Grünen-Kampagne: Hier stimmt etwas nicht.

Infolge meiner Anmerkungen vom 12. Juli im ZDF heute journal zur Kampagnenpräsentation der Grünen haben mich zahlreiche Rückfragen erreicht. Ich beantworte sie einfach in diesem Beitrag öffentlich, dann ist alles gesagt.

Warum stimmt etwas nicht bei der Grünen-Kampagne?

Ich bin so froh, dass Du das fragst, Frank: Nun, zum ersten Mal in ihrer Geschichte benennt die Partei eine Kanzlerkandidatin. Gleichzeitig belastet diese Kandidatin seit Wochen die Kampagne der Grünen und es wird munter spekuliert, ob nicht doch noch ihr Co-Vorsitzender die Kandidatur übernimmt.

Mitten in dieser Gemengelage präsentiert der Bundesgeschäftsführer die ersten beiden Plakatwellen, und es findet sich kein einziges Plakat der Kanzlerkandidatin Baerbock.

Es gibt mehrere Großflächen mit Habeck und Baerbock, Einzelplakate von Baerbock und Habeck, es wurde eine Tour angekündigt von Habeck und später auch von Baerbock.

Aber warum gibt es nicht ein einziges Plakat, auf dem zum Beispiel sinngemäß steht:  „Mehr Umweltschutz ins Kanzleramt: Annalena Baerbock.“ Oder: „Neue Ideen ins Kanzleramt: Annalena Baerbock“ etc.

Ein einziges Plakat hätte gereicht.
Ein einziges Plakat in dieser Richtung hätte alle Fragen beantwortet.
Endgültig. Aber es wurde nicht gemacht.

Daher: Da stimmt etwas nicht.

Die Grünen haben doch Frau Baerbock bereits als Kanzlerkandidatin ausgerufen. Warum sollte ausgerechnet ein Plakat das noch einmal manifestieren?

Das Plakat ist das unflexibelste Medium im Wahlkampf. Besonders die erste Welle der Großflächen hat einen Vorlauf von gut sechs bis acht Wochen. Das ist genau jetzt. Die Großflächen werden gedruckt, trocknen, werden ausgeliefert und dann in großen Hallen schon auf die ersten Sonderstellflächen aufgezogen, damit diese Sonderflächen möglichst rasch innerhalb weniger Tage flächendeckend in Deutschland aufgebaut werden können. Für die erste Welle der Großflächenplakate ist jetzt der „Point of no Return“ erreicht.

Problem: Liefere ich jetzt ein Plakat aus, auf dem explizit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin bezeichnet wird, dann wird dieses Plakat auch in der Republik hängen.

Sollte sie einen Rückzieher machen, hängt sie trotzdem dort.

Lösung: Wenn ich mir sicher sein will, dass diese Plakate in jedem Fall passen, gebe ich nur Großflächen mit Baerbock und Habeck frei und vermeide in jedem Fall die Bezeichnung „Kanzlerin“, „Kanzlerkandidatin“, „Kanzleramt“.

Habeck und die Grünen dementieren doch, dass noch ein Wechsel stattfindet. Wie soll das dennoch gehen?

Niemand dementiert irgendetwas. „Kokolores“ oder „Dazu ist alles gesagt“ sind keine Dementis. Die Entscheidung kann und wird nur Baerbock treffen, so wie sie auch die erste Entscheidung getroffen hat. Zieht sie „aus persönlichen Gründen“ zurück, dann ist es Habeck.

Und dann?

Dann wird die dritte Welle der Plakate auf den Kanzlerkandidaten Habeck zugeschnitten. Dafür ist noch ausreichend Zeit, denn die letzte Plakatwelle hängt erst in den letzten 14 Tagen vor der Wahl. Sie wird also um den 10. September herum plakatiert. Dann stehen die Flächen auch schon überall im Land und es wird von mobilen Teams umplakatiert, was rascher geht als in der ersten Welle. Druckunterlagenschluss ist dann ungefähr Mitte August.

