Regierung ohne Auftrag – Wahl ohne Ambitionen

Das Volk ist beschäftigt (Arbeit, Beziehung, Kita, Chef, Wäsche, Kinder, Geld, Hund) und möchte in Ruhe gelassen werden. Das ist ebenso verständlich wie gesellschaftlich ambitionslos. Aber vielleicht liegt der Hauptgrund der Reformskepsis an gegenseitigen Fehlinterpretationen des Wahlergebnisses von 2021 und seiner Ursachen. 

Da ich aktuell an einem Buchbeitrag zur Bundestagswahl 2021 schreibe, durchlaufe ich den Irrsinn dieses Wahlkampfes und seines Endspurts aufs Neue. 

Mit dem Wissens von heute über die Schwierigkeiten der Ampelregierung zwei Jahre nach dem Urnengang, drängt sich neben den offensichtlichen Gründen – also dem Angriffskrieg Russlands, Inflation, Energiestress, disharmonierende oder gar konträre Parteiprogramme, (verschleppte) Transformationsprozesse etc. – ein zusätzlicher auf: 

Diese Regierung hat vom Volk keinen nennenswerten Veränderungsauftrag erhalten.

Der Verlauf des Wahlkampfes macht dies sehr deutlich. Und das Ergebnis auch. 

Die gescheiterten Wahlkämpfe von Union und Grünen lenkten den Fokus der Bundestagswahl noch stärker auf die zur Auswahl stehenden Führungspersönlichkeiten als dies sowieso schon der Fall gewesen wäre. Eine bedeutende thematische Auseinandersetzung über die Zukunft der Bundesrepublik nach Angela Merkel fand nicht statt. Armin Laschet war in Nordrhein-Westfahlen vor allem deshalb Ministerpräsident geworden, weil er gerade kein erzkonservativer Polarisierer, sondern ein eher integrierender und auch sozialpolitisch orientierter CDU-Kandidat war. 

Sowohl in Verteilungs- als auch Integrationsfragen stand Laschet eher in der Tradition Merkels. Olaf Scholz wiederum war über die letzten Jahre Vizekanzler unter Angela Merkel, die SPD hatte von den sechzehn Jahren ihrer Amtszeit zwölf mehr oder weniger freiwillig an deren Seite verbracht. Auch hier war ein harte Polarisierung kaum möglich beziehungsweise glaubwürdig. Annalena Baerbock gab ebenfalls nicht vor, eine politische Revolution anführen zu wollen. Als erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei mit dem Ziel 30% musste sie wesentlich breitere Wählerschichten ansprechen als den harten Kern der Grünen Wählerschaft. Nach dem dann völlig missglückten Auftakt übte sich die Grünen-Kampagne noch weiter in Zurückhaltung und versuchte, möglichst ohne weitere Verunfallungen ins Ziel zu kommen. 

Entsprechend ambitionslos verliefen die inhaltlichen Zuspitzungen des Wahlkampfes. Keine der drei führenden Parteien hatte ein Interesse daran, durch zu ehrgeizige inhaltliche Forderungen zu irritieren. Die erstmals stattfinden TV-Trielle – immerhin drei an der Zahl – zeigten die Kanzlerkandidaten in relativer Harmonie und die wenigen konkreten Themen – etwa der Mindestlohn-Vorstoß der SPD – boten keinen Anlass zur Dramatisierung. Ein verzweifelter Versuch der Union und ihrer Helfer:innen, noch einen Hauch von Rot-Rot-Grün-Debatte zu entfachen, lief ins Leere.

Am Ende zählte der alte Spruch: Auf den Kanzler kommt es an.
Im ZDF Politbarometer vom 17.9.2021 sprachen Olaf Scholz 67 % der Befragten die Eignung zum Bundeskanzler zu (nicht geeignet: 28 %). Armin Laschet hingegen hielten 67 % für nicht geeignet (geeignet 29 %), Annalena Barbock sogar 69 % (geeignet 26 %).
Noch im Juni lagen Laschet (47 %) und Scholz (49 %) bei dieser Frage der Amtseignung nahezu gleichauf, ihre Parteien aber deutlich auseinander (CDU/CSU 29 %; SPD 14 %, Grüne 22 % – ZDF Politbarometer vom 25.6.2021)

Dieser fulminante persönliche Vorsprung des SPD Kanzlerkandidaten hatte im September dann entsprechende Auswirkungen auf die Sonntagsfrage (SPD 25 %, CDU/CSU 22 %, Grüne 16 %) – aber auch auf die Themen, die von den Befragten als die bedeutendsten genannt wurden. Hier nannten 53 % die soziale Gerechtigkeit, 43 % den Klimaschutz und 25 % das Thema Migration. Man kann in diesem Fall also davon ausgehen, dass Olaf Scholz nicht nur seine Partei sondern auch deren stärkstes Thema nach vorne zog. 

