Das Mega-Giga-Supersexy-Superwahljahr kommt!

Nur ein paarmal werden wir noch wach – heißa, dann ist Wahlzeit! Zugegeben, es war etwas ruhig auf diesem Blog – aber seit der Wahl in Hamburg vom 23. Februar ist ja auch nichts Nennenswertes passiert. Dafür kommt’s 2021 knüppeldick. Baden-Württemberg (März), Rheinland-Pfalz (März), Berlin (Herbst), Mecklenburg-Vorpommern (Herbst), Thüringen (hmm … wann eigentlich?), Sachsen-Anhalt (Juni), eine Pandemie und eine Bundestagswahl obendrauf – welch ein Fest für Spekulationen! Lasst uns beginnen!

Wenn das überstrapazierte Wort jemals Sinn ergab, dann kann man es jetzt anwenden: Die Corona-Pandemie verdient auf jeden Fall die Bezeichnung Disruption. Mehr Disruption war nie. Es ist müßig aufzuzählen, was sich bereits verändert hat, denn wir erfahren es alle gleichzeitig. Ob arm, reich, männlich, weiblich, alt, jung, doof oder gescheit: Die Gleichzeitigkeit der Veränderung ist klassenlos. Die Folgen werden es nicht sein. Aber dazu später.

Dafür, dass sehr viele – und vor allem männliche Journalisten in der Spätblüte ihres Testosteronhaushaltes – die Bundeskanzlerin noch ungefähr bis Mitte Februar lautstark des Platzes verweisen wollten und ihre eigene Partei nicht nur sie als Parteivorsitzende, sondern auch gleich ihre Nachfolgerin mit abgesägt hat, steht Frau Merkel zur Zeit ja doch recht gut da. Man könnte sogar sagen: besser denn je, beliebter denn je und klarer in ihren Ansagen denn je.

Und das hat natürlich Folgen: Die Union notiert in den Umfragen mit 38 % gute 10 Prozentpunkte über ihrer Vor-Corona-Marke, die Grünen sind stark, aber nicht mehr so stark, die SPD dümpelt, und die anderen bemühen sich.

Der volatile Stand der Umfrageentwicklung macht vor allem eines deutlich: Der Austausch fand hauptsächlich zwischen den Grünen und der Union statt. Zu Lasten der Grünen. 2020 war bisher noch kein sehr gnädiges Jahr für die einstige Ökopartei, die heute so viel mehr auf einmal sein will. In Hamburg wurde man im Februar nicht, wie angestrebt, die Nummer 1, sondern verwandelte innerhalb von sechs Wochen einen Gleichstand in den Umfragen in einen 15-Prozentpunkte-Rückstand am Wahltag. Und auch in der Pandemie hörte man selten den Ausruf: „Wenn jetzt nur der Habeck Kanzler wäre – dann liefe das alles besser!“

Der „Rally around the Flag“-Effekt, den viele Landesregierungen, aber vor allem die Bundesregierung, derzeit erfährt – also hohe Zustimmung in Zeiten der Krise – ist dabei keineswegs selbstverständlich – wie der Blick über den Tellerrand in viele andere Länder der Welt zeigt. Und an der Spitze dieser Bundesregierung steht seit 2005 Angela Merkel in ihrer dritten großen Krise nach dem Finanzmarkt-Crash um 2009 und der Flüchtlingsfrage ab 2015. Und die Leute lieben sie genau für diese konzentrierte Arbeit, die man weltweit von ihr gewohnt ist.

Ebenfalls zum Wohle der ganzen Union, aber natürlich vor allem der CSU, macht Markus Söder das, was er am besten kann: Gutes für Markus Söder. Das Ehrliche an ihm ist, dass man sich bei Söder nie fragen muss: Macht er das für das Land oder für sich? Da gibt es nie einen Zweifel. Das schafft Berechenbarkeit und Klarheit. Und der Erfolg gibt ihm in diesem Falle recht, da zufällig beides zusammenfällt. Es ist gut für das Land und es ist gut für Söder. Den Unterschied zur Kanzlerin erkennt man daran, dass er die Öffentlichkeit ungefähr im Faktor 378 im Vergleich zu Merkel sucht – und vor allem immer zwischen drei Stunden und fünfzehn Minuten vor den anderen Ministerpräsident*innen.

