Eine Chance für eine neue Zeit.

Das Kreuz mit Wahlkämpfen ist ja, dass sie irgendwann vorbei sind und dann tatsächlich gewählt wird. Von mir aus könnten Wahlkämpfe auch ewig dauern, weil ich sie total liebe und es eigentlich nichts geileres gibt außer vielleicht eine Laugenbrezel mit Butter. Aber ich respektiere, dass ich mit dieser Haltung zu Wahlkämpfen vermutlich eine Minderheitenmeinung vertrete.

Apropos. An einem Wahltag gibt es rund um 18:00 Uhr ein Ergebnis, das einem mal mehr, mal weniger, mal sehr oder auch mal gar nicht gefällt. Und danach geht das Leben weiter. Das nennt sich Demokratie und die haben ja vermutlich alle, die das hier lesen, gewollt.

Nach handelsüblichen Wahlen gibt es danach meist zwei Optionen: Regieren oder Opposition. Wenn man in der Opposition landet hat man danach den zweifelhaften Vorteil, dass man weiterhin nach Herzenslust auf die anderen eindreschen kann. Landet man in der Regierung, muss man in einer heute üblichen Koalition meist mit Leuten zusammenarbeiten, auf die man vorher nach Herzenslust eingedroschen hat. Das ruckelt dann anfangs und nicht alle Wählerinnen und Wähler kommen damit klar, dass jetzt Leute miteinander arbeiten, die doch noch wenige Tage zuvor nur in Abneigung vereint waren. Wähler könnten das verhindern, indem sie wie in den guten alten Zeiten häufiger absolute Mehrheiten wählten, aber das tun sie nicht. Warum, ist eine müßige Frage. Tatsächlich wählen sie immer häufiger so ein krudes Zeug zusammen, dass danach eine Regierungsbildung immer schwieriger oder gar unmöglich wird. Und kommt dann etwas Krudes bei rum, waren sie natürlich an dem Schlamassel in keiner Weise beteiligt, sondern erwarten, dass „die doch irgendwie alle miteinander klarkommen“ sollen. So wie sie selbst mit der Verwandtschaft. Muss man ja auch selbst, 3- 4 Mal im Jahr.

Etwas völlig Anderes sind hingegen innerparteiliche Wahlen. Da stellen sich Menschen zur Wahl und werden von Menschen gewählt, die eine gemeinsame Grundüberzeugung eint. Sonst wären sie ja nicht in derselben Partei. Hofft man zumindest.

Annegret Kramp-Karrenbauer zum Beispiel wurde von 517 CDU-Mitgliedern zur Parteivorsitzenden gewählt. Ihr Konkurrent wurde von 482 CDU-Mitgliedern gewählt. Seither geht er allen auf den Sack. Es sei denn, er sitzt auf einem Parteitag und ist sooooo klein mit Hut. Aber im Grunde hat er das mit der innerparteilichen Wahl mit einer allgemeinen Wahl verwechselt und nimmt seither die Rolle der Opposition ein. Das kann man machen, aber bisher hat das allen Beteiligten nur geschadet. Vor allem Herrn Merz. Aber der holt sich mit einer solchen Regelmäßigkeit gerne Klatschen von dominanten Frauen ab, dass es den Rahmen einer rein politischen Analyse sprengt. Das Beispiel der CDU zeigt jedenfalls allen anschaulich, wie es nicht geht.

Saskia Esken und Norbert Walter Borjans wurden im ersten Wahlgang von 44.967 SPD Mitgliedern gewählt, im zweiten von 114.995.  Olaf Scholz und Klara Geywitz bekamen im ersten Wahlgang 48.473 Stimmen, im zweiten dann 98.246. In jedem Fall waren das mehr als die 517 Stimmen von Frau Kramp-Karrenbauer, aber das nur nebenbei. Bei der SPD kommen noch so rund 200.000 Mitglieder dazu, die sich nicht so recht entscheiden wollten oder konnten, was man nicht zwingend lobend erwähnen muss.