Realistisch betrachtet hatte die Bundestagswahl 2021 aber kein bedeutendes Thema. Selbst die schreckliche Flutkatastrophe vom Juli traf auf eine Bevölkerung, die zu 86 % sowieso schon den Klimawandel als ein großes Problem für Deutschland einordnete und zu 63 % diese konkrete Flutkatastrophe auch direkt dem Klimawandel und seinen Folgen zuordnete (ZDF Politbarometer vom 30.7.2021). Darüber bestand also breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens.

Die Bundestagswahl 2021 wurde eine Persönlichkeitswahl.
Sie war keine Richtungswahl. 

Das ist keine Kritik – sondern ein Fakt. Die Kandidaten Laschet und Baerbock hatten sich aus Sicht der Wählerinnen und Wähler im Verlauf des Wahlkampfes selbst disqualifiziert. Olaf Scholz wurde einmal mehr in seiner Karriere nicht geliebt, aber gewählt. Er hatte sich in einem turbulenten Wahlkampf als sichere und verlässliche Führungspersönlichkeit erwiesen. Seine thematisch weitgehend konfliktfreie Basispositionierung machten ihn und seine Partei für Wechselwähler anschlussfähig. 

Aus dem Ergebnis der Bundestagswahl 2021 formulierten die sich dann später zusammenfindenden Ampel-Parteien den Anspruch, eine Fortschritts-Koalition zu bilden. Der Verlauf des Wahlkampfes lässt daran zweifeln, dass dies ein Wählerwunsch war. Eher liegt die Vermutung nahe, dass viele Wähler:innen eigentlich ein „Weiter so“ wie mit Merkel wünschten – nur eben mit Olaf Scholz und der SPD diesmal auf Platz 1 und der Union auf Platz 2. 

In über 16 Jahren hatten die Deutschen gelernt, dass sie am besten damit fahren, wenn der Fortschritt eine Schnecke ist und die Politik nicht weiter stört.

Das verstärkt die Probleme der Ampel heute nur noch mehr – denn neben den programmatischen Unwuchten zwischen den Koalitionspartnern, müssen diese der Bevölkerung massive Transformationsprozesse zumuten – ohne dass die Bevölkerung im Wahlkampf darauf vorbereitet worden wäre oder gar ihr Votum damit verbunden hätte.

Das Volk ist beschäftigt (Arbeit, Beziehung, Kita, Chef, Wäsche, Kinder, Geld, Hund) und möchte in Ruhe gelassen werden. Das ist ebenso verständlich wie gesellschaftlich ambitionslos. Nun ist Ambitionslosigkeit per se ja nichts Schlechtes. Sie führt nur zu nichts und lädt befreundete wie nicht befreundete Nationen dazu ein, vorbeizuziehen.

Deutschland war und wurde durch nichts auf die bestehenden Schwierigkeiten und Dimensionen der Transformationsprozesse vorbereitet – von denen nur einige Folgen des Krieges sind. Das liegt natürlich auch daran, dass viele Menschen darauf nicht vorbereitet werden wollten. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Folgen für die Politik sind aber entscheidend: 

Wer in diesem Umfeld führen will, muss sehr viel erklären, behutsam vorgehen und ständig motivieren.

Mit Überrumpelungstaktik kommt man da nicht weiter – und mit Kleinparteienstaaterei erst recht nicht. Besser ist es, man setzt erstmal nichts voraus und erklärt immer wieder von neuem, warum diese nächste Reform ganz konkreten Nutzen bringt. Enjoy!

Aus Fehlern gelernt.

Warum die Wahlkampagnen von Union, SPD und Grünen 2021 so unterschiedlich verliefen. Eine Analyse aus Sicht der 2017 vom SPD Parteivorstand einberufenen Expertenkommission zur Aufarbeitung der Fehler in den Wahlkampagnen 2013/2017.

von Jana Faus, Horand Knaup, Michael Rüter, Yvonne Schroth, Frank Stauss

Die Bundestagswahl 2021 fand in einem Umfeld statt, das es so noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat: Es gab keine*n Amtsinhaber*in, an der*m sich die Menschen im positiven wie im negativen Sinne hätten abarbeiten können. Entsprechend gab es auch keine Daten darüber, wem die Menschen nun ihr Vertrauen schenken würden. Umso wichtiger war es daher, die drei Kandidat*innen selbst glaubwürdig, überzeugend, konzentriert und kompetent auftreten zu lassen. Dafür benötigen sie üblicherweise ein Kampagnenumfeld, in dem sie sich voll entfalten können – aber das ihnen zugleich auch Sicherheit bietet.

In den letzten Wochen vor der Wahl wurde auch den letzten Wähler*innen klar, dass sie sich neu orientieren mussten. Merkel würde gehen. Jemand Neues würde ins Kanzleramt ziehen. Baerbock, Scholz und Laschet wurden nun ganz genau beobachtet und getestet. Nur Scholz hat diesen Test bestanden und zog in der Endphase seine Partei mit nach oben. Am Ende fuhr die SPD, auch profitierend von den Fehlern der anderen, ein Ergebnis weit über den Erwartungen ein, CDU/CSU und Grüne blieben weit darunter.

