Regierung oder Opposition – Hauptsache Erneuerung!

Der folgende Beitrag erschien erstmals in der WirtschaftsWoche vom 8.12.2017 unter dem Titel „Bleibt alles anders“.

In bisher gut dreißig Wahlkämpfen lernt man viel über die zunehmend volatile Wählerschaft. Wenn sich vieles gesellschaftlich rasant verändert, ist nichts mehr sicher. Höre ich von fast allen politischen Akteuren, dass sie überhaupt keine Angst vor Neuwahlen zu haben bräuchten, dann erscheint mir das mutig.

Unter den von mir betreuten Wahlkämpfen waren bisher vier vorgezogene Neuwahlen. 2001 stürzte Klaus Wowereit (SPD) aus der Position des Junior-Partners mit Hilfe von Grünen und PDS den langjährigen Regierenden Eberhard Diepgen (CDU). Dieser trat nicht mehr an, die CDU verlor über 17%. Seither stellt die SPD den Regierenden Bürgermeister.

2005 führte Bundeskanzler Gerhard Schröder Neuwahlen herbei. In den zwölf Wochen des Wahlkampfes sanken CDU/CSU mit der Spitzenkandidatin Angela Merkel von 49% in den Umfragen (Forsa, 22.6.2005) auf 35,2% am Wahltag. Die SPD stieg von 26% auf 34,2%.

2010 zerbrach in Hamburg die Schwarz/Grüne Koalition unter Ole von Beust, was Anfang 2011 zu Neuwahlen führte. Die CDU verlor über 20% auf 21,9%, Olaf Scholz und die SPD gewannen die absolute Mehrheit der Sitze.

2012 zerbrach die Rot/Grüne Minderheitsregierung von Hannelore Kraft in NRW an der Ablehnung des Haushaltsentwurfes durch Linke, CDU und FDP. Die Neuwahl gewann Rot/Grün mit 50,4%. Die CDU sackte auf 26,3%, die Linke flog aus dem Landtag.

Diese Reihe zeigt: Neuwahlen entwickeln in ihrer kurzen, komprimierten Form ihre eigene Dynamik. Neu am heutigen Fall ist, dass gewählt würde, nachdem sich erst gar keine Regierung gefunden hat. Das macht alles umso unberechenbarer.

Aus den Jamaika-Koalitionsverhandlungen sind die Grünen am professionellsten herausgegangen. Sie agierten verantwortungsbewusst, kompromissbereit und angesichts der kopflosen CSU nervenstark. Das wird sich auf Dauer für sie auszahlen, so sie sich nicht selbst im Wege stehen.

Die FDP hat sich zwischen alle Stühle gesetzt. Ihr Wahlerfolg basierte auf zwei Kernzielgruppen: Den traditionellen Familienunternehmern, erfolgreichen Selbständigen und klassischen Wirtschaftsliberalen einerseits, sowie der digitalen Boheme, die sich auch durch den frischen Spitzenkandidaten repräsentiert fühlte. Beide Gruppen eint nach meinen Erkenntnissen eine klare pro-europäische Haltung, die Tendenz zu weniger Sozialstaat und mehr Eigenverantwortung, aber auch ein grundsätzlicher Gestaltungswille. Die modernen Wähler schätzen auch den Umweltschutz sehr.

Womit keine der Gruppen etwas zu tun hat, ist der Braunkohletagebau, eine weitere Beschädigung der Europäischen Union in Brexit-Zeiten und offensichtliche Gestaltungsverweigerung. Mit ihrem schwach begründeten Ausstieg hat die FDP ihre Wähler desavouiert. Sie hat 2009-2013 in der Regierung nicht geliefert und liefert jetzt wieder nicht. Wenn die Konkurrenz es klug anstellt, kann sie die FDP bei Neuwahlen erneut marginalisieren. Die FDP braucht jetzt Zeit und muss auf den Zerfallsprozess von CDU/CSU hoffen.