Nun stellen sich drei große Fragen in Bezug auf das Superwahljahr 2021:

1. Geht das alles einigermaßen glimpflich aus für das wirtschaftliche und soziale Gefüge in diesem Land?

2. Wie reagieren die Menschen ab dem CDU-Parteitag im Januar, wenn ihnen aufgeht, dass sie 2021 nicht ihre geliebte Kanzlerin wählen können, sondern entweder Merz, Laschet oder Röttgen? Vorausgesetzt natürlich, die CDU schafft es im dritten Anlauf, ihren Bundesparteitag tatsächlich stattfinden zu lassen.

3. Was machen die anderen aus der Lage?

Stand heute ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Menschen im Herbst 2021, wenn sie die Wahl zwischen Friedrich Merz oder Armin Laschet und Robert Habeck haben, Olaf Scholz wählen.

Und da wären wir bei dem zweiten großen Gewinner des Jahres. Ein ebenso bereits vielfach abgeschriebener Vizekanzler, der aber im Gegensatz zu seiner Chefin nie seinen Rückzug angekündigt und auch nie eine Kandidatur ausgeschlossen hat. Wofür er heftig kritisiert wurde und was wieder einmal beweist, dass er einfach sehr viel schlauer ist als andere. Gut, dass er das so gut verbergen kann.

Nun wird Olaf Scholz auch 2021 Olaf Scholz sein und die Frage ist, ob das für die Strecke bis Herbst 2021 reicht. Was für Scholz spricht ist, dass Armin Laschet auch Armin Laschet, Friedrich Merz Friedrich Merz und Robert Habeck Robert Habeck bleiben werden. Das scheint eine lösbare Aufgabe zu sein. Vieles hängt sowieso vom weiteren Verlauf der Krise nach der Krise ab.

Habeck hat sich in der Krise bisher als völlig überfordert erwiesen, da man in diesem Fall nicht mit der halbtheoretischen Durchdringung einer vollkomplexen Materie punkten konnte, sondern nur durch Handeln. Das ist nicht seins. Das Comeback wird verhalten ausfallen, sollte nicht noch der Bodensee vor dem Herbst 2021 trockenfallen.

Armin Laschet hat seine Portion Glück mit der überraschenden Wahl zum Ministerpräsidenten von NRW 2017 eigentlich für die nächsten 300 Jahre aufgebraucht. Er gewann damals mit dem zweitschlechtesten Ergebnis der CDU in der Geschichte Nordrhein-Westfalens (33 %). Das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte hatte vier Jahre zuvor Norbert Röttgen eingefahren (26,3 %). Bis zum aktuellen Pandemie-Plus der CDU verharrte Laschet mit der CDU nach seiner knappen Wahl auch in den Umfragen zwischen 28 und 32 %. Danach segelte auch er auf dem Merkel-Bonus mit bis zu 40% in den NRW-Umfragen – nur um jetzt wieder bei den 33% Ausgangslage angekommen zu sein.

Seine derzeitige Positionierung als rheinisches Pandemie-Rumpelstilzchen scheint wenig zu beeindrucken. Röttgen überwassert derweil auf dem Rettungsring, den ihm Laschet durch ein paar ungeschickte Handgriffe unfreiwillig zugeworfen hat, und kann noch einmal nach Luft schnappen. Friedrich Merz hat als Spitzenkandidat wiederum noch nie eine Wahl gewonnen oder verloren, weil er sich noch nie einem Wahlkampf gestellt hat. Oder korrekter: weil ihn noch nie jemand aufstellen wollte. Seine bisherigen Äußerungen nach dem vorläufigen Ende des vorzeitigen Ruhestandes lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass er seine Auszeit für Fortbildungsmaßnahmen genutzt hat. Eher plump als elegant versucht ausgerechnet er, sich jetzt den Grünen anzubiedern.