In Folge der Bundestagswahl 2017 hatte der damalige SPD Parteivorsitzende Martin Schulz eine Studie in Auftrag gegeben, die Lehren aus den vergangenen Niederlagen der SPD ziehen und die Partei besser auf zukünftige Wahlkämpfe vorbereiten sollte. Die Expert*innen setzten sich aus den Bereichen Wahlforschung, Journalismus/Medien und Wahlkampfmanagement zusammen. Sie hatten freie Hand und der SPD Parteivorstand stellte die Analyse „Aus Fehlern lernen“ in einem außergewöhnlichen Schritt der breiten Öffentlichkeit als Download zur Verfügung.

Betrachtet man die Kernpunkte der Analyse, wird deutlich, weshalb die Wahlkämpfe der SPD, CDU/CSU und der Grünen über die entscheidenden Jahre 2020/2021 so unterschiedlich verliefen.

Als wichtigste Kriterien für die Niederlagen der SPD 2017 aber auch 2013 identifizierten die Autor*innen folgende Kriterien:

  1. Zeitlicher Vorlauf/Organisatorischer Aufbau

Kampagnen in der heutigen Medienwelt brauchen ein eingespieltes Team, das Zeit hat, sich aufeinander einzuspielen, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und eine klare Strategie zu entwickeln. Hinzu kommen klare Verantwortlichkeiten, kurze Abstimmungsprozesse und verlässliche Strukturen für das Krisenmanagement (das in jeder Kampagne gebraucht wird).

  1. Policyentwicklung.

Eine Bundestagswahlkampagne braucht eine klare Fokussierung auf Inhalte. Sonst geht ihr mit Sicherheit auf der Strecke die Luft aus. Diese Inhalte und die dazugehörigen Botschaften müssen entwickelt, finanziell durchgerechnet und auf Plausibilität bezüglich der späteren Umsetzung geprüft werden. Auch das benötigt Zeit. Vor allem aber ist es wichtig, die unterschiedlichen Strömungen der Partei in den Policyprozess zu integrieren. In der heißen Phase des Wahlkampfes darf es nicht zu inhaltlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei kommen. Die Themen werden dann auch auf ihre Vermittelbarkeit geprüft und für unterschiedliche Kanäle (social Media, Print etc.) aufbereitet.

  1. Geschlossene Führung.

Wir leben in unruhigen, für viele stressintensiven Zeiten. In diesen Zeiten darf eine Partei nicht irritieren. Im Gegenteil, sie muss Leuchtturm sein, an dem die Menschen sich orientieren können. Konflikte zwischen den Spitzenpoliter*innen einer Partei verstören die Menschen.

  1. Kampagnenentwicklung und Sprache.

Eine erfolgreiche Kampagne basiert auf einer klaren Strategie, einer klaren Umsetzung und einer klaren Sprache. Für diese Kampagnenentwicklung braucht es Zeit. Partei, Programm und Person müssen eine Einheit bilden. Die Images der Person und der Kampagne müssen harmonieren, sonst erzeugt das wieder Irritationen. Hier hilft auch die strategische Wahlforschung – für die es wiederum Zeit braucht.

  1. Spitzenkandidatur

Ein Spitzenkandidat mit guten bis sehr guten Werten in der persönlichen Beurteilung darf nicht abseits der Kampagne laufen. Kampagnen müssen zwingend mit dem*r Kandidat*in harmonieren und mit ihm*r gemeinsam entwickelt werden. Nur dann ist die Kampagne glaubwürdig. In Zeiten der medialen Überreizung werden Spitzenkandidat*innen noch wichtiger, als sie es ohnehin schon waren. Menschen orientieren sich an Menschen. Politker*innen sind Transmissionsriemen zwischen einer immer komplizierteren politischen Welt und den Wähler*innen, die gleichzeitig der Politik immer weniger Aufmerksamkeit schenken.

Betrachten wir nun der Verlauf der Kampagnen der Parteien, die in der Bundestagswahl 2021 einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin nominierten, so zeigt sich sehr deutlich, warum insbesondere die SPD eine erfolgreiche Kampagne bestritten hat.

