DIE WOKE WÄRMEPUMPE

Wir schreiben das Jahr 2023 und die Entscheidung für eine Heizungstechnologie bestimmt den politischen Gradmesser zwischen Wokeness und AfD-Nähe. Willkommen im gesellschaftlichen Drama des Wärme-Wahnsinns um woke Wärmepumpen, verlotterte Diskurse, verwirrte Wähler.

Wer wissen will, wie sehr der Heizungswahnsinn Deutschland erfasst hat, dem lege ich den Artikel „In einem aufgeheizten Land“ auf der Seite 3 der Süddeutschen Zeitung vom 3.6.2023 ans Herzen. Darin begleitet Autor Jan Schmidbauer einen gutwilligen, gestandenen und nervenstarken Heizungsinstallateur auf seinen Beratungsterminen. Aus nachvollziehbaren Gründen empfiehlt er sowohl einem jungen Paar, einer älteren Dame als auch einem Bauern und dessen Sohn den Einbau einer Luft-Wärmepumpe, je nach Gegebenheit ergänzt durch Photovoltaik und weiteren Maßnahmen zur Energiegewinnung oder -einsparung. In allen drei Fällen wäre der Einbau einer Wärmepumpe technisch kein Problem. In jedem Fall führten diese Maßnahmen zu einer deutlichen Wertsteigerung der Immobilie bei gleichzeitiger Senkung der Betriebskosten. Zwei von drei entscheiden sich an diesem Tag dann für eine Gasheizung, der dritte für eine Ölheizung. 

Mit ihrer Entscheidung reduzieren sowohl die ältere Dame als auch das junge Paar – bei beiden ist die bestehende Heizung kaputt, sie brauchen also so oder so eine neue – den Wert ihrer Immobilie um geschätzte 50.000 EUR  – statt ihn um 50.000 EUR zu steigern. Denn wohl dem, der heute schon ein Haus mit einer modernen Heizung hat. Den Bauern mit der Ölheizung bzw. seinen Sohn werden wir dann in spätestens zehn Jahren auf einer Demo gegen die EU und die explodierenden Heizöl-Kosten wieder treffen.

Eine nicht minder ernüchternde Anekdote des Heizungsmonteurs: Nach dem Einbau einer Luft-Wärmepumpe in einem Neubauobjekt habe sich der Nachbar in den Tagen danach über die Lärmbelästigung beschwert. Zu einem Zeitpunkt, als der Monteur die Heizung noch gar nicht angeschaltet hatte. 

Umweltschutz und Klimawandel spielten bei der Entscheidung keine Rolle – auch nicht bei den jungen Eltern. Eher drängt sich der Verdacht auf, dass die Wahl der (Alt-)Technologien ideologiegetrieben waren.

Willkommen im Deutschland des Jahres 2023, in dem eine Luft-Wärmepumpe Zeichen von Wokeness zu sein scheint und man lieber dem Habeck eines auswischt, als sich selbst und seinen Nachkommen etwas Gutes zu tun.

Wie konnte es soweit kommen und wer treibt diesen Irrsinn, der Menschen zu offensichtlichen und kostenintensiven Fehlentscheidungen animiert, eigentlich an? 

Das Wärmepumpen-Desaster ist nur ein Aspekt eines verlotterten politischen Diskurses bei gleichzeitigem Click-Bait-Kalkül vieler Medienhäuser im Augenblick höchster Verunsicherung der Öffentlichkeit angesichts multipler Krisen, einer verkrachten Regierung und einer Opposition, die ihre Orientierungslosigkeit mit populistischer Rhetorik zu kaschieren versucht.

Die Mischung macht’s. Und diese Mischung ist toxisch.

Denn sie erfüllt alle Voraussetzungen für eine Abwärtsspirale im gesellschaftlichen Diskurs, die schwer wenn überhaupt wieder umzukehren ist.

Beginnen wir bei Punkt 1: Der verlotterte politische Diskurs

Kein verantwortungsvoll handelnder Akteur kann ein Interesse daran haben, dass Immobilienbesitzer im Jahre 2023, 2024 und erst recht nicht in den folgenden Jahren, neue Heizungen einbauen bzw. alte ersetzen, die maßgeblich oder sogar ausschließlich mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. 

