Europawahl 2019 – ein neues politisches Klima.

Eine Europawahl ist (leider) nicht wirklich eine Europawahl, sondern wird weiterhin auf Basis nationaler Listen und Regeln durchgeführt und daher auch von nationalen Stimmungen dominiert. Das gilt auch für das überwältigend pro-europäische Deutschland und erschwert eine personelle wie inhaltliche Zuspitzung im Wahlkampf.

Die Europawahl bringt einige Besonderheiten mit sich, die sich klar von den sonstigen Parametern einer Bundestags- oder Landtagswahl unterscheiden. Der wahrscheinlich wichtigste Unterschied ist die fehlende personelle Zuspitzung – aber das ist nicht der einzige. Der Reihe nach.

Personalisierung
Seit 2014 gibt es zwar eine virtuelle Spitzenkandidatur der beiden größten Fraktionsgemeinschaften, aber für Klarheit sorgt das nicht zwingend. Denn das Votum ist nicht bindend, und im Vorfeld der Wahl 2019 wurde schon mehr als einmal spekuliert, dass Manfred Weber selbst bei einem Erfolg nicht zwingend von der EVP für den Job des Kommissionspräsidenten nominiert werden würde. Das sorgt nicht für Klarheit.

Wenn die Spitzenkandidatur überhaupt etwas bringt, dann im Zweifel den Kandidaten in ihrem jeweiligen Heimatland. Frans Timmermans hat so seine PvdA offenbar nicht nur revitalisieren, sondern sogar auf Platz 1 in den Niederlanden hieven können. Denn natürlich sind die Niederländer stolz darauf, wenn „ihr Mann“ sich europaweit TV-Duelle liefert. In Deutschland alleine zwei Duelle mit Weber zur besten Sendezeit in ARD und ZDF, die auch in Holland gesehen werden. Martin Schulz half die europaweite Kandidatur 2014 ebenso, denn auch viele Deutsche mochten es, dass „ihr Mann“ europaweit Großkundgebungen und TV-Debatten bestritt. Aber den Mega-Durchbruch brachte das am Ende auch nicht. 27,3% sind aus heutiger Sicht ein Traumergebnis – allerdings hatte die SPD im Jahr zuvor bei der Bundestagswahl auch schon 25,7% geholt und stand bundesweit in den Umfragen zur Bundestagswahl zwischen Januar und Mai 2014 stabil bei rund 26% (FGW/Infratest). Die europaweite Spitzenkandidatur brachte am Ende also  1-2 Prozentpunkte. Immerhin. Herr Weber hat trotz Spitzenkandidatur der EVP in Europa und für CDU/CSU in Deutschland Stimmenanteile verloren.

Es ist also extrem schwer für die Menschen, neben den nationalen Kandidaten auch noch die europaweiten einzusortieren. National macht man es ihnen auch noch unnötig schwer. Die Grünen plakatierten überwiegend nicht ihre Europa-Kandidaten, sondern die populäre Bundesspitze (kein Vorwurf – der werfe den ersten Stein), und die SPD stellte zwar Katarina Barley deutlich heraus, trat aber faktisch auch mit einer Doppelspitze an.

In Zeiten, in denen die Mediennutzung der Wählerinnen und Wähler so vielfältig ist, dass man nur mit sehr klaren Botschaften und eindeutiger Personalisierung durchdringen kann, hilft dieses Kandidaturenmischmasch keinem und stiftet, wenn überhaupt, dann nur Verwirrung.

Polarisierung
Mit der Polarisierung ist es 2019 so eine Sache. Außer der AfD führten alle Parteien im Vergleich zu 2014 einen klar pro-europäischen Wahlkampf. Auch die CSU mit Manfred Weber, die 2014 noch mit Europaskeptiker Peter Gauweiler angetreten war und für die damalige Verhältnisse in Bayern sehr schlechte 40,5% eingefahren hatte.

Eine Polarisierung wurde über die zweifelhaften Bündnispartner der EVP-Parteien in Österreich, Ungarn, Estland etc. zwar versucht– aber eine solche Polarisierung ist etwas für die schmale Info-Elite. Die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler interessiert sich herzlich wenig dafür, wer in anderen Ländern mit wem koaliert, und in Deutschland traut man der Union bis dato keine Zusammenarbeit mit der AfD zu – was sich ja vielleicht in Sachsen bald ändern wird. Aber diese Wahl kommt ja erst noch.

