig. 

Aus dem Ergebnis der Bundestagswahl 2021 formulierten die sich dann später zusammenfindenden Ampel-Parteien den Anspruch, eine Fortschritts-Koalition zu bilden. Der Verlauf des Wahlkampfes lässt daran zweifeln, dass dies ein Wählerwunsch war. Eher liegt die Vermutung nahe, dass viele Wähler:innen eigentlich ein „Weiter so“ wie mit Merkel wünschten – nur eben mit Olaf Scholz und der SPD diesmal auf Platz 1 und der Union auf Platz 2. 

In über 16 Jahren hatten die Deutschen gelernt, dass sie am besten damit fahren, wenn der Fortschritt eine Schnecke ist und die Politik nicht weiter stört.

Das verstärkt die Probleme der Ampel heute nur noch mehr – denn neben den programmatischen Unwuchten zwischen den Koalitionspartnern, müssen diese der Bevölkerung massive Transformationsprozesse zumuten – ohne dass die Bevölkerung im Wahlkampf darauf vorbereitet worden wäre oder gar ihr Votum damit verbunden hätte.

Das Volk ist beschäftigt (Arbeit, Beziehung, Kita, Chef, Wäsche, Kinder, Geld, Hund) und möchte in Ruhe gelassen werden. Das ist ebenso verständlich wie gesellschaftlich ambitionslos. Nun ist Ambitionslosigkeit per se ja nichts Schlechtes. Sie führt nur zu nichts und lädt befreundete wie nicht befreundete Nationen dazu ein, vorbeizuziehen.

Deutschland war und wurde durch nichts auf die bestehenden Schwierigkeiten und Dimensionen der Transformationsprozesse vorbereitet – von denen nur einige Folgen des Krieges sind. Das liegt natürlich auch daran, dass viele Menschen darauf nicht vorbereitet werden wollten. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Folgen für die Politik sind aber entscheidend: 

Wer in diesem Umfeld führen will, muss sehr viel erklären, behutsam vorgehen und ständig motivieren.

Mit Überrumpelungstaktik kommt man da nicht weiter – und mit Kleinparteienstaaterei erst recht nicht. Besser ist es, man setzt erstmal nichts voraus und erklärt immer wieder von neuem, warum diese nächste Reform ganz konkreten Nutzen bringt. Enjoy!

Warum, FDP?

Seit der Bundestagswahl 2021 hat die FDP über die Hälfte ihrer Anhänger*innen verloren, flog aus den Parlamenten des Saarlandes, Niedersachsens, Berlins sowie aus den Regierungen in NRW und Schleswig-Holstein. In Bremen und Bayern sieht’s auch nicht gut aus. Was ist passiert?

Der Anfang im Herbst/Winter 2021 begann vielversprechend. Und auch mit guter Laune. Und mit schönen Bildern. Vor allem aber auch mit 11,5% Stimmenanteil der Bundestagswahl vom 26.9.2021 im Rücken. Nur 3,3 Punkte hinter den Grünen (14,8%), die immerhin um das Kanzleramt mitspielen hatten wollen, knapp halb so stark wie CDU/CSU (24,1%), vor der AfD (10,3%) und der Linken sowieso (4,9%).

Die FDP-Spitze traf sich mit der Grünen-Spitze auch schon mal ohne die SPD – einen Ausfall wie bei den gescheiterten Verhandlungen 2017 mit Kanzlerin Merkel wollte man auf jeden Fall vermeiden. Dass die Union nach 16 Jahren mal wieder in die Opposition gehen musste kam auch gelegen, denn man spekulierte in der FDP nicht ohne Grund darauf, einigen der moderneren Unionsanhänger*innen aus dem ehemaligen Merkel-Lager auch längerfristig bei den Liberalen eine neue Heimat bieten zu können.