Im Kandidatenfeld der CDU gilt Merz zu Recht als rechts und auch ein bisschen unmodern. Röttgen und Laschet trennt inhaltlich eigentlich nur, dass sie sich nicht ausstehen können. Auf dem Papier würde also Laschet als amtierender MP des größten Bundeslandes mit einem eher liberalen Profil am ehesten als der Kandidat gelten, der von dem aktuellen Merkel-Plus am meisten für die CDU herüberretten könnte.

Wenn da nicht noch Olaf Scholz wäre. Zweifelsohne wäre niemand besser auf das Kanzleramt vorbereitet als er. Ehemaliger Arbeits- und Sozialminister, zweimal höchst erfolgreich gewählter Länderchef (einmal mit absoluter Mehrheit, einmal knapp darunter), amtierender Finanzminister und Vizekanzler mit Spitzenwerten in allen aktuellen Umfragen. Und übrigens auch schon mit beständig guten Werten vor der Pandemie.

Sollte es Deutschland im internationalen Vergleich einigermaßen gut aus der Krise schaffen, bliebe dennoch genug zu tun, um deren Folgen zu managen. Man muss kein Prophet sein, um dann zu erwarten, dass eine Mehrheit der Deutschen gerne einen erfahrenen, sozialen und liberalen Mann an der Spitze der Republik sehen würde. Einen männlichen Merkel, sozusagen. Das wäre zwar vielen professionellen Beobachtern zu langweilig, aber das hat ja zum Glück noch nie jemanden jenseits der Blase interessiert.

Da die SPD zwar heute keine besonderen Umfragewerte verzeichnet, müsste der OH-MEIN-GOTT-ICH-KANN-DIE-MERKEL-JA-GAR-NICHT-MEHR-WÄHLEN-Effekt mit gut 6 bis 7 Prozentpunkten auf Scholz und die SPD einzahlen, um bei 23 bis 24 % zu landen. Das wären mehr als Schulz 2017, aber auch weniger als Steinbrück 2013 und erscheint damit machbar. In Hamburg lag der Scholz-Bonus im Vergleich zu seiner Partei bei rund 10 Prozentpunkten. Kommt die Post-Merkel-Union auf rund 28 % (-4,5), die Grünen auf 20+X, kann es mit Schmackes sogar für RotGrün reichen, da die FDP in dieser Gemengelage durchaus aus dem Bundestag fliegen kann. Aber auch die Ampel könnte im Frühjahr in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eine Renaissance erfahren. Die FDP ist ja die institutionalisierte Jo-Jo-Diät in der deutschen Parteienlandschaft. Sollte sie bis zu den Wahlen auch noch eine politische Linie finden, wäre die Ampel durchaus ein Szenario. Es setzt, wie gesagt, einen eher milden Verlauf der wirtschaftlichen Krise voraus. Fällt diese aber heftiger aus, kann es auch einen Ruf geben, dass jetzt die Karten ganz neu gemischt werden wollten. Das wäre aber sicher auch kein Plus für die Grünen, für die, außer bei Umweltkrisen, keine Kompetenzvermutung vorhanden ist.

Und dann gibt es ja auch noch Markus Söder. Er hat nach seiner Klatsche bei der Bayrischen Landtagswahl (-10 Prozentpunkte auf knapp 37 %) zwar dazugelernt – aber vermutlich spielt er gerade sowieso nur. Als Political Animal macht es ihm einfach großen Spaß, als Kanzlerkandidat gehandelt zu werden. Man munkelt, er wäre nicht gänzlich uneitel.

