No Gro-Ko – Was passiert denn da in Bremen?

Auch wenn die ganz große Aufmerksamkeit dem Thriller „Koksnasen auf Ibiza“ gehört, lohnt sich doch ein Blick ins kleinste deutsche Bundesland. Dort hat die SPD der CDU eine knallharte Absage erteilt. Und die Grünen schwallwabern bei der Koalitionsfrage mal wieder puddingleicht durch das Mäandertum.

Der SPD Landesvorstand Bremen beschließt einstimmig, dass die SPD Bremen nach der Wahl ausschließlich für eine Mitte-Links-Regierung zur Verfügung steht. Anschließend treten die Parteivorsitzende, der Fraktionschef und der Bürgermeister am Freitag gemeinsam vor die Presse, um genau das 9 Tage vor der Wahl zu verkünden. Das ist nicht nur ziemlich geschlossen, sondern in seiner Konsequenz auch einmalig in der Geschichte bisheriger Landtagswahlkämpfe in Deutschland.

Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass es jemals einen solchen Beschluss von einer der beiden Volksparteien gegeben hätte.

Gleichzeitig wäre eine nun mögliche Mitte-Links-Regierung – in diesem Fall also aus SPD, Grünen und Linkspartei, die erste Rot-Grün-Rote Landesregierung in einem der alten Bundesländer. Die Bremerinnen und Bremer könnten also den Beweis für eine funktionierende Mitte-Links Regierung „im Westen“ antreten und damit neue linke Optionen über Bremen hinaus wieder denkbar machen.

Das kann man nun diskutieren. Hier mein Beitrag.

PRO:

1. Klarheit statt Unberechenbarkeit
Die Segmentierung der Parteienlandschaft in Deutschland hat mittlerweile dazu geführt, dass kein Wähler vor der Wahl noch weiß, was er nach der Wahl bekommt. Es gibt alle, wirklich alle Modelle. Jamaika, Ampel, GroKo, RRG (mal mit der SPD vorne in Berlin, mal mit der Linken in Thüringen, Schwarz-Grün, Grün-Schwarz, Rot-Grün, Schwarz-Gelb und in Brandenburg überlegt die CDU, ob man nicht doch mit der Linken…. Was die CDU in Sachsen überlegt bzw. macht, wenn sie ihren jetzigen MP abserviert hat, will ich gar nicht wissen.

Übrig bleibt eine unüberschaubare Kakophonie, Unklarheit und Unberechenbarkeit und das in Zeiten, in denen sowieso schon sehr viel Unsicherheit und Unklarheit die Sicht trüben. Die SPD sagt jetzt den Wählern: Mitte-Links oder nichts.

2. Regieren nicht um jeden Preis – sondern mit klaren Zielen.
Nach der Ankündigung der SPD kamen natürlich gleich Kommentare wie „SPD klammert sich an die Macht.“ Sorry, aber der Gedanke muss nochmal in die Logikklinik. Genau das Gegenteil ist ja der Fall. Sie schließt mehrere Machtoptionen kategorisch aus: Rot-Schwarz, Schwarz-Rot sowie die Ampel, da die FDP in Bremen sich aufgrund jahrzehntelanger Ohnmacht völlig ins Abseits marktradikalisiert hat.

Das heißt, selbst wenn die SPD erneut stärkste Partei würde (was aufgrund der aktuellen Umfragen durchaus drin ist), geht sie ein hohes Risiko ein.  Wichtiger sind ihr die Ziele, die sie mit CDU und FDP nicht erreichen kann. Etwa beim Mieterschutz, einer verschärften Mietpreisbremse und bezahlbarem Wohnungsneubau.

Wie in allen Metropolen ist auch in Bremen der Wohnungsmarkt zu der großen sozialen Frage unserer Zeit geworden. Obwohl dort die SPD nicht die gleichen Fehler begangen hat wie viele andere Regierungen. Sie hat eben gerade nicht städtische Wohnungen gekauft, sondern im Gegenteil, sogar neue erworben. Das ist gut. Aber das reicht nicht. Es braucht dringend mehr sozialen und generell bezahlbaren Wohnraum. Denn auch Bremen boomt und steht mit seinem Wirtschaftswachstum im zweiten Jahr in Folge bundesweit auf dem Siegertreppchen.