Selbst wenn man der Meinung ist, dass man dies nur dringend empfehlen und nicht gesetzlich vorschreiben sollte, muss die Empfehlung immer lauten: 

„Liebe Leute, baut keine neuen Gas- oder Ölheizungen ein, sondern setzt auf Wärmepumpen, Solar und Photovoltaik – sowie auf alle Alternativen, die bei euch in der Region zur Verfügung stehen. Zu eurem eigenen Nutzen. Ihr schadet euch, dem Wert eurer Immobilie und ganz nebenbei auch noch der Umwelt, wenn ihr das anders macht.“ – Mit freundlichen Grüßen CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne, Linke, FW.

Was wir stattdessen zu hören und sehen bekommen sind substanzlose Phantasien von E-Fuels, angeblicher Technologieoffenheit (FDP) und einem „Heizungs-Hammer“ (CDU/BILD). Die CDU sammelt sogar Unterschriften mit der Argumentation „Dieser Heizungs-Hammer trifft die Menschen mit voller Wucht. Viele haben Angst …“ Eine Angst, welche die Partei wider besseren Wissens selbst schürt. 

In der CDU-Kampagne findet sich kein einziger Hinweis darauf, dass es grundsätzlich schon sehr sinnvoll wäre, auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Es findet sich auch kein Hinweis darauf, dass in dem bisherigen Entwurf nur irreparabel defekte Heizungen in Bestandsbauten und Neubauten betroffen sind. Was bedeutet, dass alle mit einer funktionierenden Heizung sich sowieso um gar nichts kümmern müssen und diese auch erst ersetzen müssen, wenn sie nicht mehr repariert werden kann – also dann, wenn sie sowieso eine neue Heizung brauchen. Wie bisher warten Häuslebesitzer also darauf, dass irgendwann einmal die Heizung den Geist aufgibt. Ob das in 5, 10, 15 oder 20 Jahren ist. Und dann kauft man wie bisher eine neue. Und wählt aus dem dann verfügbaren Angebot. 

Stattdessen weisen eigentlich wirtschaftsfreundliche Parteien ihrer eigenen Klientel einen Weg, der wie in dem erwähnten Artikel zu einer offensichtlichen Wertevernichtung führt.

Punkt 2: Der mediale Click-Bait-Hammer

Überschriften, die bei diesem aber auch anderen Themen mit bewusst verzerrten oder ins groteske verkehrten „Informationen“ arbeiten, betreffen nicht nur die BILD. Sie sind allgegenwärtig.

Besonders der Hinweis darauf, dass es hier nicht um ein Verbot bestehender Heizungen geht, wird nicht nur in der Headline sondern gerne auch im Text selbst unterschlagen. Sehr ähnlich wie schon beim angeblichen EU-weiten „Verbrennerverbot“ 2035, bei dem es ausschließlich um die NEUZULASSUNG von Fahrzeugen geht. In mehr als einem Jahrzehnt werden also keine Verbrenner mehr neu zugelassen. Keiner muss seine zuvor erworbene Möhre aufgeben, sondern kann sie fahren, bis sie ihm unter dem Hintern wegrostet.

Aber die Erfahrung zeigt: Wer Aufregung schürt, erhält Aufmerksamkeit.

Dass diese aufregende bis verhetzende Methode vor allem unvollständige oder „Alternative Wahrheiten“ produziert und damit den Diskurs in einer Gesellschaft vergiftet – das ist der Preis, den wir am Ende alle zahlen.

Punkt 3: Multiple Krisen und eine verkrachte Regierung.

Wer diesem Blog folgt weiß, dass die zentrale Aufgabe einer Regierung in Zeiten multipler Krisen darin besteht, Orientierung und Halt zu bieten. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Die Folgen: Vertrauensverluste für ausnahmslos alle demokratischen Akteure und Institutionen auf breiter Ebene.

Das Vertrauen in die politische Führung Deutschlands erodiert und ist gleichzeitig hoch volatil. Politiker:innen werden in bisher nicht gekanntem Ausmaß in der Beliebtheit nach oben katapultiert, nur um wenige Monate später das Schlusslicht zu bilden. Baerbock, Spahn, Habeck, Lauterbach – es ist ein einzige Achterbahnfahrt. 