Die Parteimitglieder, ob bei den Gewinnern, bei den Unterlegenen oder bei den Unentschiedenen, haben nun zwei Möglichkeiten: Entweder sie machen den Merz oder sie machen Sinn.

Fakt ist, dass die SPD Mitglieder sich eine neue Führung gewählt haben – und zwar in einem sehr transparenten, sehr langen und auch sehr teuren Prozess.

Die neue Führung hat jetzt die Aufgabe, die Partei zusammenzuführen und wieder stark zu machen. Und die Partei – allen voran die Delegierten des Parteitages – haben die Aufgabe, ihr diese Chance mit einem breiten und überzeugenden Votum zu geben. Diese Wahl findet formal auf dem Parteitag statt, aber faktisch hat sie bereits stattgefunden. Und wenn alle sich daran halten, besteht die Chance auf einen neuen Anfang und einen Aufbruch in eine neue Zeit. Man will sich die Außenwirkung gar nicht vorstellen, wenn die SPD erst die Republik ein halbes Jahr mit ihrem Auswahlprozeß unterhält, um diesen dann kurz darauf wieder zu konterkarieren. Es gibt jedenfalls Menschen außerhalb der Partei – man braucht sie als Wähler, weil sonst das ganze Parteiengewese keinen Sinn macht – die das nicht so recht nachvollziehen könnten.

Der Wahlkampf ist zu Ende. Vom ersten Tage an war klar, dass es nach der Wahl zufriedenere und weniger zufriedene Mitglieder geben wird. Und von Anfang an war klar, dass die SPD in Zukunft nur bestehen kann, wenn sie ihre innerparteilichen Umgangsformen dauerhaft ändert. Eine Partei, die für Solidarität steht, muss sie zuallererst selbst pflegen.

Die SPD steht vor einem neuen Anfang. Sorgen wir alle an jeder Stelle dafür, dass es ein guter wird.

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Applaus den Mutigen.

Applaus allen, die sich um den SPD Parteivorsitz bewerben. Und Respekt vor deren Mut sollten alle an den Tag legen, die in den nächsten Monaten das Sagen haben: die Mitglieder der SPD. Und mit Respekt meine ich: Hingehen zu den Regionalkonferenzen, zuhören, fragen, niemanden reflexartig ausgrenzen oder ablehnen. Denn das wäre schon ein erster Schritt zu einer neuen SPD.

Das Feld der möglichen Kandidatinnen und Kandidaten für den SPD Parteivorsitz wird 14 Tage vor der Deadline nahezu täglich erweitert. Mit Olaf Scholz als erstem politischem Schwergewicht, aber auch mit den Tandems Christina Kampmann und Michael Roth, Nina Scheer und Karl Lauterbach, Gesine Schwan und Ralf Stegner, Boris Pistorius und Petra Köpping, mit der bereits einmal angetretenen Simone Lange und einigen mehr. Das verspricht einen spannenden Herbst! Denn die eigentliche Herausforderung liegt ja noch vor der SPD: 23 Regionalkonferenzen, auf denen sich alle präsentieren dürfen, die von einem Landesverband, einem Bezirk oder fünf Unterbezirken unterstützt werden.

Wer auch immer noch in den nächsten Tagen dazukommen mag: Ob die SPD überhaupt in der Lage sein wird, sich zu erneuern hängt jetzt maßgeblich davon ab, wie die Parteimitglieder, ihre Funktionäre und auch die Kandidatinnen und Kandidaten miteinander umgehen.

Es geht um einen Wettstreit der Ideen, was sozialdemokratische Politik auf der Höhe der Zeit bedeutet.

Jetzt ist vor allem nicht mehr die Zeit für reflexartige Ablehnungen, für hässliche Tweets nach der zweiten Flasche Rotwein, für Gegrummel hinter den Kulissen und die üblichen Kategorien „zu alt, zu jung, zu rechts, zu links, zu wasweißich“. Das hatten wir alles schon.

Wenn die SPD eine Zukunft haben will – und so drastisch muss man es sehen – dann liegt es nun an den Mitgliedern dieser Partei.