Das Wohnungsbauprogramm der CDU:
Wenn Du kein Geld für Miete hast, warum kaufst Du nicht Wohnung? Eh?!“

In dem 100-Tage Programm der CDU findet man hierzu ein dürres Sätzchen unter Position 25 (von 33 und zwar kurz vor dem Punkt: „Wir wollen Einweggeschirr untersagen“ – was sowieso schon verboten wurde). Es lautet sinngemäß: Die Leute sollen sich was kaufen. Oder wörtlich „Unser Ziel ist es, über alle Stadtteilen (sic!) kurzfristig mindestens Grundstücke für 500 Wohneinheiten für Familien zu identifizieren um sie zur Bebauung zur Verfügung (Verkauf oder Erbpacht) zustellen.“ Dankeschön. Deutsch Sprach schwer Sprach aber übersetzt: „Wenn Du kein Geld für Miete hast, warum kaufst Du nicht Wohnung? Eh?!“. Wenn das Volk kein Brot hat, warum isst es keinen Kuchen? Hinzu kommen bei der CDU: Ablehnung der verschärften Mietpreisbremse, Ablehnung der Bebauung eines bereits ausgewiesenen Bauprojektes (Rennbahn) usw. Kurzum: Mit einer Groko wird hier absolut nichts voran gehen. Warum soll man sie dann eingehen?

Es gibt noch viele weitere Punkte, aber der reicht mir eigentlich schon.

3. Wenn ihr links wählt, bekommt ihr links.
In Bremen gibt es seit vielen Jahren und über alle Umfragen hinweg stabile Mehrheiten für SPD, Grüne und Linke zwischen 54% und 57%. Die Verteilung innerhalb des Lagers verteilt sich, die Lager selbst bleiben sehr stabil. CDU/FDP liegen auf der anderen Seite im Korridor 30-34, aktuell sind es 32%. Dann gibt es noch AfD und/oder Bürger in Wut sowie die Besonderheit, dass wer in Bremerhaven die 5% bekommt, auch dann in die Bürgerschaft einzieht, wenn es in Bremen nicht reicht. Das sorgt für zusätzliche Verwirrung.

Kurzum: Die SPD Entscheidung sagt den Wählerinnen und Wählern: Wenn ihr eine Mitte-Links Regierung wählt, dann bekommt ihr sie mit uns garantiert. Das kann man bei den Linken auch voraussetzen, bei den Grünen nicht. Die Grünen schwallwabern mal wieder puddingleicht durch das Mäandertum. Kann man machen und viele Grün-Wähler wachen dann am Ende mit der CDU auf, die sie nie wollten. Was aber ist verwerflich daran, den Wählern klar zu sagen: Wenn es für eine linke Mehrheit reicht, sind wir in jedem Fall dabei. Wenn nicht, dann gehen wir in die Opposition?

Fazit: Ein Gewinn an Klarheit für die Wählerinnen und Wähler – und wie ich finde, auch für die Demokratie. Denn am Ende gibt es wieder etwas zu entscheiden. Für die SPD ist das ein Risiko, in das noch keiner gegangen ist. Aber auch sie wird danach Klarheit haben. Auf jeden Fall kommt nochmal Schmackes in den Endspurt.

CONTRA:

Ooops, ich muss los. Eurovision-Party vorbereiten. Riiiiise like a Phoenix! Es gab sie doch, die guten Dinge – auch aus Österreich.

 

 

 

Endlich.

Mit ihrer neuen Sozialpolitik bereitet die SPD Deutschland auf eine Zukunft vor, die sehr, sehr viele Veränderungen mit sich bringen wird. Und genau deshalb muss der Staat alles tun, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.

Unsicherheit ist der Nährboden für Populisten. Und wir leben in unsicheren Zeiten. Auch wenn sich die überwältigende Mehrheit der Deutschen mit ihrer finanziellen Situation zufrieden oder sogar sehr zufrieden zeigt, gilt diese aktuelle Selbsteinschätzung nicht mehr als Stabilitätsparameter. Die Unsicherheit hat andere Ursachen, denen man auch nicht mit den Rezepten von vor 20 Jahren begegnen kann. Denn vor 20 Jahren gab es diese Ursachen noch gar nicht.