SPD:

Nach der Niederlage des Teams Geywitz/Scholz gegen Esken/Walter-Borjans Ende November 2019 begann die Parteiführung zügig mit dem innerparteilichen „Heilungsprozess“. Angesichts der über ein Jahrzehnt anhaltenden und zum Teil existentiellen Krise der Bundespartei kamen offenbar alle Beteiligten zu der Einsicht, dass sie nur gemeinsam eine Chance hätten, die SPD zu retten. Bereits im Frühjahr 2020 verdichteten sich die Gerüchte, dass am Ende Olaf Scholz die Kandidatur übernehmen würde. Faktisch nominiert wurde er dann im August 2020 – mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl. Generalsekretär Lars Klingbeil (den keiner der Parteiflügel in seinem Amt in Frage stellte) konnte sowohl Teamaufstellung, Agenturauswahl, Kampagnenentwicklung als auch die Organisation der Policy-Entwicklung vorantreiben. Und er tat es auch. Im August 2020 wussten alle Beteiligten, dass sie – wenn überhaupt – nur dann eine Chance im September 2021 haben würden, wenn sie den handwerklichen Teil der Kampagne perfekt vorbereiteten. Und das taten sie.

Maßgebliche Elemente der in der Analyse aufgeführten und erfolgreich umgesetzten Empfehlungen waren:

— Die frühe Nominierung des Kandidaten. Er war weithin bekannt und medial quasi ausdefiniert, als die Konkurrenz ihre Kanzlerkandidat*innen benannten.

— Die ebenso ungewöhnliche wie anhaltende Geschlossenheit der Partei – trotz monatelang schlechter Umfragezahlen.

— Die Fokussierung auf wenige, aber zentrale Anliegen. Mit Mindestlohn, Bürgergeld und Wohnungsbau rückte Olaf Scholz sozialdemokratische Kernthemen in den Mittelpunkt seiner Kampagne.

— Erfolgreiches Regierungshandeln: Ob der Arbeitsminister, die Familien-, die Umweltministerin oder der Finanzminister selbst – sie lieferten ungleich bessere Arbeitsnachweise und konkret und im Alltag erfahrbare Verbesserungen ab als die Kolleg*innen von der CDU/CSU.

CDU/CSU:

Nach der Wahl in Hessen vom Oktober 2018, bei der die dortige CDU 11,3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2013 verloren hatte, kam Angela Merkel den Angriffen aus den eigenen Reihen zuvor. Sie verkündete nur 24 Stunden später ihren Verzicht auf den Parteivorsitz und kündigte ihren Rückzug aus der Politik mit der Bundestagswahl 2021 an. Nun wurde auch sichtbar, dass die Kanzlerin die lange Zeit an der Parteispitze nicht genutzt hatte, geeignete Nachfolger*innen aufzubauen. Eine Führungsreserve für die Parteiführung war (und ist) nicht erkennbar.

Für den Parteivorsitz kandidierten Jens Spahn, Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer, die am 7. Dezember 2018 erst im zweiten Wahlgang gewählt wurde. Zermürbt von anhaltender innerparteilicher Kritik kündigte Kramp-Karrenbauer bereits am im Februar 2020 ihren Rücktritt an. Kurz darauf kam es zum coronabedingten Lockdown in Deutschland und die Parteivorsitzende musste fast ein weiteres Jahr als machtlose Übergangsverwalterin im Amt ausharren. Erst am 16. Januar 2021 wurde Armin Laschet – wieder im zweiten Wahlgang – zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Angetreten waren neben ihm Norbert Röttgen und natürlich, wie immer, Friedrich Merz. Die CDU hatte die Menschen über zwei Jahre lang mit Kampfabstimmungen irritiert – die natürlich auch innerparteilich Spuren hinterlassen hatten.

Nun zögerte Laschet aber, gleich auch nach der Kanzlerkandidatur zu greifen, um nicht mit den drohenden Niederlagen der CDU im März 2021 in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg identifiziert zu werden. Dieses erneute Machtvakuum nutzte Markus Söder, um seinen Hut in den Ring zu werfen. Nach erneuten harten Auseinandersetzungen hatte die Union erst am 20. April 2021 auch einen Kanzlerkandidaten – und der war beschädigt.

Dies hatte natürlich Auswirkungen auf die technische Führung des Wahlkampfes. Generalsekretär Paul Ziemiak – der mit Kramp-Karrenbauer im Dezember 2018 sein Amt angetreten hatte – musste sich im Januar 2021 zunächst mit einem neuen Parteivorsitzenden arrangieren und hatte erst vier Monate später einen Kanzlerkandidaten. Das ist sehr spät – eigentlich zu spät. Zu diesem Zeitpunkt warten die Kandidatinnen und Kandidaten vor Ort schon seit Wochen auf überzeugende Argumente und ihre Werbemittel. Die Kampagne musste jetzt in Windeseile aus dem Boden gestampft werden, beziehungsweise – und das ist der wahrscheinlichere Fall – die Kampagne war schon vorbereitet und musste nun auf Armin Laschet zugeschnitten werden.

