Rechtsruck ohne Volk.

CDU und FDP zerlegen sich gerade entlang einer Frage, die schon längst beantwortet wurde. Von den Wählerinnen und Wählern. Ein Rechtsruck würde die FDP wieder aus den Parlamenten fegen und die CDU weiter in Richtung 20% drücken. Auch in anderen Parteien gibt es immer wieder VertrerInnen, die AfD-Wähler „zurückgewinnen“ wollen. Aber aus einer falschen Analyse der Ausgangslage kann keine erfolgreiche Strategie entstehen. Wer rechts blinkt, verliert nach rechts. Hier ein paar Fakten statt Fake.

Man muss nicht nur die aktuellen Umfragen (Infratest 10.2.20, Forsa 7.2.20) aus Thüringen betrachten, die die CDU dort nach ihrer Kumpanei mit der AfD um 9-10 Prozentpunkte auf insgesamt nur noch 12-13 % fallen lassen, um zu erkennen, dass Anbiederei der ganz falsche Weg ist, um Rechtspopulisten zu bekämpfen. Auch 75 % der Befragten in ganz Deutschland lehnen die Wahl des FDP Kandidaten durch AfD, CDU und FDP ab (Forsa).

Es ist schon seit Jahren kein Geheimnis mehr, auch wenn es einige JournalistInnen und PolitikerInnen immer noch nicht glauben wollen: Deutschland ist wesentlich moderner, liberaler und unerschrockener als sie es wahrnehmen wollen – oder es vielleicht selbst sind. Ja, Deutschland ist gespalten. Aber nicht 50:50, sondern etwa 80 %:20 %. In 80 % im weitesten Sinne liberale Demokraten und maximal 20 % national-autoritär orientierte Antidemokraten. Das hat sich bei der Bundestagswahl gezeigt und zeigt sich auch in den aktuellen Umfragen. Diese Formel gilt auch für den Osten, wenn auch in einem leicht veränderten Verhältnis von 70:30 (zugunsten der liberalen Demokraten, nur zur Sicherheit nochmal betont). In Thüringen stimmten 71,1 % für CDU, FDP, SPD, Linke und Grüne, in Sachsen 67 % und in Brandenburg 67,8 %. Den höchsten Wert erreichte die AfD mit 27,5 % in Sachsen, auf Bundesebene bei der Wahl 2017 ging sie mit 12,6 % ins Ziel. Die Linke entwickelt sich bereits seit Jahren – wie die Grünen vor ihr – so sehr in der politischen Mitte, dass es keinen Sinn machte, sie herauszurechnen. Schon gar nicht in Thüringen mit Bodo Ramelow an der Spitze, den dort 71 % der Bevölkerung für einen guten Ministerpräsidenten halten und nur 18 %  nicht – also weniger, als die AfD Wähler hat (Infratest für den MdR, 10.2.20).

Man ging übrigens auch schon früher davon aus, dass rund 15-20 % der Deutschen empfänglich für Rechtsnationalismus waren, es aber keine Partei für sie gab (also nach ’45). Die Zahl ist ja auch nicht weiter verwunderlich für ein Land, das der Welt den radikalsten Faschismus der Geschichte beschert hatte. Von nichts kommt ja nichts.

Wir können uns aber auch einmal ein paar Themen ansehen. Ich nutze hierzu die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen, weil es einfach eines der seriösesten Institute ist und sich außerdem reißerischer Interpretationen enthält. Diese Zahlen werden aber im Grunde von allen anderen Erhebungen die ich kenne gedeckt (und ich kenne eigentlich alle von allen Instituten, weil das mein Beruf ist.)

