Ein Blick in die USA ist ein Blick in unsere Zukunft.

Überall höre ich kopfschüttelnde tstststs-Betrachtungen über „Die Amerikaner“ und wie es denn möglich sei, dass Trump überhaupt noch im Rennen undsoweiterundsofort. Das sind erstaunlich anmaßende Kommentare, wenn man einem Volk angehört, das Adolf Hitler zum Reichskanzler wählte und in Sachsen-Anhalt zu fast 25% für die AfD stimmt. Finde ich.

Als ich im Sommer 1990 als Student in die USA kam, war George Bush Sr. Präsident und ich hielt ihn, sowie seinen Vorgänger Ronald Reagan, für direkte Nachfahren des Leibhaftigen. Little did I know. Im Rahmen meines Stipendiums bewarb ich mich beim US-Senat um ein Praktikum und landete 1991 bei einem freundlichen Senator aus Tennessee namens Al Gore. Meine direkte Chefin in seinem Büro war Katie McGinty, die sich heute als Kandidatin der Demokraten ein Kopf-an-Kopf Rennen um einen Senatsposten im Hyper-Battleground-Staat von Pennsylvania liefert. Am 11. Oktober wird dieses Senatsrennen im RCP-Average (realclearpolitics.com) als „Tie“, also unentschieden, gewichtet. Für Katie im Kampf gegen Amtsinhaber Pat Toomey (R), schon ein großer Erfolg.

Friedensnobelpreisträger Al Gore wiederum hielt gerade in Florida eine seiner wenigen Campaign-Rallies für Hillary Clinton mit den Worten: „Wenn sie einen Nachweis für die These benötigen, dass wirklich jede Stimme zählt, dann betrachten Sie mich als Beweisstück A.“ Das Trauma des Jahres 2000, in dem Al Gore eine Mehrheit der Stimmen aller Wahlberechtigten erhielt, eine erneute Auszählung der Stimmen in Florida aber durch das (republikanisch dominierte) Supreme Court gestoppt wurde, ist nur eine der Ursachen für die tiefe Spaltung des Landes und das hohe Misstrauen zwischen den Anhängern der Parteien.

Mit der Kandidatur Al Gores als Vizepräsidentschaftskandidat von Bill Clinton wechselte ich 1992 vom Senat in die Kampagne, um dort mitzuhelfen. Vor allem aber, um dort zu lernen. Seither mache ich Wahlkämpfe. Und natürlich beobachte ich seither amerikanische Wahlkämpfe mit besonderem Interesse. Ob es um den Einsatz neuer Technologien, die Perfektionierung der Get-Out-The-Vote-Operations, Optionen des Data-Mining oder auch ganz konkret um Zielgruppenansprache, Message-Testing und Debatten Vor- und Nachbereitung geht.

Begleitet man Wahlkämpfe über Jahrzehnte, erhält man einen umfassenden Einblick in die Veränderungen der Medienlandschaft ebenso, wie in das veränderte Kommunikationsverhalten der Menschen im Alltag. 25 Jahre und 30 Wahlkämpfe später folgt daher heute mein Blick auf die US-Kampagne nach der zweiten TV-Debatte. Und zwar mit einem deutlichen Hinweis darauf, diese Entwicklung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Natürlich muss uns die Frage beschäftigen, wie Donald Trump jemals auch nur in die Nähe des Oval Office geraten konnte. Es beschäftigt uns auch die Frage, wie ein langes, sehr öffentliches und transparentes Vorwahlsystem in den USA am Ende zwei Kandidaten hervorbringt, die auf der RCP-Beliebtheitsskala mit einem Delta von -23,3% (Trump) und -9,2% (Clinton) notieren.

Eine weitere Frage ist, ob man den Zustand der US-Kampagne losgelöst von den Zuständen anderer etablierten Demokratien wie Frankreich, Großbritannien, Österreich oder auch den alten Bundesländern in Deutschland betrachten kann. Von weniger etablierten demokratischen Strukturen und Kulturen wie in Ungarn, Polen, Russland oder den neuen Bundesländern ganz zu schweigen.

Die Frage impliziert die Antwort: Nein, man kann diese Entwicklungen nicht voneinander trennen. Sonst lügt man sich nur in die Tasche. Was wir in den USA erleben ist kein Solitär, sondern nur die potenzierte, lärmende, laute, verstörende Entwicklung, die wir aus Europa schon kennen und die sich auch in Deutschland Bahn bricht. Allerdings spitzt sich diese Entwicklung in einem Winner-Takes-It-All Mehrheitswahlrecht noch stärker zu, als in Staaten mit einem Verhältniswahlrecht, in denen sie wiederum zu einer Zersplitterung der Parteienlandschaft führt.

Sucht man nach den Ursachen der Entwicklung, kann man alles Mögliche hin- und her wälzen, kommt aber kaum auf einen wirklich übergreifenden Nenner. Zu unterschiedlich scheinen auf den ersten Blick sozioökonomische Daten, politische und gesellschaftliche Kulturen, klassische Determinanten wie Wachstum oder Rezession, individueller Wohlstand oder soziale Sicherungssysteme. Auch der Dauer-Rap „Schere zwischen Arm und Reich“ zieht nicht länderübergreifend, zumal in vielen Ländern Wohlstand und Lebensqualität insgesamt zunehmen, also die Reichen zwar immer mehr haben, die anderen aber auch.