Warum würde ein Profi wie Bundesgeschäftsführer Kellner nicht einfach den Deckel drauf machen und dieses blöde Plakat einfach zeigen?

Weil er nicht durfte. Vermutlich hat sich Baerbock Bedenkzeit in ihrem Urlaub genommen und sich nicht rechtzeitig zur Kampagnenpräsentation entschieden. Die Präsentation zu verschieben, hätte aber noch mehr Fragen aufgeworfen.

Ich bin mir sicher: Wenn Kellner eine Freigabe dafür gehabt hätte, hätte er liebend gerne ein Plakat der Kanzlerkandidatin präsentiert. Gegenfrage: Warum würde er darauf verzichten wollen – bei der ersten Kanzlerkandidatur in der Geschichte der Grünen?

Ist das nicht eine olle Verschwörungstheorie?

Nein, weil ich sie direkt von Bill Gates über meinen Impf-Chip empfangen habe. Und außerdem muss man das Wort „Kanzlerkandidatin“ auf der Website der Grünen schon lange suchen. Ich sage auch nicht, dass sie es am Ende nicht doch machen wird. Aber zu 100% ist das am 14. Juli 2021 nicht sicher.

 

 

Die Würfel fallen weiter.

Mitte April – noch vor der Wahl in Sachsen-Anhalt sowie den Nominierungen von Frau Baerbock und Herrn Laschet – warfen wir unter dem Titel „Die Würfel fallen noch“ einen ersten Blick auf die Bundestagswahl 2021. Seither ist einiges geschehen. Und: Es wird noch einiges geschehen, bevor Ende September verunsicherte Parteien auf verunsicherte Wähler treffen.

Sagen wir mal so: Zurzeit bekommen alle ihr Fett weg. Die Grünen stolpern nach einem Stolperstart und einem sehr mageren Ergebnis in Sachsen-Anhalt spürbar nervös und auch ein bisschen giftig Platz 3 entgegen. Die Union robbt nach der willkürlichen Nominierung des zweitbesten Kandidaten (von zweien) langsam Richtung der für sie jedoch immer noch mageren 30-%-Marke. Die SPD bleibt ausschließlich durch ihren unerschöpflichen Kanzlerkandidaten im Rennen um Platz 2. Die FDP profitiert deutlich sowohl von enttäuschten Söder-Wählern als auch von der Spannungsarmut des Rennens um Platz 1, weiß aber nicht, ob man dem trauen kann. Die AfD reduziert sich zwischen Spendensumpf und Querdenkern zur Partei der endgültig und völlig Verstörten. Die Linken sind die Linken und suchen in ihren Pressekonferenzen immer irgend etwas auf dem Boden, vermutlich Halt.

Nach heutigem Wasserstand kann man eines schon mal festhalten: Das Rennen um Platz 1 ist wohl gelaufen, die Zusammensetzung der künftigen Bundesregierung und auch, wer letztendlich ins Kanzleramt einzieht, allerdings noch lange nicht.

Wie im April bereits erwähnt, spielt die Verteilung der Themenprioritäten sowohl der Union als auch den Grünen in die Hände. In der KW 23 (07.06.2021 ff.) nahm laut ZDF-Politbarometer der FGW die Dominanz des Corona-Themas weiter ab (von 66 % auf 51 %), Umwelt/Klima/Energie bleibt mit starken 30 % das dominierende Sachthema jenseits von Corona mit klarem weiteren Wachstumspotenzial im Sommer. Danach laufen wir schon Richtung „Vermischtes“ zwischen je 9 % (Soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftslage, Politikverdruss/Affären) und 8 % (Ausländer/Flüchtlinge/Asyl) sowie den mit 6 % bis 4 % noch knapp über dem Radar fliegenden Themen Bildung/Schule, Rente, Arbeitsmarkt, Infrastruktur.

Gleichzeitig steigt die Zufriedenheit mit Bundesregierung und Kanzlerin wieder deutlich an, und sosehr ich der SPD gönnen würde, dass auch sie davon profitierte, spricht die Lebenserfahrung dagegen. Und natürlich die Tatsache, dass die Kanzlerin zwar nicht mehr antritt, aber doch immer noch von der CDU ist und die Bundesregierung von der Union geführt wird.

