Die unheimlichen Wahl-Manipulationen von SPIEGEL, BILD & co.

Sie glauben, die größte Gefahr für einen fairen Ablauf unserer Wahlen droht von russischen Bots und Hackern? Dann haben Sie absolut recht. Aber einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben auch unheilige Allianzen von Medienhäusern und Umfrageinstituten – wie die Wahl in Sachsen-Anhalt eindrucksvoll belegt.

Zugegeben: Seit ich als junger Mensch bei Prof. Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen an der Universität Heidelberg ein Seminar besuchen durfte, habe ich einen sehr hohen Anspruch an Wahl- und Meinungsforschung. Sowohl die Methodik betreffend, aber auch in Bezug auf die Integrität der Institute bezüglich der Interpretation ihrer Befunde.

Denn jede veröffentlichte Meinungsumfrage hat Folgen: Auf Politiker*innen, Journalist*innen, auf die Berichterstattung und rückwirkend auch wieder auf die Wähler*innen.

Nostalgie ist immer ein schlechter Ratgeber und daher will ich erst gar nicht damit anfangen, die Lehren von 1990 auf den Frühsommer 2021 zu übertragen. Denn zu sehr hat sich die Medienlandschaft und damit auch die Intensität der Berichterstattung verändert.

Dennoch zeigt die Wahl in Sachsen-Anhalt einmal mehr deutlich, wie in der heutigen Zeit reißerisch aufbereitete und aufgemachte Umfrageergebnisse auch unmittelbare Auswirkungen auf das Wahlverhalten zeigen.

Werden wir konkret:

Die Forschungsgruppe Wahlen veröffentlichte am 3.6.2021, dem Donnerstag vor der Wahl in Sachsen-Anhalt, ihre letzte Umfrage für dieses Bundesland und sah einen sehr deutlichen Vorsprung für die CDU von satten 7 Prozentpunkten vor der AfD (30% : 23%). Im Vergleich zur Vorwoche legte die CDU leicht zu und die AfD stagnierte. Alle anderen Parteien blieben auf gleichem Niveau wie in der Vorwoche (SPD: 10; Grüne: 9, Linke :11,5%). Nur bei der FDP deuteten sich größere Verluste im Vergleich zur Vorwoche an (6,5% statt 8%). Da erfahrungsgemäß CDU und FDP sich häufig wie kommunizierende Röhren verhalten, konnte man den leichten Zuwachs bei der CDU und den Verlust bei der FDP dem Effekt zuordnen, dass einige FDP Anhänger*innen auf Nummer sicher gehen wollten, dass die CDU klar vor der AfD landet.

Ein Vorsprung von 7 Prozentpunkten gemessen von einem seriösen Institut wie der FGW ist faktisch uneinholbar und jenseits der Fehlertoleranzen.

Dann kamen ebenfalls am 3.6.21 Civey für den SPIEGEL und am 4.6. INSA für die BILD.

Der Spiegel hatte auf Basis seines Hausinstitutes Civey gleich zwei Schlagzeilen abzusetzen:

Bildschirmfoto 2021-06-07 um 10.51.43

Bildschirmfoto 2021-06-07 um 10.52.36

Und kam zu folgendem abenteuerlichen Umfrageergebnis:
CDU: 29%, AfD: 28%

Bildschirmfoto 2021-06-07 um 10.53.19

Tags darauf meldete BILD in Medienkooperation mit ihrem gern auf Schlagzeilen bedachten Institut INSA sehr ähnlichen Quatsch. Aber gut, da sind die Erwartungen an Seriosität auch anders gelagert. Bei BILD/INSA lag die CDU auch nur einen Prozentpunkt vor der AfD (27% : 26%, der Rest ähnlich: SPD 10, Grüne 8, FDP 7, Linke 11).

Was geschieht, wenn Deutschlands größtes Boulevardblatt und Deutschlands größtes Magazin innerhalb von 24 Stunden auf allen Kanälen solche reißerischen Umfragen veröffentlichen, ist klar. Niemand, der sich für Politik interessiert, kommt an diesen Headlines vorbei, die natürlich auch in allen anderen Medien zitiert werden.

Zur Erinnerung noch das vorläufige Wahlergebnis in der Reihenfolge des Zieleinlaufes:

CDU: 37,1%; AfD: 20,8%, Linke 11%, SPD 8,4%; FDP 6,4%, Grüne 5,9%

Die CDU liegt 16,3% vor der AfD.

Ja, was ist denn da passiert?

Die Antwort: Taktisches Wählen auf Basis völlig falscher Umfragen von Civey und INSA – unter das Volk gebracht von SPIEGEL und BILD.