Die CSU war über Jahre hinweg ein desolates Ärgernis. Nach den Entscheidungen dieser Tage für eine Doppelspitze aus Markus Söder als Ministerpräsident und Horst Seehofer als Parteivorsitzender kann sich das aber in einigen Wochen gelegt haben. Die CDU schart sich noch hinter Merkel, die allerdings mit ihrem desaströsen Ergebnis wesentlich weniger Beinfreiheit besitzt, als nach ihrem fulminanten Sieg 2013. Der CDU steht mittelfristig der Kampf zwischen dem Merkel-Flügel und den Neo-Traditionalisten bevor. Aber das wird nicht passieren, solange regiert wird.

Dass die SPD einen Erneuerungsprozess durchlaufen muss, ist unstrittig. Es fragt sich nach dem Jamaika-Scheitern allerdings, wie dieser Prozess ablaufen soll und wohin er führt. Bisher haben die Sozialdemokraten sowohl in der Opposition als auch in der Regierung versäumt, dem seit 1998 dominierenden Pragmatismus eine Zukunftsvision hinzuzufügen. Programmatisch bewegt sich die Partei jetzt. Aber solange sie diesen Prozess noch nicht glaubwürdig vermitteln kann, läuft sie Gefahr, bei frühen Neuwahlen zerrieben zu werden.

Gemessen daran kann eine Regierung mit der Union für die Sozialdemokraten die bessere Option sein. Dass die SPD nach einer erneuten Regierungsbeteiligung verlieren muss, ist eine Legende. Nutzt sie die Zeit effektiv – auch mit frischen Akteuren auf den wichtigsten Ministerposten – könnte sie auch zulegen. Man kann in Deutschland auch mit einer modernen, sozialen und pro-europäischen Haltung Momentum generieren, wenn man es konsequent und klug anstellt. Geht die SPD diese Zeit jedoch so irrlichternd und fantasielos an wie 2009-2017, wird sie weiter verlieren. Auch in der Opposition.

Neuwahlen sind für alle ein Risiko. Die erwähnten Beispiele zeigen, dass eine große Sogwirkung in eine Richtung entstehen kann. Im Frühjahr 2018 könnte sich am wahrscheinlichsten eine Sogwirkung zu einer schwarz-grünen Koalition entfalten, weil diese Parteien wirklich regieren wollen. SPD und FDP laufen dann Gefahr, marginalisiert zu werden. Ob es am Ende für ein Bündnis aus Union und den Grünen reichen würde – oder ob alles wieder von vorne losginge – ist offen, darin liegt ein weiteres Risiko. Für unsere Demokratie.

Mit dem Scheitern von Jamaika wurde der größte Schaden an unserer Parteiendemokratie bereits angerichtet. Man muss keinen weiteren hinzufügen.

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LMAA oder Lust aufs Regieren?

Gerade komme ich von einer kurzen Auslandsreise zurück, auf der ich mehrfach gefragt wurde, weshalb denn niemand ein Land am Rande der Vollbeschäftigung mit prall gefüllten Steuersäcken und ständig nach oben korrigierten Wachstumsraten regieren will. Das empfand ich als eine nicht gänzlich unberechtigte Sicht von außen.

Deutschland will niemand regieren. Wer sich an die lustlose Erklärung von Frau Merkel erinnert, in der sie ihre Kandidatur dahinmäanderte, weiß, dass auch sie keine Lust mehr hat. Dass sie keine Ideen hat, ist nicht der Grund, die hatte sie ja noch nie. Es macht ihr einfach keinen Spaß. Martin Schulz hatte drei Monate Freude an der Sache, solange er als Kanzler gehandelt wurde. Linke und AfD wollen sowieso nicht oder es will keiner mit ihnen, die FDP kann aus Selbstbesoffenheit nicht und die Grünen feiern sich seit einer Woche dafür, dass sie nicht regieren müssen.

Jetzt habe ich auch keine Lust mehr. Ich bin politikverdrossen. Und das nach vierzig Jahren eines Lebens als Politjunkie.