Die SPD ist natürlich auch immer gut für Überraschungen. Selten für positive. Ihr großer Vorteil dieses Mal ist, dass sie schon komplett aufgestellt ist: Neue Parteiführung, moderner Generalsekretär und eine ausreichende Vorlaufzeit, um die Wahlen mit einem eingespielten Team professionell vorzubereiten. Bei der CDU gibt es dagegen bis Januar und danach nur Unruhe, Unsicherheit und möglicherweise auch noch weitere Verwerfungen, die bereits Merkel in den Verzicht und Kramp-Karrenbauer ins Aus getrieben haben. Sachsen-Anhalt aber auch Thüringen haben großes Sprengstoffpotential für die Wählbarkeit der CDU im Westen. Ohne Merkel und den falschen Kandidaten muss da bei 27 % nach unten noch nicht die Grenze liegen.

Zum Auftakt des Superwahljahrs stehen gleich zwei Kracher auf dem Spielplan. In Baden-Württemberg verteidigt ein konservativer Ministerpräsident gegen seine erzkonservative Koalitionspartnerin und in Rheinland-Pfalz eine Sozialdemokratin gegen jemand anderes. Zwei weit über ihre Parteien strahlende Amtsinhaber*innen, die bei ihrer Wiederwahl vor allem einer Partei den Auftakt zum Superwahljahr ordentlich verhageln würden: der CDU. Darauf folgen dann Thüringen und Sachsen-Anhalt – die beiden CDU-Landesverbände mit der höchsten AfD-Nähe. Auch das wird interessant.

Soweit für heute. Der CDU steht ein heißes Frühjahr bevor, auch wenn sie natürlich als große Favoritin für die Bundestagswahl ins Superwahljahr startet. Die SPD und Scholz haben sich eine Underdog-Position erarbeitet, was mehr ist als keine, die Grünen werden den Stresstest bestehen müssen, den sie noch nie bestanden haben und die anderen sind auch noch da.

Ich habe den Eindruck, es werden jetzt in kürzeren Abständen Blogbeiträge folgen.
Es wurde ja auch Zeit, dass endlich wieder was passiert …

Dieser Beitrag erschien erstmals auf richelstauss.de

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Rechtsruck ohne Volk.

CDU und FDP zerlegen sich gerade entlang einer Frage, die schon längst beantwortet wurde. Von den Wählerinnen und Wählern. Ein Rechtsruck würde die FDP wieder aus den Parlamenten fegen und die CDU weiter in Richtung 20% drücken. Auch in anderen Parteien gibt es immer wieder VertrerInnen, die AfD-Wähler „zurückgewinnen“ wollen. Aber aus einer falschen Analyse der Ausgangslage kann keine erfolgreiche Strategie entstehen. Wer rechts blinkt, verliert nach rechts. Hier ein paar Fakten statt Fake.

Man muss nicht nur die aktuellen Umfragen (Infratest 10.2.20, Forsa 7.2.20) aus Thüringen betrachten, die die CDU dort nach ihrer Kumpanei mit der AfD um 9-10 Prozentpunkte auf insgesamt nur noch 12-13 % fallen lassen, um zu erkennen, dass Anbiederei der ganz falsche Weg ist, um Rechtspopulisten zu bekämpfen. Auch 75 % der Befragten in ganz Deutschland lehnen die Wahl des FDP Kandidaten durch AfD, CDU und FDP ab (Forsa).