Was wir erleben, ist in weiten Bereichen ein Verlust von Zivilisation und Debattenkultur und damit einhergehend ein geringeres Allgemeinwissen über gesellschaftliche und politische Zusammenhänge. Die Schere zwischen informierten, unterinformierten oder gar desinformierten Teilen der Öffentlichkeit öffnet sich immer weiter. Interessanter Weise in einer Zeit, in der Zugang zu Information so einfach ist wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Gleichzeitig steigt aber auch die Zahl derer, die sich aus weiten Teilen des Informationszyklus völlig zurückziehen oder aktiv ausklinken. Man sucht nicht nach Wegen, eine scheinbar immer komplexere Welt besser zu verstehen, sondern man pflegt eine mehr oder minder ausgeprägte Form des Eskapismus.

Und Eskapismus wird einem 2016 wesentlich leichter gemacht als etwa 1980, 1990 oder 2000. Im Vergleich zu „früher“ nimmt ab, was ich „Kollateralwissen“ nenne. Also nicht wirklich nachgefragtes, zum Teil sogar unerwünschtes aber dennoch beiläufig aufgeschnapptes Wissen über Gesellschaft, Kultur und Politik. Wer früher eine Tageszeitung las oder durchblätterte, nahm auch Wissen aus den Bereichen Feuilleton, Landespolitik, Weltpolitik etc. auf, selbst wenn man sich eigentlich nur für den Sportteil, Lokales oder Vermischtes interessierte. Ähnlich verlief auch der Konsum von TV-Sendern oder Radiosendungen. Irgendwann nahm man auch dort eine Nachrichtensendung, ein Politikmagazin oder ähnliches mit.

Ein solches Wissen können wir in wachsenden Teilen der Wählerschaft nicht mehr voraussetzen. Die Menschen entscheiden viel rigider als früher, welche Nachrichten sie an sich heranlassen und ob sie überhaupt Nachrichten an sich heranlassen. Man konfiguriert den Wissensstrom vor oder ganz aus.

Dieses Informationsvakuum auf der einen Seite und die Überinformation auf der anderen führt zu einer ständig wachsenden Kluft zwischen der Infoelite einerseits und den Eskapisten andererseits. Man versteht sich nicht mehr und redet aneinander vorbei. Gleichzeitig verändern sich Lebenswelten und Arbeitswelten in wachsender Geschwindigkeit. Viele Menschen stehen in ihrem Alltag, in ihrem Beruf, in ihrem Umfeld schon mit beiden Beinen in der Zukunft – andere mit einem Bein – andere leben hingegen noch ganz im Deutschland von 1990.

Wir leben in einer Zeit der medialen Paralleluniversen, deren Dimension wir gerade erst begreifen. In der Menschen außer Reichweite geraten für gute Argumente. Wir leben auch in einer Epoche der Ungleichzeitigkeit. Wir erleben eine Zeit, in der Menschen die Uhr zurückstellen wollen. Das hat natürlich noch nie funktioniert.

Im Ergebnis erleben wir in vielen Ländern eine Zeit der Restauration, in Teilen auch der regelrechten Hysterie. Wenn sich immer mehr Menschen dem natürlich faktisch unmöglichen Wunsch anschließen, die Uhr zurückzustellen, wird die Frustration immer weiter wachsen. Und zwar in dem Maße, in dem die Erkenntnis wächst: Nein, die Uhr lässt sich ja gar nicht zurückdrehen. Und die Welt auch nicht. Beides dreht sich immer weiter und wer einen Keil in den Mechanismus treiben will, wird feststellen: Das alles bindet nur eine große negative Energie, die sich aufstaut und sich eines Tages freisetzt.

Eine Zeit der Veränderung ruft nach progressiven Kräften.
Vor allem aber auch nach Mutmachern. Die es ja gibt und die auch Wahlen gewinnen können, wie Justin Trudeau in Kanada eindrucksvoll bewiesen hat. Dies setzt aber von Politik und Medien voraus, mit eigenen, häufig abgestandenen Ritualen zu brechen und die massiven Veränderungen im Alltag der Menschen auch zu adressieren.

Veränderung ist heute nichts Abstraktes mehr. Sie ist bei den Menschen angekommen. Die jahrzehntealte Rhetorik über das, was kommt, ist überholt. Vielleicht sind ja auch einige Rezepte schon überholt. Der demographische Wandel ist schon längst da. Die digitale Revolution ist schon längst da. Die veränderten Arbeitswelten sind Realität. Binnenmigration findet in hohem Masse statt – vom Land in die Boomstädte. Aufgabe aller Multiplikatoren, ist es, den Menschen zu sagen: Schau – Dinge verändern sich. Du weißt das, ich weiß das, alle wissen das. Aber das muss ja nicht bedeuten, dass sie sich verschlechtern.

Was bedrückt, ist das Tempo des Wandels. Lässt man die Menschen mit ihrem „mulmigen“ Gefühl alleine – oder verstärkt dieses gar– werden sie eine weitere Drehung in der Angstspirale vollziehen. Bis sie eines Tages für manchen zur Panikspirale wird.