Lasst uns zunächst einmal alle Kandidatinnen und Kandidaten feiern, die ihre persönliche Lebensplanung über Bord werfen, sich der Verantwortung stellen, sich dem Risiko einer Niederlage aussetzen – und auch dem Risiko zu gewinnen. Lasst uns feiern, wer für unsere Partei in den Ring steigt. Hören wir ihnen zu, stellen wir ihnen Fragen, wählen wir am Ende die, die wir für die Besten halten – und bedanken wir uns bei denen, die es am Ende nicht werden.

Das wäre doch schon einmal eine tolle, neue SPD!

Bringt endlich Elektroautos aufs Land!

Ein Bekannter von mir vertreibt Ferienimmobilien rund um die Mecklenburgische und Feldberger Seenlandschaft und fährt täglich weite Strecken mit seinem Hyundai Vollstromer. Auch ich fahre seit gut vier Jahren einen Vollstromer. Auf dem Land wäre der Umstieg allerdings für viele noch wesentlich leichter als in der Stadt. Dafür braucht es aber nicht nur neue Autos, sondern auch ein neues Marketing.

Eigentlich bin ich ein treuer deutscher Autokäufer. Mein erstes eigenes Auto war ein VW Käfer, es folgten Passat, Audi, Chrysler (ok, aber sie gehörten damals noch zu Daimler-Chrysler) und dann Mercedes. Nach dem zweiten CLS „Blue-Whatever-Diesel“ war mir das aber fad, und nachdem ich bei einem Bekannten in einem Elektroauto mitfahren durfte, wollte ich kein anderes mehr.

Vier Jahre später will ich immer noch kein anderes. Vielleicht irgendwann mal ein Wasserstoff-Fahrzeug. Aber ein Auto, das mit fossilen Brennstoffen fährt, ist für mich raus. Weil sich ein e-Auto einfach so geil fährt. Und leise ist. Und absolut nichts braucht – außer Strom. Mein Tesla hat eine einzige Öffnung, in die man etwas einfüllen kann: Wischwasser. Inspektion gibt es nicht, weil nicht nötig – wenn was sein sollte, hängt sich der Kundendienst per W-Lan rein, und bisher hat ein Neustart wie beim i-Phone (beide Knöpfe am Lenkrad gleichzeitig drücken und halten) ggf. verbunden mit einem Software-Update alles gelöst. Der TÜV-Mann meinte: „Was soll ich hier checken – hier ist ja nichts.“

Unterwegs laden war bisher nie ein Problem, da Tesla entlang des europäischen Autobahnnetzes etwa alle 150 km eigene Schnelladestationen errichtet hat – von Oslo bis Porto. Haben der Staat und Tank & Rast jahrelang nicht hinbekommen, etwas so irre kompliziertes wie Steckdosen zu bauen. Ist die Karre recht leer, dauert das Laden gute 25 Minuten. Die App informiert mich beim Kaffeetrinken oder den theoretisch möglichen Dehnübungen, wann genug geladen wurde, um das nächste Ziel zu erreichen.

Ich lebe in Berlin und habe mir für etwa 500 EUR eine Starkstromsteckdose an meinen Tiefgaragenplatz dübeln lassen. Wenn der Wagen fast leer sein sollte, lädt er in etwa 5 Stunden komplett auf. Abends nach der Arbeit dranhängen, morgens vollgestromt wieder losfahren. Zugegeben eine sehr privilegierte Variante für einen Stadtmenschen – denn wer hat schon einen TG-Stellplatz und dann noch eine Eigentümergemeinschaft, die einer Ladestation zustimmt?

Und jetzt sind wir bei dem Punkt, weshalb ich es problematisch finde, dass Mercedes und Audi ihre ersten elektrischen Fahrversuche mit SUVs absolvieren und BMW mit dem i3 nur ein sehr kleines Stadtauto am Start hat. Denn die Ladeinfrastruktur wird gerade in den Metropolen zu Engpässen führen müssen. Mal ganz abgesehen von der immer noch extrem umständlichen Systemanmeldung bei den unterschiedlichsten Anbietern – warum funktionieren die Dinger nicht einfach mit einer stinknormalen EC- oder Kreditkarte? – gibt es einfach zu wenige davon.