Sehr deutlich wird dies in den seit Jahrzehnten erhobenen Daten der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF. Zum Beispiel bei der Bewertung der Spitzenpolitiker:innen. Über die letzten dreißig Jahre notierten dort selbst mäßig beliebte Politiker:innen fast durchgehend im deutlich positiven Bereich auf einer Skala von +5  bis -5. Ein ordentlicher Mittelwert lag bei etwa 1.0, ein Spitzenwert bei 2.0. Eher schlecht bewertet wurde man mit 0,5.

Angela Merkel notierte zum Ende ihrer Amtszeit im Mai 2021 bei +2,2, Olaf Scholz landete bei +1,0 das Schlusslicht bildete Christian Lindner mit 0,0. Niemand in der Top 10 notierte negativ. Der Bundesregierung attestierten 62% der Befragten, einen „guten Job“ zu machen. (Politbarometer KW 18 2021). Diese ungefähre Bandbreite der Werte hatten über fast drei Jahrzehnte Bestand. Aber nicht mehr in den letzten Monaten.

Im Mai 2023 attestiert nur eine Minderheit von 41% der Bundesregierung eine gute Arbeit. Die Top 10 der Politiker:innen sinkt schon nach dem 3. Platz in den negativen Bereich (1. Pistorius +1,7;  2. Scholz +0,5, 3. Baerbock 0,0.). Die Repräsentant:innen der Opposition profitieren im Gegenzug nicht von dem schlechten Erscheinungsbild der Bundesregierung. Oppositionsführer Merz landet mit -0,3 noch vor Söder (-0,4). Einstmalige Spitzenreiter wie Lauterbach (-0,1) oder Habeck (-0,6) werden nach unten durchgereicht. Deutliches Schlusslicht ist Frau Wagenknecht mit -1,4.

Diese und noch viele weitere Daten bezeugen, dass zwischen 2021 und 2023 ein deutlicher Vertrauensverlust in die handelnden Akteure an der Spitze von Regierung und Opposition stattfand.

Merz, Söder und auch mal wieder Spahn suchen nun ihr Heil einmal mehr am rechten Rand der Rhetorik und bedienen sich dem beliebten AfD-Sprech vom Heizungs-, Gender-, Migrations-Wahnsinn. 

Wie schon so oft bewiesen – nicht nur in Deutschland – gewinnen sie damit nichts, stärken aber die AfD. 

Die FDP versucht sich weiter an dem in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mehrfach gescheiterten Weg der Opposition in der Koalition, die Grünen irrlichtern, reflektieren und reagieren weiter glücklos kommunikativ und die SPD versucht sich mal wieder darin, es allen und damit niemandem recht zu machen.

Na, herzlichen Glückwunsch uns allen.

Noch erweist sich Deutschland als relativ stabil in Bezug auf einen ausufernden Populismus. Aber die Entwicklung ist keine Gute – die Richtung falsch und die Konsequenzen bedrohlich.

So, ich gehe jetzt wieder in den Keller und streichle unsere Luft-Wärme-Pumpe, die aktuell im Sommerschlaf ruht, aber dennoch etwas Liebe und Zuneigung verdient hat. Sie arbeitet seit 2007 verlässlich in unserer Reihenhaussiedlung und leidet an dem Maß an Mißtrauen, Ausgrenzung und Häme, das ihr zur Zeit entgegenschlägt.

Im deutschen Interesse.

In Kriegszeiten ist Naivität gepaart mit Unerfahrenheit nicht nur falsch und teuer, sondern gefährlich. Und in Kriegszeiten dient Geschwätzigkeit nur dem Gegner – und der heißt Putin. Dass der Bundeskanzler nicht jeden Tag oder gar stündlich Einblicke in sein strategisches Vorgehen gewährt, hat wohl mit der nicht ganz falschen Grundannahme zu tun, dass eine Strategie sich nur dann entfalten kann, wenn sie nicht öffentlich ist. Und auch nur dann aufgehen kann.

Olaf Scholz sagt, was er tut und tut, was er sagt. In den letzten Wochen wurde ich häufiger gefragt, was Scholz eigentlich vorhabe und meine Antwort war immer die gleiche: Es ist aus meiner Sicht kein Geheimnis, was er prinzipiell vorhat. Es ist das, was er immer gesagt hat: Eine effektive Unterstützung der Ukraine in enger Abstimmung – und auch im Einklang mit den Partnern bei Erhaltung des Grundsatzes, dass Deutschland zwar Partei nimmt, aber keine Kriegspartei wird.