Zeigt man den Menschen aber einen Weg auf, wie Gutes entstehen kann, kann man sie auch für sich gewinnen. Es weiß doch heute schon jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer, dass nahezu jede Arbeit von der digitalen, globalen oder mindestens europäischen Entwicklung tangiert wird. Natürlich hat der Taxifahrer schon von selbstfahrenden Autos gehört und die Kassiererin weiß, dass die Märkte bald ohne sie auskommen. Aber ist das nicht ein Wandel, den wir schon häufiger erlebt haben? Ist es so schlimm, dass nicht mehr hunderttausende unter Tage schuften müssen? Dass kein Heizer auf der Lok steht? Müssen wir wirklich den zum Teil schlimmen Arbeitsplätzen der Vergangenheit und Gegenwart nachtrauern und das Gestern verteidigen?

Wenn man den Wandel positiv gestalten will, muss man an vielen Stellen neu denken und dieses neue Denken auch zulassen. Gerade eine alternde Gesellschaft muss darauf aufpassen, Neues nicht gleich im Keim zu ersticken. Das Wort Altersstarrsinn hat ja eine Geschichte und eine Berechtigung.

In den USA hat bereits über Jahre eine starke Segmentierung der Medienlandschaft stattgefunden. Einige Sender, Foren und Newsportale geben sich nicht einmal mehr die Mühe, so etwas wie Objektivität vorzutäuschen. Wer nur den Republikanern traut, kann sich ununterbrochen aus deren Quellen informieren, ohne auch nur eine andere Meinung an sich heranzulassen. In diese Regionen kann neues Denken und neues Handeln kaum noch vorstoßen.

In Deutschland stehen wir am Anfang einer solchen Entwicklung. „Lügenpresse“ – Vorwürfe, Elitenbashing, komplette Desinformation sowie ein selbsterklärter „Wille des Volkes“ sind feste Bestandteile der Desintegration. Man glaubt nur noch, was man glauben will und liest nur noch, was einen in diesem Glauben bestärkt.

Aus meiner Sicht war die Kandidatur von Hillary Clinton in dieser bereits kritischen Phase der Spaltung der Gesellschaft falsch. Ihre Zeit war mit der Niederlage gegen Obama in den Vorwahlen 2008 abgelaufen. Ihre Motivation zieht sie aus dem Glauben, dass sie jetzt einfach an der Reihe sei und sich das verdient habe. Davon hat aber sonst niemand etwas. Die Menschen haben nicht den Eindruck, dass die Kandidatin etwas für ihr Land will, sondern hauptsächlich für sich. Das ist in diesen Zeiten grob fahrlässig. Und nur so lässt sich erklären, warum Trump überhaupt noch im Rennen ist. Und das ist der Grund, weshalb die Welt zusammenzuckt, nur weil Hillary Clinton einen Schnupfen hat.

Trump ist ein politisches und menschliches Monster. Dass er heute vor den Toren Washingtons steht, ist auch Clintons Schuld.

In Deutschland und Europa sollten wir daraus lernen. Man kann auch heute noch die Menschen mitreißen und für eine progressive Politik gewinnen. Aber dafür muss man wach bleiben, aus klassischen Ritualen ausbrechen und mit Mut und Enthusiasmus auch neue, unverbrauchte Köpfe aufbauen und ins Rennen schicken. „More of the same“ kann nicht die Antwort sein.

Auch wenn man meint, an der Reihe zu sein, auch wenn man es sich tatsächlich verdient hat, selbst wenn es objektiv ungerecht wäre, zurückstecken zu müssen – die Zeiten sind zu ernst, um nicht einzusehen, dass eine falsche Kandidatur zur falschen Zeit verheerende Folgen haben kann. Für ein Land, für eine Partei, manchmal sogar für die ganze Welt.

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Der junge Herr Stauss in ausladender 90er Jahre Fashion, 1992.

Kommst Du nach Deutschland, mein Freund.

Angesichts der hassverzerrten Fratzen von Dresden ist es doch mal wieder Zeit, an die schöneren Seiten des Lebens zu Erinnern. Was zum Beispiel macht man, wenn man als junger, heterosexueller syrischer Flüchtling aus einer Turnhalle in einen schwulen Haushalt wechselt? Man lernt dazu. Und sucht sich ein Hobby.

Vor Kurzem saß ich mit lieben Freunden, die ich viel zu selten sehe, im Biergarten. Das Gespräch plätscherte so dahin, bis sie irgendwann beiläufig erwähnten, dass sie ja vor einigen Monaten einen Syrer aufgenommen hätten. So wie andere davon berichten, dass man sich jetzt doch für eine neue Küche an Stelle eines neuen Autos entschieden habe. Man sollte noch erwähnen, dass meine Freunde vor vielen Jahren das allererste schwule Paar war, das sich in meinem erweiterten Bekanntenkreis verheiratet hat. Und dann auch noch mit allem drum und dran inklusive des sprichwörtlichen Ganges vor den Altar in einer hübschen kleinen Kirche im Prenzlberg. Warum man das erwähnen sollte? Nun, weil doch gerade in diesen Tagen die rechten Hetzer auf die Idee gekommen sind, (deutsche) Schwule vor den bösen Fremden in Schutz nehmen zu müssen, die ja angeblich alle homophob seien. Im Gegensatz zu den Nazis, natürlich. Die waren ja schon beim Gay Pride immer ganz vorne mit dabei… Zurück zum Thema.

