Deutschland selig Spritzenland

Es ist fast ein Wunder: Weniger als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie stehen Impfstoffe zur Verfügung und Deutschland gehört zu den glücklichen Ländern der Erde, in denen die ersten Menschen bereits geimpft wurden. Ein Grund zu Freude, sollte man meinen.

Aus Krisen kann man lernen – oder es sein lassen. Lernen ist besser.

In der aufgewühlten und auch oft unüberschaubaren Zeit der großen Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 blickten viele Menschen auf die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin. Und die Bundeskanzlerin machte deutlich: „Wir schaffen das!“ Sie machte damit auch den vielen Bürgerinnen und Bürgern Mut, die sich spontan in der Flüchtlingshilfe engagierten, die Kleidung, Spielzeug und Geldspenden sammelten oder Sprachunterricht anboten. Es war ein gewaltiger Kraftakt, aber durch Jammern und Zetern hat noch niemand etwas bewegt.

Und dann kam Horst Seehofer, damals noch Ministerpräsident Bayerns und Vorsitzender der CSU, immerhin einer Regierungspartei in Bund und Land. Er bot ein Bild des Jammerns. Er sprach von „Kapitulation des Rechtsstaates“, einer „Herrschaft des Unrechts“, von „Maßnahmen zur Notwehr“ und mahnte: „Das Regierungsbündnis ist in einer ernsten Lage“. Alles Worte der Hilflosigkeit, der Destruktion, der Überforderung und schlichtweg Panik.

Erst als mit Seehofer ein politisches Schwergewicht begann, den Eindruck von Kontrollverlust und Chaos zu verbreiten, verloren auch immer mehr Menschen ihr Vertrauen in die zerstrittene Bundesregierung – bis irgendwann die ganze Koalition in den Umfragen nach unten durchgereicht wurde.

Das Ergebnis ist bekannt. Seehofer verlor erst sämtliche Sympathien, dann den Parteivorsitz, die Spitzenkandidatur und das Amt des Ministerpräsidenten an seinen Erzfeind Markus Söder. Bis September bezieht er noch sein Gnadenbrot als weitgehend ignorierter Bundesinnenminister. Gewonnen hat nur die Konkurrenz – auch die von ganz rechts außen.

Heute kämpft die ganze Welt gegen ein Virus, das schon zu viele Opfer gekostet und zu viel Leid über die Menschheit gebracht hat.

Aber – man muss es schon fast ein Wunder nennen – weniger als ein Jahr nach Ausbruch des Virus stehen gleich mehrere Impfstoffe zur Verfügung. Der erste wird schon verimpft – obwohl er schwer herzustellen, zu transportieren und zu lagern ist. Andere Impfstoffe werden folgen.

Deutschland gehört zu den gesegneten Ländern, in denen dieser Impfstoff bereits vorhanden ist. Kurz zur Erinnerung: Auf der Welt leben 7,8 Milliarden Menschen.

In Deutschland werden in den nächsten Monaten alle Menschen ein Impfangebot bekommen. Es gibt Impfzentren, fliegende Impfteams für Pflegeheime, Telefon-Hotlines, Online-Registrierungen und es geht vor allem los!

Am vergangenen Samstag stellte ich mir etwas Essen und Trinken bereit, um über die Hotline einen Impftermin für meine 89-jährige Mutter zu organisieren. Ich erwartete etwas wie die IKEA-Hotline – also das komplette Desaster.

Anders als bei IKEA hätte ich auch Verständnis gehabt, wenn es nicht auf Anhieb geklappt hätte, denn wie gesagt: Wir sind inmitten einer weltweiten Pandemie und es ist ja nicht so, dass die Gesundheitsämter, Kommunen und Einsatzkräfte nicht bereits genug zu tun hätten.

Nach zweimal Klingeln hatte ich einen echten Menschen am Telefon und zehn Minuten später zwei Impftermine für meine Mutter.

Nun bricht eine Debatte darüber aus, ob Deutschland beziehungsweise die EU denn auf Anhieb genug von dem richtigen Impfstoff geordert hat (im Grunde war es ja eine große Wette) und ob alles nicht noch schneller gehen könnte.

Vielleicht könnte manches ein wenig schneller gehen, wenn man als Land ein egoistisches Arschloch sein will, das mit Ellbogen und überteuertem Einkauf allen anderen den Impfstoff wegschnappt. Aber das sind wir ja zum Glück nicht.

Wir haben mit der EU eine offenbar recht verhandlungsstarke Einkaufsgemeinschaft gebildet, die bei unterschiedlichen Herstellern zu im internationalen Vergleich recht günstigen Konditionen ausreichend Impfstoff für die Mitgliedstaaten geordert hat. Dazu gehört auch der Biontech/Pfizer-Impfstoff, von dem wir den Anteil erhalten, der uns als Einkaufsgemeinschaft zusteht.