Die anderen Themen – von europäischem Mindestlohn bis europäischer Armee sind jeweils interessant – aber hier sehen die Menschen (zurecht?) nicht das Parlament als ausschlaggebenden Faktor, sondern eher die nationalen Regierungen über die Kommission. Das bedeutet nicht, dass diese Themen nicht adressiert werden sollten –  mit irgend etwas muss man ja Wahlkampf machen – aber für eine harte Polarisierung taugen sie nicht. Auch beim Thema Frieden (Trump, Irak, Nordkorea) sehen die Wählerinnen kein Kriegstreibertum bei Merkel, den Grünen oder der Linkspartei, weshalb auch hier für die SPD keine Alleinstellung möglich ist. Einige führen hier gerne Gerhard Schröder gegen Bush Jr. an – aber damals hatten wir einen Clash zwischen einem amtierenden Bundeskanzler und dem amerikanischen Präsidenten. Das ist eine völlig andere Ausgangslage. Die Wähler glauben zurecht nicht, dass Donald Trump sich für die Meinung eines Junior-Koalitionspartners in Deutschland interessiert. Er interessiert sich ja nicht mal für Merkel.

Da wir also rund 80% pro-europäische Parteien bei einer über 80%-pro-europäisch eingestellten Bevölkerung haben, verteilte sich der Kuchen innerhalb dieses Lagers weitgehend entlang der bisher vorliegenden Umfragen. Etwas schwieriger wurde die Lage für die Volksparteien durch die nicht vorhandene 5%-Hürde, weshalb vor allem aus dem sogenannten progressiven Lager noch Wähler zu Parteien wie „Die Partei“, „VOLT“, „Piraten“, oder gar „Tierschutzpartei“ abflossen. Ein Prozent hier, zwei da und schwupps sind am Ende 6-7% futsch.

Wachsendes Interesse fand diese Wahl grundsätzlich durch die polarisierte Weltlage – von Trump über Putin bis Brexit. Aber auch hier waren die Antworten der Pro-Europäer zumindest an der Oberfläche so ähnlich, dass man schon tiefer einsteigen musste, um die Unterschiede erkennen zu können. Es steigt aber kaum jemand tiefer ein.

Bereits im Vorfeld warfen manche der SPD Spitzenkandidatin Katarina Barley (aber auch Manfred Weber) vor, sie würde zu wenig polarisieren und sei zu leise. Da Katarina Barley nicht vom Himmel fiel, war auch schon im Vorfeld bekannt, dass sie nicht für einen Hau-Drauf-Politikstil zur Verfügung steht. Ob eine härtere Gangart (was immer das heißen soll) der SPD geholfen hätte, ist in ihrem aktuellen Gesamtzustand zu bezweifeln. Die SPD steckt bei vielen Wählerinnen und Wähler in einer so fundamentalen Vertrauenskrise, dass wilde Rhetorik und Macho-Männchen-Attacken vermutlich noch weniger ankommen als ein ruhiger, sympathischer und vertrauenswürdiger Auftritt.

Die SPD hat in diesem Wahlkampf kein wahlentscheidendes Thema gespielt, weil sie keines hatte. Jedenfall kann ich allen versichern, dass wir nicht die ultimative Wahlkampfwaffe im Keller gelassen haben, um sie für schlechtere Zeiten aufzubewahren.

Vergleich der beiden letzten nationalen Urnengänge.
Mit dem fehlenden zündenden Thema ist die SPD nicht alleine. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 – der letzten nationalen Wahl – gab es sehr viele Verlierer und nur eine Gewinnerin. Wir bewerten die Bundestagswahl 2017 – trotz höherer Wahlbeteiligung – als aussagekräftiger als den Vergleich mit der Europawahl 2014. Denn dazwischen lagen die entscheidenden Jahre 2015/16, in denen sich entlang der Flüchtlingsthematik die deutschen Wählerinnen und Wähler als auch die Parteienlandschaft neu sortiert haben.