Nun also ein Syrer. Am nächsten Tag erzählte ich im Büro die Geschichte und ein Kollege meinte, dass seine Eltern auch einen Syrer hätten. Eine Kollegin berichtete auch noch von ihrer WG, die ebenfalls einen habe. Zuhause stellte ich sofort meinen Gatten zur Rede und beklagte mich lautstark: „Das darf doch nicht wahr sein! Die Grimms haben einen Syrer, die Schwarzens haben einen Syrer und wir haben nur ein beschissenes Elektroauto! Wir haben völlig den gesellschaftlichen Anschluss verpasst!“

Darauf sprachen wir noch einmal mit meinen Freunden und erfuhren die ganze Geschichte. Beide hatten sich schon früh in der Flüchtlingshilfe engagiert und einer von beiden gab einer Gruppe von Flüchtlingen – natürlich kostenlos – zu Hause Sprachunterricht.

Nach dem Unterricht saß man immer noch ein bisschen zusammen und rasch wurde klar, dass die Flüchtlinge sehr, sehr ungerne zurück in ihre Notunterkunft gehen wollten. Wer konnte ihnen das verdenken. Eines Abends dann, man hatte die Sprachschüler gerade verabschiedet, kam bei meinen Freunden der Gedanke auf: „Was ist denn mit unseren Arbeitszimmern?“ Die beiden wohnen in einer schönen 4-Zimmer Wohnung, wobei zwei kleine Zimmer den beiden als Arbeitszimmer dienen, wenn man vom Büro mal wieder Arbeit mit ins Wochenende genommen hat. Aber reicht nicht auch eins?

Aber einen fremden Menschen dauerhaft in der eigenen Wohnung? 7 Tage die Woche? 24 Stunden? Auf unbestimmte Zeit? Das ist schon ein gewaltiger Einschnitt. Und dann noch die Ungewissheit, wie denn nun das Thema Homosexualität aufgenommen wird.

Sie setzten sich über die Bedenken hinweg und einer der Schüler, ein damals 22-jähriger junger Mann zog bei ihnen ein.

Alles Weitere könnte vermutlich ein Buch füllen. Oder mehrere. Man kommt aber sehr gut miteinander aus, respektiert gegenseitig die Privatsphäre und der junge Mann engagiert sich jetzt selbst für andere und hat sich bei der Freiwilligen Feuerwehr angemeldet.

Vor einiger Zeit hatte er die Aufgabe, im Deutsch-Unterricht einen Brief an einen Freund in der alten Heimat zu verfassen.

Heraus kam folgender Text (zum Vergrößern klicken)

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Bevor du nach Deutschland kommst, musst du ein paar Sachen wissen.

1.Sei immer pünktlich. Die Deutschen sind pünktlich und immer diszipliniert. Du musst dich dazu integrieren.

2. Am meisten in Berlin, und auch in den anderen Städten, sind die Leute sehr offen. Also, was ich meine ist: Hier gibt es viele verschiedene Leute, die aus der ganzen Welt kommen und auch gibt es zwei Männer oder zwei Frauen, die verheiratet sind und das ist total normal. Hier gibt es Freiheit und ein wunderbares Leben. Denk darüber nach, ob du das wirklich machen willst.

3. Nachdem du in Deutschland bist, sollst du Deutsch lernen und glaub mir, das ist gar nicht einfach.

Viel Glück mein Freund.

Na dann. Viel Glück, meine Freunde.

Und einen herzlichen Dank an euch und alle, die so viel tun, während andere noch nicht einmal ihren Hintern hochbekommen, um bei einer Wahl geschlossen gegen rechte Populisten zu stimmen. Wenigstens das sollte ja drin sein.

Guten Morgen, Berlin…

… was, bitte, war das denn? Am Ende einer langen Achterbahnfahrt bleibt die SPD in Berlin klar stärkste Partei, da dankenswerterweise CDU und Grüne sie auf dem Weg nach unten nicht alleine lassen wollten. Die Piraten gingen sogar mutig mit den größten Schritten voran. Und auch sonst ist dem Urnengang der Berliner wenig Erhellendes zu entnehmen. Der geneigte Wähler beweist einmal mehr: Jeder Wahlkampf ist ein Unikat und aus keinem kann man wirklich was lernen.

So, das Ding ist gelaufen, ich hab mir den Schaum vorm Mund abgewischt, muss keine Motivationsblogs mehr schreiben und kann jetzt von der wunderbaren Kanareninsel La Palma aus einen etwas differenzierteren Blick auf die letzten Wochen werfen. Die SPD liegt klar vor den anderen Parteien (hatten nicht viele geschrieben, es gäbe ein Kopf-an-Kopf-Rennen? Die Grünen würden stärker als die SPD?) Dennoch bleibt ein großes: „Aber….“. Denn natürlich ist das Ergebnis insgesamt ein großes Rätsel, aus dem man nun eben das Beste machen muss.

Der 2016er Wahlkampf in Berlin war jedenfalls ein durchwachsener Jahrgang. Es war ein Wahlkampf in der Twighlight-Zone. Zwischen Provinz und Weltstadt, Schultoiletten und Flüchtlingshilfe, Offenheit und Abschottung, online und Bürgerämtern, gestern und heute. Keinem ist es gelungen, aus dem kleinteiligen Irrgarten einen wirklich überzeugenden Ausweg zu finden. Uns auch nicht, wie man sieht. Aber wenigstens sahen wir gut dabei aus.