Die von manchen Forschern entdeckte „Wechselstimmung“ sehe ich nicht als Vorteil von irgendjemanden, denn ein Wechsel findet ja in jedem Fall statt. Es wird nach 16 Jahren jemand anderes ins Kanzleramt einziehen und das reicht den meisten Deutschen auch schon an Wechsel.

Dennoch bleibt auch im Juni wahr, was im April schon stimmte: Diese Bundestagswahl ist alleine schon durch die nicht mehr antretende Amtsinhaberin wie keine zweite in der Geschichte der Republik und das auch noch in einem pandemischen Umfeld, das es so noch nicht gab und einem Kanzlerkandidaten-Trio, von dem tatsächlich alle drei noch Chancen auf den Chefsessel haben. Aber wie?

Die geringsten Chancen auf den Top-Job gebe ich Annalena Baerbock und die größten – keine Überraschung hier – Armin Laschet. Die SPD und Olaf Scholz finden sich, wie so häufig, in der Mitte. Eine Position, in der man sich ausdehnen oder aber zerquetscht werden kann.

Gehen wir ins Detail: Annalena Baerbock ist im Jahr 2021 einfach noch nicht reif für den Job. Das haben wir hier schon häufiger festgehalten und hat auch nichts mit Geschlecht oder Alter zu tun, sondern mit Lebenslauf und Regierungsqualifikation. Dass die Deutschen kein Problem mit einer weiblichen Kandidatin haben, zeigen 16 Jahre Merkel überdeutlich. Sie haben ein Problem mit dieser Kandidatin. Ja, Baerbock wurde nicht nur, aber vor allem in den Sozialen Medien unter der Gürtellinie angegriffen. Davon können Frau Künast, Frau Roth, Frau Ypsilanti oder eben auch Frau Merkel und viele mehr ein lautes Lied singen. Und sehr viele Männer auch. Doch nur, weil manche Angriffe mehr als übergriffig sind, steigt ja nicht die eigene Qualifikation. Hinzu kommen schlimme Fehler der Wahlkampfleitung und ein neuer, fatal lamoyanter Ton.

Die politischen Angriffe auf Die Grünen und ihre Kandidatin wiederum waren absolut vorhersehbar und sind auch frei jeglicher Originalität. Umso beschämender, dass die Kampagne genau hierfür keine überzeugenden Abwehrmechanismen erarbeitet (und getestet) hatte. Und auch, dass man die Kandidatin offenbar nicht davor bewahren konnte, sich selbst immer neue Stolperfallen zu stellen.

Die Wucht, mit der Baerbock in den Umfragen nach unten stürzte und im Juni im ZDF sogar auf dem letzten Platz hinter Wagenknecht, Lindner, Spahn notiert, spricht Bände. Sie war zwar nie ein wirkliches Zugpferd, aber jetzt wird sie zur Belastung. Im Lager der Grünen hofft man jetzt auf den Wetterbericht. Aber diese Kandidatur ist am Ende – und kann nur noch durch ein Wunder gerettet werden.

Dieses Wunder heißt Armin Laschet. Denn auch wenn er einige wenige Jahre als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen auf dem Buckel hat, ist auch er in den Augen der meisten Wählerinnen und Wähler ein eher unbekannter Kandidat. Wir sprechen hier von einem weitgehend undefinierten Bewerber, der erst im Laufe dieses Wahlkampfes aus Sicht der meisten Menschen im Land Gestalt annehmen wird. Laschet ist ein Kandidat, den niemand gerufen hat, der keinerlei Begeisterung weckt und den bis vor ein paar Monaten auch niemand auf der Rechnung hatte. Gleichzeitig ist das im Prinzip sein Lebenslauf. Er kam immer dorthin, wo er hinwollte, weil er völlig schmerzbefreit auf die Fehler der anderen wartet und die eigenen aussitzt. Unfreiwillig räumte er in NRW das Feld für den Spitzenkandidaten Röttgen, nur um nach dessen krachender Niederlage selbst Ministerpräsident zu werden. Und selbst im Jahre vier seiner Amtszeit in NRW sucht man dort vergebens nach wirklichen Fans. Im Mai 2021 notiert seine Partei dort bei 25 % – unter dem Wahlergebnis von Röttgen 2012.

