Rehazentrum Werderscher Markt 1

Man könnte den Eindruck gewinnen, das Auswärtige Amt sei ein Top-Reha-Zentrum für angeschlagene Politiker. Und man hätte damit Recht.

Um es vorweg zu sagen und obwohl mich nie jemand fragen würde: Ich möchte den Job nicht machen. Er ist arbeitsintensiv, mit sehr, sehr vielen Reisen und der Begegnung mit vielen sympathischen aber auch sehr, sehr vielen unsympathischen Menschen verbunden. Und wenn man einmal nach sehr, sehr langen Sitzungen mit sehr, sehr vielen Beteiligten etwas Klitzekleines erreicht hat, darf man es meist nicht lauthals für sich reklamieren – denn auch das gehört zum Schicksal des Diplomaten. Nein, das will man nicht zwingend machen müssen. Aber es ist der begehrteste Job, den Berlin neben dem Kanzleramt und der Bauaufsicht am Flughafen zu vergeben hat: Chef des Auswärtigen Amtes (AA) am Werderschen Markt zu Berlin. Oder vulgo: Außenminister.

Die Begehrlichkeit entstammt aber nicht dem Amt selbst, sondern dessen mirakulösen, magischen Kräften. Das Geheimnis des Jungbrunnens im AA ist eines der bestgehüteten der Republik, doch irgend wann einmal fliegt jedes Geheimnis auf. Wie ich von einem russischen Troll nach langer Folter durch Alkohol- und Twitterentzug erfahren konnte, befindet sich direkt gegenüber des AA ein unterirdisches Wellnesszentrum für lang-, aus- oder gar ungediente Politiker, das nun durch die Arbeiten am neuen Stadtschloss kurzzeitig freigelegt wurde. In den Wirren der Nachwendezeit wurde das Wellnesszentrum nach Bonner Plänen 1:1 nachgebaut, denn die Geschichte des Jungbrunnens reicht weit in die bundesrepublikanische Geschichte zurück.

Konrad Adenauer führte das Amt von 1951-55 in Personalunion mit dem Amt des Bundeskanzlers und wie wir wissen, hat das weder seinem Ansehen noch seiner Gesundheit geschadet. Er wurde 178 Jahre alt und verbrachte davon 169 in irgendeinem Amt. Viel Außenpolitik war Anfangs auch nicht, weil die eine Hälfte der Welt uns nicht so gut leiden konnte und die andere hatten wir erschossen. Erst später war wieder mehr Diplomatie gefragt und dann gab der Alte das Amt auch schon ab an Heinrich von Brentano auf den Gerhard Schröder (der andere, also der erste, der von der CDU) folgte.

Der legendäre Ruf des AA gründet sich aber vornehmlich auf Willy Brandt, der nach zwei gescheiterten Kanzlerkandidaturen und der Reha im AA wie durch ein Wunder doch noch Bundeskanzler wurde. Doch das war dem Mirakel nicht genug – als nächstes zog Walter Scheel aus dem AA direkt um in das Präsidialamt und begann dort auch noch zu singen – ein weiterer Beweis für die magischen Kräfte der Diplomatenschmiede.

Hans Dietrich Genscher kam, nachdem er Bundeskanzler Helmut Schmidt entgegen seiner Wahlversprechen gestürzt hatte, ebenfalls zur Image-Reha ins AA und konnte wie durch ein Wunder danach endlose und zumeist inhaltsvakuumierte Sätze sagen, die den Deutschen so gut gefielen, dass er zur ewigen Außenministerlegende mutierte. Helmut Schmidt wiederum musste mangels Personal in der Endphase seiner Regierung das AA 1982 noch für einen Monat nebenher führen. Das war zu kurz für das ganz große Wunder, reichte aber immer noch für einen Job bei der ZEIT. Und die magischen Kräfte besorgten dem kettenrauchenden Workaholic auch noch eine gesegnete Restlaufzeit von ca. 558450 Zigaretten (bei sehr vorsichtig geschätzten 45 Reyno Menthol/Tag)

Der bis dato schwierigste Job für den Jungbrunnen war die Wandlung von Klaus Kinkel in eine interessante Persönlichkeit und man ahnt, dass auch der Jungbrunnen offenbar gute und weniger gute Tage kennt. Doch diese Schwächephase hielt nur kurz an. Denn schon bald darauf wandelte das AA einen rotzigen Ex-Sponti namens Joschka Fischer in einen trotzigen Außenminister, der dem US-Kollegen Powell ­– als dieser seine Fake-News über Saddam präsentierte – ein hartes, laut hörbares „I am not convinced“ entgegenschleuderte. Ein Highlight, für das der magische Brunnen offenbar unter Kinkel noch Kräfte gesammelt hatte.