Es ist schon seit Jahren kein Geheimnis mehr, auch wenn es einige JournalistInnen und PolitikerInnen immer noch nicht glauben wollen: Deutschland ist wesentlich moderner, liberaler und unerschrockener als sie es wahrnehmen wollen – oder es vielleicht selbst sind. Ja, Deutschland ist gespalten. Aber nicht 50:50, sondern etwa 80 %:20 %. In 80 % im weitesten Sinne liberale Demokraten und maximal 20 % national-autoritär orientierte Antidemokraten. Das hat sich bei der Bundestagswahl gezeigt und zeigt sich auch in den aktuellen Umfragen. Diese Formel gilt auch für den Osten, wenn auch in einem leicht veränderten Verhältnis von 70:30 (zugunsten der liberalen Demokraten, nur zur Sicherheit nochmal betont). In Thüringen stimmten 71,1 % für CDU, FDP, SPD, Linke und Grüne, in Sachsen 67 % und in Brandenburg 67,8 %. Den höchsten Wert erreichte die AfD mit 27,5 % in Sachsen, auf Bundesebene bei der Wahl 2017 ging sie mit 12,6 % ins Ziel. Die Linke entwickelt sich bereits seit Jahren – wie die Grünen vor ihr – so sehr in der politischen Mitte, dass es keinen Sinn machte, sie herauszurechnen. Schon gar nicht in Thüringen mit Bodo Ramelow an der Spitze, den dort 71 % der Bevölkerung für einen guten Ministerpräsidenten halten und nur 18 %  nicht – also weniger, als die AfD Wähler hat (Infratest für den MdR, 10.2.20).

Man ging übrigens auch schon früher davon aus, dass rund 15-20 % der Deutschen empfänglich für Rechtsnationalismus waren, es aber keine Partei für sie gab (also nach ’45). Die Zahl ist ja auch nicht weiter verwunderlich für ein Land, das der Welt den radikalsten Faschismus der Geschichte beschert hatte. Von nichts kommt ja nichts.

Wir können uns aber auch einmal ein paar Themen ansehen. Ich nutze hierzu die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen, weil es einfach eines der seriösesten Institute ist und sich außerdem reißerischer Interpretationen enthält. Diese Zahlen werden aber im Grunde von allen anderen Erhebungen die ich kenne gedeckt (und ich kenne eigentlich alle von allen Instituten, weil das mein Beruf ist.)

International (man muss ja nicht immer nur nach Deutschland schauen), gehört zum rechtspopulistischen Weltbild:

• Ausländerfeindlichkeit, Einwandererfeindlichkeit,

• Frauenfeindlichkeit, Ablehnung von Gleichberechtigung, Wunsch nach „traditioneller Rolle der Frau“ (Heim, Herd, Hof)

• Minderheitenfeindlichkeit (es sei denn, man gehört ihr an), damit verbunden natürlich Homophobie, Antisemitismus,

• Nationalismus (inkl. EU-Ablehnung),

• Leugnen des Klimawandels ink. Ablehnung von alternativen Energien/Antrieben (Elektroautos, Windräder etc), die Verteidigung fossiler Brennstoffe und deren Erzeugnisse (Braunkohle, Öl, Diesel, Plastik), Relativierung des Artensterbens

…. und generell die Ablehnung jeglichen gesellschaftlichen Fortschritts.

Ergänzt wird dies durch die permanente Opferrolle (selbst wenn man regiert) und damit verbunden natürlich die Ablehnung kritischer Presse, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (es sei denn, man kontrolliert ihn) und der Demokratie.

Das ist alles nicht neu. Denn im Grunde geht es immer darum, dagegen zu sein und alles soll so bleiben, wie es war. Daher erklärt sich zum Beispiel auch der rechte Widerstand zum Ausstieg aus der Braunkohle bei gleichzeitiger Ablehnung von Windenergie und dem Tesla-Werk in Brandenburg. Das passt alles in den rechten Kanon und zwar weltweit.

Was sollten CDU, FDP oder sonstwer aus dem demokratischen Spektrum einem Wähler mit geschlossenem rechtsnationalen Weltbild anbieten?

Die FDP versucht es bereits seit einiger Zeit mit einem Schulterschluss mit den Pestizid-Fans unter den Bauern (es sind weiß Gott nicht alle), ein bisschen Klimawandelskepsis hier und immer mal wieder einem halbherzigen ausländerkritischen Poops da. Aber das führt natürlich zu nichts.