Wichtiger aber ist: In dieser kurzen Zeit baut man kein Team auf, das sich blind vertraut. Für die Außenkommunikation wurde die ehemalige BILD- Chefredakteurin Tanit Koch engagiert – es fehlte aber die Zeit, sie auch zu integrieren. Viele Beobachter*innen nahmen wahr, dass in der Kampagne Verantwortlichkeiten nicht klar zugeordnet waren, der Kandidat häufig schlecht oder gar nicht vorbereitet zu Terminen erschien. Die handwerklichen Fehler häuften sich. So entstand kein Vertrauen in den Kandidaten und die Kampagne. Im Konrad-Adenauer-Haus fand über die letzten Jahre zudem ein Generationswechsel statt, sodass im Haus selbst keine Erfahrung mehr vorhanden ist. Für Policyentwicklung blieb ebenfalls keine Zeit. Alle Pannen aufzuzählen würde hier den Raum sprengen – aber die verunglückten Bilder des Kandidaten setzten sich in den Köpfen fest.

Die Grünen

Die Grünen nutzten zwar den relativ langen Zeitraum vor der Verkündung der Spitzenkandidatin, um sich organisatorisch und auch inhaltlich solide aufzustellen. Das neue Führungsteam Annalena Baerbock und Robert Habeck hatte die Vorlaufzeit in der Parteiführung gut genutzt, um mit einigen grünen Widersprüchlichkeiten aufzuräumen. Sie beendeten die Jahrzehnte dauernde Lähmung durch Strömungsauseinandersetzungen zwischen Fundis und Realos. Die Bundesgeschäftsstelle wurde professionalisiert, Strömungsscharmützel rückten in den Hintergrund. Das neue Duo konzentrierte sich auf die Policyentwicklung. Sie  erweiterten ihr Portfolio in der Sozialpolitik und besonders der Co-Vorsitzende Habeck beackerte zunehmend auch die Felder Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Umso erstaunlicher ist es daher, dass die einsame Entscheidung um die Kanzler*innenkandidatur die scheinbar professionelle Maschinerie aus dem Takt brachte.  Baerbock und Habeck hatten intern offenbar zu wenig über die eigentliche Entscheidung kommuniziert und diese tatsächlich erst unmittelbar vor der Verkündung von Baerbock gefällt. Unabhängig davon hatte es die Kampagnenleitung zudem verpasst, beide Kandidierenden über diesen langen Zeitraum hinweg auf Herz und Nieren zu prüfen. In den notwendigen Prozess auch der innerparteilichen Heilung (viele Anhänger*innen hätten lieber Habeck gesehen) platzten dann die bekannten Vorwürfe gegen die Spitzenkandidatin und beschädigten sie nachhaltig. Selbst die Flutwelle – die eigentlich einen Boom für die Grünen hätte auslösen müssen – brachte keine Wende in der Kampagne. Etwa ab Juli spielte die Partei nur noch auf Platz.

Wahlkampf ist ein Handwerk. Eine perfekte Kampagne führt nicht automatisch zum Sieg – dafür gibt es zu viele äußere Umstände, die auf das Ergebnis Einfluss nehmen. Aber eine handwerklich schlechte Kampagne kann den sicher geglaubten Erfolg kosten.

Die SPD – die gesamte SPD – hat aus ihren Fehlern gelernt. Das kann man am Ende dieses Wahljahres definitiv sagen. Allen anderen empfehlen wir: „Aus Fehlern lernen“.

 

 

 

 

Es ist diese Zeit in der Kampagne.

Die Union hat in ihrem erratischen Kampf gegen den drohenden Untergang ihr letztes Pulver verschossen. Aber selbst das Pulver war nass. Wir biegen ein in die letzte Runde des „Mega-Giga-Supersexy-Superwahljahres.“

Die jüngsten Umfragen sind rund um den 17.9. eingetroffen und stabilisieren sich. Sie beinhalten alles, was die Union noch im Köcher hatte: Rot/Rot/Grün, Friedrich Merz, einen CDU-Wahlkämpfer, der im Nebenberuf Staatsanwalt in Osnabrück ist, einen CSU-Parteitag, zwei Trielle, unzählige weitere Formate von Arenen bis Klartexten und Uschi Glas.

Nach der Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF vom 17.9. trauen 67% der Befragten Armin Laschet das Amt des Bundeskanzlers nicht zu. Hingegen trauen 67% Olaf Scholz das Amt zu. 67% Nein : 67% Ja. Das ist desaströs für Armin Laschet und zeigt einmal mehr: Das Problem der Union in dieser Kampagne heißt Armin Laschet. Nur Armin Laschet konnte dieses Problem mit überzeugenden Auftritten lösen und es ist ihm nicht gelungen. Lässt man den Soziologen-Sprech einmal weg wird eines klar: Die Menschen in Deutschland können Armin Laschet einfach nicht ausstehen. So einfach ist das manchmal.