International (man muss ja nicht immer nur nach Deutschland schauen), gehört zum rechtspopulistischen Weltbild:

• Ausländerfeindlichkeit, Einwandererfeindlichkeit,

• Frauenfeindlichkeit, Ablehnung von Gleichberechtigung, Wunsch nach „traditioneller Rolle der Frau“ (Heim, Herd, Hof)

• Minderheitenfeindlichkeit (es sei denn, man gehört ihr an), damit verbunden natürlich Homophobie, Antisemitismus,

• Nationalismus (inkl. EU-Ablehnung),

• Leugnen des Klimawandels ink. Ablehnung von alternativen Energien/Antrieben (Elektroautos, Windräder etc), die Verteidigung fossiler Brennstoffe und deren Erzeugnisse (Braunkohle, Öl, Diesel, Plastik), Relativierung des Artensterbens

…. und generell die Ablehnung jeglichen gesellschaftlichen Fortschritts.

Ergänzt wird dies durch die permanente Opferrolle (selbst wenn man regiert) und damit verbunden natürlich die Ablehnung kritischer Presse, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (es sei denn, man kontrolliert ihn) und der Demokratie.

Das ist alles nicht neu. Denn im Grunde geht es immer darum, dagegen zu sein und alles soll so bleiben, wie es war. Daher erklärt sich zum Beispiel auch der rechte Widerstand zum Ausstieg aus der Braunkohle bei gleichzeitiger Ablehnung von Windenergie und dem Tesla-Werk in Brandenburg. Das passt alles in den rechten Kanon und zwar weltweit.

Was sollten CDU, FDP oder sonstwer aus dem demokratischen Spektrum einem Wähler mit geschlossenem rechtsnationalen Weltbild anbieten?

Die FDP versucht es bereits seit einiger Zeit mit einem Schulterschluss mit den Pestizid-Fans unter den Bauern (es sind weiß Gott nicht alle), ein bisschen Klimawandelskepsis hier und immer mal wieder einem halbherzigen ausländerkritischen Poops da. Aber das führt natürlich zu nichts.

Einige in der CDU würden gerne die Merkel-Ära – noch während sie andauert – vergessen machen, aber 15 Jahre löscht man auch nicht einfach so aus dem Gedächtnis der Leute, selbst wenn es Sinn machte. Es macht aber noch nicht einmal Sinn. Und auch in 16 Jahren Kohl war die CDU keine rechtskonservative Kraft, sondern absoluter demokratischer Mainstream, indem auch eine Rita Süssmuth Platz hatte (daher auch die 16 Jahre!). Man vergleiche den harmlosen Kohl nur mit der energischen Thatcher, um zu wissen, wie klug er beraten war, harmlos zu sein. Mit Thatcher-Politik hätte er in Deutschland keine Wahl gewonnen.

Was die Merkel-Kritiker vergessen ist, dass die Modernisierung des Gesellschaftsbildes der CDU an die Realitäten unserer Zeit gerade erst den Erfolg über so viele Jahre möglich gemacht hat.

Werfen wir einen Blick auf die Verfasstheit des Volkes in unserer Zeit und schauen uns einmal die Themen an, an denen sich die Geister zur Zeit scheiden.

Im Januar 2019 fragte die Forschungsgruppe Wahlen folgendes:
Das möglichst schnelle Abschalten von Braunkohlekraftwerken ist mir: Besonders wichtig/sehr wichtig: 73% Gesamtbevölkerung.
Davon CDU/CSU: 71%. Die größte Nähe zu den AfD-Wählern, denen das Thema nur zu 46% wichtig ist, haben (wie in fast allen anderen Umfragen auch), die FDP Wähler. Allerdings wollen auch diese mehrheitlich schnell raus (65%).

PB_2:19_Kohleausstieg KopieEine Tempolimit von 130 km/h oder darunter auf Autobahnen befürworten im Februar 2020 65% der Befragten. 33% wollen keines.

PB_2:20_TempolimitKlar: Man kann für Kohle und gegen Tempolimit sein und ist deshalb noch kein Nazi. Die hohen Werte für eine progressive Politik zeigen allerdings, dass der lautstarke rechte Kanon bei den übrigen Wählern absolut null verfängt. Im Gegenteil. Die Werte für eine progressive Politik nehmen sogar zu.