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, gegen den die industrielle Revolution ein schleichender Prozess war. Alleine das Smartphone hat das Leben der Deutschen und ihren Alltag so dramatisch verändert, wie kaum eine Erfindung zuvor. Die technologische Entwicklung seit dem Amtsantritt des letzten sozialdemokratischen Kanzlers vor zwei Jahrzehnten ist atemberaubend. Mit allen Konsequenzen auf das Arbeitsleben, den Medienkonsum, das Privatleben und die globale Vernetzung. Es gibt nicht den kleinsten Bereich unseres Alltags, der nicht auf den Kopf gestellt wurde. Vor allem aber erleben wir, dass sich viele Menschen in einem nervösen Dauerzustand befinden. Und viele auch einen permanenten Veränderungsdruck verspüren.

Alleine in den letzten zehn Jahren durchlebten die Menschen in Deutschland eine massive Konjunkturkrise (2009) mit langen Kurzarbeitsphasen bis hinein in die Boomregionen von Bayern und Baden-Württemberg. Sie erlebten die Eurokrise, die in Kombination mit der weltweiten Rezession zu Dauerniedrigzins und dem Niedergang der Lebensversicherungen führte. Sie erlebten eine massive Binnenmigration mit einer regelrechten Landflucht der jungen Leute in die Ballungszentren und Boomstädte. Mit doppelten Folgen: Ausdünnung, Ladenschließungen, ÖPNV-, Schul- und Kitaabbau und damit Vergreisung auf der einen Seite – explodierende Mieten, Gentrifizierung, Überlastung der Infrastruktur, Schul- und Kitamangel sowie Bauboom und Dauerbaustellen auf der anderen.

Diese im Alltag aller Menschen spürbare Veränderung wird nun noch ergänzt durch erste Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf die Zukunftsfähigkeit der deutschen Schlüsselindustrien und Symbole des Wohlstands. Die Deutsche Bank, Volkswagen, Karstadt-Quelle – Symbole des Wohlstands durchleben Krisen oder verschwinden gleich ganz vom Markt. Die Dieselkrise führt zu zusätzlicher und direkt erlebter Verunsicherung. Die Produkte von BMW, Mercedes, Audi, Porsche, Volkswagen – aufgrund einer beispiellosen Technologieverweigerung Ihrer Chefs bald Auslaufmodelle oder gar versehen mit dem Makel eines Fahrverbotes in Ballungszentren im In- und Ausland?

Und im Privatleben spüren die Menschen auch einen permanenten Kommunikationsdruck und deutlich gestiegene Erwartungen an Erreichbarkeit, Erziehung, Ernährung, Sozialverhalten und digitale Kompetenz. Hinzu kommen die gesellschaftlichen Veränderungen, die manche mehr irritieren als andere. Die Stichworte hier: Emanzipation, Ehe für alle, Patchwork, Internationalisierung der Gesellschaft. Obendrauf erleben wir den Klimawandel nun auch in Deutschland und Europa und kennen ihn nicht mehr nur aus Berichten von fernen Ländern.Diese Veränderungen fanden und finden statt – und zwar völlig unabhängig von den Flüchtlingsbewegungen und deren Höhepunkt in Deutschland 2015/2016. Schon vorher stand also fest: Alles ist in Bewegung. Planbarkeit wird schwieriger. Zukunftsszenarien werden immer schneller Gegenwartsszenarien.

Auf Veränderung gibt es drei Reaktionsmöglichkeiten:

  • Stagnative Fixierung auf die Gegenwart und Verteidigung des Status Quo.
  • Reaktionäre Idealisierung des Gestern, Flucht in die Vergangenheit
  • Aktive Gestaltung der Zukunft.

Die SPD geht mit ihrer Neuordnung des Sozialstaates einen ersten, mutigen Schritt nach vorne. Weitere werden folgen. Den Beginn aber macht ein umfassendes Konzept, bei dem man vor allem eines spürt, was vielen anderen Akteuren abgeht: eine substantielle Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre und eine Ausrichtung entlang der Anforderungen der nächsten zwanzig Jahre.

Die neue Führung unter Andrea Nahles hat damit in weniger als zwölf Monaten wesentlich mehr geleistet als ihre Vorgänger und auch die Konkurrenz über die letzten Jahre. Dieses Konzept ist belastbar und genau das ist auch der Grund, warum die SPD (endlich) mal wieder richtige Gegner in den neoliberalen Lobbyverbänden der Industrie findet. Einer Industrie, die aufgrund ihrer eigenen Zukunftskonzepte sehr großen Anlass für Demut und Zurückhaltung hätte.