Wer diesen Blog aufmerksam verfolgt weiß: Über die Jahre haben wir immer wieder sehr deutliche Verschiebungen in den letzten Tagen vor Landtagswahlen feststellen können. Im Jahr 2005 sogar große Verschiebungen zwischen den letzten veröffentlichten Umfragen und dem Ergebnis bei einer Bundestagswahl.

Wir wissen, dass sich viele Menschen noch in den letzten Tagen und Stunden entscheiden und die Profiteure waren immer beliebte Amtsinhaber*innen mit einer guten Regierungsbilanz. Besonders hoch war der Effekt zugunsten der Amtsinhaber*innen, wenn ein Wahlsieg der AfD oder Julia Klöckner drohte.

Aber dennoch blieben die Unterschiede im Rahmen von 2-4 % gemessen an den letzten Umfragen. Bei der Landtagswahl in Brandenburg, als auch die FGW nur einen Prozentpunkt Vorsprung für die SPD vor der AfD messen konnte, legte die SPD gute 4 Punkte am Wahltag zu – auf Kosten von Grünen, Linken und FDP.

Womit wir beim Thema „Taktisches Wahlverhalten“ wären. Dieses taktische Wahlverhalten kommt besonders bei Kopf-an-Kopf Szenarien zum Tragen und führt zu Veränderungen in sich verbundenen Wählersegmenten. Auch wenn es nicht immer so scheint, gibt es doch eine „Allianz der Demokraten“, die sich besonders im Osten dann bildet, wenn die AfD eine Chance auf Platz 1 hat. Es ist eine Anti-AfD-Allianz von zurecht besorgten Bürger*innen, die nicht wollen, dass ihr Bundesland unter dem Stigma leidet, dass hier die AfD stärkste Partei ist.

In den westlichen Bundesländern findet ein Wähleraustausch nach wie vor stark zwischen SPD und Grünen sowie FDP und CDU statt. Im Frühjahr profitierten davon die SPD in Rheinland-Pfalz und Die Grünen in Baden-Württemberg. Aber im Osten geht es eben um noch mehr, weshalb sich auch mehr Menschen in der Verantwortung fühlen, die AfD zu verhindern.

Schauen wir also mal das Ergebnis vom Sonntag, den 6.6.21 in Sachsen-Anhalt an und vergleichen es mit der letzten FGW Umfrage vom Donnerstag, den 3.6.21.

CDU: +7,1%, SPD: – 1,6%, Grüne: – 3,1, Linke: -0,5, FDP: -0,1, AfD: -2,2
FW: -, Sonstige: –

Und siehe da: Zieht man die Verluste von SPD und Grünen von der Union ab, blieb dort noch ein Plus von 2,4 % also im Rahmen der bisher bekannten Zuwächse von 2-4 Prozentpunkten, wie wir sie aus den anderen Wahlen kennen. Außerdem hat die FDP bereits in der Woche zuvor 1,5% abgegeben – mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Richtung CDU.

Natürlich finden Wählerwanderungen nie 1:1 so statt. Da passiert schon mehr im Hintergrund. Aber wir können davon ausgehen, dass die Berichterstattung von BILD/SPIEGEL in den letzten Tagen folgenden Effekt hatte:

  1. Anhänger*innen von Grünen, SPD und schon einige Tage früher der FDP haben sich entschieden, im Umfang von ca. 6% die CDU zu unterstützen, um die AfD zu verhindern.
  2. Die am Ende doch für die Verhältnisse dieses Bundeslandes hohe Wahlbeteiligung kam durch eine Schlussmobilisierung der demokratischen Kräfte im Land zustande und hat dadurch das Ergebnis der AfD gedrückt. Denn diese war offenbar ausmobilisiert und konnte aus einer höheren Wahlbeteiligung keinen Gewinn mehr ziehen.
  3. Die AfD stand zu keinem Zeitpunkt auch nur in der Nähe der CDU, sondern mindesten 5-7% dahinter. Die Wähler*innen wurden durch klassische Sensationsgier und Click-Bait von Spiegel/Civey und BILD/Insa falsch informiert und dadurch manipuliert.

Nun kann man natürlich sagen: Was soll’s – Hauptsache die AfD ist nicht stärkste Kraft.

Aber es wäre eben nur die halbe Wahrheit. Und zur Wahrheit gehört immer das ganze Bild. Dieses wirft kein gutes Licht auf SPIEGEL, BILD und die von ihnen beauftragten Institute. Am Ende schadet auch das der Demokratie.

 

Das Mega-Giga-Supersexy-Superwahljahr kommt!