Im Januar 2020 wollen 75% der Befragten eine weiterhin enge Zusammenarbeit in der Europäischen Union oder mehrheitlich sogar eine engere Zusammenarbeit (63% enger + 12% gleichbleibend). Nur 22% wollen mehr nationale Eigenständigkeit.

PB_1:20_Europa76% der Befragten im August 2018 halten Rechtsextremismus in Deutschland für eine große Gefahr für unsere Demokratie. Dazu zählen die Anhänger aller Parteien (FDP: 75%, SPD 91%, Grüne 90%, CDU/CSU 78%, Linke 87%) bis auf (natürlich) die Anhänger der AfD. Die AfD Anhänger halten Rechtsextremismus mehrheitlich für keine Gefahr – nur 34% sehen eine Gefahr. Keine Überraschung hier…

PB_8:18_RechtsextremIm August 2018 wurde in Deutschland das Projekt „Spurwechsel“ diskutiert. Es ging darum, ob Asylbewerber trotz Ablehnung in Deutschland bleiben sollten, wenn sie einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben. Eine gute Frage, um einzuordnen, wie negativ die Befragten einer Einwanderung grundsätzlich gegenüberstehen. Denn wer grundsätzlich ausländerfeindlich ist, dem ist auch egal, wie weit der Integrationsprozess fortgeschritten ist. Das Ergebnis: 77% der repräsentativ Befragten waren für die Möglichkeit eines Spurwechsels. Davon 83% der Anhänger von CDU/CSU (SPD 83%, Grüne 89%, FDP 88%, Linke 79%. Die einzigen Anhänger die den Spurwechsel mehrheitlich ablehnten? Richtig: Die der AfD.

PB_8:18_Asyl-SpurwechselIm Januar 2020 meinten 69% der Gesamtbevölkerung, dass Bundeskanzlerin Merkel ihre Arbeit alles in allem „eher gut“ mache. Ich nehme an, da waren auch ein paar Anhänger der CDU/CSU dabei….

PB_1:20_Reg:Merklel

Was will ich sagen. Es gibt neben diesen für viele scheinbar immer noch abstrakten Zahlen ein paar ganz reale Feldversuche von CDU/CSU. So versemmelte Julia Klöckner mit ihrem Rechtsruck in letzter Minute ihre bis dato herausragende Führung in Rheinland-Pfalz 2016. Innerhalb von 8 Wochen verwandelte sie einen 10-Prozentpunkte Vorsprung in eine krachende Niederlage mit dem schlechtesten CDU-Ergebnis in der Geschichte von Rheinland-Pfalz. Und so ging es seither allen Rechtsblinkern der CDU – oder auch Seehofer und Söder in Bayern, die die CSU mit ihrem damaligen Rechtskurs auf 37,2% drückten. Sie machten damit nicht die AfD stark (die blieb vergleichsweise schwach), sondern die Grünen. Wie zuvor schon in Baden-Württemberg war für diese Wähler der Weg zu den bürgerlichen Grünen einfacher als zur traditionell schwachen SPD. Seither rückt Söder wieder in die Mitte und verfolgt das Projekt „Brandmauer“.

Die FDP eiert so schlimm herum, dass aus einem Modernitätsversprechen 2017 ein Reaktionärsverdacht 2020 wurde.

Mit Kurs ins Nirvana. Ja, es gibt Wähler (und auch einige Wählerinnen, aber deutlich weniger), die über die letzten Jahre von CDU/CSU, SPD, FDP und Linken zur AfD abgewandert sind. Weil heute andere Entscheidungskriterien gelten als noch vor 5 Jahren.