Einige in der CDU würden gerne die Merkel-Ära – noch während sie andauert – vergessen machen, aber 15 Jahre löscht man auch nicht einfach so aus dem Gedächtnis der Leute, selbst wenn es Sinn machte. Es macht aber noch nicht einmal Sinn. Und auch in 16 Jahren Kohl war die CDU keine rechtskonservative Kraft, sondern absoluter demokratischer Mainstream, indem auch eine Rita Süssmuth Platz hatte (daher auch die 16 Jahre!). Man vergleiche den harmlosen Kohl nur mit der energischen Thatcher, um zu wissen, wie klug er beraten war, harmlos zu sein. Mit Thatcher-Politik hätte er in Deutschland keine Wahl gewonnen.

Was die Merkel-Kritiker vergessen ist, dass die Modernisierung des Gesellschaftsbildes der CDU an die Realitäten unserer Zeit gerade erst den Erfolg über so viele Jahre möglich gemacht hat.

Werfen wir einen Blick auf die Verfasstheit des Volkes in unserer Zeit und schauen uns einmal die Themen an, an denen sich die Geister zur Zeit scheiden.

Im Januar 2019 fragte die Forschungsgruppe Wahlen folgendes:
Das möglichst schnelle Abschalten von Braunkohlekraftwerken ist mir: Besonders wichtig/sehr wichtig: 73% Gesamtbevölkerung.
Davon CDU/CSU: 71%. Die größte Nähe zu den AfD-Wählern, denen das Thema nur zu 46% wichtig ist, haben (wie in fast allen anderen Umfragen auch), die FDP Wähler. Allerdings wollen auch diese mehrheitlich schnell raus (65%).

PB_2:19_Kohleausstieg KopieEine Tempolimit von 130 km/h oder darunter auf Autobahnen befürworten im Februar 2020 65% der Befragten. 33% wollen keines.

PB_2:20_TempolimitKlar: Man kann für Kohle und gegen Tempolimit sein und ist deshalb noch kein Nazi. Die hohen Werte für eine progressive Politik zeigen allerdings, dass der lautstarke rechte Kanon bei den übrigen Wählern absolut null verfängt. Im Gegenteil. Die Werte für eine progressive Politik nehmen sogar zu.

Im Januar 2020 wollen 75% der Befragten eine weiterhin enge Zusammenarbeit in der Europäischen Union oder mehrheitlich sogar eine engere Zusammenarbeit (63% enger + 12% gleichbleibend). Nur 22% wollen mehr nationale Eigenständigkeit.

PB_1:20_Europa76% der Befragten im August 2018 halten Rechtsextremismus in Deutschland für eine große Gefahr für unsere Demokratie. Dazu zählen die Anhänger aller Parteien (FDP: 75%, SPD 91%, Grüne 90%, CDU/CSU 78%, Linke 87%) bis auf (natürlich) die Anhänger der AfD. Die AfD Anhänger halten Rechtsextremismus mehrheitlich für keine Gefahr – nur 34% sehen eine Gefahr. Keine Überraschung hier…

PB_8:18_RechtsextremIm August 2018 wurde in Deutschland das Projekt „Spurwechsel“ diskutiert. Es ging darum, ob Asylbewerber trotz Ablehnung in Deutschland bleiben sollten, wenn sie einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben. Eine gute Frage, um einzuordnen, wie negativ die Befragten einer Einwanderung grundsätzlich gegenüberstehen. Denn wer grundsätzlich ausländerfeindlich ist, dem ist auch egal, wie weit der Integrationsprozess fortgeschritten ist. Das Ergebnis: 77% der repräsentativ Befragten waren für die Möglichkeit eines Spurwechsels. Davon 83% der Anhänger von CDU/CSU (SPD 83%, Grüne 89%, FDP 88%, Linke 79%. Die einzigen Anhänger die den Spurwechsel mehrheitlich ablehnten? Richtig: Die der AfD.