Laschet hat den Kampf gegen Söder nicht nur aus persönlicher Abneigung aufgenommen – er wusste auch, dass die Kanzlerkandidatur für die Union schon mehr als nur die halbe Miete auf dem Weg ins Kanzleramt ist. Das liegt mehr an dem Zustand der anderen als an dem Zustand der Union. Denn Hand aufs Herz: Die Union ist der eigentliche Bremsklotz Deutschlands auf dem Weg in die Zukunft. Herrschte wirklich Wechselwille im Land, dann müsste man als erstes die Union in die Opposition schicken. Die Union bremst auf allen wichtigen Politikfeldern und wirkt auf Bundesebene auch noch mit einer Ministerriege, die jede Pannenstatistik anführt. Von Scheuer zu Spahn, von Seehofer zu Kramp-Karrenbauer, von Klöckner zu Karliczek und Altmaier. Die bekommen alle durch die Bank weg nichts auf die Reihe, bremsen aber, wo sie können, alle zwingend notwendigen Transformationsprozesse in Wirtschaft, Sozialem, Umwelt, Bildung, Tierschutz … you name it, they failed it.

Aber die Union ist trotz sinkender Anteile der unbestrittene Marktführer auf dem bundesdeutschen Parteienmarkt. Sie lebt von einer alles in allem doch recht treuen und dadurch am Ende auch stabilen Wählerklientel. Die Union muss sich sehr, sehr anstrengen, um in Deutschland eine Bundestagswahl zu verlieren – und die anderen müssen sich sehr, sehr anstrengen, um sie zu gewinnen.

Das Problem von SPD und Grünen: Laschet weiß um seine Schwächen. Er hat sie mehr als einmal schmerzhaft vor Augen geführt bekommen. Er weiß, dass er sich nicht verausgaben muss auf dem Weg ins Kanzleramt – er darf nur keine groben Fehler machen. Dass er aus einer Position des Marktführers und wahrscheinlichsten Gewinners der nächsten Wahl Hilfe sucht und in der Person von Tanit Koch auch gefunden hat, unterstreicht seine Stärke. Eine Kommentierung nach dem Motto „Laschet traut es sich und seinem Generalsekretär alleine nicht zu“ war ihm zu Recht egal. Denn am Ende zählt nur der Erfolg.

Wir werden also einen Laschet erleben, der auf seiner Habenseite durchaus eine stringente und daher vertrauenswürdige Vita vorweisen kann, die ihn in sozialen, gesellschaftlichen und migrationspolitischen Fragen im Merkel-Lager verortet – während er wirtschaftspolitisch vom Grundvertrauen der Deutschen in die Union profitieren kann. Er wird sich nicht in unnötige Manöver (wie Merkel mit „dem Professor aus Heidelberg“ 2005) stürzen, sondern möglichst ruhig seiner strategischen Mehrheit entgegen segeln.

Der einzige, der Laschet noch gefährlich werden kann, ist Olaf Scholz. Ja, jener Olaf Scholz, den alle schon wieder einmal fröhlich ab- oder in Grund- und Boden geschrieben haben. Seinem Standing in der Bevölkerung hat das nicht wirklich geschadet. Er bleibt weiter im oberen Drittel der Beliebtheitsskalen und führt bei einigen Instituten auch in der Kanzlerfrage. Nicht weltbewegend weit, aber immerhin.