Now, all of that shot to shit. Oder höflicher: Die Rechnung ging nicht auf. Der Gründe gibt es viele, aber die FDP sucht die Erklärungen leider in der Vergangenheit und nicht in der Gegenwart. Daraus entsteht keine Zukunft für eine liberale Partei, die viele Wähler*innen am Wahltag 2021 gerne haben wollten, aber die zu viele davon in den letzten Monaten enttäuschte.

Angetreten war die FDP als Bestandteil einer Fortschrittskoalition. Nun kann man aus der jeweiligen politischen Richtung auch jeden Rückschritt als Fortschritt definieren, aber bezieht man sich auf die in der Sozialforschung eher etablierten Definitionen, führt das wahrscheinlich weiter – und auch mitten ins Dilemma der FDP.

In den vergangenen Jahren – oder nunmehr fast über ein Jahrzehnt – haben sich einige Modelle etabliert, um die politische Landschaft in modernen Demokratien an den heute dominierenden gesellschaftspolitischen Fragen entlang einzuordnen. Also in Ergänzung bzw. als Fortentwicklung zu den früher dominierenden Determinanten (sozioökonomischen Status, Bildungsgrad, Region,  Religionszugehörigkeit etc.), die heute eine geringere Rolle spielen. Hierzu hat etwa das Institut Pollytix über die vergangenen Jahre ein Modell entwickelt und verfeinert. 

Zu diesen „neuen“ Faktoren zählen, wie man zur Demokratie als Staatsform überhaupt steht, ob man möchte, dass der Staat soziale Ungerechtigkeiten ausgleicht, wie man zum Klimawandel und der Dringlichkeit der Maßnahmen zum Schutz der Umwelt steht, ob man in der Digitalisierung eher eine Bedrohung oder eine Chance sieht, wie man sich zu Einwanderung und Globalisierung positioniert und wie sehr man die Gleichberechtigung von Frauen aber auch von Minderheiten wünscht etc. 

Diese hier vereinfacht wiedergegeben gesellschaftlichen Fragen und vor allem die Antworten darauf, spielen heute quer durch alle Schichten bei der Stimmabgabe eine wichtige – oft sogar eine gewichtigere – Rolle als die früheren. So kann zum Beispiel ein Geringverdiener gegen seine ökonomischen Interessen (Mindestlohn, Sozialtransfer, Arbeitnehmer*innenrechte) stimmen, weil er lieber eine Partei wählt, die mit sozialer Politik nichts am Hut hat, aber am lautesten gegen die Coronapolitik wettert. Ebenso kann ein Professor im Staatsdienst Antidemokrat sein und eine Millionärin glühende Anhängerin eines funktionierenden Sozialstaates. 

Zurück zur FDP. Die größte Zielgruppe für die FDP findet sich logischer Weise in dem Segment „Leistungsorientierte Liberale“, das ungefähr 12% der Wahlberechtigten ausmacht. Das ist das liberale Kernpotential – von dem man aus oben genannten Gründen nie 100% erreichen kann. In dieser Gruppe dominieren Weltoffenheit, Gleichberechtigung und Toleranz, eine eher positive Grundeinstellung zu Zuwanderung und Digitalisierung bei einem starken Glauben an sich selbst und der Ablehnung sozialer Umverteilung. Maßnahmen zum Klimaschutz steht man eher neutral gegenüber. 

Mit Ausnahme der sozialen Umverteilung haben die „Leistungsorientierten Liberalen“ die größten Schnittmengen mit der ganz gut situierten aber – wie der Name schon sagt – auch stark geforderten „Gehetzten Mitte“ (mit ca. 16% der Wahlberechtigten das größte Segment). Dies Gruppe legt aber sehr großen Wert auf Klimaschutz. Grundsätzlich wäre dies also ein sehr gut erreichbares Potential für eine liberale Partei, denn leistungsorientiert ist diese Gruppe eindeutig auch.