Nach nun fast 30 Wahlkämpfen meint man ja, schon alles mitgemacht zu haben. Und dazu gehören auch die ganz schrecklichen Erfahrungen, wenn man kein Bein auf den Boden bekommt, wie etwa in Thüringen 2004 oder bei der Bundestagswahl 2009. Das waren Wahlkämpfe, in denen entweder eine große Wutwelle über einen schwappte, oder in denen man die freundliche Gleichgültigkeit spürte, wenn die Leute einen einfach über haben und ignorieren.

Die Wahl in Berlin 2016 war so ein Zwischending. Einerseits gab es wirklich äußerst hinderliche Symbolthemen wie etwa den ewigen BER, die faktischen Probleme auf den Bürgerämtern und steigende Mietpreise. Andererseits steht Berlin wirtschaftlich so gut da wie lange nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit hat einen absoluten Niedrigstand seit 25 Jahren erreicht und die Stadt boomt an allen Ecken und Enden.

Dennoch macht der Wähler natürlich die Partei, die am längsten regiert, für die gröbsten Fehler verantwortlich. Wen auch sonst? Das ist nur fair. Allerdings waren die Berliner nach dem Wechsel von Wowereit auf Müller erst einmal sehr offen für den neuen Mann an der Spitze. Das Versagen – vor allem der CDU-Senatoren – auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsaufkommens um den Jahreswechsel 2015/16, war dann allerdings eine böse Erinnerung an alles, was in der Stadt nicht funktioniert. Und auch dafür wurde dann die langjährige Regierungspartei SPD in Haft genommen. Der eigentlich gute Start Müllers wurde überschattet und sein Image als zwar etwas spröder aber ehrlicher und verlässlicher Regierender bekam einen Knacks. Für ihn umso bedauerlicher, als er tatsächlich viele Investitionen in Personal und Schulsanierungen bereits auf den Weg gebracht hatte und auch am Lageso durch starken persönlichen Einsatz die Dinge zum Besseren wenden konnte. Aber Images sind zäh und Weichenstellungen, die noch keine Wirkung zeigen, keine Kategorie im Wahlkampf.

Bei der SPD musste man also spätestens im Frühjahr davon ausgehen, dass die Partei auf jeden Fall Federn lassen würde. Aber da war leider kein besonders dickes Polster. Die SPD kommt in Berlin schon seit zwanzig Jahren nicht mehr deutlich über 30% und Klaus Wowereit hatte 2011 noch 28,3 % ins Ziel retten können. 1999 war man schon mal bei 22,4%.

Doch diese historischen Vergleiche sind eh für die Katz. Dafür hat sich in der Parteienlandschaft einfach viel zu viel verändert. Und am Ende zählt in einer Demokratie eben, wer heute gewonnen hat und den Regierungschef stellen kann und nicht, wer vor ein paar Jahren schon mal mehr hatte. Das ist dann wie bei Olympia. Vielleicht hat vor 4 Jahren schon mal einer weiter geworfen, aber heute gehört die Goldmedaille eben dem, der vorne liegt.

Nicht ganz unwichtig hingegen: Wowereit fuhr seine 28% ein, als die SPD auf Bundesebene bei 30% lag. Im September 2011 notierte die SPD sowohl bei der ARD (Infratest) als auch beim ZDF (FGW) über 30%. Die CDU wiederum befand sich auf heutigem Niveau (32-33%). So gesehen liegt das jetzige Ergebnis, wie schon 2011, etwas unter dem Bundestrend. Das sollte der Berliner SPD allerdings auch klar machen, dass jetzt alle zusammen daran arbeiten müssen, den Laden wieder voran zu bringen. Denn offenbar liegen hier auch hausgemachte Probleme vor. Wie man an RLP und MV, von Hamburg ganz zu schweigen, sieht, kann man als SPD auch heute noch deutlich über dem Bundestrend abschneiden. Dafür müssen sich nicht alle lieben, aber zusammen halten und arbeiten.

Ein sehr ambivalentes Bild zeigten auch unsere Fokusgruppen und Wählerbefragungen. Man ging davon aus, dass Müller weiter machen kann. Aber Enthusiasmus war das nicht. Was aber weniger an Müller lag, als am Gesamterscheinungsbild der SPD. Um es ganz deutlich zu sagen: Ohne Michael Müller, das zeigen alle unsere Daten, hätte sich die SPD kaum über 20% halten können. Müller hatte zwar nicht die Werte von Wowereit, aber für einen Regierungschef mit erst 18 Monaten Amtszeit durchaus gute.

Dennoch standen wir nach den Gruppen vor einem Rätsel. Es gab keine Wechselstimmung, eher eine Verdrussstimmung. Bedeutet: man wollte definitiv diese Konstellation nicht mehr, brannte aber auch für keine andere. Es drohte bereits früh eine „Denkzettelwahl“ aber dennoch wollte man, dass die SPD die nächste Regierung führt. Eine gefährliche Mischung, denn am Ende kann es bei einer solchen Stimmung auch passieren, dass man den ersten Platz verliert, ohne dass es jemand will. Einschliesslich der Wähler.