Die Vorstellung, an einem kalten Wintertag im Schneeregen im Kiez erst eine verfügbare Ladestation zu suchen, dann den Wagen dranzuhängen und nach der Ladezeit wieder umparken zu müssen weil sonst ein Strafzettel droht – das ist nicht so irre verlockend. So wird es aber zumindest in den Jahren des Übergangs sein.

Als Kind vom Lande frage ich mich daher, weshalb Elektroautos wie der kommende VW id, oder bereits erhältliche wie der Hyundai IONIQ nicht konsequenter als Zweitwagen für den ländlichen Raum vermarktet werden. Und konzipiert. Auf dem Land brauche ich keinen wendigen Stadtflitzer, sondern ein „vernünftiges“ Auto in Golfgröße mit Platz für vier und ein erlegtes Reh. Selbst wenn Vati dort nicht auf seine Dieselkutsche verzichten will – spätestens als Zweit- oder Drittwagen macht ein E-Auto sehr großen Sinn. Ich weiß, das sind Rollenklischees – aber ich weiß auch, dass sie noch stimmen. Zumindest dort, wo ich herkomme.

Das spricht für e-Autos auf dem Land:

Zunächst einmal die Infrastruktur. In ländlichen Gegenden leben wesentlich mehr Menschen in Einfamilienhäusern oder in Häusern mit 3-4 Wohnungen. Jedes dieser Häuser kann problemlos eine simple, handelsübliche Starkstromsteckdose anbringen.

Die täglich gefahrenen Strecken erreichen nicht annähernd die 300 – 500 km Reichweite, die bei neuen Elektroautos üblich sind. Und die klassischen Fahrten zur Arbeit, zum Einkaufen, in die nächste größere Stadt, zum Arzt oder zum Besuch bei Freunden sind locker mit dieser Reichweite zu erledigen, ohne dass jemand Schweißperlen auf der Stirn bekommt.

Viele dieser Regionen sind übrigens keineswegs „abgehängt“. Im Gegenteil. Überall in Deutschland gibt es sehr wohlhabende Landkreise, für deren Bewohner es auch heute schon kein Problem darstellt, neben dem obligatorischen SUV auch noch einen nagelneuen Golf mit allem Schnickschnack zu ordern.

Viele Jugendliche sehnen auf dem Land ihren Führerschein herbei, damit sie sich endlich unabhängig fortbewegen können. Einfamilienhäuser mit vier Bewohnern und vier Autos sind keine Seltenheit – ob man das nun gut findet oder nicht. Und junge Menschen sind innovationsfreudig und technologiebegeistert. Warum sollten sie noch lernen, wie man Motorenöl nachfüllt oder stinkenden Diesel mit Handschuhen tankt? Das ist überflüssiges Wissen im 21. Jahrhundert.

Die Voraussetzungen dafür, der Elektromobilität gerade auf dem Land zum Massendurchbruch zu verhelfen, sind also hervorragend. Das gilt natürlich auch für Sharing-Angebote, aber wie so oft gibt es die natürlich dort, wo viele Menschen auf engem Raum leben – also nicht im ländlichen Raum.

Vier Jahre nach dem Tesla (und sieben Jahre nach dessen Markteinführung), war ich wieder bereit, auf einen deutschen Hersteller umzusteigen. Mein bescheidener Beitrag zum Umweltschutz sollte dabei aus einem Downsizing bestehen, denn der Tesla ist mir eigentlich zu groß. Aber es gibt kein überzeugendes deutsches Angebot. In keiner Größe. Das ist schlimm. Es wird jetzt wohl wieder ein Tesla, diesmal das kleinere „Model 3“. Gäbe es von Mercedes die A-Klasse oder ähnliches in elektrisch, wäre meine Kohle im Land geblieben. So geht sie nach Palo Alto. Dann vielleicht in 3-4 Jahren wieder, meine lieben Schlafmützen in Stuttgart, München, Ingolstadt, Wolfsburg… Waren schon mal weiter vorne, Autos Made in Germany.