Vor allem auch, weil immer alle von Problemen reden und niemand Lust auf Lösungen hat. Lust daran, unsere Infrastruktur auf Vordermann zu bringen, schnelles Internet in jeden Winkel des Landes zu legen, unsere Schulen zu modernisieren, Europa neues Leben einzuhauchen, den öffentlichen Personennahverkehr mit e-mobility und neuen Ideen voranzubringen, die Gleichberechtigung endlich zu vollenden, das Land wieder mit der Stadt zu vereinen, soziale Verwerfungen auszugleichen, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz als Voraussetzung für ein funktionierendes Einwanderungsland zu prägen, über neue Arbeitszeitmodelle und Lebensarbeitszeitmodelle offen zu sprechen, die Energiewende zu vollenden – ja, ich weiss ja gar nicht mehr, wo man anfangen und aufhören soll, so viele spannende Aufgaben liegen vor uns. Wie kann man denn da keine Lust darauf haben?

Anders gesagt: Ich bin persönlich beleidigt, dass mich niemand regieren will. Und das, obwohl ich seit meinem 18. Geburtstag zu jeder Gelegenheit von meinem Wahlrecht gebrauch gemacht habe und auch sonst ein ordentlicher Staatsbürger bin, der nur gelegentlich falsch parkt. Und zu schnell fährt. Und – ach, lassen wir das.

Nur fürchte ich, dass noch mehr Leute in diesem Land beleidigt sein dürften – allerdings mit weitreichenderen Konsequenzen, die mir nie in den Sinn kämen.

Als Staatsbürger habe ich seit der Bundestagswahl viele Begründungen gehört, weshalb welche Partei aus welchen Gründen auch immer nicht regieren kann oder will. Es handelte sich meist um rein taktische Erwägungen. Die konnte ich mal mehr, mal weniger nachvollziehen und als Sozialdemokrat hielt ich es auch für sehr gut begründbar, weshalb die anderen jetzt mal ran sollten. Sie wollten nicht.

Lindner, weil er aus der FDP die Freiheitlichen machen will –  nur weniger rassistisch, dafür mit Diesel, aber ohne Europa, Umweltschutz, Flüchtlingen, Elektroautos und allem Sozialen. Seehofer, weil er Seehofer ist und sich selbst ständig Fallen stellt, um die er dann auf Kosten der Republik herumtapsen muss. Die SPD, weil sie sich in Reha begeben wollte, aber jetzt nicht darf. Und die CDU, die zwar will, aber auch nur, weil sie mit der Merkelnachfolge noch nicht soweit ist und solange noch das Kanzleramt braucht. Eine Idee für das Land hat sie nicht und hat daher im Vorfeld der Wahl auch jede Debatte darüber verweigert.

Ihr fahrt alle zusammen gerade die Demokratie vor die Wand.

Mehr zum Thema auch in der Phoenix Runde vom 28.11.2017

Phoenix Runde 28.11.17

 

Nach vorne denken. Teil 1

Eine kleine, lockere Serie an Denkanstößen für sozialdemokratische Parteien im Selbstfindungsmodus. Heute: Mobilität.

In Niederbayern fährt der erste Bus ohne Fahrer. Ja gut, es fährt noch ein Begleiter mit wie früher in den Aufzügen, um den Leuten die Angst zu nehmen, aber ansonsten fährt der Zubringer von alleine. In Berlin und anderorts wird das auch gerade erprobt.

Man kann das jetzt so sehen: OH MEIN GOTT – ALLE BUSFAHRER VERLIEREN IHRE ARBEIT UND ALIENS ÜBERWINTERN AUSGERECHNET GERADE JETZT IN WEST VIRGINIA. Oder man kann es als eine große, unverhoffte Chance für die Mobilität im ländlichen Raum und in einer alternden Gesellschaft sehen. Eine Zukunft, in der wir die Menschen für Besseres gebrauchen können, als ein Fahrzeug im Kreis zu fahren. Anders ausgedrückt. Bevor es Busse gab, haben die Busfahrer auch etwas anderes gemacht – und das ist noch gar nicht so lange her. Die Welt dreht sich.