Einige wenige andere Länder haben zu offenbar schlechteren Konditionen mehr von diesem spezifischen Impfstoff bestellt, dafür von anderen weniger. Auf der Strecke gleicht sich das aus. Und die Strecke war von Anfang an klar: mindestens 2021 wird das ganze Jahr durchgeimpft werden müssen. Die einen kommen früher dran und die anderen später.

Nur zur Erinnerung: Der Impfstoff, den wir in der EU gerade nicht sofort bekommen, den bekommen andere Menschen, die auch darauf warten. Er verfällt nicht. Er wird woanders geimpft. Es kann so kurz nach der Entwicklung einfach nicht mehr produziert werden.

Und bei einer weltweiten Pandemie macht es auch Sinn, dass möglichst überall geimpft wird. Und wenn in einzelnen Ländern gerade kurzfristig mehr geimpft werden kann, dann ist das eben so. Häufig haben diese Länder auch noch mehr Druck, weil sie schon viel schlimmere Monate hinter sich haben als wir. Der Impfstoff ist nicht weg – er ist nur woanders.

Ich bin jeden Tag dankbar dafür, dass es überhaupt einen Impfstoff gibt, dass auch in Deutschland geimpft wird, dass meine Mutter bald geimpft werden kann und bald auch neuer Impfstoff von anderen Herstellern auf den Markt kommt, der auch noch einfacher zu handhaben sein wird.

Und ich danke ausdrücklich allen, die sich rund um die Uhr den Hintern aufreißen, damit so schnell als möglich so viele Menschen wie möglich geimpft werden können. In Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt.

Allen, die jetzt am Dauernörgeln sind, weil nicht am ersten Tag alles tipptopp läuft rate ich: Vielleicht nutzt ihr die Zeit lieber, um mal in der Nachbarschaft oder der weiteren Familie zu schauen, ob ihr vielleicht einem alten Menschen den Termin und die Fahrt zum Impfzentrum organisieren könnt. Dann seid ihr beschäftigt und könnt noch etwas Gutes tun.

Ansonsten heißt es für uns alle, die wir noch warten müssen: Abstand halten, Maske auf, Hände waschen und sich drüber freuen, dass es einen Impfstoff gibt der an uns alle verteilt wird.

Und was die Politker*innen angeht, die denken, dass man daraus jetzt irgendwie Kapital schlagen muss, dass es hier und da in Bund oder Land klemmt oder Mecklenburg-Vorpommern 12 Impfdosen mehr bekommen hat als Hessen (Beispiel erfunden! Nicht anrufen!), sei gesagt: Wollt ihr enden wie Seehofer? Ich denke nicht.

 

Dieser Text erschien erstmals auf richelstauss.de

 

 

Schützt die Liebenden.

Was für eine absurde Debatte gerade entspringt. Sollen Corona- geimpfte mehr Freiheiten genießen als andere? Aber selbstverständlich! Legt los! Lebt wieder und genießt es. Ich gönne es euch!

Eines vorweg. Ich bin blutjung (55 – wird auch mit Zahlendreher nicht besser) und liebe mein volles, lockiges Haar im Sommerwind. Vor allem ersteres bedeutet, dass ich irgendwann hoffentlich vielleicht gegen Ende des Jahres 2021 gegen Corona geimpft werde.

Und daher fühle ich mich berechtigt zu sagen:

Ihr, die Ihr vor mir geimpft werdet: Ich gönne euch alles! Wirklich alles!

Geht und freut euch am Leben!

Geht und zeigt stolz euren Impfpass!

Geht in die Restaurants, die so lange auf euch gewartet haben!

Reist sorglos in alle Welt und erfreut die Menschen dort, die sich auf euch freuen!

Besucht Verwandte und Freunde, trinkt einen guten Wein auf das Wiedersehen!

Setzt euch in Züge, Flugzeuge, Schiffe, Busse, Raketen, Hyperloops, Taxen, Riesenräder, Autoscooter und Ubers. Sie haben auf euch gewartet.

Lasst euch die Haare schneiden, Tattoos stechen, manükieren… tindert, grindrt, datet, parshipped, whatever.

Aber vor allem: geht in Konzerte, Theater, Open-Airs, Kinos, Konzerte, Musicals, Clubs, Museen… auch wenn ihr zuvor schon lange nicht mehr aus wart. Macht es! Ihr werdet geliebt werden von allen auf und hinter der Bühne.

Lebt! Ich liebe euch dafür! Ihr habt es verdient! Denn ihr habt auch am meisten gelitten unter Besuchsverboten oder weil ihr euch rund um die Uhr krumm gemacht habt in Hospitälern, Seniorenheimen, häuslicher Pflege oder bei unseren Rettungskräften.

Ich empfinde keinen Neid – nur Freude.

Und ich möchte auch allen PolitikerInnen Mut machen.

Stärkt nicht die Rücksichtslosen.

Stärkt die Rücksichtsvollen.