Die wichtigste Aufgabe demokratischer Führung über die nächsten Jahre ist die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. In Zeiten schneller Umbrüche, wachsender Unsicherheit und zunehmendem Populismus ist sozialer Zusammenhalt die Lebensversicherung einer freien und vielfältigen Demokratie. Demokratien müssen immer besser sein als undemokratische Regime, um sich gegen Angriffe der Populisten zu immunisieren. Freier und erfolgreicher aber auch sozialer, berechenbarer und gerechter.

Mit der Neuausrichtung des Sozialstaates ist der SPD ein großer Wurf auf dem Feld ihrer Kernkompetenz gelungen. Vor allem aber ist es eine Abkehr vom neoliberalen Mantra der Vergangenheit, das auf staatlichem Misstrauen gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern beruhte. Die Zukunftssorgen, die viele Bürgerinnen und Bürger gerade umtreiben, sind nicht auf ein paar Hartz IV-Betrugsfälle zurückzuführen. Die wahren Probleme mit denen wir gerade und in nächster Zukunft konfrontiert werden, wurden und werden in den Chefbüros von millionenschweren Unternehmenslenkern verursacht, die in ihrer Selbstverliebtheit und Sattheit die Zukunft verpennt haben. Und die jetzt schon wieder nach dem Staat rufen, der sie retten soll.

Dieser Text erschien erstmalig auf richelstauss.de

Sunday, bloody Sunday.

Kanzlerinnendämmerung, drohender Rechtsruck der Union, SPD-Dauerkrise, neue Vorhaben, mögliche Ultimaten. Nach Merkels angekündigtem Rückzug sollte man sich Größerem widmen als einem „störungsfreien“ Abarbeiten des Koalitionsvertrages. Oder es einfach sein lassen. Einordnungen und Anregungen.

Bei der Bundestagswahl im September 2017 verloren die GroKo-Parteien zusammen 13,8 Punkte. Von 67,2% auf 53,3%. Man dachte, das sei viel. Nach der Neuauflage im März 2018 verloren sie in Bayern gemeinsam 21,4% und schließlich in Hessen erneut 22,2 Prozent. Die Wahl in Niedersachsen passt nicht als Gegenbeispiel, da diese bereits drei Wochen nach der Bundestagswahl stattfand, als die SPD eine Neuauflage der GroKo noch ausgeschlossen hatte. Nach diesem dritten blutigen GroKo Wahlabend in Hessen sollte allen klar sein, dass es so nicht weitergehen kann. In aktuellen Umfragen kommen die drei Koalitionspartner zurzeit noch auf 39-41%. Aber was ist zu tun?

Die Antwort für die größte Leidtragende der zwei Oktoberwahlen, die SPD, fällt nicht so einfach aus, wie man es sich in einer solchen Situation wünschen mag. Denn wenn die Partei ehrlich zu sich selbst ist, löst ein Groxit keines ihrer inhaltlichen oder auch personellen Probleme. Die Grünen haben sich in den langen Jahren der Opposition inhaltlich wie personell deutlich verändert. Dafür haben sie 13 Jahre benötigt. Und sind immer noch Opposition. Dreizehn Jahre, in denen sie erst nach links, dann deutlich in die Mitte gewandert sind und auch erst vor einem Jahr die klare personelle Erneuerung gewagt haben. Dazwischen lagen sehr lange Durststrecken bis in den Oktober des Jahres 2017, als sie als kleinste Fraktion in den neugewählten Bundestag einzogen. Das war gerade einmal vor einem Jahr.

Heute erntet die Partei die Früchte dieser Erneuerung und hat sich zur moderneren, klareren und dynamischeren Antwort für die moderne Mitte in Deutschland gemausert als es SPD und Linke sind. Sie profitieren auch von dem Unions-Fallout, der bei Weitem nicht so hoch ausfallen würde, wenn große Teile der CSU und kleinere der CDU nicht so scharf rechts blinken würden. Die Grünen entfalten heute eine Dynamik, wie sie die SPD mit Martin Schulz für sehr kurze Zeit Anfang 2017 entfachen konnte. Und zwar so lange, bis Kandidat und Partei in eine inhaltliche und angstgetriebene Schwurbelei zurückverfallen sind, die jede Illusion eines progressiven Aufbruchs zerplatzen ließ.