Er fördert die Unterstützung der Ukraine und fordert von den Partnern ebenfalls diese Unterstützung ein. Klar, beständig und im Zweifel auch hart. Scholz ist zwar ein neuer Bundeskanzler, aber eben auch ein alter Hase, der weiß, dass man manchmal Druck aushalten muss – und zwar im Interesse aller. 

Internationale Verhandlungen sind kein Kaffeekränzchen und es geht auch nicht darum, von allen immer geliebt zu werden. Everybody’s Darling is everybody’s Depp und wird im Zweifelsfall ausgenommen wie eine fette Weihnachtsgans. Deutschland weckt als starkes Land viele Begehrlichkeiten, die es auch aus Selbstschutz nicht immer erfüllen kann. Hinzu kommen knallharte auch finanzielle Interessen anderer Länder, die mit dem Wohl der Ukraine nur bedingt zu tun haben. Was Deutschland zahlt und liefert, müssen andere nicht liefern und zahlen. Je defensiver Deutschland in Verhandlungen gehen muss, desto besser für alle anderen.

Einige PolitikerInnen und MedienvertreterInnen haben in den letzten Wochen vielleicht aus guten Beweggründen aber mit dem völlig falschen Ergebnis eher die Interessen anderer Länder vertreten als die Interessen Deutschlands. Sie haben – ohne deren Beweggründe zu hinterfragen – anonym geäußerte „Verstimmungen“ oder „Kopfschütteln über den Bundeskanzler“ aus Regierungskreisen anderer Länder verbreitet und sich nicht selten auch zu eigen gemacht. Das ist aber nicht relevant. Wir schütteln ja auch häufiger mal den Kopf über zum Teil sogar  demokratiefeindliche Tendenzen in Nachbarländern.

Ein schwacher Kanzler hätte dem medialen Druck und auch dem ein oder anderen Versuch aus dem Ausland, zusätzlichen Druck aufzubauen, nicht standgehalten. Zum Nachteil Deutschlands und der Ukraine. Denn was wäre denn gewonnen gewesen, wenn Deutschland gleich eine handvoll Panzer geliefert hätte – ohne die USA, Frankreich und andere ebenso für weitere Maßnahmen zu gewinnen? Reine Symbolpolitik. Twitterfähig, instagrammable, talkshowgeeignet und weitgehend nutzlos, wenn nicht sogar gefährlich.

Die Naivität – manchmal gepaart mit durchaus glaubwürdiger emotionaler Überwältigung – der schärfsten KritikerInnen des Bundeskanzlers, hatte das Potential, die Verhandlungsposition Deutschlands bereits im Vorfeld der Ramstein-Konferenz deutlich zu schwächen. Andere hätten diesem Druck nachgegeben. Der Bundeskanzler hat ihn zu recht ignoriert.

Olaf Scholz, das wurde hier bereits an anderer Stelle erwähnt, war zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes einer der erfahrensten und qualifiziertesten Politiker, die Deutschland zu bieten hatte. Vor seiner Wahl zum Bundeskanzler war er ein auf internationaler Bühne geschätzter Bundesfinanzminister und Vizekanzler, zuvor zweifach gewählter Ministerpräsident und davor Bundesminister für Arbeit und Soziales. Viel mehr Erfahrung kann man nicht sammeln, um dieses Amt zu übernehmen. 

Ihm gegenüber steht ein Oppositionsführer, der sich zuvor eineinhalb Jahrzehnte Auszeit aus der Politik gegönnt hatte und bis heute über keinerlei Exekutiverfahrung verfügt. Aber auch in den die Regierung Scholz tragenden Koalitionsparteien finden sich einige AutodidaktInnen der internationalen Politik, die über keinerlei Regierungsexpertise verfügen – dafür aber über eine vermeintliche Medienkompetenz mit Dauerpräsenz. Sie haben sich und ihrem Anliegen in den letzten Tagen einen Bärendienst erwiesen.

Was Scholz prinzipiell will sagt er seit nunmehr gut einem Jahr immer wieder. Aber offenbar gibt es große Defizite im Zuhörvermögen anderer.