Stärkt die Liebenden, nicht die Gleichgültigen oder gar die Hassenden.

Macht Politik für die überwältigende Mehrheit der Menschen in diesem Land!

Stärkt die, die sich impfen lassen!

Macht nicht Politik für die Rücksichtslosen, die sich nicht impfen lassen wollen und schon heute die Drogerie betreten, am Eingang mit einem „Attest“ wedeln und ohne Maske der Verkäuferin ins Gesicht grinsen. Der Verkäuferin, die sich das gefallen lassen muss, weil sie zu Hause zwei Kinder sitzen hat und die die Sorge plagt, dass der Mensch vor ihr sie ansteckt und sie dann ihre Kinder und diese dann andere Kinder oder gar sie selbst ihr Mutter ins Grab bringt wegen des Maskenlosen vor ihr, der mit seinem Attest wedelt und dem man ansieht, dass er die fünf Minuten Einkauf in der Drogerie mit Sicherheit auch mit Maske überleben würde – nur sie vielleicht nicht – oder ihre Mutter – oder die Oma der Kinder die ihre Kinder anstecken würden, sollte sie selbst heute Abend mit dem Virus in sich nach Hause kommen, die ihr der Mensch ohne Maske aber mit Fake-Attest übertragen hat noch dazu mit einem feisten, überlegenen Grinsen im Gesicht und der sich mit absolut 100%-iger Sicherheit nicht impfen lassen wird.

Für die Maskenlosen macht Ihr Politik und extra-schnelle Gesetze?

Nein, das macht ihr nicht.

Ich bin mir sicher – Ihr wollt das eigentlich auch nicht.

Dieses Land hat Jahrzehnte (und zuvor Jahrhunderte) gebraucht, um Frauen, Behinderte, Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Religion und sexueller Orientierung vor Diskriminierung zu schützen. Und jetzt liegt ein Express-Fall vor, um Impfgegner zu schützen? Menschen, die andere bewusst in Lebensgefahr bringen?

Ihr wollt extra Gesetze erlassen, um Leute zu schützen, die im Jahre EINS nach Ausbruch der Pandemie keine Regeln einhalten und fröhlich die Maske unter der Nase und das Hirn unter der Hose tragen und sich auch weigern werden, sich aus Solidarität mit anderen impfen zu lassen?

Diese Menschen kennen keine Solidarität, keine Empathie und auch keine Rücksicht. Man muss sie nicht bestrafen, man darf sie aber auch nicht fördern. Es wird aber ernsthaft diskutiert, diejenigen zu bestrafen, die sich impfen lassen – und diejenigen zu fördern, die es ablehnen, sich impfen zu lassen?

Niemand soll zu Impfung gezwungen werden. Aber diese Menschen müssen mit den Konsequenzen leben. Mit der Konsequenz, dass Airlines Geimpfte ohne Test befördern und sie eben nur mit frischem PCR-Test einsteigen dürfen. Mit der Konsequenz, dass Drogerien, Restaurants, Einkaufscenter, Kreuzfahrtschiffe, Konzertveranstalter und viele mehr von ihnen einen aktuellen Test verlangen und von den geimpften Gästen oder Kunden nicht. Und ja – das ist gerecht.

Damit die Welt wieder ein Leben in Freiheit führen kann.

Damit Menschen wieder unbesorgt Konzerte, Opern, Open-Airs, Fußballspiele und von mir aus auch Monster-Truck-Rennen besuchen können.

Damit man im Zug nicht immer Sorge vor demjenigen haben muss, der stundenlang trinkt und isst, damit er nur die Maske nicht aufsetzen muss.

Damit man im Flugzeug nicht immer die Quasselstrippe im Nacken fürchten muss, der auch in Corona-Zeiten nicht mal für eine Stunde seine Klappe halten kann aus der sowieso nur Belanglosigkeiten und Aerosole herausströmen.

Damit Hunderttausende wieder ihrer Arbeit nachgehen können, ihren Laden eröffnen, ihr Restaurant mit Gästen füllen und ihr Hotel wieder Leben, Freude, Fremde und Gastfreundschaft beherbergt.

Und damit Kinder sorgenfrei (außer vor der Matheklausur) in die Schule, in die Kita oder in den Ausbildungsbetrieb oder die Uni gehen können.

Was um Himmels Willen ist daran falsch?

Warum führen wir eine Debatte zum Schutze der letzten Rücksichtslosen, während die überwältigend große Mehrheit der Menschen (und Wählerinnen und Wähler) sich nichts sehnlicher herbeiwünscht als den Pieks in den Arm, der den Albtraum beendet.

Schafft den Impfstoff bei und unterstützt die, die sich impfen lassen.

Macht Politik für unser Land – nicht für seine Gegner.

Liebt das Leben und schützt die, die auch andere Menschen lieben und nicht nur sich selbst. Schützt die Liebenden.