Scholz hat kein Kompetenzproblem, das hat dafür seine Partei. Die Werte bezüglich der Zukunftskompetenz der SPD sind durch die Bank weg niederschmetternd. Sachlich ist das nicht zwingend immer nachvollziehbar, aber wir reden hier ja auch über eine Wahl. Und da gesellt sich schon automatisch zu jedem Argument das passende Gegenargument. Wenn Scholz garantiert, dass die Rente mit 68 nicht kommen wird, dann verweisen die anderen darauf, dass mit der SPD schließlich die Rente mit 67 bereits kam. Die dringende Notwendigkeit, auf vielen Ebenen die Transformationsprozesse voranzubringen, ist richtig, aber auch hier ist es eben so, dass die SPD ja nicht nur mit einer Unterbrechung seit 1998 im Bund regiert, sondern in vielen Ländern ebenso. Und so geht das immer weiter. Dennoch: Scholz genießt durchaus weit über das eigene Lager hinaus Anerkennung und Respekt, weshalb er trotz allem vom Grünen-Fallout profitieren kann.

Das Hauptziel der Scholz-Kampagne über die letzten Wochen war es, wieder zu den Grünen aufzuschließen und im Rennen um Platz zwei überhaupt erst wieder vorzukommen. Im April hieß es bei uns: Die SPD kann aus eigener Kraft nicht mehr gewinnen, sie muss auf die Fehler der anderen zählen. Und diese Fehler wurden gemacht. Vor allem bei den Grünen – aber zum Teil eben auch bei der Union. Denn auch diese könnte natürlich in den Umfragen schon weiter sein als sie es heute ist.

Die Grünen, aber auch die Union, haben die SPD und Scholz wieder ins Spiel gebracht. Das Rennen um Platz zwei ist wieder offen. Die Grünen stehen bei der Bundestagswahl, aber auch bei den zeitgleichen Landtagswahlen unter enormem Druck und das Leben lehrt, dass sie diesen nicht aushalten.

Wird die SPD aber stärker als die Grünen, dann ist sowieso vieles drin. Denn auch Laschet hat bei allen selbst erkannten Schwächen eben immer noch seine selbst erkannten Schwächen. Er ist ein Kandidat, der zu groben Fehlern fähig ist. Merkels schlechtestes Ergebnis lag übrigens bei 32,9 % – vor vier Jahren. Die Chance, dass Laschet deutlich darunter notiert, ist da. Zwischen dem 07.07. und dem 11.08.2017 lag die Union stabil bei 40 % in den Umfragen. Am 24.09.2017 bekam sie dann 7,1 Prozentpunkte weniger.

Executive Summary:

Scholz rauf.
Baerbock runter.
Laschet vorn.
Ausgang offen.

Die Würfel fallen noch.

 

Dieser Beitrag erschien erstmals auf richelstauss.de

 

 

 

 

Die unheimlichen Wahl-Manipulationen von SPIEGEL, BILD & co.

Sie glauben, die größte Gefahr für einen fairen Ablauf unserer Wahlen droht von russischen Bots und Hackern? Dann haben Sie absolut recht. Aber einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben auch unheilige Allianzen von Medienhäusern und Umfrageinstituten – wie die Wahl in Sachsen-Anhalt eindrucksvoll belegt.

Zugegeben: Seit ich als junger Mensch bei Prof. Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen an der Universität Heidelberg ein Seminar besuchen durfte, habe ich einen sehr hohen Anspruch an Wahl- und Meinungsforschung. Sowohl die Methodik betreffend, aber auch in Bezug auf die Integrität der Institute bezüglich der Interpretation ihrer Befunde.

Denn jede veröffentlichte Meinungsumfrage hat Folgen: Auf Politiker*innen, Journalist*innen, auf die Berichterstattung und rückwirkend auch wieder auf die Wähler*innen.

Nostalgie ist immer ein schlechter Ratgeber und daher will ich erst gar nicht damit anfangen, die Lehren von 1990 auf den Frühsommer 2021 zu übertragen. Denn zu sehr hat sich die Medienlandschaft und damit auch die Intensität der Berichterstattung verändert.

Dennoch zeigt die Wahl in Sachsen-Anhalt einmal mehr deutlich, wie in der heutigen Zeit reißerisch aufbereitete und aufgemachte Umfrageergebnisse auch unmittelbare Auswirkungen auf das Wahlverhalten zeigen.