Diese angstgetriebene Schwurbelei – über viele Jahre seit 2005 praktiziert – wird die SPD auch in die Opposition begleiten. Dazu zählen heute besonders die ungeklärten Positionen in der Sozialpolitik, der Umweltpolitik und der Europa- und Friedenspolitik. Wem das zu abstrakt ist, hier ein paar Stichworte: Braunkohle, Diesel, Hartz IV, Putin, Trump, Europäische Integration und Waffenexporte. Eine SPD in der bundespolitischen Opposition kann diese Fragen dann mit Landesverbänden klären, die sich politisch verantwortlich für Arbeitsplätze in der Braunkohle und/oder der Automobilindustrie fühlen. Das ist lösbar. Aber weder so schnell noch so radikal wie sich das einige vorstellen.

Kann die SPD sich also trotz allem auch in der Regierung erneuern? Das zu glauben fällt schwerer denn je. Und das hat nichts mit dem sehr sozialdemokratischen Koalitionsvertrag zu tun, sondern maßgeblich mit einem schlimmen Tripple: Grenzzurückweisungen, Maaßen und Diesel. Denn nichts davon hatte mit Regieren zu tun, auch nicht mit einem zwar guten, wenn auch nicht wirklich „großen“ Koalitionsvertrag. Man kann den „Dieselkompromiss“, als dritten und vorläufigen Gro-Gau-Höhepunkt gar nicht ernst genug nehmen bei der Beurteilung der gegenwärtigen Ergebnisse für die Parteien der Großen Koalition. Man sollte auf jeden Fall schon einmal beherzigen, dass, wenn drei sich treffen und bis zum Morgengrauen zusammensitzen, nichts Gutes entstehen kann. Eine Formel, die generell für das Leben anzuwenden ist. Klar, man kann und muss die Hauptschuld bei allen missglückten Ergebnissen vor allem bei der CSU suchen und finden, aber das hilft ja am Ende nichts. Schließlich hat diese auch stark verloren. Doch wer an hessischen Infoständen unterwegs war, der hat erlebt, dass es in den letzten 14 Tagen um nichts anderes mehr ging als um Diesel, Diesel, Diesel. Die nicht umsetzbare Quatschformel, die in dieser unglücklichen Nacht entstanden ist, hat es geschafft, alle unglücklich zu machen: Dieselfahrer, Dieselgeschädigte und alle dazwischen.

Der „Dieselkompromiss“ hat den Eindruck verschärft, dass die Regierung nicht auf der Seite der Verbraucher, sondern der Bosse steht. Verkannt wird dabei, dass beiden – Regierung und Bossen – bei dem Blick in die Zukunft der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie der nackte Angstschweiß auf der Stirn steht. Wir stehen hier vor einem möglichen Fiasko, wogegen sich die große Stahlkrise der 80er und 90er Jahre wie ein leises Rumpeln ausmachen könnte. Die eigentlichen Opfer von Dieselgate sind die Kunden, aber eben auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren gute und gut bezahlte Arbeitsplätze von der unglückseligen Allianz aus Vorständen, einigen mächtigen Betriebsräten, Lobbyisten und handzahmen Politikern massiv gefährdet werden.

Die Dieselstrategie der deutschen Industrie ist weltweit so krachend gescheitert, wie kaum eine andere wirtschaftliche Strategie dieser Größenordnung zuvor. Und auch wenn die Politik durch lasche und dehnbare gesetzliche Rahmenbedingungen eine Mitschuld trägt, liegt die Hauptschuld dort, wo sie auch hingehört: bei megabezahlten Vorständen, die nicht nur ein unverschämt vielfaches ihrer Angestellten verdienen – sondern auch das mehrfache Gehalt von Abgeordneten, Ministern oder auch der Kanzlerin. Warum so ein großer Schlenker zur Automobilindustrie? Weil sie symptomatisch ist für das gegenwärtige Ungleichgewicht, das viele wahrnehmen. Die Mitarbeiter wissen doch längst, dass ihre Bosse den Karren breitbeinig und verantwortungslos in den Dreck gefahren haben. Und die Mitarbeiter sind nicht stolz darauf, Dreckschleudern oder gar betrügerische Produkte zu produzieren. Sie würden auch lieber fortschrittliche, saubere und kundenfreundliche Produkte herstellen, da auch sie Kinder haben und diese in einer gesunden Umgebung aufwachsen sehen wollen. Sie sehen nur keinen Ausweg. Diesen Ausweg zu zeigen, den Struktur- und Mentalitätswechsel in dieser Krisenindustrie zu fördern, das ist jetzt die Aufgabe von Politik und einer Arbeitnehmerpartei. Nicht die Zementierung des Status Quo, die am Ende nur zu der Frage führen wird: „Papa, was war denn ein Volkswagen?“ „Ein Auto.“ „Lustiger Name.“