Die Laschet-Kampagne hat sich in den letzten Tagen entscheiden müssen, woher sie gegebenenfalls noch die letzten Stimmen zusammenkratzen kann, um doch noch vor der SPD ins Ziel zu kommen. Wenig originell hat sie sich für die FDP entschieden. Logisch ist das insofern, da die FDP nur deshalb zweistellig notiert, weil sie von dem Laschet-Fallout der Union profitiert. Ein Kandidat Söder hätte die FDP kleiner gehalten. Deshalb hat die Laschet-Kampagne Friedrich Merz wieder nach vorne geschoben. Daher spricht Armin Laschet plötzlich über „Entfesselung“ der Märkte und Bürokratieabbau. Das ist FDP-Sprech und heißt für die große Mehrheit der Bevölkerung übersetzt: Abbau von Arbeitnehmerrechten, Sozialstaat und Verbraucherschutz. Und genau hier zeigt sich das Dilemma: Diese Botschaften sind nur für die FDP-Klientel attraktiv und für absolut niemanden sonst. In einigen Umfragen klappt das: Die Union gewinnt 1-2 Punkte auf Kosten der FDP. Die Krux an der Sache: Da die SPD auch weiter stabil bleibt oder sogar dazugewinnt – zum Teil von den Grünen – kann es am Ende nicht einmal mehr für Jamaika reichen – der letzten Option Laschets auf das Kanzleramt.

Friedrich Merz ist seit gut 20 Jahren ein Scheinriese der deutschen Politik und hat dieses Alleinstellungsmerkmal erfolgreich verteidigt. Er ist eine von seiner Partei und Fraktion mehrfach abgelehnte Geheimwaffe für nichts. Und außerdem noch ein Mann ohne jegliche Regierungserfahrung. Heute notiert er in der „Beliebtheitsskala“ der Forschungsgruppe bei -0,3 auf dem vorletzten Platz. Hinter ihm nur noch: Armin Laschet (-0,4). Minus mal Minus ergibt für die Union in diesem Wahlkampf: Minus.

Gleichzeitig sehen wir, dass das Kompetenzthema der SPD „Soziale Gerechtigkeit“ bei der persönlichen Wahlentscheidung auf Platz 1 liegt (FGW). Die SPD legt auch in anderen Kompetenzfeldern zu und das bereits beständig in den vergangenen Wochen korrespondierend mit ihren besseren Umfragewerten und den positiven Werten für Olaf Scholz. Außerdem wird ihre Arbeit in der Bundesregierung mittlerweile deutlich besser bewertet als die der Union – auch das war bisher nicht der Fall gewesen.

Wir erleben die Postrationalisierung einer bereits getroffenen Entscheidung.

Das bedeutet, die Menschen haben sich für Olaf Scholz entschieden (und auch sehr stark gegen Armin Laschet). Dafür müssen sie jetzt aber SPD wählen. Damit das zusammenpasst, rechtfertigen sie diese eher „emotionale“ Entscheidung vor sich selbst – aber auch in ihrem persönlichen Umfeld – durch die rational zur SPD passenden Themen. Die SPD war auch nie so sehr in Misskredit, dass dies nicht möglich ist.

Für die SZ hatte ich vor ein paar Tagen geschrieben: „Die Menschen saufen sich jetzt die SPD schön, damit sie zu ihrer Entscheidung für Olaf Scholz passt.“ Das haben manche als kritisch gegenüber der SPD empfunden. Im Gegenteil! Alles an diesem Vergleich ist doch schön. Vor allem aber: Gegen so etwas ist die andere Seite natürlich völlig machtlos.

Hinzu kommt, dass Scholz tatsächlich diese sozialen Themen (12 EUR Mindestlohn, Rente – aber vor allem auch das Überthema „Respekt“) seit über einem Jahr für sich absteckt. Laschet ist in diesem Bereich völlig blank. In seinem Bestreben, Wähler von der FDP zurückzugewinnen, ist er außerdem gezwungen, deren traditionelle Themen („Entfesselung“, „Entbürokratisierung“) zu fahren. Für Soziales bleibt da gar kein Platz mehr. Und Friedrich Merz hat beim Thema soziale Gerechtigkeit imagemäßig so viel Kredit, wie RWE bei Fridays for Future. Der Nährboden für dieses Thema wurde zusätzlich durch Corona und die damit verbundenen Lohneinbußen oder gar Existenzängste geschaffen. Es ist also da – und die Union hat nichts zu bieten. Außer vielleicht die Mütterrente der CSU, die Laschet aber ablehnt. Hier zeigt sich einmal mehr, wie konfus und kaputt diese Unions-Kampagne ist. Nichts passt zueinander, nichts lässt einen vermuten, dass es jemals eine Strategie gab. Noch nicht einmal eine gescheiterte.

Was kann jetzt noch geschehen: Ich denke, dass der „Justizskandal aus Osnabrück“ oder die „Razzia bei Scholz“ (je nach Sichtweise) ein typischer Kampagnen-Aufreger kurz vor Toresschluss bleiben wird und keinen wirklich interessiert. Wir werden nach der Wahl nie wieder etwas davon hören. Case closed. Hoffentlich wird er besonders den Verantwortlichen in Osnabrück und anderen, die ihr Amt gerne instrumentalisieren wollten, eine Lehre sein: Noch funktionieren in Deutschland die Kontrollmechanismen auch der Medien gegenüber einer unzulässigen Einmischung in einen Wahlkampf. Diese Einmischung kam diesmal nicht von Wikileaks oder Putin-Trollen sondern direkt aus der Staatsanwaltschaft unter Mitwisserschaft der Niedersächsischen CDU-Justizministerin. Manchen in der Union ist scheinbar alles egal.