Auf der Strecke und vor allem im Ergebnis unterscheidet sich der Profi vom Amateur.

Der Führungsstärke des Bundeskanzlers ist es zu verdanken, dass die internationale Gemeinschaft sich zu einer wesentlich effektiveren Unterstützung der Ukraine bekannt hat, als es selbst seine lautstärksten KritikerInnen erträumt haben.

Olaf Scholz hat sich bereits über viele Jahre aber ganz besonders in diesen Tagen auf der Weltbühne etwas erarbeitet, was unserem Land noch weiteren Nutzen bringen wird: Respekt.

Lasst sie gehen.

Vor vier Jahren gab es sehr gute Gründe für einen Einstieg in die Große Koalition und das Mitgliedervotum der SPD unterstützte diesen Kurs. Heute gibt es sehr gute Gründe, andere regieren zu lassen und auf Macht, Einfluss und Gestaltungsspielraum zu verzichten.

Nein, es war kein Automatismus, dass die SPD zwingend so geschwächt aus einer Großen Koalition gehen würde. Dazu gehörten schon auch eine gehörige Portion Gabrielscher Zick-Zack-Kurs mit dem wiederholt verantwortungslosen Umgang bei der Vorbereitung von Kanzlerkandidatur und Wahlkampfstrategie, sowie der immer noch herumspukende Irrglaube, man könne die SPD mit den Rezepten von gestern und vorgestern neu aufstellen.

Wie schwach Merkel und die Union tatsächlich aufgestellt waren, zeigte sich nicht nur im Aufglimmen der SPD nach der Nominierung von Martin Schulz – sondern eben auch am Wahltag selbst. Merkel war schlagbar, doch ein Wahlkampf der verpassten Chancen ließ sie noch einmal davonkommen.

Noch schlimmer verlief allerdings der Wahlkampf der Union. Ende Juni noch bei 40% in den Umfragen – und erst dann begann ja die heiße Phase – verlor die Union satte 7% durch die wohl bräsigste, arroganteste und selbstgefälligste Bundestagswahlkampagne der Neuzeit. „Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ eignet sich vielleicht als Motto für das Dr. Oetker Kochstudio, aber mit Sicherheit nicht als Guideline für die Kanzlerpartei in einer massiven Zeitenwende. Die Wähler fühlten sich zu recht veräppelt und flüchteten sich – nicht vordringlich zur AfD – sondern vor allem zur FDP oder in die Nichtwählerschaft.

Das Versagen aller drei Regierungsparteien – und auch die intellektuelle Unterforderung der progressiven Wählerinnen und Wähler im Wahlkampf – machte das Ausfransen an den Rändern erst möglich. An manchen Tagen fühlte ich mich wie ein Telefonseelsorger und beantwortete Fragen wie: „Ich möchte nicht, dass die SPD untergeht, aber ich möchte auch nicht, dass sie weiter regiert – was soll ich tun?“ Antwort: Wähl sie trotzdem, es wird schon schlimm genug werden. Oder: „Ich kann das Grünen-Duo nicht leiden, bei der Linken stören mich die Putin-Lover und die SPD soll nicht mehr regieren – wen soll ich wählen?  Antwort: „Dann wähl halt die Grünen, wenn es sonst passt, es ist ja kein Sympathiewettbewerb.“ Und dann kamen natürlich auch einige, die Frau Merkel unterstützen wollten, aber nicht auf die Gefahr hin, damit Herrn Seehofer zu stärken. Tja. Eine Antwort auf die Schizophrenie der Union hatte ich nicht. Die FDP kam natürlich auch vor, weil sie im Gegensatz zu allen anderen auch einen Grafiker bezahlt hatte. Dort störte wiederum die legere Haltung zum Umweltschutz (Motto: Nur nicht einmischen, das wächst von alleine nach).

Beim Wahl-O-Mat siegten bei mir erstmals in meiner persönlichen Geschichte die Grünen. Ich nehme an, es war die Braunkohle. Aber am Ende lasse ich mir von einem schnöden Programm meine Fehlentscheidungen nicht verbieten. Die Grünen landen dann auch ohne mich – nach 13% in den Umfragen im November letzten Jahres – auf einem sehr mageren letzten Platz mit einem Ergebnis von 8,9%, für das Jürgen Trittin vor vier Jahren sofort zurücktreten musste (8,4%). Sie feiern sich dusselig.