Gleiches gilt natürlich für die Braunkohle, die kein Mensch mehr braucht, außer denen, die unmittelbar davon ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dass der Staat es nicht schafft, Hand in Hand mit der Industrie in Boomzeiten den Betroffenen eine vernünftige Alternative anzubieten, ist ein Armutszeugnis. Vor allem bringt es die Arbeiter in eine schreckliche Situation. Einige von ihnen meinen nun, dass sie ein paar Aktivisten bekämpfen müssten, um ihre Arbeit zu behalten, während absolut jeder Verantwortliche in den betroffenen Unternehmen und der Regierung weiß, dass dieses Kapitel endgültig geschlossen wird – und auch früher als erwartet. Hier ist die Arbeiterpartei gefragt, die erneut nicht den Status Quo erhalten darf. Denn der ist Mist für alle.

Die dritte bedeutende Baustelle ist die Frage einer solidarischen EU, die angesichts neuer ökonomischer wie militaristischer Bedrohungen aus dem Osten wie dem Westen die einzige Antwort sein kann. Auch hier tritt allen Beteiligten der Angstschweiß auf die Stirn. Mehr EU ohne mehr Solidarität geht nämlich nicht. Und mehr Solidarität bedeutet natürlich auch engere Kooperation und Verantwortung. Die Bundesregierung hat sich bisher entschlossen, die Initiativen von Macron weitgehend zu ignorieren. Man kann diese in Teilen gut oder schlecht finden, aber die Frage bleibt dann, welche Initiativen denn von dieser Großen Koalition ausgehen, damit sie den Namen „Groß“ verdient.

Dies waren nur einige Beispiele die zeigen, dass sehr, sehr große Herausforderungen vor dieser Regierung liegen. Dies kann eine Chance sein, wenn man sie jetzt angstfrei angeht. Hat man aber Angst davor, zu regieren, dann sollte man es einfach sein lassen. Nur mit Trippelschritten ist diese Regierung jedenfalls nicht zu retten – und man wüsste auch nicht, weshalb man sie retten sollte.

Deutschland steht nicht vor einem Rechtsruck. Auch das haben die letzten Wahlen gezeigt und die Umfragen ebenso. Die große friedliche und demokratische deutsche Mitte – rund 75-85%, sortiert sich zwischen CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und in manchen Bundesländern, wie etwa Thüringen, zähle ich die Linke mit zur demokratischen Mitte. Das Pendel schlägt zurzeit eindeutig in Richtung des modernen Deutschlands. Dafür muss die Politik die Zukunft der Arbeit mit der Zukunft der Welt, in der wir leben und der Art, wie wir in dieser Welt zusammenleben wollen, verbinden. Welche progressive Partei sich hierfür am besten aufstellt, wird die Zukunft gewinnen. Eine tolle Aufgabe. Man sollte irgendwas mit Politik machen.

Dieser Beitrag erschien erstmalig auf richelstauss.de

 

Bouffier zieht nicht.

In Hessen verliert die Bevölkerung immer mehr das Vertrauen in die Zukunftskompetenz des Ministerpräsidenten – und mit ihm in die CDU.

Zum Wochenstart kam der Hessentrend von infratest dimap mit neuen Zahlen auf den Markt. Und diese Zahlen haben es in sich. Bezüglich der Zukunftssorgen nennen zum Beispiel 79%, „dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet“ und 71%, „dass unsere Demokratie durch Rechtsextremismus in Gefahr gerät.“ Ganze 35% nennen, „dass zu viele Fremde nach Deutschland kommen.“ Es wäre ja schön, wenn auch der mediale und politische Diskurs diese Zahlen ernst nehmen würde.