Werden wir konkret:

Die Forschungsgruppe Wahlen veröffentlichte am 3.6.2021, dem Donnerstag vor der Wahl in Sachsen-Anhalt, ihre letzte Umfrage für dieses Bundesland und sah einen sehr deutlichen Vorsprung für die CDU von satten 7 Prozentpunkten vor der AfD (30% : 23%). Im Vergleich zur Vorwoche legte die CDU leicht zu und die AfD stagnierte. Alle anderen Parteien blieben auf gleichem Niveau wie in der Vorwoche (SPD: 10; Grüne: 9, Linke :11,5%). Nur bei der FDP deuteten sich größere Verluste im Vergleich zur Vorwoche an (6,5% statt 8%). Da erfahrungsgemäß CDU und FDP sich häufig wie kommunizierende Röhren verhalten, konnte man den leichten Zuwachs bei der CDU und den Verlust bei der FDP dem Effekt zuordnen, dass einige FDP Anhänger*innen auf Nummer sicher gehen wollten, dass die CDU klar vor der AfD landet.

Ein Vorsprung von 7 Prozentpunkten gemessen von einem seriösen Institut wie der FGW ist faktisch uneinholbar und jenseits der Fehlertoleranzen.

Dann kamen ebenfalls am 3.6.21 Civey für den SPIEGEL und am 4.6. INSA für die BILD.

Der Spiegel hatte auf Basis seines Hausinstitutes Civey gleich zwei Schlagzeilen abzusetzen:

Bildschirmfoto 2021-06-07 um 10.51.43

Bildschirmfoto 2021-06-07 um 10.52.36

Und kam zu folgendem abenteuerlichen Umfrageergebnis:
CDU: 29%, AfD: 28%

Bildschirmfoto 2021-06-07 um 10.53.19

Tags darauf meldete BILD in Medienkooperation mit ihrem gern auf Schlagzeilen bedachten Institut INSA sehr ähnlichen Quatsch. Aber gut, da sind die Erwartungen an Seriosität auch anders gelagert. Bei BILD/INSA lag die CDU auch nur einen Prozentpunkt vor der AfD (27% : 26%, der Rest ähnlich: SPD 10, Grüne 8, FDP 7, Linke 11).

Was geschieht, wenn Deutschlands größtes Boulevardblatt und Deutschlands größtes Magazin innerhalb von 24 Stunden auf allen Kanälen solche reißerischen Umfragen veröffentlichen, ist klar. Niemand, der sich für Politik interessiert, kommt an diesen Headlines vorbei, die natürlich auch in allen anderen Medien zitiert werden.

Zur Erinnerung noch das vorläufige Wahlergebnis in der Reihenfolge des Zieleinlaufes:

CDU: 37,1%; AfD: 20,8%, Linke 11%, SPD 8,4%; FDP 6,4%, Grüne 5,9%

Die CDU liegt 16,3% vor der AfD.

Ja, was ist denn da passiert?

Die Antwort: Taktisches Wählen auf Basis völlig falscher Umfragen von Civey und INSA – unter das Volk gebracht von SPIEGEL und BILD.

Wer diesen Blog aufmerksam verfolgt weiß: Über die Jahre haben wir immer wieder sehr deutliche Verschiebungen in den letzten Tagen vor Landtagswahlen feststellen können. Im Jahr 2005 sogar große Verschiebungen zwischen den letzten veröffentlichten Umfragen und dem Ergebnis bei einer Bundestagswahl.

Wir wissen, dass sich viele Menschen noch in den letzten Tagen und Stunden entscheiden und die Profiteure waren immer beliebte Amtsinhaber*innen mit einer guten Regierungsbilanz. Besonders hoch war der Effekt zugunsten der Amtsinhaber*innen, wenn ein Wahlsieg der AfD oder Julia Klöckner drohte.