Es war ein Trauerspiel.

Ein völlig unnötiges Trauerspiel. Spannende Themen lagen zu Hauf auf der Straße, wurden aber ignoriert. Auch von den mindestens ebenso denkfaulen Fragestellern in den meisten Talkrunden und dort vor allem in dem unsäglichen „DUELL“. Ein in den ersten 40 Minuten lupenreines AfD-Förderprogramm (Maischberger: „Man hat uns versprochen, dass nur gut ausgebildete Akademiker kommen“ Wer? Wann? Quelle?), bei dem ich zum ersten Mal im Leben ernsthaft Zweifel an meinen Gebühren für die Öffentlich-Rechtlichen bekam. Man nimmt ja vieles an Volksberieselung in Kauf in der Annahme, dafür Qualitätsjournalismus zu bekommen. In diesem Wahlkampf leider Fehlanzeige bis hin zur Elefantenrunde danach. Bei der ich erstmals Sympathie für Frau Kipping empfand, die auch dort einmal auf ein paar wirkliche Themen zu sprechen kommen wollte. Der Moderator verhinderte dies erneut mit aller Kraft.

Jetzt will die SPD nicht mehr und ich kann sie verstehen. Wenn mir jetzt wieder einer damit kommt, dass die SPD Verantwortung übernehmen müsse, dann wäre hier meine Antwort: Deutschland ist nicht im Krisenmodus und es steht auch nicht der Untergang vor der Türe. 87% der Deutschen haben nicht AfD gewählt, dafür die Union zur stärksten Kraft gemacht und zwei kleinere, demokratische Parteien ins Parlament gewählt, die in einem Bundesland bereits miteinander koalieren.

Sowohl die Grünen als auch die FDP haben die Regierung in diesem Wahlkampf hart angegriffen – was ja ihr Job ist – und haben jetzt die Gelegenheit, mit ihren Konzepten zu liefern. Diese Chance haben sie sich redlich verdient. Die Grünen wollten ja eh mit Frau Merkel regieren, die FDP auch, dann wird ja auch einem flotten Dreier nichts im Wege stehen. Frau Merkel jedenfalls nicht.

Die SPD wurde nach allgemein anerkannten politischen Erfolgen in der Regierung mit dem schlechtesten Ergebnis in der Geschichte nach Hause geschickt. Man kann beim besten Willen von ihr nicht verlangen, diesen Wählerwillen zu ignorieren und weiter zu regieren.

Sie stand nun vor der Frage, der AfD die Position der stärksten Oppositionspartei zukommen zu lassen, oder selbst diese Rolle zu übernehmen. Sie verzichtet auf entscheidende Häuser: Das Arbeits- und Sozialministerium, das Wirtschaftsministerium, Justiz-, Familien-, Umweltministerien mit all den politischen Einflussmöglichkeiten und auch den entsprechenden Posten. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang.

Die SPD leistet mit ihrem Gang in die Opposition einen wichtigen Beitrag für die Demokratie. Es ist dabei trotz allem ein mutiger Schritt. Denn Opposition alleine bedeutet noch keine Rekonvaleszenz, wie die Jahre 2009-2013 – und vor allem auch dort mal wieder die versemmelte K-Frage gezeigt haben.

Diesmal aber geht es um alles – auch um die Existenz. Die SPD befindet sich seit 2002 in einem permanenten Niedergang. Sie wird daher auch einen langen Weg gehen müssen, um wieder stark zu werden. Sie wird ihre Programmatik aktualisieren müssen – und das bei einer alternden Mitgliedschaft- und Gesellschaft. Sie wird intensiv junge Talente suchen und fördern müssen. Sie wird sich in den Ländern organisatorisch neu aufstellen – und vermutlich auch den finanziellen Kahlschlag der letzten Jahre verarbeiten müssen.

Und dann muss sie eine überzeugende Oppositionsarbeit leisten, die nicht nur die neue Regierung herausfordert, sondern auch die Feinde der Demokratie rechts von ihr.

Das wird ein hartes Stück Arbeit. Dafür braucht die SPD alle verfügbaren Kräfte. Und unsere Hochachtung für diesen Dienst an der Demokratie. Lasst sie gehen.

teaser_hoellenritt_wahlkampf_2017