Grüne und Linke fand man auch „ok“. Henkel dafür unterirdisch. Der Versuch, Grenzwähler zwischen CDU und SPD zu finden, war vergeblich. Die unsicheren CDU Wähler schwankten nur zwischen CDU, AfD und Wahlenthaltung. Links von der CDU war keine Option. Die FDP kam erst spät ins Spiel und lieferte einem Teil der Abtrünnigen einen guten Ausweg ohne Extremismus.

Dann kam erschwerend hinzu, dass es in Berlin auch keine Herausforderer gab, an denen man sich reiben konnte. Das ging so weit, dass der RBB erst gar kein TV-Duell ansetzte, da man keinen klaren Gegenkandidaten zum amtierenden Regierenden Bürgermeister Michael Müller festmachen konnte. Oder besser wollte. Denn außer Frank Henkel hatte sich gar niemand als Kandidat für das oberste Regierungsamt ins Spiel gebracht.

Damit fehlte auf den letzten Metern auch noch ein medialer Höhepunkt, nachdem es zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz noch deutliche Bewegungen in der Wählerschaft innerhalb der letzten 10 Tage gab. Diese 5-er Runden sind dafür einfach kein Ersatz. Auch für den Zuschauer nicht.

Der Wahlkampf verlief entsprechend zäh. Die guten Nachrichten wollte keiner hören, die schlechten waren nicht zu ändern. Müller setzte im Vorwahlkampf durchaus noch politische Themen, wie etwa eine veränderte Struktur, um die Schulsanierung aus dem Bermuda-Dreieck des lokalen Kompetenzgerangels herauszuholen. Das wurde dann zwei Tage positiv kommentiert und danach ging es wieder um kaputte Klos. Ähnliches geschah mit dem Miet-Wohnungsbauprogramm, dem Mieterschutz usw… Themen bzw. vor allem Lösungen von Problemen waren nicht gefragt. Gut, wen würde das weniger überraschen als mich.

Aber nach all den kritischen Tönen zur SPD muss man ja auch mal sagen: Was ist denn das für eine Opposition, die da nichts draus machen kann? Wie kann man denn, wenn SPD, CDU und Piraten zusammen über 19% verlieren, als Grüne auch noch über 2% verlieren? Das ist eines der weiteren Rätsel. Apropos. Der Versuch, gemeinsam mit den Grünen noch eine Art Momentum für eine Rot-Grüne Bewegung hinzubekommen scheiterte an mehreren Faktoren. Vor allem aber an der für alle Unbeteiligten einfach nervenden Beziehungskrise der beiden Parteien in Berlin – die man jetzt vielleicht einmal endgültig aufarbeiten könnte. Es wäre der Stadt zu wünschen.

Werfen wir noch einen Blick auf die Metaebene und die bundespolitischen Debatten. Auch mit der „Haltungsfrage“ war es schwer, zu punkten. In Rheinland-Pfalz war das Thema Flüchtlinge im Februar/März noch auf dem absoluten Höhepunkt und überschattete alles. Auch der offene Konflikt zwischen Julia Klöckner und Angela Merkel war dort noch neu. Heute ist das Thema in den Hintergrund gerückt und CDU-Spitzenkandidaten, die sich von Merkel absetzen wollen, sind an der Tagesordnung. Henkels dämliche Doppelte-Burka-Debatte war ja auch nur ein aufgewärmter Klöckner-Flop mit genau den gleichen Folgen.

In Berlin muss man außerdem noch unterscheiden: Im Gegensatz zu Mecklenburg Vorpommern gibt es hier in dem Block derer, die die Flüchtlingspolitik als größtes Problem betrachten, auch nicht wenige, die meinen, es würde zu wenig für Flüchtlinge getan. Dennoch: Das Thema hatte nicht mehr die Bedeutung wie im Frühjahr. Die Wahl drohte auf den letzten Metern zu versuppen. Und wenn eine Wahl kein Thema findet, schlägt die Stunde der „Sonstigen“. Das waren vor 5 Jahren die Piraten und 2016 die FDP. Diese bot in der diffusen Gemengelage eine „seriöse“ Fluchtmöglichkeit, ohne die Regierungsparteien zu stützen oder weiter nach links oder rechts ausschlagen zu müssen.

Die Sommerferien endeten 14 Tage vor der Wahl, medial gab es keine Höhepunkte, die Opposition brachte keinen legitimen Herausforderer hervor, die SPD wurde mehr akzeptiert als gemocht und eigentlich sprach keiner über die Wahl. Dass die AfD auch in Berlin ins Abgeordnetenhaus einziehen würde, war für die meisten auch kein Aufreger mehr. Das war eingepreist und ob es nun 12 oder 14% sein würden, schien auch keinen zu interessieren. Für die SPD kam in den letzten Tagen ein eher wackeliger bis negativer Trend hinzu. Bei der ARD verharrte sie bei 21%, INSA sah sie bei 22, das ZDF mit der Forschungsgruppe Wahlen setzte sie in der allerletzten Umfrage vor der Wahl von 24 auf eher wackelige 23 runter. Alles in allem verlor sie an Boden. Man muss hier noch erwähnen, dass die SPD bereits im Juni und Anfang Juli – also noch vor Beginn des eigentlichen Wahlkampfes, bei Infratest und INSA erstmals bei 21% notierte. Wir waren also durchaus gewarnt und versuchten wiederholt, eine Rakete oder ein Raketchen zu zünden. Da flackerte dann etwas am Firmament und erlosch sofort wieder. Diese Wahl war nicht zu fassen und am Ende zählte nur noch, stringent durchzuziehen.