Es folgte der nächste, dramatische Coup. Mit Frank Walter Steinmeier gelang dem magischen Jungbrunnen ein verschachteltes, verwinkeltes und genial langfristig ausgeklügeltes Manöver. Zunächst machte das AA aus Steinmeier den beliebtesten Kanzlerkandidaten, der jemals eine Wahl verlor, parkte ihn dann kongenial in der Opposition zwischen, holte ihn zurück an den Werderschen Markt und katapultierte ihn ohne mit der Wimper zu zucken mit einem doppelten Rittberger direkt ins Schloß Bellevue. Chapeau! Das Meisterstück.

Da die Magie des AA mit diesem langfristigen Projekt völlig ausgelastet war, blieb zwischenzeitlich für den glücklosen Nachfolger/Vorgänger leider nichts mehr übrig.

Aber für Sigmar Gabriel. Wenn es noch eines Wunders bedurft hätte – hier ist es. Die Kraft des Jungbrunnens ist wieder aktiviert und macht das Unmögliche möglich. Gabriel kann geradeaus gehen. Vermutlich sogar ohne Zick-Zack direkt nach Goslar. Doch wird diese Kraft noch lange genug halten? Oder wird sie schon für einen neuen Herrn im Haus gebraucht? Niemand kann es Wissen.

Liest man diese beeindruckende Erfolgsgeschichte fragt man sich, ob es das Haus eigentlich überhaupt interessiert, wer es unter ihm führt. Und vielleicht stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt großen Sinn macht, ein Amt anzustreben, bei dem man am Ende viel weniger Gestaltungsspielraum hat als in vielen anderen Ämtern? Vielleicht kann man im Arbeitsministerium, im Gesundheitsministerium, im Familienministerium, im Umweltministerium, im Justizministerium, im Verkehrsministerium, im Bildungsministerium, im Innenministerium – also eigentlich in allen anderen Ministerien und vor allem im Finanzministerium am Ende viel mehr umsetzen, als ausgerechnet im AA? Und gerade im Finanzministerium kann man vielleicht auch für Europa, für die Entwicklungshilfe und für die Deutsch-Französische Freundschaft mehr erreichen, als auf dem roten Teppich.

Aber gut, den magischen Wellnessbrunnen, den gibt es natürlich nur am Werderschen Markt. Und wie jeder Pakt mit der Magie, fordert er seinen Preis. In diesem Fall den Verzicht auf vielleicht wichtigere Ministerien.

Doch wenn man schon nicht darauf verzichten will, dann vielleicht darauf, den Job erneut mit einem Mann zu besetzen? Sondern zum ersten Mal in der Geschichte mit einer Frau? 2018 vielleicht doch deutlich überfällig. Frauen können Diplomatie vielleicht sogar noch besser als Männer. Schon mal drüber nachgedacht? Im echten Leben stimmt es meistens.

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Regierung oder Opposition – Hauptsache Erneuerung!

Der folgende Beitrag erschien erstmals in der WirtschaftsWoche vom 8.12.2017 unter dem Titel „Bleibt alles anders“.

In bisher gut dreißig Wahlkämpfen lernt man viel über die zunehmend volatile Wählerschaft. Wenn sich vieles gesellschaftlich rasant verändert, ist nichts mehr sicher. Höre ich von fast allen politischen Akteuren, dass sie überhaupt keine Angst vor Neuwahlen zu haben bräuchten, dann erscheint mir das mutig.

Unter den von mir betreuten Wahlkämpfen waren bisher vier vorgezogene Neuwahlen. 2001 stürzte Klaus Wowereit (SPD) aus der Position des Junior-Partners mit Hilfe von Grünen und PDS den langjährigen Regierenden Eberhard Diepgen (CDU). Dieser trat nicht mehr an, die CDU verlor über 17%. Seither stellt die SPD den Regierenden Bürgermeister.

2005 führte Bundeskanzler Gerhard Schröder Neuwahlen herbei. In den zwölf Wochen des Wahlkampfes sanken CDU/CSU mit der Spitzenkandidatin Angela Merkel von 49% in den Umfragen (Forsa, 22.6.2005) auf 35,2% am Wahltag. Die SPD stieg von 26% auf 34,2%.

2010 zerbrach in Hamburg die Schwarz/Grüne Koalition unter Ole von Beust, was Anfang 2011 zu Neuwahlen führte. Die CDU verlor über 20% auf 21,9%, Olaf Scholz und die SPD gewannen die absolute Mehrheit der Sitze.