Aber diese dem Klimaschutz sehr zugewandten Menschen haben mit einer FDP ein sehr großes Problem, die vom Diesel über die Ölheizung bis zum Tempolimit dem Klimaschutz diametral entgegensteht.

Regelrechte Klimaschutzhasser finden sich in Deutschland aber fast nur noch bei den sogenannten „Antimodernen Konservativen“ (8%). Die hassen allerdings alles – Gleichberechtigung, Toleranz, Weltoffenheit, soziale Umverteilung etc. Meist wählen diese auch AfD. 

Mit ihrer Rhetorik gegen die allgemein als modern und zunehmend auch als wirtschaftlich vernünftig angesehene Umweltpolitik, bedient die FDP nur noch die „Antimodernen Konservativen“, die mit liberaler Gesellschaftspolitik absolut nichts am Hut haben. Also nichts mit Gleichberechtigung, Toleranz, Freiheit, Ehe für Alle und so weiter und so fort. Es ist ein schrumpfendes Segment, das auch stark polarisiert. Beim Versuch, diese Leute anzusprechen, verschreckt man sehr viele andere, die leichter zu erreichen wären. Was exakt auch passiert.

Das Dilemma der FDP-Führung ist nun, dass die wenigen noch übrig gebliebenen FDP Wähler (heute noch ca. 5%) auch nur noch die übrig gebliebenen Hardliner repräsentieren. Wenn Meinungsforscher*innen dieses Segment überhaupt noch aufspüren (und befragen) können, erhalten sie auch nur noch Antworten von FDP-Ultras (Staat mischt sich zu sehr ein, Tempolimit ist Mist, Diesel ist geil, Corona Maßnahmen falsch, Klimaschutz ist Firlefranz….) Denn die anderen – zu erreichenden Wähler*innen der FDP bekennen sich aktuell nicht mehr zur FDP und werden daher auch nicht als FDP Anhänger*innen erfasst. Sie könnten es aber wieder oder erstmals werden. 

Die Partei reitet sich immer weiter in die Bredouille. Denn die FDP-Ultras (sichtbarster Repräsentant ist z.B. Wolfgang Kubicki) schlagen alle möglichen modernen Wähler*innen der FDP mit Schmackes in die Flucht. Gleichzeitig hat die Union mit Friedrich Merz einen konservativen Hardliner an der Spitze, den eigentlich niemand leiden mag – außer ausgerechnet die „Antimodernen Konservativen“. Siehe Politikerranking der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) für das ZDF 17.3.2023: Friedrich Merz -0,4 = drittletzter Platz nur noch vor S. Wagenknecht und A. Weidel. Die FDP begibt sich also selbst hier noch ohne Not in Konkurrenz mit einem für sie sowieso kaum erreichbaren Segment.

Die FDP – um jeder Legendenbildung entgegenzutreten – wurde nicht für ihren Eintritt in die Ampelkoalition bestraft. Im Gegenteil. Nachdem sie ihre Bereitschaft für ein Ampelbündnis bekundet hatte, stieg sie sogar auf 14% (FGW, 29.10.21). Seither wird sie für ihr Verhalten in dieser Koalition betraft. Am 17.3.2023 steht die SPD bei 21% (-4,7 zur BTW) die Grünen bei 19% (+4,2) und die FDP bei 5% (-6,5). 

Die FDP wird also nicht verschmäht, weil sie Teil der „Fortschrittskoalition“ ist, sondern aufgrund ihrer rückschrittlichen Umweltpolitik. Dieses Thema kann man den Grünen zwar nicht mehr „wegnehmen“ – aber man macht sich für viele moderne Wähler*innen unwählbar, wenn man Klimaschutzpolitik in der öffentlichen Wahrnehmung geradezu ablehnt. Dass die FDP darüberhinaus in fiskalischen Fragen, gesellschaftlichen, rechtsstaatlichen oder auch sozialpolitischen Fragen anders tickt, würde ihr verziehen oder sogar von den Segmenten die für die FDP empfänglich sind, goutiert.