Michael Müller setzte in den letzten 3 Tagen noch auf eine Schlussmobilisierung der eigenen Anhänger, indem er dringend daran erinnerte, dass eine starke Rechte in Berlin weltweit Erinnerungen an die schlechten alten Zeiten wecken würde. Man setze leichtfertig den weltoffenen Ruf der Stadt aufs Spiel.

Dafür wurde er von konservativen Blättern heftig kritisiert, denen die Sorgen der AfD-Wähler offenbar wichtiger sind, als die Sorgen der engagierten Demokraten und das Klima in der Stadt. Es ist schon seltsam, dass AfD-Wähler immer noch als unmündige Schäfchen betrachtet werden, die in Schutz genommen werden müssen. Obwohl heute kein Wähler der AfD mehr behaupten kann, er hätte nicht gewusst, wen er da wähle. Heute bin ich überzeugt: die Schlussoffensive und die harte Attacke gegen die AfD haben die SPD eher stabilisiert. Es war ein lauter Weckruf und dieser war nötig.

Der Verlust für die SPD schmerzt, bewegt sich etwas über dem Niveau von Mecklenburg-Vorpommern (-5%), aber deutlich unter den Verlusten in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt (jeweils 10%). Hinzugewinnen konnte für die SPD zuletzt nur Malu Dreyer mit ihrem „Wunder von Rheinland-Pfalz“.

Der 2016er Wahlkampf in Berlin wird also nicht in den Olymp der besten Matches dieser Republik einziehen. Und so nehmen wir es eben sportlich: Es war ein schlechtes Spiel, aber wir haben es gewonnen.

Und ich bin mir sicher: Wenn Michael Müller seine erste volle Amtszeit regiert haben wird, werden wir 2021 deutlich bessere Bürgerämter in Berlin haben, wesentlich mehr städtische Mietwohnungen, nicht wesentlich weniger schlecht gelaunte Berliner aber – und ja, das sage ich hier mit aller Entschiedenheit: einen eröffneten Flughafen BER. Obwohl mir das, ehrlich gesagt, völlig egal ist. Ich bin ja auch Berliner.

PS. Einen dicken Dank an alle Kolleginnen und Kollegen bei BUTTERBERLIN für die schönste und meist gelobte Kampagne dieses Wahlkampfes. Das Design war wirklich umwerfend, Alejandro! Und natürlich an alle Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die sich über viele Monate unentgeltlich und in ihrer Freizeit engagiert haben. Es war mal wieder ein Höllenritt! Wir brechen unsere Zelte ab und ziehen weiter in das deutsche Heartland: NRW.

Der ehrliche Zorn des Michael Müller.

Eigentlich poste ich auf dieser Seite nur meinen eigenen Senf. Einmal habe ich eine Ausnahme gemacht für die wirklich große Rede des Olaf Scholz auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsjahres im September 2015. Jetzt ist es wieder so weit. Denn was Michael Müller exklusiv für die taz geschrieben hat, habe ich so deutlich noch von keinem Politiker mitten in einem Wahlkampf gehört. Es ist eigentlich ein Rant. Gegen die Rechten – aber noch mehr gegen die Gleichgültigen.

Forsa hat soeben (15.9., 14:00) neue Zahlen veröffentlicht. Die AfD steht in Berlin bei 13%. SPD 24, CDU 17, Grüne 17, Linke 15, FDP 5. Was mich erschüttert: 9% wollen noch „Sonstige“ wählen. Parteien, die keine Chance haben, ins Parlament einzuziehen. Ist denn wirklich sonst nichts dabei, um ein klares Zeichen gegen die AfD zu setzen? Keine SPD, Grüne, Linke? Und wer es konservativ mag, von mir aus FDP? Die Henkel-CDU lasse ich mal raus, die ist mir in Berlin zu nahe an der AfD. Wer aber jetzt noch seine Stimme verschenkt und so tut, als sei das alles nur ein großer Spaß, der hat den Schuss einfach nicht gehört. Jetzt geht es darum, die zu stärken, die im Parlament den Rechten Paroli bieten werden.

Ich verstehe die Gleichgültigkeit jedenfalls nicht. Was muss eigentlich noch geschehen, damit wir mit dem politischen Snobismus aufhören, nur noch zu 100% nach unserer persönlichen Erfüllung in einer Partei zu suchen? Und wenn diese nicht 1:1 erfüllt wird, dann gehen wir eben nicht wählen. Oder wählen irgendeinen Quatsch. Ich möchte jedenfalls, dass links von der AfD sehr viel mehr gute Leute im Parlament sitzen. Leute, die in der Lage sind, diesen hasserfüllten Menschen entschlossen entgegenzutreten. Und nicht diese herumeiernden CDU-ler oder reine Dilettanten, die sich auf der Strecke selbst zerlegen. Aber jetzt zu Michael Müller:

Aus der taz:

Wer am Sonntag seine Stimme verschenkt, könnte am Montag in einer anderen Stadt aufwachen.

Von Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin.