2012 zerbrach die Rot/Grüne Minderheitsregierung von Hannelore Kraft in NRW an der Ablehnung des Haushaltsentwurfes durch Linke, CDU und FDP. Die Neuwahl gewann Rot/Grün mit 50,4%. Die CDU sackte auf 26,3%, die Linke flog aus dem Landtag.

Diese Reihe zeigt: Neuwahlen entwickeln in ihrer kurzen, komprimierten Form ihre eigene Dynamik. Neu am heutigen Fall ist, dass gewählt würde, nachdem sich erst gar keine Regierung gefunden hat. Das macht alles umso unberechenbarer.

Aus den Jamaika-Koalitionsverhandlungen sind die Grünen am professionellsten herausgegangen. Sie agierten verantwortungsbewusst, kompromissbereit und angesichts der kopflosen CSU nervenstark. Das wird sich auf Dauer für sie auszahlen, so sie sich nicht selbst im Wege stehen.

Die FDP hat sich zwischen alle Stühle gesetzt. Ihr Wahlerfolg basierte auf zwei Kernzielgruppen: Den traditionellen Familienunternehmern, erfolgreichen Selbständigen und klassischen Wirtschaftsliberalen einerseits, sowie der digitalen Boheme, die sich auch durch den frischen Spitzenkandidaten repräsentiert fühlte. Beide Gruppen eint nach meinen Erkenntnissen eine klare pro-europäische Haltung, die Tendenz zu weniger Sozialstaat und mehr Eigenverantwortung, aber auch ein grundsätzlicher Gestaltungswille. Die modernen Wähler schätzen auch den Umweltschutz sehr.

Womit keine der Gruppen etwas zu tun hat, ist der Braunkohletagebau, eine weitere Beschädigung der Europäischen Union in Brexit-Zeiten und offensichtliche Gestaltungsverweigerung. Mit ihrem schwach begründeten Ausstieg hat die FDP ihre Wähler desavouiert. Sie hat 2009-2013 in der Regierung nicht geliefert und liefert jetzt wieder nicht. Wenn die Konkurrenz es klug anstellt, kann sie die FDP bei Neuwahlen erneut marginalisieren. Die FDP braucht jetzt Zeit und muss auf den Zerfallsprozess von CDU/CSU hoffen.

Die CSU war über Jahre hinweg ein desolates Ärgernis. Nach den Entscheidungen dieser Tage für eine Doppelspitze aus Markus Söder als Ministerpräsident und Horst Seehofer als Parteivorsitzender kann sich das aber in einigen Wochen gelegt haben. Die CDU schart sich noch hinter Merkel, die allerdings mit ihrem desaströsen Ergebnis wesentlich weniger Beinfreiheit besitzt, als nach ihrem fulminanten Sieg 2013. Der CDU steht mittelfristig der Kampf zwischen dem Merkel-Flügel und den Neo-Traditionalisten bevor. Aber das wird nicht passieren, solange regiert wird.

Dass die SPD einen Erneuerungsprozess durchlaufen muss, ist unstrittig. Es fragt sich nach dem Jamaika-Scheitern allerdings, wie dieser Prozess ablaufen soll und wohin er führt. Bisher haben die Sozialdemokraten sowohl in der Opposition als auch in der Regierung versäumt, dem seit 1998 dominierenden Pragmatismus eine Zukunftsvision hinzuzufügen. Programmatisch bewegt sich die Partei jetzt. Aber solange sie diesen Prozess noch nicht glaubwürdig vermitteln kann, läuft sie Gefahr, bei frühen Neuwahlen zerrieben zu werden.

Gemessen daran kann eine Regierung mit der Union für die Sozialdemokraten die bessere Option sein. Dass die SPD nach einer erneuten Regierungsbeteiligung verlieren muss, ist eine Legende. Nutzt sie die Zeit effektiv – auch mit frischen Akteuren auf den wichtigsten Ministerposten – könnte sie auch zulegen. Man kann in Deutschland auch mit einer modernen, sozialen und pro-europäischen Haltung Momentum generieren, wenn man es konsequent und klug anstellt. Geht die SPD diese Zeit jedoch so irrlichternd und fantasielos an wie 2009-2017, wird sie weiter verlieren. Auch in der Opposition.

Neuwahlen sind für alle ein Risiko. Die erwähnten Beispiele zeigen, dass eine große Sogwirkung in eine Richtung entstehen kann. Im Frühjahr 2018 könnte sich am wahrscheinlichsten eine Sogwirkung zu einer schwarz-grünen Koalition entfalten, weil diese Parteien wirklich regieren wollen. SPD und FDP laufen dann Gefahr, marginalisiert zu werden. Ob es am Ende für ein Bündnis aus Union und den Grünen reichen würde – oder ob alles wieder von vorne losginge – ist offen, darin liegt ein weiteres Risiko. Für unsere Demokratie.