Aber dennoch blieben die Unterschiede im Rahmen von 2-4 % gemessen an den letzten Umfragen. Bei der Landtagswahl in Brandenburg, als auch die FGW nur einen Prozentpunkt Vorsprung für die SPD vor der AfD messen konnte, legte die SPD gute 4 Punkte am Wahltag zu – auf Kosten von Grünen, Linken und FDP.

Womit wir beim Thema „Taktisches Wahlverhalten“ wären. Dieses taktische Wahlverhalten kommt besonders bei Kopf-an-Kopf Szenarien zum Tragen und führt zu Veränderungen in sich verbundenen Wählersegmenten. Auch wenn es nicht immer so scheint, gibt es doch eine „Allianz der Demokraten“, die sich besonders im Osten dann bildet, wenn die AfD eine Chance auf Platz 1 hat. Es ist eine Anti-AfD-Allianz von zurecht besorgten Bürger*innen, die nicht wollen, dass ihr Bundesland unter dem Stigma leidet, dass hier die AfD stärkste Partei ist.

In den westlichen Bundesländern findet ein Wähleraustausch nach wie vor stark zwischen SPD und Grünen sowie FDP und CDU statt. Im Frühjahr profitierten davon die SPD in Rheinland-Pfalz und Die Grünen in Baden-Württemberg. Aber im Osten geht es eben um noch mehr, weshalb sich auch mehr Menschen in der Verantwortung fühlen, die AfD zu verhindern.

Schauen wir also mal das Ergebnis vom Sonntag, den 6.6.21 in Sachsen-Anhalt an und vergleichen es mit der letzten FGW Umfrage vom Donnerstag, den 3.6.21.

CDU: +7,1%, SPD: – 1,6%, Grüne: – 3,1, Linke: -0,5, FDP: -0,1, AfD: -2,2
FW: -, Sonstige: –

Und siehe da: Zieht man die Verluste von SPD und Grünen von der Union ab, blieb dort noch ein Plus von 2,4 % also im Rahmen der bisher bekannten Zuwächse von 2-4 Prozentpunkten, wie wir sie aus den anderen Wahlen kennen. Außerdem hat die FDP bereits in der Woche zuvor 1,5% abgegeben – mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Richtung CDU.

Natürlich finden Wählerwanderungen nie 1:1 so statt. Da passiert schon mehr im Hintergrund. Aber wir können davon ausgehen, dass die Berichterstattung von BILD/SPIEGEL in den letzten Tagen folgenden Effekt hatte:

  1. Anhänger*innen von Grünen, SPD und schon einige Tage früher der FDP haben sich entschieden, im Umfang von ca. 6% die CDU zu unterstützen, um die AfD zu verhindern.
  2. Die am Ende doch für die Verhältnisse dieses Bundeslandes hohe Wahlbeteiligung kam durch eine Schlussmobilisierung der demokratischen Kräfte im Land zustande und hat dadurch das Ergebnis der AfD gedrückt. Denn diese war offenbar ausmobilisiert und konnte aus einer höheren Wahlbeteiligung keinen Gewinn mehr ziehen.
  3. Die AfD stand zu keinem Zeitpunkt auch nur in der Nähe der CDU, sondern mindesten 5-7% dahinter. Die Wähler*innen wurden durch klassische Sensationsgier und Click-Bait von Spiegel/Civey und BILD/Insa falsch informiert und dadurch manipuliert.

Nun kann man natürlich sagen: Was soll’s – Hauptsache die AfD ist nicht stärkste Kraft.

Aber es wäre eben nur die halbe Wahrheit. Und zur Wahrheit gehört immer das ganze Bild. Dieses wirft kein gutes Licht auf SPIEGEL, BILD und die von ihnen beauftragten Institute. Am Ende schadet auch das der Demokratie.

 

Niemand will gewinnen.

Union und Grüne haben in sehr unterschiedlichen Verfahren die jeweils schwächeren Kandidat*innen gekürt, die SPD einen Parteitag unter Ausschluss packender Botschaften absolviert und die FDP überrascht mit uralten Plattitüden. So schaut es aus im Monat vier vor der Wahl. Spannung entsteht aus demokratisch gleichmäßig verteiltem Unvermögen.