Mobilität ist ein Riesenthema der Zukunft. Der sehr nahen Zukunft. Eigentlich der Gegenwart. Aus vielerlei Gründen. Wir erleben weltweit und auch sehr deutlich in Deutschland einen Metropolentrend. Der hat bei stagnierender oder abnehmender Bevölkerungszahl automatisch eine Landflucht zur Folge. Das erleben die zurückgebliebenen Menschen in diesen ländlichen Regionen als spürbaren Niedergang. Wenn junge Leute fehlen, fehlen Kitas, Schulen, Busse, Läden, Leben. Das wird man nicht für alle Regionen ändern können, denn das ist eben der Lauf der Zeit. Es sind in der Geschichte der Welt schon blühendere Regionen untergegangen als das Erzgebirge.

Für andere Regionen gilt das aber nicht – oder nicht mehr lange. In Deutschland befinden wir uns gerade auf einem Scheideweg. Die Metropolen werden für viele junge Menschen – und hier natürlich besonders die Familien – immer unbezahlbarer. Als junger Mensch wechselt man noch häufiger den Wohnort, zieht zusammen (hin und wieder auch wieder auseinander), gründet eine Familie, bekommt Kinder, braucht mehr Raum und wechselt daher natürlich häufiger die Wohnung. Oder würde es gerne. Denn jeder Wohnungswechsel in einer Metropole wie München, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Berlin etc. ist in der heutigen Zeit eine schier unlösbare und meist auch unbezahlbare Angelegenheit.

Man kann jetzt in der zu kleinen Wohnung warten, bis Gegenmaßnahmen ziehen (so sie denn gegen den Widerstand von CDU/CSU und FDP überhaupt durchgesetzt werden können) – oder man überlegt sich, in die Umgebung zu ziehen. Die „Speckgürtel“ rund um die deutschen Metropolen boomen und dehnen sich immer weiter aus – in die ländlichen Regionen. Gerade dort hat man aber in den vergangenen Jahren die Infrastruktur zurückgebaut, sträflich vernachlässigt oder kaputtgespart. Meist alles zusammen. Nicht selten fahren Busse – wenn überhaupt – in unmöglicher Taktung (2-3-Stunden-, manchmal 4-Stunden-Takte sind keine Seltenheit), der Schienenverkehr wurde stillgelegt und Personal fehlt auch (weil die jungen Menschen weggezogen sind).

Aber nur eine funktionierende öffentliche Nahverkehrsversorgung wird die Lage in den Metropolen entspannen und die ländlichen Regionen wieder attraktiv machen. Von der digitalen Infrastruktur mal ganz abgesehen, die es selbstverständlich auch dringender denn je braucht. Selbstfahrende Busse, reaktivierter Schienenverkehr, kurze Taktungen, Ladeinfrastruktur (nicht nur für e-Autos – auch für e-Roller etc.), Fahrradschnellwege, Sharingangebote für das Land – es ist so viel zu tun. So vieles kann unternommen werden, wovon die Menschen sofort profitieren und politische Entscheidungen erlebbar werden.

Aber dafür muss man – ACHTUNG – zuerst das Angebot schaffen – dann kommen auch die Menschen. Das würde aber natürlich bedeuten, dass man vorausschauende Politik macht und nicht Reparaturpolitik. Dass man in die Zukunft investiert und es auch aushält, wenn die Zukunft erst drei Jahre später vorbeischaut. Mit etwas Verwegenheit könnte man das sogar eine kleine Vision nennen. Die kann dann ja noch wachsen.

Mobilität ist eines der drängendsten, akuten Gegenwarts- und Zukunftsthemen. Ich finde, es sollte eine absolute Priorität für eine Partei sein, die sich um die Menschen kümmert. Ich finde das Thema sogar spannender als Personalgeschacher zwischen Parteilinken, Seeheimern und Netzwerkern oder Debatten über Reformprogramme von vor 20 Jahren. Aber das kann man natürlich auch anders sehen. Viele Wege führen zum Erfolg.