Diese Wählerinnen und Wähler hängen mittlerweile allerdings einem weitestgehend geschlossenen Weltbild an, das CDU/CSU oder FDP nur mit einem existenzbedrohenden Verlust auf der anderen Seite bedienen könnten. Die Grünen aber auch die SPD stehen bereit, den Fallout aufzusammeln, den eine Rechtsdrift der Union nach Merkel mit sich bringen würde.

Man kann jetzt beklagen, dass diese grundsätzliche Orientierung an demokratischen Werten zu einer geringeren Unterscheidbarkeit der demokratischen Parteien sorgt. Oder man kann sich darüber freuen, dass 80% der Wählerinnen und Wähler genau diese Parteien deshalb wählen. Weil sie sich wie zuvor schon in einzelnen politischen Fragen unterscheiden – aber nicht in den Grundwerten. Wer mehr Krawall will – und das sind leider auch viele Journalisten – trifft in keinster Weise den Willen der Bevölkerung.

Die wenigen Grenzgänger der AfD, die für die Demokratie und die Werte einer aufgeklärten Gesellschaft überhaupt noch zu gewinnen sind, gewinnt man durch Konsistenz, Überzeugung und einen klaren Kurs. Hier kann nach so langer Zeit auch ein Personalwechsel helfen. Aber kein Kurswechsel. In vielen ostdeutschen Landtagen sind die Fraktionen der CDU aber auch der FDP längst von Abgeordneten unterwandert, die nach ihrem Weltbild eigentlich zur AfD gehören. Sollten sich die Parteien weiter nach ihnen ausrichten, machen sie sich nur noch überflüssiger. Die CDU muss berücksichtigen, dass von den Anhängern – und vor allem Anhängerinnen – die sie noch hat, vermutlich die Hälfte überhaupt nur noch wegen Angela Merkel bei ihr sind. Aber was soll man sagen. Jeder ist seines Glückes Schmied.

Dieser Text erscheint zeitgleich auf richelstauss.de

Wir sollten wissen, dass wir Angst haben sollen.

Es gibt ein Interesse an Angst. Von Gauland über Söder zu vielen Medienhäusern, Redaktionen, Polizeigewerkschaften, Beschaffungsanstalten, einer immer weiter boomenden Sicherheitsindustrie bis hin zu Amazon, Google, Facebook und natürlich auch der Waffenlobby, die es nicht nur in den USA gibt. Die freie Presse ist dabei nicht selten Wegbereiterin des Zorns.

Angst ist ein sehr großes Geschäft. Und die Angst vorm „schwarzen Mann“ (Boris Palmer) ein traditionelles. Angst kann Phobien auslösen, das Leben nachhaltig weniger lebenswert machen und nebenbei auch Völker in Verschwörungstheorien fallen lassen, die auch mal in einem Weltkrieg enden können. Das kommt nicht so oft vor, aber hin und wieder schon. Da gab es zum Beispiel die Angst der eingeschlossenen Mittelmacht, die für sich zu wenig Lebensraum sah, sich daraufhin welchen suchte und danach weniger hatte als zuvor. Dazwischen lagen mehr als 55 Millionen Tote.

Das ist das Ergebnis der „German Angst“, wenn sie ganz außer Kontrolle gerät. Es gibt einige Historiker, die die Angstverliebtheit der Deutschen bis auf den 30-jährigen Krieg von 1618 ff zurückführen. Dieser dauerte zwar geschätzte 30 Jahre, hat aber in der Folge zu keiner grundlegenden Verhaltensänderung geführt. Stimmt die These von 1618 ff, so wäre unsere Friedenszeit von 1945 ff ja auch nur bedingt lange.

Aber ich schweife ab. Denn von einem Alexa-Smarthome-Sicherheitssystem bis zum Weltenbrand gibt es ja noch Grauzonen.