Man kann es nicht anders sagen, aber wenige Tage vor der Wahl herrscht eine seltsame Gleichgültigkeit in der Stadt. AfD 10, 12 oder 14% egal! Noch ein bisschen NPD dazu? Ist dann halt so.

Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, als fast alle in meinem Umfeld gegen die Apartheid in Südafrika demonstriert haben. Heute kann ein hochrangiger AfD – Repräsentant lautstark Verständnis dafür äußern, wenn man „einen Boateng“ nicht zum Nachbarn haben will. Die vielen anderen Entgleisungen bis hin zum Schießen auf Flüchtlingskinder als Ultima Ratio der Grenzsicherung, wie es die Berliner AfD Vorsitzende vorschlug, reihen sich nahtlos ein in ein durch und durch menschenfeindliches und rassistisches Weltbild.

Schulterzucken? 10-14% sind egal? Sie sind es nicht. Sie werden auf der ganzen Welt als ein Zeichen des Wiederaufstiegs der Rechten und Nazis in Deutschland gewertet werden. Berlin ist nicht irgendeine Stadt. Berlin ist die Stadt, die sich von der Hauptstadt Hitlers und Nazi-Deutschlands zum Leuchtturm der Freiheit, Toleranz, Vielfalt und des sozialen Zusammenhalts entwickelt hat. Berlin hat auch Teilung, Mauerbau und Schießbefehle überwunden und für alle sichtbar aus einer grausamen Geschichte von Leid, Verfolgung, Terror und Krieg die richtigen Lehren gezogen. Berlin ist heute die Hauptstadt der Freiheit. Ein Symbol für viele freiheitsliebende Menschen auf der Welt die sehen: es geht auch so.

Ich bin es leid, dass man Rassismus, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit nicht mehr benennen kann, ohne dass einem „die Nazi-Keule“ vorgeworfen wird. Aber genau das, verbunden mit den „völkischen“ Gedanken der AfD-Vorsitzenden, sind die Zutaten aus denen die braune Suppe angerührt wird.

Mit einem Rechtsruck wird sich das Leben in Berlin verändern. Davon bin ich überzeugt. Minderheiten, „anders“ aussehende Menschen werden nicht nur im Netz angepöbelt werden, sondern auch auf der Straße. So, wie es leider vielen demokratischen Wählkämpferinnen und Wählkämpfern in diesen Tagen heute schon geht. Spalter, Ausgrenzer und Ausländerfeinde werden einen Rechtsruck in unserer Stadt als Freibrief für ihre Hassideologie und –taten sehen. Klar: Es wird keine Veränderung von einem Tag auf den anderen geben, sondern dies wird ein schleichender Prozess sein, der das liberale Koordinatensystem unserer Stadt nach rechts verschieben würde.

Die Passivität vieler Demokratinnen und Demokraten angesichts dieser Entwicklung treibt mich um. Warum stellen sich so wenige die Frage: „Willst Du das, Berlin?“ – wie es kürzlich in einem Video die bekannten Künstler Joko&Klaas, Clemens Schick, Oliver Kalkofe oder die beiden Sänger der Band Boss Hoss getan haben. Wir brauchen mehr solche staatspolitische Verantwortung – erst recht in Berlin.

Wir treten an, um Berlin in einer neuen Koalition gut zu regieren. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch und damit kann man sich auseinandersetzen: Von einer Spekulationsbremse für Immobilieninvestoren, mehr guter Arbeit bis hin zu neuen bezahlbaren Mietwohnungen oder gebührenfreien Kitas. Das kann man gut, schlecht oder zu spät finden. Man kann über den richtigen Weg dorthin streiten. Jeder dieser politischen Vorschläge auch der Konkurrenz im Abgeordnetenhaus bringt Berlin mehr voran als die dummen, ausgrenzenden Parolen.

Ich kann verstehen, dass man an jeder Partei irgendetwas auszusetzen hat. Keine ist perfekt, aber eine der vielen wird eben besser passen, als die anderen. Aber eines kann ich nicht verstehen: Rechts zu wählen, angesichts der offensichtlichen unsozialen und unmenschlichen Politik dieser Parteien. Oder aber seine Stimme zu verschenken und gar nicht zu wählen. Denn das macht es den Spaltern einfach, ihr Werk zu beginnen.

Die Tage der politischen Leichtigkeit sind vorbei, wir erleben eine Zeit, die mehr Ernsthaftigkeit von allen erfordert. Ich wünschte mir, es wäre nicht so. Aber ich hoffe, dass jetzt immer mehr Demokratinnen und Demokraten verstehen, dass es so ist. Ich jedenfalls sehe es als meine Aufgabe als Regierender Bürgermeister von Berlin an, alle aufzurufen, diese Wahl nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Berlin sollte jetzt ein ganz deutliches Zeichen in die Welt senden. In Zeiten der Trumps, Orbans, Le Pens, Hofers und anderer Rechtsausleger stimmt Berlin für die Freiheit. Jede Einzelne und jeder Einzelne hat es am Sonntag in der Hand, in welcher Stadt und in welchem Klima wir am Montag aufwachen. Ich vertraue Berlin, dass die Stadt ihr Schicksal abermals in die eigene Hand nimmt, und eine Wiederholung der Geschichte verhindert.

Quelle: taz und Michael Müller auf Facebook