Nur ein paarmal werden wir noch wach – heißa, dann ist Wahlzeit! Zugegeben, es war etwas ruhig auf diesem Blog – aber seit der Wahl in Hamburg vom 23. Februar ist ja auch nichts Nennenswertes passiert. Dafür kommt’s 2021 knüppeldick. Baden-Württemberg (März), Rheinland-Pfalz (März), Berlin (Herbst), Mecklenburg-Vorpommern (Herbst), Thüringen (hmm … wann eigentlich?), Sachsen-Anhalt (Juni), eine Pandemie und eine Bundestagswahl obendrauf – welch ein Fest für Spekulationen! Lasst uns beginnen!

Wenn das überstrapazierte Wort jemals Sinn ergab, dann kann man es jetzt anwenden: Die Corona-Pandemie verdient auf jeden Fall die Bezeichnung Disruption. Mehr Disruption war nie. Es ist müßig aufzuzählen, was sich bereits verändert hat, denn wir erfahren es alle gleichzeitig. Ob arm, reich, männlich, weiblich, alt, jung, doof oder gescheit: Die Gleichzeitigkeit der Veränderung ist klassenlos. Die Folgen werden es nicht sein. Aber dazu später.

Dafür, dass sehr viele – und vor allem männliche Journalisten in der Spätblüte ihres Testosteronhaushaltes – die Bundeskanzlerin noch ungefähr bis Mitte Februar lautstark des Platzes verweisen wollten und ihre eigene Partei nicht nur sie als Parteivorsitzende, sondern auch gleich ihre Nachfolgerin mit abgesägt hat, steht Frau Merkel zur Zeit ja doch recht gut da. Man könnte sogar sagen: besser denn je, beliebter denn je und klarer in ihren Ansagen denn je.

Und das hat natürlich Folgen: Die Union notiert in den Umfragen mit 38 % gute 10 Prozentpunkte über ihrer Vor-Corona-Marke, die Grünen sind stark, aber nicht mehr so stark, die SPD dümpelt, und die anderen bemühen sich.

Der volatile Stand der Umfrageentwicklung macht vor allem eines deutlich: Der Austausch fand hauptsächlich zwischen den Grünen und der Union statt. Zu Lasten der Grünen. 2020 war bisher noch kein sehr gnädiges Jahr für die einstige Ökopartei, die heute so viel mehr auf einmal sein will. In Hamburg wurde man im Februar nicht, wie angestrebt, die Nummer 1, sondern verwandelte innerhalb von sechs Wochen einen Gleichstand in den Umfragen in einen 15-Prozentpunkte-Rückstand am Wahltag. Und auch in der Pandemie hörte man selten den Ausruf: „Wenn jetzt nur der Habeck Kanzler wäre – dann liefe das alles besser!“

Der „Rally around the Flag“-Effekt, den viele Landesregierungen, aber vor allem die Bundesregierung, derzeit erfährt – also hohe Zustimmung in Zeiten der Krise – ist dabei keineswegs selbstverständlich – wie der Blick über den Tellerrand in viele andere Länder der Welt zeigt. Und an der Spitze dieser Bundesregierung steht seit 2005 Angela Merkel in ihrer dritten großen Krise nach dem Finanzmarkt-Crash um 2009 und der Flüchtlingsfrage ab 2015. Und die Leute lieben sie genau für diese konzentrierte Arbeit, die man weltweit von ihr gewohnt ist.

Ebenfalls zum Wohle der ganzen Union, aber natürlich vor allem der CSU, macht Markus Söder das, was er am besten kann: Gutes für Markus Söder. Das Ehrliche an ihm ist, dass man sich bei Söder nie fragen muss: Macht er das für das Land oder für sich? Da gibt es nie einen Zweifel. Das schafft Berechenbarkeit und Klarheit. Und der Erfolg gibt ihm in diesem Falle recht, da zufällig beides zusammenfällt. Es ist gut für das Land und es ist gut für Söder. Den Unterschied zur Kanzlerin erkennt man daran, dass er die Öffentlichkeit ungefähr im Faktor 378 im Vergleich zu Merkel sucht – und vor allem immer zwischen drei Stunden und fünfzehn Minuten vor den anderen Ministerpräsident*innen.

Nun stellen sich drei große Fragen in Bezug auf das Superwahljahr 2021:

1. Geht das alles einigermaßen glimpflich aus für das wirtschaftliche und soziale Gefüge in diesem Land?

2. Wie reagieren die Menschen ab dem CDU-Parteitag im Januar, wenn ihnen aufgeht, dass sie 2021 nicht ihre geliebte Kanzlerin wählen können, sondern entweder Merz, Laschet oder Röttgen? Vorausgesetzt natürlich, die CDU schafft es im dritten Anlauf, ihren Bundesparteitag tatsächlich stattfinden zu lassen.