Die FDP stößt gerade alle vor den Kopf. Sie befindet sich in einem Untergangsszenario, das die SPD sehr gut kennt/kannte. Auch dort versuchte man viel zu lange, verlorene Wähler*innen zurückzugewinnen, statt sich neue Wählerschichten zu erschließen. Daraus resultierte das für die SPD völlig verlorene Jahrzehnt zwischen 2009-2019, das nur eine Richtung kannte: Abwärts.

Die größte Chance hat die FDP vor 2018 verpasst, als sie mit ihrem durchaus attraktiven Personalangebot den weniger attraktiven Grünen vor der Ära Baerbock/Habeck richtig gefährlich hätte werden können. Tatsächlich hat die FDP auch mehr Wähler*innen an die Grünen verloren, als sie das selbst wahrhaben will. Nicht alle sind dort glücklich, aber die FDP baut ihnen keine Brücke zu sich. 

Noch ist es nicht zu spät. Wenn die FDP einem modernen Erscheinungsbild auch eine moderne Programmatik folgen ließe. Es gibt ein Potenzial von gut 20%  leistungsorientierten und grundsätzlich auch liberalen  Wähler*innen, die fiskalisch seriöse, gesellschaftlich moderne wirtschaftsfördernde und bürokratieabbauende Politik schätzen   – wenn sie auch den Umwelt- und Klimaschutz glaubwürdig vertritt.

Der geradezu verbissen geführte Kampf der FDP gegen den Klimaschutz ist ihre Achillesferse und möglicherweise auch ihr Untergang. Sie mag dafür vielleicht Beifall in den Foren, bei verknöcherten Alt-Unternehmern und bei den FDP-Ultras bekommen. Aber nicht an der Wahlurne.

Das größte Hindernis für eine erfolgreiche, moderne, liberale Partei in Deutschland ist die FDP.

Im deutschen Interesse.

In Kriegszeiten ist Naivität gepaart mit Unerfahrenheit nicht nur falsch und teuer, sondern gefährlich. Und in Kriegszeiten dient Geschwätzigkeit nur dem Gegner – und der heißt Putin. Dass der Bundeskanzler nicht jeden Tag oder gar stündlich Einblicke in sein strategisches Vorgehen gewährt, hat wohl mit der nicht ganz falschen Grundannahme zu tun, dass eine Strategie sich nur dann entfalten kann, wenn sie nicht öffentlich ist. Und auch nur dann aufgehen kann.

Olaf Scholz sagt, was er tut und tut, was er sagt. In den letzten Wochen wurde ich häufiger gefragt, was Scholz eigentlich vorhabe und meine Antwort war immer die gleiche: Es ist aus meiner Sicht kein Geheimnis, was er prinzipiell vorhat. Es ist das, was er immer gesagt hat: Eine effektive Unterstützung der Ukraine in enger Abstimmung – und auch im Einklang mit den Partnern bei Erhaltung des Grundsatzes, dass Deutschland zwar Partei nimmt, aber keine Kriegspartei wird.

Er fördert die Unterstützung der Ukraine und fordert von den Partnern ebenfalls diese Unterstützung ein. Klar, beständig und im Zweifel auch hart. Scholz ist zwar ein neuer Bundeskanzler, aber eben auch ein alter Hase, der weiß, dass man manchmal Druck aushalten muss – und zwar im Interesse aller. 

Internationale Verhandlungen sind kein Kaffeekränzchen und es geht auch nicht darum, von allen immer geliebt zu werden. Everybody’s Darling is everybody’s Depp und wird im Zweifelsfall ausgenommen wie eine fette Weihnachtsgans. Deutschland weckt als starkes Land viele Begehrlichkeiten, die es auch aus Selbstschutz nicht immer erfüllen kann. Hinzu kommen knallharte auch finanzielle Interessen anderer Länder, die mit dem Wohl der Ukraine nur bedingt zu tun haben. Was Deutschland zahlt und liefert, müssen andere nicht liefern und zahlen. Je defensiver Deutschland in Verhandlungen gehen muss, desto besser für alle anderen.