Im Vergleich der beiden jüngsten nationalen Urnengänge, der Bundestagswahl 2017 und der Europawahl 2019 sieht es so aus:

CDU/CSU: – 4% (32,9 : 28,9)
SPD: – 4,7% (20,5 : 15,8)
Grüne: + 11,6% (8,9 : 20,5)
FDP: -5,3% (10,7 : 5,4)
Linke: -3,7% (9,2 : 5,5)
AfD: -1,6% (12,6 : 11,0)
Sonstige: + 7,9 (5,0:12,9)

Die Regierungsparteien verlieren gemeinsam noch einmal 8,7% im Vergleich zu dem sowieso schon schwachen Ergebnis 2017. Die FDP halbiert sich. Große Gewinner sind die Grünen. Aber auch die Sonstigen, was eine weiter abnehmende Bindungskraft der Parteien signalisiert.

Das eine Thema – ist so viele Themen.
Natürlich profitierten die Grünen massiv von dem dominierenden – aber eben auch sehr europäischen Thema das Klimaschutzes. Grenzübergreifender Umweltschutz macht eben auch extrem viel Sinn. Das erklärt auch das massive Abschmieren der FDP. Hier hat sich seit der Bundestagswahl 2017 bei der Hälfte der damaligen FDP Wähler offenbar die Erkenntis durchgesetzt, dass die FDP von allen Parteien jenseits der AfD den härtesten Pro-Lobby und Anti-Klima-Kurs fährt.

Die SPD hat bei diesem Thema seit vielen Jahren ihre Kompetenz eingebüßt. Es gab tatsächlich in den 90er Jahren einmal Zeiten, in denen Al Gores „Erde im Gleichgewicht“ in jedem sozialdemokratischen Bücherschrank stand neben Oskar Lafontaines „Der andere Fortschritt“ (1985 – als er noch Vordenker statt Nachtreter war). Man berief sich auf den Club of Rome und hatte prominente Umweltschutz-Vordenker wie Ernst Ulrich von Weizsäcker (späterer Präsident des Club of Rome), Michael Müller, Jo Leinen und viele mehr in den Parlamenten. Irgendwann hat man das Thema dann an den Koalitionspartner delegiert. Was nicht bedeutet, dass es keine engagierten Umweltschützerinnen und Umweltschützer in der SPD mehr gäbe. Herausgestellt hat man sie jedoch nicht, aber das immerhin SPD-geführte Umweltministerium in den Koalitionsverhandlungen zur Schrumpfmasse erklärt.

Heute ist Umwelt- und Klimaschutz bei weitem mehr als Umwelt- und Klimaschutz. Das Thema ist in den Augen vieler Menschen zu einer Existenzfrage der Menschheit überhaupt geworden und – wenn man es etwas tiefer hängen will – zur Existenzfrage der deutschen Schlüsselindustrie. Die SPD wird hier aufgrund ihrer nicht zu leugnenden Historie als Kohle- und Autopartei massiv bestraft. Für viele Jugendliche ist die Partei nicht wählbar und aus der Zeit gefallen.

Aber es geht weit über die Jugend hinaus. Eltern wollen nicht Produkte herstellen, die am Ende ihren Kindern schaden. Sie tun es, weil sie dafür bezahlt werden, aber sie haben keine Freude und keinen Stolz daran. Wer diesen Konflikt auflöst, dem gehört die Zukunft. Wer bremst und verteidigt, wo es nichts mehr zu verteidigen gibt – das gilt für Politiker, Wirtschaftsbosse und Betriebsräte gleichermaßen – wird weggefegt werden. Vom Markt, vom Arbeitsplatz, von der politischen Bildfläche. Das hat selbst VW begriffen. Auf die harte Tour.

Die SPD hat das Thema in den letzten Jahren des Niedergangs auch aus Angst vernachlässigt, noch mehr Wählerinnen und Wähler zu verlieren. Sie tat dies in der irrigen Annahme, ehemalige Wähler mit einem solchen Kurs zurückholen zu können. Solange die SPD überhaupt noch davon träumt, Wähler von 1998 zurückholen zu können, fährt sie sowieso weiter vor die Wand. Diese Wählerkoalition gibt es schon lange nicht mehr.

Die ökologische Wende der deutschen Industrie, die Verkehrswende und die Energiewende sind so gigantische Projekte, dass die SPD dort dringend gebraucht wird. Für moderne und saubere Arbeitsplätze, die  Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stolz machen. Weil sie Leistungen  erbringen, auf die auch ihre Kinder stolz sein können.