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Lasst sie gehen.

Vor vier Jahren gab es sehr gute Gründe für einen Einstieg in die Große Koalition und das Mitgliedervotum der SPD unterstützte diesen Kurs. Heute gibt es sehr gute Gründe, andere regieren zu lassen und auf Macht, Einfluss und Gestaltungsspielraum zu verzichten.

Nein, es war kein Automatismus, dass die SPD zwingend so geschwächt aus einer Großen Koalition gehen würde. Dazu gehörten schon auch eine gehörige Portion Gabrielscher Zick-Zack-Kurs mit dem wiederholt verantwortungslosen Umgang bei der Vorbereitung von Kanzlerkandidatur und Wahlkampfstrategie, sowie der immer noch herumspukende Irrglaube, man könne die SPD mit den Rezepten von gestern und vorgestern neu aufstellen.

Wie schwach Merkel und die Union tatsächlich aufgestellt waren, zeigte sich nicht nur im Aufglimmen der SPD nach der Nominierung von Martin Schulz – sondern eben auch am Wahltag selbst. Merkel war schlagbar, doch ein Wahlkampf der verpassten Chancen ließ sie noch einmal davonkommen.

Noch schlimmer verlief allerdings der Wahlkampf der Union. Ende Juni noch bei 40% in den Umfragen – und erst dann begann ja die heiße Phase – verlor die Union satte 7% durch die wohl bräsigste, arroganteste und selbstgefälligste Bundestagswahlkampagne der Neuzeit. „Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ eignet sich vielleicht als Motto für das Dr. Oetker Kochstudio, aber mit Sicherheit nicht als Guideline für die Kanzlerpartei in einer massiven Zeitenwende. Die Wähler fühlten sich zu recht veräppelt und flüchteten sich – nicht vordringlich zur AfD – sondern vor allem zur FDP oder in die Nichtwählerschaft.

Das Versagen aller drei Regierungsparteien – und auch die intellektuelle Unterforderung der progressiven Wählerinnen und Wähler im Wahlkampf – machte das Ausfransen an den Rändern erst möglich. An manchen Tagen fühlte ich mich wie ein Telefonseelsorger und beantwortete Fragen wie: „Ich möchte nicht, dass die SPD untergeht, aber ich möchte auch nicht, dass sie weiter regiert – was soll ich tun?“ Antwort: Wähl sie trotzdem, es wird schon schlimm genug werden. Oder: „Ich kann das Grünen-Duo nicht leiden, bei der Linken stören mich die Putin-Lover und die SPD soll nicht mehr regieren – wen soll ich wählen?  Antwort: „Dann wähl halt die Grünen, wenn es sonst passt, es ist ja kein Sympathiewettbewerb.“ Und dann kamen natürlich auch einige, die Frau Merkel unterstützen wollten, aber nicht auf die Gefahr hin, damit Herrn Seehofer zu stärken. Tja. Eine Antwort auf die Schizophrenie der Union hatte ich nicht. Die FDP kam natürlich auch vor, weil sie im Gegensatz zu allen anderen auch einen Grafiker bezahlt hatte. Dort störte wiederum die legere Haltung zum Umweltschutz (Motto: Nur nicht einmischen, das wächst von alleine nach).

Beim Wahl-O-Mat siegten bei mir erstmals in meiner persönlichen Geschichte die Grünen. Ich nehme an, es war die Braunkohle. Aber am Ende lasse ich mir von einem schnöden Programm meine Fehlentscheidungen nicht verbieten. Die Grünen landen dann auch ohne mich – nach 13% in den Umfragen im November letzten Jahres – auf einem sehr mageren letzten Platz mit einem Ergebnis von 8,9%, für das Jürgen Trittin vor vier Jahren sofort zurücktreten musste (8,4%). Sie feiern sich dusselig.

Es war ein Trauerspiel.