Wir sollten wissen, dass wir Angst haben sollen. Wir sollen Angst haben, weil es ein sehr großes Business ist. Für Parteien, für Konzerne, für die Klickraten in Redaktionen, für die Titelseiten von Tageszeitungen, für die Einschaltquoten von Talkshows, für den Verkauf von Sicherheits- und Selbstschutztechniken, für Werbetreibende und viele andere. Wir werden instrumentalisiert und manipuliert, um mehr Angst zu haben, nicht weniger.

In den letzten Tagen kamen neue Kriminalitätsstatistiken auf den Medienmarkt. Nie zuvor wurden sie von den üblichen Verdächtigen aber auch von ARD, ZDF, SPON und weiteren so sehr relativiert wie in diesem Jahr. Weil jede einzelne Statistik eine zum Teil deutliche Abnahme von Straftaten verzeichnete. Und man muss hinzufügen, dass sich auch die Statistiken der Vorjahre im Vergleich zu früher auf niedrigem Niveau bewegten. Als die Statistiken eine steigende Zahl an Straftaten auswiesen, habe ich eine solch deutliche Relativierung durch die Medien nicht vernommen.

Immer wieder wurde in den letzten Tagen von „gefühlter Bedrohung“ gesprochen. So wie Donald Trump „gefühlt hat“, dass mehr Menschen bei seiner Amtseinführung waren als bei Obama. Oder so wie der Wetterbericht sagt, dass es 12 Grad hat, es sich aber anfühlt wie 8. Punkt ist aber: es sind 12 Grad. In den Berichten zu der sinkenden Kriminalität wurden häufig Bilder benutzt, die erklären sollen, warum die gefühlte Kriminalität höher ist als die tatsächliche. Man machte dafür die Bilder verantwortlich, die man in eben diesem Beitrag ÜBER DIE SINKENDE KRIMINALITÄT wiederholte. Ihr treibt mich noch in den Wahnsinn. Wie kann man beim Fernsehen arbeiten und so wenig von Bildern verstehen?

Ich habe auch noch nie einen enttäuschteren Innenminister bei der Verkündung positiver Botschaften gesehen, als Horst Seehofer. Das passt so gar nicht in die CSU-Strategie zur Landtagswahl, aber da war wohl nichts zu machen. Die Zahlen waren einfach zu gut.

Vor einigen Tagen wankte ich schlaftrunken in mein Badezimmer und schaltete wie immer Inforadio auf dem rbb ein. Um 7 Uhr morgens war der Aufmacher, dass in einer Flüchtlingsunterkunft in einem Ort namens Ellwangen Polizeiwagen vorgefahren seien. Nun muss man wissen, dass Inforadio der Nachrichtensender des rbb ist, der vor allem in Berlin gehört wird. In Brandenburg auch, aber dort wohnt niemand. In Berlin ist es keine Nachricht, wenn irgendwo Polizeiwagen vorfahren. Das tun sie den ganzen Tag, weil das Vorfahren überhaupt die Existenzberechtigung von Polizeiwagen ist. Ich wunderte mich also über die Nachricht. Sie beherrschte den ganzen Tag über alle Medien und auch noch am folgenden Tag und am übernächsten die Talkshows. Unterm Strich fuhren also Polizeiwagen vor einem Flüchtlingsheim vor. Die Polizei führte vier Bewohner ab. Alles war friedlich. Im Grunde war es so: Die Polizei kam am ersten Tag und sah, dass es schwierig werden würde. Dann kam sie Tage später wieder mit mehr Leuten und hat dann erledigt, was zu erledigen war. Das versucht sie in der Rigaer Straße seit 1990 ohne Erfolg. Außer einigen wenigen Gourmets interessiert das aber auch keinen. In Berlin gibt es gut 10.000 Straßen und Plätze, da kann man sich nicht von jeder aufmerksamkeitsheischenden Ecke beeindrucken lassen.