Gelaufen ist dieses Rennen aber erst am 26.9. Der Vorsprung der SPD vor der Union liegt bei 2-5 Prozentpunkten. Da haben wir schon an manchen Wahlabenden gesehen, dass da noch Überraschungen möglich sind. Dagegen sprechen alle vorliegenden anderen Werte, sowie der fehlende Trend zur Union.

Aber: Ein paar Grünen-Anhänger die den Vorsprung der SPD für zu sicher halten und wieder zu den Grünen zurückgehen, ein paar mehr FDP-Wähler und Unentschlossene, die am Ende doch noch unter Schmerzen Laschet wählen – und schon kann die Union doch noch vorne liegen.

Möglich ist auch, dass die SPD am Wahltag selbst noch einmal zulegt, weil der Trend Genosse ist und vor allem viele Laschet einfach verhindern wollen. Oder aber es bleibt alles in etwa so wie heute: Stabil.

Wenn der Pulverdampf verzogen ist, wird jedenfalls eines bleiben: Der kurioseste Wahlkampf der Nachkriegsgeschichte.

Und eines, was man kaum noch für möglich gehalten hatte: Eine nahezu perfekte SPD-Kampagne. Basierend auf einer klaren Strategie, klaren Verantwortlichkeiten, einem absolut geschlossenen Führungsteam, einem teamfähigen Spitzenkandidaten und einem klaren Plan. Wie auch immer das Ergebnis am Ende aussehen wird: Die SPD wird am oberen Ende ihrer Möglichkeiten landen und die Union unterhalb ihrer schlimmsten Albträume.

Ja, die SPD profitiert von den Fehlern der anderen. Aber sie konnte das nur, weil sie selbst perfekt vorbereitet war. Sie hat aus ihren Fehlern der vergangenen beiden Wahlen gelernt und alle Erwartungen übertroffen.

„Erst kommt das Team, dann folgt der Untergang“ – Das heute-journal Interview

Marietta Slomka führte für das heute journal vom 3.9.2021 ein Interview mit mir zu den jüngsten Zahlen des ZDF Politbarometers aber auch zur Teamvorstellung von Armin Laschet.

Um die Dimension der Probleme von Armin Laschet zu begreifen, kann man auch die Beliebtheitswerte anderer Kandidaten bemühen. Rudolf Scharping hatte um den Wahltag 1994 herum einen Wert von +0,9, Martin Schulz kam 2017 auf +1,1. Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück notierten noch darüber. Armin Laschet liegt am 3.9.2021 bei einem Negativrekord von -0,8.

Seit dem die Forschungsgruppe Wahlen die Werte für die wichtigsten Politiker:innen erhebt, ist Armin Laschet mit -0,8 der historisch am schlechtesten bewertete Kanzlerkandidat. Am nächsten kommt ihm nur Annalena Baerbock mit -0,5. Olfa Scholz notiert aktuell bei +1,7. Das ist ein Spitzenwert – nur noch übertrumpft von der Kanzlerin (2,2) – die aber niemand mehr wählen kann.

Zum Interview geht es hier:

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Oder im Wortlaut hier:

Intro: Frank Stauss ist Kommunikationsberater und macht seit 20 Jahren Wahlkämpfe. Er hat eine der Agenturen, an die sich Politiker wenden, wenn sie strategische Beratung und Wahlkampagnen brauchen. Mehrfach hat Stauss die SPD beraten, unter anderem auch Olaf Scholz.

ZDF: In diesem Bundestagswahlkampf sind sie nicht aktiv im Geschirr, sondern beobachten das sozusagen von der Seitenlinie. Wenn wir uns jetzt die Strategie der Union ansehen, Furcht vor einem Bündnis mit der Linkspartei im Bund zu wecken und damit Wähler zu mobilisieren, kann das für die SPD für Team Scholz sozusagen ein strategisches Problem werden?

Frank Stauss: In den Kampagnen der letzten Jahre hätte ich das klar bejaht, weil es in der Vergangenheit – ob das jetzt die Kampagnen von Steinbrück, von Steinmeier oder von Schulz waren – eine der wenigen Machtoptionen war. Oder zum Teil auch die einzige, die die SPD überhaupt hatte. Jetzt ist es allerdings anders.

Da sie (die SPD) jetzt in allen Umfragen die Nummer eins ist, hat sie natürlich viel mehr Machtoptionen überhaupt.