Ein völlig unnötiges Trauerspiel. Spannende Themen lagen zu Hauf auf der Straße, wurden aber ignoriert. Auch von den mindestens ebenso denkfaulen Fragestellern in den meisten Talkrunden und dort vor allem in dem unsäglichen „DUELL“. Ein in den ersten 40 Minuten lupenreines AfD-Förderprogramm (Maischberger: „Man hat uns versprochen, dass nur gut ausgebildete Akademiker kommen“ Wer? Wann? Quelle?), bei dem ich zum ersten Mal im Leben ernsthaft Zweifel an meinen Gebühren für die Öffentlich-Rechtlichen bekam. Man nimmt ja vieles an Volksberieselung in Kauf in der Annahme, dafür Qualitätsjournalismus zu bekommen. In diesem Wahlkampf leider Fehlanzeige bis hin zur Elefantenrunde danach. Bei der ich erstmals Sympathie für Frau Kipping empfand, die auch dort einmal auf ein paar wirkliche Themen zu sprechen kommen wollte. Der Moderator verhinderte dies erneut mit aller Kraft.

Jetzt will die SPD nicht mehr und ich kann sie verstehen. Wenn mir jetzt wieder einer damit kommt, dass die SPD Verantwortung übernehmen müsse, dann wäre hier meine Antwort: Deutschland ist nicht im Krisenmodus und es steht auch nicht der Untergang vor der Türe. 87% der Deutschen haben nicht AfD gewählt, dafür die Union zur stärksten Kraft gemacht und zwei kleinere, demokratische Parteien ins Parlament gewählt, die in einem Bundesland bereits miteinander koalieren.

Sowohl die Grünen als auch die FDP haben die Regierung in diesem Wahlkampf hart angegriffen – was ja ihr Job ist – und haben jetzt die Gelegenheit, mit ihren Konzepten zu liefern. Diese Chance haben sie sich redlich verdient. Die Grünen wollten ja eh mit Frau Merkel regieren, die FDP auch, dann wird ja auch einem flotten Dreier nichts im Wege stehen. Frau Merkel jedenfalls nicht.

Die SPD wurde nach allgemein anerkannten politischen Erfolgen in der Regierung mit dem schlechtesten Ergebnis in der Geschichte nach Hause geschickt. Man kann beim besten Willen von ihr nicht verlangen, diesen Wählerwillen zu ignorieren und weiter zu regieren.

Sie stand nun vor der Frage, der AfD die Position der stärksten Oppositionspartei zukommen zu lassen, oder selbst diese Rolle zu übernehmen. Sie verzichtet auf entscheidende Häuser: Das Arbeits- und Sozialministerium, das Wirtschaftsministerium, Justiz-, Familien-, Umweltministerien mit all den politischen Einflussmöglichkeiten und auch den entsprechenden Posten. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang.

Die SPD leistet mit ihrem Gang in die Opposition einen wichtigen Beitrag für die Demokratie. Es ist dabei trotz allem ein mutiger Schritt. Denn Opposition alleine bedeutet noch keine Rekonvaleszenz, wie die Jahre 2009-2013 – und vor allem auch dort mal wieder die versemmelte K-Frage gezeigt haben.

Diesmal aber geht es um alles – auch um die Existenz. Die SPD befindet sich seit 2002 in einem permanenten Niedergang. Sie wird daher auch einen langen Weg gehen müssen, um wieder stark zu werden. Sie wird ihre Programmatik aktualisieren müssen – und das bei einer alternden Mitgliedschaft- und Gesellschaft. Sie wird intensiv junge Talente suchen und fördern müssen. Sie wird sich in den Ländern organisatorisch neu aufstellen – und vermutlich auch den finanziellen Kahlschlag der letzten Jahre verarbeiten müssen.

Und dann muss sie eine überzeugende Oppositionsarbeit leisten, die nicht nur die neue Regierung herausfordert, sondern auch die Feinde der Demokratie rechts von ihr.

Das wird ein hartes Stück Arbeit. Dafür braucht die SPD alle verfügbaren Kräfte. Und unsere Hochachtung für diesen Dienst an der Demokratie. Lasst sie gehen.

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