Warum also wird ein überschaubarer Einsatz in einem Kaff im Süden zum nationalen Medienereignis? Ganz einfach, weil er Angst macht. Ganz einfach, weil alle davon profitieren. Ein Nicht-Event wird überproportional aufgebauscht. Menschen sollen sich aufregen. Sollen Angst bekommen. Sollen zum Gaffer werden über die Medien. Und so sicher wie das Amen in der Kirche werden die üblichen Tweets abgedrückt, die Bots angeworfen, die Klickraten angefeuert, die Titelseiten umgestellt, die martialischsten Bilder verbreitet und die Talkshows umbesetzt. Später werden sich alle – vom kleinen Newsdesk-Redakteur bis zum großen Chefredakteur damit rechtfertigen, dass es doch „ein berechtigtes Interesse der Bevölkerung an dem Fall gab.“

Ein Interesse, das man selbst erst erzeugt hat. Weil es für Klickraten sorgt. Weil es für Einschaltquoten sorgt. Weil es andere reich macht. Auf Kosten von uns allen. Vor allem auf Kosten unseres friedlichen Zusammenlebens.

Wir sollen Angst vor der U-Bahn haben, auch wenn wir in Tübingen wohnen, wo es keine U-Bahn gibt. Menschen die regelmäßig U-Bahn fahren, haben keine Angst vor der U-Bahn. Sonst würden sie nicht U-Bahn fahren. Denn dort, wo es U-Bahnen gibt, gibt es auch oberirdische Alternativen dazu. Die Landbevölkerung hat Angst vor der U-Bahn und der Städter hat Angst vor einer Kuh. Das ist nun mal so. Was man nicht kennt, macht zunächst mal misstrauisch. Ich halte eine Kuh jedenfalls für gefährlicher. Auch aus Gründen der Laktoseintoleranz. Die hat man auch nur in der Stadt. Aber ich schweife ab.

Wenn ich Medienvertreter über Medien reden höre, habe ich immer den Eindruck, als ob sie über die anderen redeten. Man versucht, die steigende Angst der Deutschen mit der Bilderflut über Einzelfälle zu erklären. Ja, das stimmt. Aber wer sorgt denn für die Bilderflut? Nur Social Media? Wohl kaum. Die einschlägigen Bilder und Videos werden überhaupt erst durch den Absender bekannter On- und Offline-Medienmarken glaubwürdig.

Ihr macht Angst und erklärt sie dann hochmütig zur Überreaktion eurer dummen Zuschauer und Leser. Redet nicht immer über andere. Ihr seid Teil der Zündschnur. Ihr geht jetzt schon im dritten Jahr dem rechten Framing der Angsterzeugung auf den Leim. Wider besseres Wissen. Wider die Fakten. Ihr seid nicht die Hüter der Demokratie, ihr zersetzt sie. Aus Gier. Aus Selbstverliebtheit. Aus Anerkennungssucht. Aus wirtschaftlichem Interesse. Wir kennen die warnenden Beispiele. Aus den USA, aus der Brexit-Debatte, aus Polen, Ungarn von Russland ganz zu schweigen.

Der Umgang mit der Angst ist nur ein Beispiel. Vor der Gleichschaltung steht immer die freiwillige Destruktion der Demokratie. Man versteht sich als Anwalt des kleinen Mannes gegen die demokratisch legitimierten Institutionen und verliert dabei jedes Maß. Am Ende ist der kleine Mann dann ein rechtes Arschloch und keiner hat Schuld.  Die freie Presse ist nicht selten Wegbereiterin des Zorns, der sie als erste verschlingen wird. Es wird Zeit, sich bewusster zu werden, dass nicht nur der vermeintliche kleine Mann, sondern auch die demokratische, friedliebende Gesellschaft einen Anwalt braucht.

LMAA oder Lust aufs Regieren?

Gerade komme ich von einer kurzen Auslandsreise zurück, auf der ich mehrfach gefragt wurde, weshalb denn niemand ein Land am Rande der Vollbeschäftigung mit prall gefüllten Steuersäcken und ständig nach oben korrigierten Wachstumsraten regieren will. Das empfand ich als eine nicht gänzlich unberechtigte Sicht von außen.