3. Was machen die anderen aus der Lage?

Stand heute ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Menschen im Herbst 2021, wenn sie die Wahl zwischen Friedrich Merz oder Armin Laschet und Robert Habeck haben, Olaf Scholz wählen.

Und da wären wir bei dem zweiten großen Gewinner des Jahres. Ein ebenso bereits vielfach abgeschriebener Vizekanzler, der aber im Gegensatz zu seiner Chefin nie seinen Rückzug angekündigt und auch nie eine Kandidatur ausgeschlossen hat. Wofür er heftig kritisiert wurde und was wieder einmal beweist, dass er einfach sehr viel schlauer ist als andere. Gut, dass er das so gut verbergen kann.

Nun wird Olaf Scholz auch 2021 Olaf Scholz sein und die Frage ist, ob das für die Strecke bis Herbst 2021 reicht. Was für Scholz spricht ist, dass Armin Laschet auch Armin Laschet, Friedrich Merz Friedrich Merz und Robert Habeck Robert Habeck bleiben werden. Das scheint eine lösbare Aufgabe zu sein. Vieles hängt sowieso vom weiteren Verlauf der Krise nach der Krise ab.

Habeck hat sich in der Krise bisher als völlig überfordert erwiesen, da man in diesem Fall nicht mit der halbtheoretischen Durchdringung einer vollkomplexen Materie punkten konnte, sondern nur durch Handeln. Das ist nicht seins. Das Comeback wird verhalten ausfallen, sollte nicht noch der Bodensee vor dem Herbst 2021 trockenfallen.

Armin Laschet hat seine Portion Glück mit der überraschenden Wahl zum Ministerpräsidenten von NRW 2017 eigentlich für die nächsten 300 Jahre aufgebraucht. Er gewann damals mit dem zweitschlechtesten Ergebnis der CDU in der Geschichte Nordrhein-Westfalens (33 %). Das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte hatte vier Jahre zuvor Norbert Röttgen eingefahren (26,3 %). Bis zum aktuellen Pandemie-Plus der CDU verharrte Laschet mit der CDU nach seiner knappen Wahl auch in den Umfragen zwischen 28 und 32 %. Danach segelte auch er auf dem Merkel-Bonus mit bis zu 40% in den NRW-Umfragen – nur um jetzt wieder bei den 33% Ausgangslage angekommen zu sein.

Seine derzeitige Positionierung als rheinisches Pandemie-Rumpelstilzchen scheint wenig zu beeindrucken. Röttgen überwassert derweil auf dem Rettungsring, den ihm Laschet durch ein paar ungeschickte Handgriffe unfreiwillig zugeworfen hat, und kann noch einmal nach Luft schnappen. Friedrich Merz hat als Spitzenkandidat wiederum noch nie eine Wahl gewonnen oder verloren, weil er sich noch nie einem Wahlkampf gestellt hat. Oder korrekter: weil ihn noch nie jemand aufstellen wollte. Seine bisherigen Äußerungen nach dem vorläufigen Ende des vorzeitigen Ruhestandes lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass er seine Auszeit für Fortbildungsmaßnahmen genutzt hat. Eher plump als elegant versucht ausgerechnet er, sich jetzt den Grünen anzubiedern.

Im Kandidatenfeld der CDU gilt Merz zu Recht als rechts und auch ein bisschen unmodern. Röttgen und Laschet trennt inhaltlich eigentlich nur, dass sie sich nicht ausstehen können. Auf dem Papier würde also Laschet als amtierender MP des größten Bundeslandes mit einem eher liberalen Profil am ehesten als der Kandidat gelten, der von dem aktuellen Merkel-Plus am meisten für die CDU herüberretten könnte.

Wenn da nicht noch Olaf Scholz wäre. Zweifelsohne wäre niemand besser auf das Kanzleramt vorbereitet als er. Ehemaliger Arbeits- und Sozialminister, zweimal höchst erfolgreich gewählter Länderchef (einmal mit absoluter Mehrheit, einmal knapp darunter), amtierender Finanzminister und Vizekanzler mit Spitzenwerten in allen aktuellen Umfragen. Und übrigens auch schon mit beständig guten Werten vor der Pandemie.