Also neben dieser Linkskoalition auch noch die Ampel. Dann natürlich, unabhängig davon, ob das jemand will, auch eine Große Koalition unter Führung der SPD. Eine Koalition mit der Union und den Grünen und so weiter und so fort. Und dadurch hat das natürlich nicht den Stellenwert, den das sonst in Kampagnen gehabt hätte.

ZDF: Wobei es ganz interessant ist – das ist auch so eine Zahl aus unserem Politbarometer – dass zwei Drittel der Befragten sagen, sie gehen schon davon aus, wenn die Mehrheitsverhältnisse entsprechend sind, dann macht das Herr Scholz mit der Linken trotz aller Vorbehalte, die es da gibt. Und 60 Prozent finden das überhaupt nicht gut. Also kann das nicht schon auch ehemalige Merkel-Wähler abschrecken? Wie sollte die SPD damit umgehen? Was würden Sie als Wahlkampfberater sagen?

Stauss: Die Kampagne der Union zielt ja genau darauf ab. Auf der anderen Seite hat eben dieses Politbarometer auch erhoben, dass es den meisten Menschen egal ist, ob die SPD jetzt im Vorfeld eine solche Koalition ausschließt. Das ist für mich ein ganz wichtiger Indikator. Denn es bedeutet, dass sie es zwar grundsätzlich nicht wollen, dass sie aber gleichzeitig dieser Frage keine so große Bedeutung zumessen.

Ich glaube, letztendlich ist es ein Nullsummenspiel, weil eben es so viele Optionen gibt. Und am Ende werden sich die Menschen, eben weil es so viel Verwirrung und Orientierungslosigkeit gibt, an den Personen orientieren. Und das ist ja gerade das große Problem von Armin Laschet, dass die Menschen eben Olaf Scholz nicht zutrauen, dass er eine instabile Koalition anführen würde.

ZDF: Stichwort Team Laschet: Drei Wochen vor der Wahl und dann immer noch so im Abwind – was kann man da eigentlich als Wahlkampfmanager überhaupt noch machen oder empfehlen?

Stauss: Ja, also meine Empfehlung ist da immer ganz klar, die Finger von einem Team zu lassen. Für mich gilt die Formel: Kommt das Team, folgt der Untergang. Das hat noch nie funktioniert. Ich erinnere mich an die Kampagne von Frank Walter Steinmeier, der ein Team in der Größenordnung einer Fußballmannschaft inklusive Ersatzkader präsentiert hat. Das hat alles nicht gefruchtet.

Heute muss der Mann sein Leben als Bundespräsident verbringen.

Ich erinnere mich an Rudolf Scharping, der von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine gestützt werden sollte, aber eher gestürzt wurde. Also dieser Teamgedanke funktioniert nicht, und das hat auch eine ganz einfache Erklärung:

Es gibt kein Team im Bundeskanzleramt, es gibt da exakt einen Stuhl. Auf dem sitzt dann am Ende der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin.

Und deswegen orientieren sich die Menschen tatsächlich an den Kandidaten.

ZDF: Aber versucht man nicht doch auch verschiedene Flügel damit abzudecken? Also zum Beispiel, indem man sagt, dass Herr Merz eine Rolle spielen soll, um CDU-Stammwähler, die das gut finden, zu erfreuen?

Stauss: Ja, das ist im Prinzip der Gedanke. Aber meine Erfahrung ist: Er funktioniert nicht, weil die Menschen sagen, man kann eine Kanzlerkandidatur nicht delegieren. Man kann auch eine Kanzlerschaft nicht delegieren. Das, was Herr Laschet gerade präsentiert hat, sind die verschiedenen Flügel seiner Partei. Die interessieren aber wiederum die Wählerinnen und Wähler nicht so richtig.

Herr Merz ist ein Angebot für den wirtschaftsliberalen Flügel, ist auch ein bisschen den Angriff an die FDP, von der die Union gerne wieder ein, zwei Prozentpunkte zurückhaben würde. Aber letztendlich ist meine Erfahrung, dass diese Teams eher Verwirrung stiften, weil Herr Laschet hat vor ein paar Tagen noch ein Klima-Team präsentiert, jetzt ein Kern-Team, das hört ja gar nicht mehr auf.

ZDF: Glauben Sie, dass in den nächsten drei Wochen noch viel passieren kann? Es ist ja ein verrückter Wahlkampf, man hat ja vieles noch vor ein paar Wochen nicht für möglich gehalten.

Stauss: Ja, es ist ein komplett verrückter Wahlkampf. Aber auch mit Werten, die ich meinem Leben noch nie erlebt hatte, dass eben auch ein Kanzlerkandidat der Union so unbeliebt ist. So war keiner zuvor, weder Rudolf Scharping noch Martin Schulz hatten so schlechte Werte. Die Stimmung dreht sich eindeutig in Richtung der SPD und Olaf Scholz. Und deswegen muss die Union was tun, allerdings läuft ihr die Zeit davon.

Das Interview führte ZDF heute journal-Moderatorin Marietta Slomka.