Deutschland will niemand regieren. Wer sich an die lustlose Erklärung von Frau Merkel erinnert, in der sie ihre Kandidatur dahinmäanderte, weiß, dass auch sie keine Lust mehr hat. Dass sie keine Ideen hat, ist nicht der Grund, die hatte sie ja noch nie. Es macht ihr einfach keinen Spaß. Martin Schulz hatte drei Monate Freude an der Sache, solange er als Kanzler gehandelt wurde. Linke und AfD wollen sowieso nicht oder es will keiner mit ihnen, die FDP kann aus Selbstbesoffenheit nicht und die Grünen feiern sich seit einer Woche dafür, dass sie nicht regieren müssen.

Jetzt habe ich auch keine Lust mehr. Ich bin politikverdrossen. Und das nach vierzig Jahren eines Lebens als Politjunkie.

Vor allem auch, weil immer alle von Problemen reden und niemand Lust auf Lösungen hat. Lust daran, unsere Infrastruktur auf Vordermann zu bringen, schnelles Internet in jeden Winkel des Landes zu legen, unsere Schulen zu modernisieren, Europa neues Leben einzuhauchen, den öffentlichen Personennahverkehr mit e-mobility und neuen Ideen voranzubringen, die Gleichberechtigung endlich zu vollenden, das Land wieder mit der Stadt zu vereinen, soziale Verwerfungen auszugleichen, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz als Voraussetzung für ein funktionierendes Einwanderungsland zu prägen, über neue Arbeitszeitmodelle und Lebensarbeitszeitmodelle offen zu sprechen, die Energiewende zu vollenden – ja, ich weiss ja gar nicht mehr, wo man anfangen und aufhören soll, so viele spannende Aufgaben liegen vor uns. Wie kann man denn da keine Lust darauf haben?

Anders gesagt: Ich bin persönlich beleidigt, dass mich niemand regieren will. Und das, obwohl ich seit meinem 18. Geburtstag zu jeder Gelegenheit von meinem Wahlrecht gebrauch gemacht habe und auch sonst ein ordentlicher Staatsbürger bin, der nur gelegentlich falsch parkt. Und zu schnell fährt. Und – ach, lassen wir das.

Nur fürchte ich, dass noch mehr Leute in diesem Land beleidigt sein dürften – allerdings mit weitreichenderen Konsequenzen, die mir nie in den Sinn kämen.

Als Staatsbürger habe ich seit der Bundestagswahl viele Begründungen gehört, weshalb welche Partei aus welchen Gründen auch immer nicht regieren kann oder will. Es handelte sich meist um rein taktische Erwägungen. Die konnte ich mal mehr, mal weniger nachvollziehen und als Sozialdemokrat hielt ich es auch für sehr gut begründbar, weshalb die anderen jetzt mal ran sollten. Sie wollten nicht.

Lindner, weil er aus der FDP die Freiheitlichen machen will –  nur weniger rassistisch, dafür mit Diesel, aber ohne Europa, Umweltschutz, Flüchtlingen, Elektroautos und allem Sozialen. Seehofer, weil er Seehofer ist und sich selbst ständig Fallen stellt, um die er dann auf Kosten der Republik herumtapsen muss. Die SPD, weil sie sich in Reha begeben wollte, aber jetzt nicht darf. Und die CDU, die zwar will, aber auch nur, weil sie mit der Merkelnachfolge noch nicht soweit ist und solange noch das Kanzleramt braucht. Eine Idee für das Land hat sie nicht und hat daher im Vorfeld der Wahl auch jede Debatte darüber verweigert.

Ihr fahrt alle zusammen gerade die Demokratie vor die Wand.

Mehr zum Thema auch in der Phoenix Runde vom 28.11.2017

Phoenix Runde 28.11.17