Einige PolitikerInnen und MedienvertreterInnen haben in den letzten Wochen vielleicht aus guten Beweggründen aber mit dem völlig falschen Ergebnis eher die Interessen anderer Länder vertreten als die Interessen Deutschlands. Sie haben – ohne deren Beweggründe zu hinterfragen – anonym geäußerte „Verstimmungen“ oder „Kopfschütteln über den Bundeskanzler“ aus Regierungskreisen anderer Länder verbreitet und sich nicht selten auch zu eigen gemacht. Das ist aber nicht relevant. Wir schütteln ja auch häufiger mal den Kopf über zum Teil sogar  demokratiefeindliche Tendenzen in Nachbarländern.

Ein schwacher Kanzler hätte dem medialen Druck und auch dem ein oder anderen Versuch aus dem Ausland, zusätzlichen Druck aufzubauen, nicht standgehalten. Zum Nachteil Deutschlands und der Ukraine. Denn was wäre denn gewonnen gewesen, wenn Deutschland gleich eine handvoll Panzer geliefert hätte – ohne die USA, Frankreich und andere ebenso für weitere Maßnahmen zu gewinnen? Reine Symbolpolitik. Twitterfähig, instagrammable, talkshowgeeignet und weitgehend nutzlos, wenn nicht sogar gefährlich.

Die Naivität – manchmal gepaart mit durchaus glaubwürdiger emotionaler Überwältigung – der schärfsten KritikerInnen des Bundeskanzlers, hatte das Potential, die Verhandlungsposition Deutschlands bereits im Vorfeld der Ramstein-Konferenz deutlich zu schwächen. Andere hätten diesem Druck nachgegeben. Der Bundeskanzler hat ihn zu recht ignoriert.

Olaf Scholz, das wurde hier bereits an anderer Stelle erwähnt, war zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes einer der erfahrensten und qualifiziertesten Politiker, die Deutschland zu bieten hatte. Vor seiner Wahl zum Bundeskanzler war er ein auf internationaler Bühne geschätzter Bundesfinanzminister und Vizekanzler, zuvor zweifach gewählter Ministerpräsident und davor Bundesminister für Arbeit und Soziales. Viel mehr Erfahrung kann man nicht sammeln, um dieses Amt zu übernehmen. 

Ihm gegenüber steht ein Oppositionsführer, der sich zuvor eineinhalb Jahrzehnte Auszeit aus der Politik gegönnt hatte und bis heute über keinerlei Exekutiverfahrung verfügt. Aber auch in den die Regierung Scholz tragenden Koalitionsparteien finden sich einige AutodidaktInnen der internationalen Politik, die über keinerlei Regierungsexpertise verfügen – dafür aber über eine vermeintliche Medienkompetenz mit Dauerpräsenz. Sie haben sich und ihrem Anliegen in den letzten Tagen einen Bärendienst erwiesen.

Was Scholz prinzipiell will sagt er seit nunmehr gut einem Jahr immer wieder. Aber offenbar gibt es große Defizite im Zuhörvermögen anderer.

Auf der Strecke und vor allem im Ergebnis unterscheidet sich der Profi vom Amateur.

Der Führungsstärke des Bundeskanzlers ist es zu verdanken, dass die internationale Gemeinschaft sich zu einer wesentlich effektiveren Unterstützung der Ukraine bekannt hat, als es selbst seine lautstärksten KritikerInnen erträumt haben.

Olaf Scholz hat sich bereits über viele Jahre aber ganz besonders in diesen Tagen auf der Weltbühne etwas erarbeitet, was unserem Land noch weiteren Nutzen bringen wird: Respekt.