On a happy note:
Europa, das ist die gute Nachricht, war den Deutschen wichtig, und sie haben in überwältigender Mehrheit pro-europäisch gewählt. Überhaupt blieb der große Rechtsruck in Europa aus.

Die SPD, das ist offensichtlich, hat einige Probleme zu lösen. Eines steht aber fest: Die Lösungen für die Probleme der SPD liegen nicht in der Vergangenheit. Weder politisch noch personell. Die eingeleitete Neuaufstellung muss weiter gehen.

 

 

Sie ist es nicht.

Viele – innerhalb und außerhalb der CDU – hatten die Hoffnung, dass Frau Kramp-Karrenbauer Garantin für eine Fortführung des Modernisierungskurses ihrer Vorgängerin sein würde. Sie ist es nicht. Sie ist sogar das Gegenteil davon. Und man kann nicht einmal behaupten, dass sie jemals etwas anderes vorgetäuscht hätte, als die zu sein, die sie ist: Eine fundamental konservative, tiefreligiöse Katholikin, die weder mit Frauenrechten noch mit Klimaschutz, Europäischem Fortschritt oder auch einfach nur mit gutem Benehmen gegenüber befreundeten Nationen oder gesellschaftlichen Minderheiten etwas am Hut hat.

Wirklich allen auf der weiten Welt ist mittlerweile bekannt, wie Mark Zuckerbergs politische Good-Will-PR-Touren aussehen und wie wenig Veränderungen er am Ende in seinen Unternehmen bereit ist, vorzunehmen. Von Datenschutz über Steuerehrlichkeit bis zur konsequenten Eindämmung von Hasskommentaren. Kann man sich vorstellen, dass Angela Merkel sich für eben diesen Mark Zuckerberg mit Sneakern verkleidet hätte? Und ihre eigene Partei dazu tweeten würde: „AKK passend dazu im Sillicon (sic!)-Valley-Look.“ Kann es eine peinlichere Anbiederung und Bankrotterklärung der Politik vor einem globalen Player geben? Nun greift jeder mal morgens daneben, aber nicht jeder will Kanzlerin werden. Und es handelt sich ja auch nicht um einen Fehlgriff, sondern um ein absichtlich inszeniertes PR-Produkt, das nur ein weiteres Beispiel für die schlimmen ersten Wochen der CDU-Vorsitzenden darstellt. Hier sind noch ein paar weitere.

Abfuhr statt Schulterschluss.
Über Emmanuel Macron ist viel gesagt worden und gibt es viel zu sagen. Aber dass er ein glühender Anhänger der Europäischen Idee ist, die in diesen Zeiten dringend eine Wiederbelebung braucht, steht außer Frage. Die kleinkarierte Antwort der CDU-Vorsitzenden auf seine umfassenden Reformvorschläge gipfelte in der diplomatischen Frechheit, von Frankreich doch erstmal den Verzicht auf Straßburg als Parlamentssitz zu fordern. Als ob Frankreich das Problem sei oder der Sitz des Parlaments. So erbsenzählend behandelt man einen Rivalen, keinen Freund. Als Vision wurde dann noch schnell ein gemeinsamer Flugzeugträger hinterhergeschoben, während die eigenen Streitkräfte kaum in der Lage sind, bereits vorhandenes Fluggerät von festem Grund abheben oder ein altes Segelschiff einfach segeln zu lassen. Wie verlockend ist das denn?

Schulpflicht vor Zukunft.
Zum Thema Fridays for Future, beziehungsweise dem Klimawandel, hatte Frau Kramp-Karrenbauer nur die Betonung der Schulpflicht zu bieten. Und dass sie ihren Kindern das verboten hätte. Ergänzt wurde das selbstredend mit handelsüblichem, konsequenzfreiem Klimaschutzgeschwurbel aus dem Rhetoriksetzkasten der Union („Muss man irgendwie machen, darf aber die Industrie/ Dieselfahrer/ Eigenheimbesitzer/ Mieter/ Handwerker/ Nichthandwerker/ Eheleute (also die richtigen), Raser/ etc. nicht belasten“).