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Der Sinn der Arbeit

Was morgen sein wird – Teil 1. Eine Serie von Richel, Stauss.

Wann haben wir eigentlich damit begonnen, uns einzureden, dass Arbeit schlechthin der Sinn des Lebens ist? Vor sehr langer Zeit und unter deutlich anderen Rahmenbedingungen. Angesichts der technologischen, klimatischen und demographischen Entwicklungen ist die Zeit gekommen, neu über sinnvolle Arbeit nachzudenken.

Gute Arbeit definieren wir in den demokratischen Wirtschaftsnationen entlang des nunmehr über ein Jahrhundert andauernden Kampfes für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dieser brachte weitreichende Errungenschaften von Tarifverträgen, geregelten Arbeitszeiten, Mitbestimmung, Sozialversicherungen, Mindestlohn, Gesundheitsschutz bis hin zu ergonomischen Stühlen und vielem mehr.

Angesichts der Herausforderungen unserer Zeit ist es geboten, diesen Rahmen um eine neue gesellschaftliche Priorität zu erweitern: Sinnvolle Arbeit.

Die Zukunft dessen, was wir heute Arbeit nennen.

Die Digitalisierung, Automatisierung, Künstliche Intelligenz und wie auch immer wir es nennen wollen, was 3D Drucker in Zukunft „drucken“ – von der Pistole bis zum Fertighaus – wird die Zukunft der Arbeit beherrschen. Was ja nicht so schlimm sein muss, denn es gibt ja auch ziemlich viele öde Jobs. Aber über welchen Zeitraum sprechen wir eigentlich? 20 Jahre? 50? Auf jeden Fall ist diese Zukunft sehr, sehr nahe. Heute Zwanzigjährige am Beginn ihres Arbeitslebens werden diesen Wandel vollständig erleben – und gestalten.

Die industrielle Revolution hat uns über rund einhundert Jahre zunächst viel Elend und dann viel Wohlstand gebracht. Grob verkürzt. Sie brachte Megafabriken mit megavielen Fabrikarbeitern, die sich über die Jahre mithilfe organisierter Gewerkschaften auch weitgehend ordentliche Löhne erstritten. Leider immer erstritten, denn geschenkt hat ihnen nie einer was. Diese Hunderttausende wurden zu stolzen Kruppianeren, schafften beim Daimler oder bei Porsche und identifizierten sich über Generationen mit ihrer Arbeit, ihren Produkten und Unternehmen.

Aber wie auch immer es kommt, es kommt anders und zwar schnell. Sehr schnell. Bei uns und aber auch in China, Bangladesch und anderswo. Es wird diese Form von Arbeit nicht mehr in heutigem Ausmaß geben. Das betrifft bei weitem nicht nur den Niedriglohnsektor, sondern auch qualifizierte Arbeit und klassische Bürojobs. Weil ein Großteil der Bürojobs in seiner Routine ebenso besser von einem Algorithmus erledigt werden kann, wie das Durchsaugen und anschließende feuchte Aufwischen von einem Roboter, der gegen 2 Uhr morgens aus seiner Ladestation fährt. Wir sprechen längst nicht mehr nur von der berühmten Kassiererin oder dem Empfangsservice an der Hotelrezeption. Wer den Film Passengers gesehen hat, weiß, dass selbst die tröstenden Phrasen des Barkeepers mindestens ebenso gut von einem Roboter kommen können, während er pausenlos irgendein Glas trockenreibt.

Alles passiert bereits. Wer für seinen Flug einchecken kann, kann das auch für sein Hotelzimmer. Und vielleicht ist der Tag nicht mehr so fern, an dem junge Menschen den Kopf darüber schütteln, dass man früher einmal ernsthaft „Human Resources“, also tatsächliche, echte Menschen dafür eingesetzt hat, um Kohle aus einem Loch in der Erde zu baggern, Versicherungsfälle zu bearbeiten, feucht aufzuwischen oder Autos an einem Band zu montieren. So wie wir den Heizer auf der Lokomotive, den Setzer in der Druckerei oder den „Bankbeamten“ nostalgisch belächeln. Ehrenwerte Arbeit, zu ihrer Zeit. Aber die Zeiten ändern sich. Jetzt.