PB_8:18_Asyl-SpurwechselIm Januar 2020 meinten 69% der Gesamtbevölkerung, dass Bundeskanzlerin Merkel ihre Arbeit alles in allem „eher gut“ mache. Ich nehme an, da waren auch ein paar Anhänger der CDU/CSU dabei….

PB_1:20_Reg:Merklel

Was will ich sagen. Es gibt neben diesen für viele scheinbar immer noch abstrakten Zahlen ein paar ganz reale Feldversuche von CDU/CSU. So versemmelte Julia Klöckner mit ihrem Rechtsruck in letzter Minute ihre bis dato herausragende Führung in Rheinland-Pfalz 2016. Innerhalb von 8 Wochen verwandelte sie einen 10-Prozentpunkte Vorsprung in eine krachende Niederlage mit dem schlechtesten CDU-Ergebnis in der Geschichte von Rheinland-Pfalz. Und so ging es seither allen Rechtsblinkern der CDU – oder auch Seehofer und Söder in Bayern, die die CSU mit ihrem damaligen Rechtskurs auf 37,2% drückten. Sie machten damit nicht die AfD stark (die blieb vergleichsweise schwach), sondern die Grünen. Wie zuvor schon in Baden-Württemberg war für diese Wähler der Weg zu den bürgerlichen Grünen einfacher als zur traditionell schwachen SPD. Seither rückt Söder wieder in die Mitte und verfolgt das Projekt „Brandmauer“.

Die FDP eiert so schlimm herum, dass aus einem Modernitätsversprechen 2017 ein Reaktionärsverdacht 2020 wurde.

Mit Kurs ins Nirvana. Ja, es gibt Wähler (und auch einige Wählerinnen, aber deutlich weniger), die über die letzten Jahre von CDU/CSU, SPD, FDP und Linken zur AfD abgewandert sind. Weil heute andere Entscheidungskriterien gelten als noch vor 5 Jahren.

Diese Wählerinnen und Wähler hängen mittlerweile allerdings einem weitestgehend geschlossenen Weltbild an, das CDU/CSU oder FDP nur mit einem existenzbedrohenden Verlust auf der anderen Seite bedienen könnten. Die Grünen aber auch die SPD stehen bereit, den Fallout aufzusammeln, den eine Rechtsdrift der Union nach Merkel mit sich bringen würde.

Man kann jetzt beklagen, dass diese grundsätzliche Orientierung an demokratischen Werten zu einer geringeren Unterscheidbarkeit der demokratischen Parteien sorgt. Oder man kann sich darüber freuen, dass 80% der Wählerinnen und Wähler genau diese Parteien deshalb wählen. Weil sie sich wie zuvor schon in einzelnen politischen Fragen unterscheiden – aber nicht in den Grundwerten. Wer mehr Krawall will – und das sind leider auch viele Journalisten – trifft in keinster Weise den Willen der Bevölkerung.

Die wenigen Grenzgänger der AfD, die für die Demokratie und die Werte einer aufgeklärten Gesellschaft überhaupt noch zu gewinnen sind, gewinnt man durch Konsistenz, Überzeugung und einen klaren Kurs. Hier kann nach so langer Zeit auch ein Personalwechsel helfen. Aber kein Kurswechsel. In vielen ostdeutschen Landtagen sind die Fraktionen der CDU aber auch der FDP längst von Abgeordneten unterwandert, die nach ihrem Weltbild eigentlich zur AfD gehören. Sollten sich die Parteien weiter nach ihnen ausrichten, machen sie sich nur noch überflüssiger. Die CDU muss berücksichtigen, dass von den Anhängern – und vor allem Anhängerinnen – die sie noch hat, vermutlich die Hälfte überhaupt nur noch wegen Angela Merkel bei ihr sind. Aber was soll man sagen. Jeder ist seines Glückes Schmied.

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