Vatikan vor Frauenrechten.
Bei der Reform, beziehungsweise nicht Abschaffung des § 219a, war Frau Kramp-Karrenbauer mitnichten auf der Seite der Reformer, sondern vermutlich nach dem Vatikan die eifrigste Verfechterin keiner Reform: „Der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, hat für die CDU überragende Bedeutung.“ Über die unnötigen Gängelungen der betroffenen Frauen und Ärzte kein Wort.

Verletzen statt vereinen.
Schon ein Klassiker von Frau Kramp-Karrenbauer ist ihre aktive Intoleranz gegenüber allem, was nicht der traditionellen Ehe im Sinne des Vatikans entspricht. Je nach Tagesform ist da sogar der Papst schon weiter. Bei Frau Kramp-Karrenbauer bleibt ihre Feindschaft gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens aber nicht auf einer abstrakten Ebene. Sie wird ausfallend und beleidigend mit dem klaren Vorsatz, andere Menschen zu verletzen und auszugrenzen.

Selbst nach der breiten Mehrheit in Bundesrat und Bundestag für die Ehe für Alle sowie einer Reihe sehr eindeutiger Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, blieb Frau Kramp-Karrenbauer noch 2017 bei der Überzeugung: „Man muss aber im Blick behalten, dass das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens dadurch nicht schleichend erodiert.“ Wie ein gesellschaftliches Fundament durch Eheschließungen erodieren soll, wird auf immer ihr Geheimnis bleiben. Aber Hauptsache, man hat nochmal rechts geblinkt und ein paar Hochzeitsgesellschaften dabei in die Suppe gespuckt.

Dass diese engstirnige Auslegung kein Zufall ist, beweist das Zitat von Frau Kramp-Karrenbauer aus dem Jahr 2015 zur Ehe für alle. Damals betonte sie: „Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen.“ Zusammengefasst: Homoehe = Inzest = Polygamie. Niedriger und verletzender kann man nicht argumentieren. Im Kampf um den Parteivorsitz der CDU 2018 von mehreren Seiten darauf angesprochen, nahm sie übrigens kein Wort zurück, sondern flüchtete sich in den schlimmen PR Satz, dass sie natürlich nicht die Absicht habe, zu verletzen, aber ebenso natürlich dabei bleibe (also dabei, zu verletzen).

Alleinerziehende dissen statt unterstützen.
In diesen Zusammenhang gehört auch ihre faktenfreie Aussage „Seit Jahren heißt es, dass für die Entwicklung von Kindern Vater und Mutter die beste Konstellation ist.“ Was gegen das Adoptionsrecht im Zusammenhang mit der Ehe für alle gemeint war, aber natürlich auch ein Schlag ins Gesicht aller Alleinerziehenden ist. Und natürlich auch ein Schlag ins Gesicht der Kinder von Alleinerziehenden oder gleichgeschlechtlicher Eltern, die ja auch hören und lesen können. Kommt Frau Kramp-Karrenbauer denn nie der Gedanke, was solche Aussagen bei den Betroffenen anrichten?

Minderheiten verhöhnen statt versöhnen.
Die völlige Empathieunfähigkeit von Frau Kramp-Karrenbauer gegenüber anderen Menschen, die nicht ihrem katholisch-konservativen Weltbild entsprechen, zieht sich wie ein roter Faden durch ihre gesellschaftspolitischen Aussagen. Selbstverständlich gehört auch hierzu ihr schlechter Witz zu Karneval, der ja nicht nur einfach ein schlechter Witz war. Oder eine spontane Entgleisung. Es war ein Wort für Wort und Satz für Satz aufgeschriebenes, eingeübtes und abgelesenes Dokument der Ablehnung von allem, was man heute unter gesellschaftlichem Fortschritt versteht. Und es waren kalkulierte Lacher auf Kosten von Menschen, die es weiß Gott schon schwer genug im Leben haben und dafür nicht noch die Häme der CDU-Parteivorsitzenden brauchen. Eine Häme, die ähnlich der Trump’schen Rhetorik nur anderen signalisiert, dass man heute wieder krachdumme Witze über Minderheiten machen kann, die jedoch zu keinem Zeitpunkt das Ziel hatten, witzig zu sein. Es ging nie um ein befreiendes, fröhliches Lachen. Frau Kramp-Karrenbauer suchte die hämische, feindselige Verbrüderung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Schwächeren und fand sie auch. Es war der kalkulierte Missbrauch einer Karnevalsveranstaltung, nach der man immer allen anderen sagen konnte, dass sie doch völlig humorlos seien, weil es ja eine Karnevalsveranstaltung gewesen sei. Das ist typische AfD-Taktik und von der will sie ja auch erklärtermaßen Wähler zurückholen.