Weltweit machen sich viele Menschen Gedanken darüber, was dann wird. Was der Mensch dann tut, wenn er nichts oder wesentlich weniger zu tun hat. Und vor allem, was das für demokratische und soziale Gesellschaften bedeutet. Diktaturen kommen ja immer irgendwie klar. Im Zweifel mit Gewalt. Aber wie machen wir das?

Zunächst einmal muss man in diesen Zeiten den Wert von Arbeit hinterfragen. Denn damit steht und fällt ja das ganze Wertesystem des Kapitalismus und des real existierenden Sozialismus übrigens auch.

Wer von einem „Recht auf Arbeit“ spricht, wertschätzt Arbeit als etwas, das man zur Erfüllung eines Lebens braucht. Das „Recht auf Arbeit“ bedeutet im Kern jedoch eher die „Pflicht zur Arbeit.“ Und viele Studien belegen, dass Menschen, die arbeiten wollen, es aber nicht können, sich als minderwertig empfinden, als Bittsteller, als Almosenempfänger, als unnützes Glied in der Gesellschaft, als Ballast.

Der Kapitalismus hat die Arbeit zum Sinn des Lebens erklärt, die Arbeiterbewegung den „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ erkämpft. Und jetzt?

Wann haben wir begonnen, uns das einzureden? Vermutlich schon vor der Industrialisierung. Der Landarbeiter hat auf den Landstreicher ebenso geblickt wie der Handwerker auf den Tagelöhner und Lebemann. Aber erst der Kapitalismus hat die Arbeit zum Sinn des Lebens erklärt. Die reguläre Arbeit. Erst sieben Tage die Woche, 14 Stunden am Tag, dann immer etwas weniger. Aber noch heute bedeutet die harmlos gestellte Frage „Was machst Du so beruflich?“ für den Befragten, dass es jetzt soweit ist: Jetzt wird Maß genommen und eingeordnet.

Und die Arbeiterbewegung? Sie hat aus dem Siegeszug der Industrialisierung und des Kapitalismus versucht, einen „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen. Das ist ihr in weiten Teilen jedenfalls besser gelungen als dem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, der die gleiche Ausbeutung betrieb oder betreibt, nur ohne Rendite, Menschenrechte, Umweltschutz und Demokratie.

So weit, so gut. In Deutschland kam man damit ja die letzten Jahrzehnte gut klar und zählt zu den wohlhabendsten Ländern der Welt.

Aber was kommt jetzt? Auch wenn sehr vieles im Fluss ist, kann man eines mit Sicherheit sagen: Es wird sehr viel weniger klassische Arbeit geben als heute – vom Büro bis zur Werkbank. Das wird nicht automatisch weniger Wohlstand bedeuten müssen, denn produziert wird ja weiterhin etwas, das auch nur von Menschen gekauft werden kann, die Einkommen haben.

Und damit sind wir bei der großen Frage der Distribution des Wohlstandes und einer Verteilungspolitik auf der Höhe der Zeit. Anders wird es nicht gehen, sollen nicht viele in Armut fallen und damit auch absolut nicht in der Lage sein, bei Amazon zu shoppen, mit Uber zu fahren oder ein Volkswagen e-mobil zu erwerben. Nein, bei einer neuen Erbschaftsregelung geht es nicht um Omas kleines Häuschen. Es geht um Omas und Opas 300 Wohnblocks, 78 Holdingbeteiligungen etc.

Wir müssen auch zügig weg von der stundenbasierten Entlohnung von Arbeit. Und von der Vorstellung, dass nur wer 20-40 Stunden die Woche arbeitet, ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sein kann. Bald werden es nur noch vierzig Stunden im Monat sein, also zehn in der Woche. Wir müssen Gewinne besser verteilen und unverdiente Gewinne aus altem, angehäuftem, totem Erbschaftsgeld wieder in die soziale Gesellschaft investieren.