Mit dem Scheitern von Jamaika wurde der größte Schaden an unserer Parteiendemokratie bereits angerichtet. Man muss keinen weiteren hinzufügen.

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LMAA oder Lust aufs Regieren?

Gerade komme ich von einer kurzen Auslandsreise zurück, auf der ich mehrfach gefragt wurde, weshalb denn niemand ein Land am Rande der Vollbeschäftigung mit prall gefüllten Steuersäcken und ständig nach oben korrigierten Wachstumsraten regieren will. Das empfand ich als eine nicht gänzlich unberechtigte Sicht von außen.

Deutschland will niemand regieren. Wer sich an die lustlose Erklärung von Frau Merkel erinnert, in der sie ihre Kandidatur dahinmäanderte, weiß, dass auch sie keine Lust mehr hat. Dass sie keine Ideen hat, ist nicht der Grund, die hatte sie ja noch nie. Es macht ihr einfach keinen Spaß. Martin Schulz hatte drei Monate Freude an der Sache, solange er als Kanzler gehandelt wurde. Linke und AfD wollen sowieso nicht oder es will keiner mit ihnen, die FDP kann aus Selbstbesoffenheit nicht und die Grünen feiern sich seit einer Woche dafür, dass sie nicht regieren müssen.

Jetzt habe ich auch keine Lust mehr. Ich bin politikverdrossen. Und das nach vierzig Jahren eines Lebens als Politjunkie.

Vor allem auch, weil immer alle von Problemen reden und niemand Lust auf Lösungen hat. Lust daran, unsere Infrastruktur auf Vordermann zu bringen, schnelles Internet in jeden Winkel des Landes zu legen, unsere Schulen zu modernisieren, Europa neues Leben einzuhauchen, den öffentlichen Personennahverkehr mit e-mobility und neuen Ideen voranzubringen, die Gleichberechtigung endlich zu vollenden, das Land wieder mit der Stadt zu vereinen, soziale Verwerfungen auszugleichen, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz als Voraussetzung für ein funktionierendes Einwanderungsland zu prägen, über neue Arbeitszeitmodelle und Lebensarbeitszeitmodelle offen zu sprechen, die Energiewende zu vollenden – ja, ich weiss ja gar nicht mehr, wo man anfangen und aufhören soll, so viele spannende Aufgaben liegen vor uns. Wie kann man denn da keine Lust darauf haben?

Anders gesagt: Ich bin persönlich beleidigt, dass mich niemand regieren will. Und das, obwohl ich seit meinem 18. Geburtstag zu jeder Gelegenheit von meinem Wahlrecht gebrauch gemacht habe und auch sonst ein ordentlicher Staatsbürger bin, der nur gelegentlich falsch parkt. Und zu schnell fährt. Und – ach, lassen wir das.

Nur fürchte ich, dass noch mehr Leute in diesem Land beleidigt sein dürften – allerdings mit weitreichenderen Konsequenzen, die mir nie in den Sinn kämen.

Als Staatsbürger habe ich seit der Bundestagswahl viele Begründungen gehört, weshalb welche Partei aus welchen Gründen auch immer nicht regieren kann oder will. Es handelte sich meist um rein taktische Erwägungen. Die konnte ich mal mehr, mal weniger nachvollziehen und als Sozialdemokrat hielt ich es auch für sehr gut begründbar, weshalb die anderen jetzt mal ran sollten. Sie wollten nicht.

Lindner, weil er aus der FDP die Freiheitlichen machen will –  nur weniger rassistisch, dafür mit Diesel, aber ohne Europa, Umweltschutz, Flüchtlingen, Elektroautos und allem Sozialen. Seehofer, weil er Seehofer ist und sich selbst ständig Fallen stellt, um die er dann auf Kosten der Republik herumtapsen muss. Die SPD, weil sie sich in Reha begeben wollte, aber jetzt nicht darf. Und die CDU, die zwar will, aber auch nur, weil sie mit der Merkelnachfolge noch nicht soweit ist und solange noch das Kanzleramt braucht. Eine Idee für das Land hat sie nicht und hat daher im Vorfeld der Wahl auch jede Debatte darüber verweigert.

Ihr fahrt alle zusammen gerade die Demokratie vor die Wand.

Mehr zum Thema auch in der Phoenix Runde vom 28.11.2017

Phoenix Runde 28.11.17