Rückwirkende Grenzschließung statt Werben für Verständnis.
Als eine der ersten Amtshandlungen berief die neue Parteichefin im Februar 2019 ein „Werkstattgespräch“ ein, auf dem zum gefühlt achthunderttausendstenmal die Grenzsituation 2015 aufgearbeitet werden sollte. Nun hatte die gesamte Republik freiwillig oder unfreiwillig bereits einige Jahre darüber diskutieren dürfen, Bücher und Studien zum Thema wurden gedruckt, Wahlen gewonnen oder verloren – aber die CDU war der Meinung, man habe sich noch nicht genug im eigenen Merkelhass gesuhlt. Da ahnte Frau Kramp-Karrenbauer, dass sie sich über ein bisschen Merkel-Bashing den ostrechten Landesverbänden und natürlich der strammrechten Baden-Württemberg-Sauerland-Schiene anbiedern könnte. Gesagt, getan. Und in Folge kam kein Interview mehr ohne Sozialmissbrauch, Frühwarnsystemen (wie beim Tsunami, nur mit dem umgekehrten Vorsatz, nämlich Menschen gerade nicht zu retten) und einer rückwirkenden Grenzschließung aus: „Wir haben gesagt, als Ultima Ratio wäre das durchaus auch denkbar.“ Das wolle man, weil man „Schengen nach innen offen halten“ möchte. Schengen nach innen offenhalten bedeutet ja eigentlich offene Grenzen innerhalb der EU. Hm? Das muss eigentlich nochmal komplett in die Logikklinik, solange Österreich, Italien und Ungarn da noch drin sind, aber Hauptsache, man hat mal wieder rechts geblinkt und ein paar Flüchtlinge in Zusammenhang mit Sozialmissbrauch gebracht. Mission erfüllt, wenn auch keine christliche.

Deutschland ist zum Glück schon weiter.
Aus strategischer Sicht könnte man nun argumentieren, dass es doch gut sei, wenn die Union wieder weiter nach rechts rutsche, um die von Merkel verlorenen Wählerinnen und Wähler zu holen. Könnte man machen, wenn man den gesellschaftlichen Kollateralschaden einmal außen vorließe. Wäre aber dennoch falsch. Denn Frau Merkel hat für die Union durch ihren Modernisierungskurs vor allem eine Menge an Machtoptionen gewonnen. Von Schwarz/Grün über Jamaika zu Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Rot-Schwarz und in Brandenburg liebäugelt die CDU sogar mit der Linken.

Merkels Wählerkoalition reicht weit in die urbane Mitte, in der die CDU sonst kein Bein mehr auf den Boden bringt. Jenseits des medialen Getöses hat die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich über die Merkel-Jahre hinweg klar in Richtung des progressiven Lagers verschoben. Effektiver Klimaschutz, eine proeuropäische Grundeinstellung, ein modernes Bild von Familie und Ehe, die Unterstützung moderner Arbeitsformen (Recht auf Heimarbeit lehnt die CDU auch ab), der Wunsch nach einem funktionierenden Sozialstaat, gesunde Ernährung, effektiver Verbraucherschutz und ein handlungsfähiger Staat, der für eine zeitgemäße Infrastruktur sorgt, sind die Anliegen dieser Wählerkoalition. Und in Zeiten wie diesen wünscht sich diese Wählerkoalition auch eine nach innen wie außen friedfertige Gesellschaft, deren Führung nicht unnötig Öl ins Feuer gießt.

Frau Kramp-Karrenbauer bietet für niemanden aus dieser gesellschaftlichen Gruppe einen Anlass, sie zu wählen. Im Gegenteil. Je mehr Frau Kramp-Karrenbauer aus dem Schatten von Frau Merkel tritt, desto deutlicher wird allen werden: Sie ist es nicht. Sie ist nicht die Zukunft. Sie ist das Gesicht des gesellschaftlichen Rückschritts. Sie ist die falsche Wahl für Deutschland und Europa.

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Sunday, bloody Sunday.