Wir müssen uns angesichts der technologischen, klimatischen und demographischen Entwicklung auch neu Gedanken über den Sinn unserer Arbeit machen. Eine Debatte, die seit der Wachstumskritik der 90er Jahre, ausgehend vom Bericht des Club of Rome, über Jahrzehnte hinweg ins Stocken geraten ist.

Welche Produkte machen denn Sinn? Und welche zerstören am Ende unsere Lebensgrundlagen?

Schon heute müssen sich viele Arbeitnehmer von ihren Kindern fragen lassen, warum sie denn so ein sinnloses Zeug produzieren, warum sie mit ihrer Arbeit schädliche Entwicklungen unterstützen oder mit ihrer Geldanlage das Wachstum der Konzerne finanzieren, die sie auf der anderen Seite für Lohndumping, Umweltverschmutzung und Datenmonopolisierung verantwortlich machen. Die Antwort der Eltern lautet so oder so ähnlich: „Damit ich deinen Lebensunterhalt, Dein Smartphone und Deine 35 Primark-Ausbeutungsklamotten im Monat finanzieren kann.“ Diese Gespräche finden so oder so ähnlich hunderttausendfach statt und zeigen vor allem eines: Eine neue Nachdenklichkeit und ein permanentes Dilemma.

Das sind die Widersprüche unserer Zeit.

Eltern wollen nicht Produkte herstellen, die am Ende ihren Kindern schaden. Sie tun es, weil sie dafür bezahlt werden, aber sie haben keine Freude und keinen Stolz daran.

Wer diesen Konflikt um die Zukunft der Arbeit auflöst, dem gehört die Zukunft. Die Zeit drängt. Aber die Aufgabe ist dafür hoch spannend.

Schon längst findet in unserer Gesellschaft ein Paradigmenwechsel statt, den die Politik bisher nicht ausreichend honoriert. Denn der Paradigmenwechsel heißt: Raus aus dem Hamsterrad, dafür mehr Zeit für ein Leben mit Familie, Freizeit, Hobby, Kultur, Selbstverwirklichung und ehrenamtlichem Engagement. Das ist nicht Faulheit, das ist das Gegenteil davon. Das ist ein Leben, wie ein Leben sein sollte. Eine Utopie so nah, wie die Utopie der ersten Arbeiterbewegung auf ein Leben in Würde. Diese Utopie nennt sich Freiheit. Und zwar Freiheit nicht auf Kosten anderer, sondern gemeinsam mit anderen für eine soziale Gesellschaft, die ihrer Verantwortung auch für die Umwelt gerecht wird.

Wenn man diese Herausforderung richtig anpackt – die Politik, die Industrie, die Gewerkschaften – wenn man nicht versucht, das Heil in vermeintlicher Verteidigung und Erhalt des Status Quo zu suchen (ist ja auch schon immer schief gegangen), dann kann man diesem Wandel sehr viel Gutes abgewinnen. Man muss es sogar. Er kommt ja sowieso.

Es bleibt so viel, worüber wir nachdenken müssen, was zu gestalten wäre. Eben genau das, was am Anfang dieses Textes steht. Wie lebt eine moderne, soziale, freie und demokratische Gesellschaft ohne diese stundenbasierten, kolonnenhaften Arbeitsmodelle? Wie schaffen wir Angebote, die neue Freiheit zu nutzen? Und vor allem – wie distribuieren wir den Wohlstand, für den man immer weniger körperliche Arbeit und Anwesenheit benötigt, von den Konzernen und den obszön Reichen in die Gesellschaft?

Viel zu tun. Die zwanzigjährigen sind unter uns und warten zu Beginn ihres Arbeitslebens auf Antworten. Sie wurden übrigens geboren, als der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler seine Amtszeit begann. Heute braucht es ganz neue Antworten auf der Höhe der Zeit. Man müsste nochmal zwanzig sein.