Wir alle wissen, dass die Bundestagswahl 2021 schon entschieden wäre, hätte die Union Markus Söder nominiert. In Folge dessen wäre die Selbstausrufung von Frau Baerbock weitgehend untergegangen, die Union auf rund 40 % in den Umfragen geschossen und der Bayrische Ministerpräsident hätte auf dem Weg zum 26. September noch 5 bis 10 Prozentpunkte verlieren können, um dennoch ins Kanzleramt einzuziehen.

So kam es nicht. Die Gremien der CDU haben sich unter gezieltem Ausschluss der Wissenschaft für Armin Laschet entschieden, was einem sofort den alten Spruch ins Hirn schießen lässt: „A camel is a horse designed by a committee.“

Seit der Nominierung Laschets hat die CDU in NRW mit 25 % in der jüngsten Umfrage (INSA, 11.05.2021) einen neuen Tiefpunkt erklommen, was darauf schließen lässt, dass die Menschen von Nordrhein-Westfalen ihren Ministerpräsidenten so schätzen, dass sie ihn nicht durch einen Sieg bei der Bundestagswahl verlieren möchten. Oder so ähnlich.

Laschet hat jetzt die Aufgabe, Herrn Merz, Herrn Maaßen und die ganze restliche rechte Bande zu integrieren, während Herr Söder die beiden zum Frühstück mit etwas Salz und Zitronensaft verspeist hätte. Aber gut, die Fehler sind gemacht.

Währenddessen durfte sich Frau Baerbock bei den sonst gerne demokratisch organisierten Grünen selbst zur Kanzlerkandidatin ausrufen, was auf Basis ihrer beim besten Willen keineswegs vorhandenen Qualifikationen für dieses Amt auf ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein schließen lässt. Oder auf Egomanie. Ist sie doch in der Geschichte der Bundesrepublik die bisher einzige Kanzlerkandidat*in, die noch keine fünf Minuten irgendwen, irgendwo, irgendwann regiert hat und deren Qualifikation bis dato aus einem abgeschlossenen Hochschulstudium, Referentenstellen und einem Bundestagsmandat besteht. Weniger war nie. Weder bei den Männern noch bei der Amtsinhaberin, die vor Ihrer Kanzlerkandidatur immerhin zweifache Bundesministerin und Oppositionsführerin im Deutschen Bundestag gewesen war.

Währenddessen hat die SPD einen Parteitag abgehalten, der zwar peppig, pfiffig und flott aussah, jedoch entgegen der unausgesprochenen Corona-Zoom-Regel deutlich länger andauerte als zwingend notwendig. Trotz der Überlänge fiel wiederum die zwingend notwendige Antwort auf die Frage „Warum denn diesmal SPD?“ nicht wirklich zwingend aus. Ich habe etwas von Mindestlohn und sozial mitgenommen –
oder war das 2013 oder ’17?

Die FDP hat aus ihren Fehlern der letzten Jahre, in denen sie jegliche Steuererhöhungen ausgeschlossen hat, gelernt und jegliche Steuererhöhungen ausgeschlossen. Diesmal hat sie allerdings nicht ausgeschlossen, mitspielen zu wollen, wenn man sie noch möchte. Obwohl sie das letzte Mal kurz vor der letzten Runde das Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel umgeworfen und schmollend den Raum verlassen hatte.

Man hätte vermutet, dass ein einschneidendes kollektives Ereignis wie eine globale Pandemie zu etwas mehr Nachdenklichkeit und infolgedessen auch Neudenklichkeit führen würde – aber damit läge man falsch. Alle spulen den gleichen Sermon wie zuvor runter – von Grün bis Rot, von Schwarz bis Gelb – als ob nichts geschehen wäre.

Nun sind wir also mitten im aufgrund seiner äußeren Umstände aufregendsten Bundestagswahlkampf der letzten Jahrzehnte – aber niemand will gewinnen.

Wir bleiben dran.
Ich bin sicher, es kommt noch was.
Es muss ja noch was kommen.

Dieser Text erschien erstmals auf richelstauss.de