Sollte es Deutschland im internationalen Vergleich einigermaßen gut aus der Krise schaffen, bliebe dennoch genug zu tun, um deren Folgen zu managen. Man muss kein Prophet sein, um dann zu erwarten, dass eine Mehrheit der Deutschen gerne einen erfahrenen, sozialen und liberalen Mann an der Spitze der Republik sehen würde. Einen männlichen Merkel, sozusagen. Das wäre zwar vielen professionellen Beobachtern zu langweilig, aber das hat ja zum Glück noch nie jemanden jenseits der Blase interessiert.

Da die SPD zwar heute keine besonderen Umfragewerte verzeichnet, müsste der OH-MEIN-GOTT-ICH-KANN-DIE-MERKEL-JA-GAR-NICHT-MEHR-WÄHLEN-Effekt mit gut 6 bis 7 Prozentpunkten auf Scholz und die SPD einzahlen, um bei 23 bis 24 % zu landen. Das wären mehr als Schulz 2017, aber auch weniger als Steinbrück 2013 und erscheint damit machbar. In Hamburg lag der Scholz-Bonus im Vergleich zu seiner Partei bei rund 10 Prozentpunkten. Kommt die Post-Merkel-Union auf rund 28 % (-4,5), die Grünen auf 20+X, kann es mit Schmackes sogar für RotGrün reichen, da die FDP in dieser Gemengelage durchaus aus dem Bundestag fliegen kann. Aber auch die Ampel könnte im Frühjahr in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eine Renaissance erfahren. Die FDP ist ja die institutionalisierte Jo-Jo-Diät in der deutschen Parteienlandschaft. Sollte sie bis zu den Wahlen auch noch eine politische Linie finden, wäre die Ampel durchaus ein Szenario. Es setzt, wie gesagt, einen eher milden Verlauf der wirtschaftlichen Krise voraus. Fällt diese aber heftiger aus, kann es auch einen Ruf geben, dass jetzt die Karten ganz neu gemischt werden wollten. Das wäre aber sicher auch kein Plus für die Grünen, für die, außer bei Umweltkrisen, keine Kompetenzvermutung vorhanden ist.

Und dann gibt es ja auch noch Markus Söder. Er hat nach seiner Klatsche bei der Bayrischen Landtagswahl (-10 Prozentpunkte auf knapp 37 %) zwar dazugelernt – aber vermutlich spielt er gerade sowieso nur. Als Political Animal macht es ihm einfach großen Spaß, als Kanzlerkandidat gehandelt zu werden. Man munkelt, er wäre nicht gänzlich uneitel.

Die SPD ist natürlich auch immer gut für Überraschungen. Selten für positive. Ihr großer Vorteil dieses Mal ist, dass sie schon komplett aufgestellt ist: Neue Parteiführung, moderner Generalsekretär und eine ausreichende Vorlaufzeit, um die Wahlen mit einem eingespielten Team professionell vorzubereiten. Bei der CDU gibt es dagegen bis Januar und danach nur Unruhe, Unsicherheit und möglicherweise auch noch weitere Verwerfungen, die bereits Merkel in den Verzicht und Kramp-Karrenbauer ins Aus getrieben haben. Sachsen-Anhalt aber auch Thüringen haben großes Sprengstoffpotential für die Wählbarkeit der CDU im Westen. Ohne Merkel und den falschen Kandidaten muss da bei 27 % nach unten noch nicht die Grenze liegen.

Zum Auftakt des Superwahljahrs stehen gleich zwei Kracher auf dem Spielplan. In Baden-Württemberg verteidigt ein konservativer Ministerpräsident gegen seine erzkonservative Koalitionspartnerin und in Rheinland-Pfalz eine Sozialdemokratin gegen jemand anderes. Zwei weit über ihre Parteien strahlende Amtsinhaber*innen, die bei ihrer Wiederwahl vor allem einer Partei den Auftakt zum Superwahljahr ordentlich verhageln würden: der CDU. Darauf folgen dann Thüringen und Sachsen-Anhalt – die beiden CDU-Landesverbände mit der höchsten AfD-Nähe. Auch das wird interessant.

Soweit für heute. Der CDU steht ein heißes Frühjahr bevor, auch wenn sie natürlich als große Favoritin für die Bundestagswahl ins Superwahljahr startet. Die SPD und Scholz haben sich eine Underdog-Position erarbeitet, was mehr ist als keine, die Grünen werden den Stresstest bestehen müssen, den sie noch nie bestanden haben und die anderen sind auch noch da.

Ich habe den Eindruck, es werden jetzt in kürzeren Abständen Blogbeiträge folgen.
Es wurde ja auch Zeit, dass endlich wieder was passiert …

Dieser Beitrag erschien erstmals auf richelstauss.de

teaser_hoellenritt_wahlkampf_2017