In Hessen ist auch das Thema „Flüchtlinge/Einwanderung/Asyl“ nicht mehr an der Spitze der wichtigsten Themen und rauscht im Langzeittrend mit 29% Nennung immer deutlicher nach unten (-9%). Das Thema befindet sich jetzt auf dem Niveau vor dem Jahr der großen Flüchtlingswanderung 2015. Das Ranking der Forschungsgruppe Wahlen für das Politbarometer Extra Hessen bestätigt dies. (Gruß in die Phoenix-Runde vom 18.09.18, für die Gourmets unter uns.)

Spitzenreiter mit großem Abstand ist der Themenkomplex „Bildung/Schule/Ausbildung“ mit 40%. Und schon einige Zeit im Aufwind sind „Wohnen/Miete“ mit 21% (+9) sowie „Infrastruktur/Verkehr“ mit 22% (+4).

Das eigentlich Spannende ist dabei die Kompetenzverteilung zwischen den Parteien:

Die SPD führt massiv bei Wohnen/Mieten (41%, CDU 12%), bei Bildung (SPD 33%, CDU 24%), sie liegt auch bei „Flüchtlingspolitik/Asyl“ knapp vorne (25%, CDU 22%) und ist bei Verkehrspolitik in Schlagweite (21%:26%). Damit liegt sie bei 3 der Top-Themen vorne.

Ansonsten verfügt die SPD noch über hervorragende Werte bei „Familienpolitik“ (43%, CDU: 19%) und führt klar bei sozialer Gerechtigkeit (38:16). Die CDU wiederum führt bei ihren Klassikern wie „Wirtschaft“ (21:52), „Finanzen (27:42) aber nur noch weniger deutlich bei der Frage, wer besser Arbeitsplätze schaffen kann (32:37). Insgesamt spielen diese Themen aber in der heutigen Zeit eine untergeordnete Rolle.

In der zusammenfassenden Frage, wer die wichtigsten Probleme Hessens am besten lösen kann, gibt es einen Gleichstand zwischen SPD und CDU (27:28). Das ist für eine Oppositionspartei ziemlich gut, für eine Regierungspartei dafür ziemlich schlecht.

Die schlechten Zahlen in den entscheidenden Kompetenzfeldern könnte die CDU mit einem beliebten Amtsinhaber sicher ausgleichen. Volker Bouffier ist aber nicht beliebt. In der Direktwahl liegt er mit 43% nur noch 4% vor Thorsten Schäfer-Gümbel. Das ist sehr, sehr schlecht für den Amtsinhaber und gut für den Herausforderer. Ein Amtsinhaber unter 50% in der Direktwahl ist akut abwahlgefährdet.

Nicht besser wird es im Vergleich bei der Zufriedenheit. Hier erreicht Bouffier 54%. Das sieht auf den ersten Blick gut aus – aber nicht auf den zweiten.

Zum Vergleich: vor ihren jeweiligen Landtagswahlen lagen die Amtsinhaber bei folgenden Zufriedenheitswerten:
Kretschmann: 89%,
Kramp-Karrenbauer: 79%,
Dreyer: 78%,
Weil: 67%,
Albig: 62%,
Kraft: 59%.
Mit 54% erreicht Bouffier den schlechtesten Wert in diesem Vergleich und abgewählt wird man offenbar schon ab etwa 60%.

In realen Zahlen liegt die SPD bei infratest dimap nur noch 5% hinter der CDU (28:23). Ähnliches hatte auch Insa bereits gemeldet (29:24). Im Vergleich zum letzten Hessentrend hat sich der Abstand damit von 9% auf 5% deutlich verkürzt.

Sieht man nun die guten Kompetenzwerte für die SPD und die ebenso guten Direktwahlwerte für Schäfer-Gümbel, so könnte sich im Schatten der Bayern-Wahl die eigentliche Sensation in Hessen am 28.10. ereignen. Dort wird übrigens auch eine Ampel wie im Nachbarland Rheinland-Pfalz nicht ausgeschlossen. Mit aktuell 47% liegt diese Kombination klar im Rahmen des Erreichbaren.

Mal sehen, was die nächsten Wochen noch so bringen. Ist ja einiges los. Auf jeden Fall aber ist Hessen voll im Spiel.

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