Kanzlerinnendämmerung, drohender Rechtsruck der Union, SPD-Dauerkrise, neue Vorhaben, mögliche Ultimaten. Nach Merkels angekündigtem Rückzug sollte man sich Größerem widmen als einem „störungsfreien“ Abarbeiten des Koalitionsvertrages. Oder es einfach sein lassen. Einordnungen und Anregungen.

Bei der Bundestagswahl im September 2017 verloren die GroKo-Parteien zusammen 13,8 Punkte. Von 67,2% auf 53,3%. Man dachte, das sei viel. Nach der Neuauflage im März 2018 verloren sie in Bayern gemeinsam 21,4% und schließlich in Hessen erneut 22,2 Prozent. Die Wahl in Niedersachsen passt nicht als Gegenbeispiel, da diese bereits drei Wochen nach der Bundestagswahl stattfand, als die SPD eine Neuauflage der GroKo noch ausgeschlossen hatte. Nach diesem dritten blutigen GroKo Wahlabend in Hessen sollte allen klar sein, dass es so nicht weitergehen kann. In aktuellen Umfragen kommen die drei Koalitionspartner zurzeit noch auf 39-41%. Aber was ist zu tun?

Die Antwort für die größte Leidtragende der zwei Oktoberwahlen, die SPD, fällt nicht so einfach aus, wie man es sich in einer solchen Situation wünschen mag. Denn wenn die Partei ehrlich zu sich selbst ist, löst ein Groxit keines ihrer inhaltlichen oder auch personellen Probleme. Die Grünen haben sich in den langen Jahren der Opposition inhaltlich wie personell deutlich verändert. Dafür haben sie 13 Jahre benötigt. Und sind immer noch Opposition. Dreizehn Jahre, in denen sie erst nach links, dann deutlich in die Mitte gewandert sind und auch erst vor einem Jahr die klare personelle Erneuerung gewagt haben. Dazwischen lagen sehr lange Durststrecken bis in den Oktober des Jahres 2017, als sie als kleinste Fraktion in den neugewählten Bundestag einzogen. Das war gerade einmal vor einem Jahr.

Heute erntet die Partei die Früchte dieser Erneuerung und hat sich zur moderneren, klareren und dynamischeren Antwort für die moderne Mitte in Deutschland gemausert als es SPD und Linke sind. Sie profitieren auch von dem Unions-Fallout, der bei Weitem nicht so hoch ausfallen würde, wenn große Teile der CSU und kleinere der CDU nicht so scharf rechts blinken würden. Die Grünen entfalten heute eine Dynamik, wie sie die SPD mit Martin Schulz für sehr kurze Zeit Anfang 2017 entfachen konnte. Und zwar so lange, bis Kandidat und Partei in eine inhaltliche und angstgetriebene Schwurbelei zurückverfallen sind, die jede Illusion eines progressiven Aufbruchs zerplatzen ließ.

Diese angstgetriebene Schwurbelei – über viele Jahre seit 2005 praktiziert – wird die SPD auch in die Opposition begleiten. Dazu zählen heute besonders die ungeklärten Positionen in der Sozialpolitik, der Umweltpolitik und der Europa- und Friedenspolitik. Wem das zu abstrakt ist, hier ein paar Stichworte: Braunkohle, Diesel, Hartz IV, Putin, Trump, Europäische Integration und Waffenexporte. Eine SPD in der bundespolitischen Opposition kann diese Fragen dann mit Landesverbänden klären, die sich politisch verantwortlich für Arbeitsplätze in der Braunkohle und/oder der Automobilindustrie fühlen. Das ist lösbar. Aber weder so schnell noch so radikal wie sich das einige vorstellen.

Kann die SPD sich also trotz allem auch in der Regierung erneuern? Das zu glauben fällt schwerer denn je. Und das hat nichts mit dem sehr sozialdemokratischen Koalitionsvertrag zu tun, sondern maßgeblich mit einem schlimmen Tripple: Grenzzurückweisungen, Maaßen und Diesel. Denn nichts davon hatte mit Regieren zu tun, auch nicht mit einem zwar guten, wenn auch nicht wirklich „großen“ Koalitionsvertrag. Man kann den „Dieselkompromiss“, als dritten und vorläufigen Gro-Gau-Höhepunkt gar nicht ernst genug nehmen bei der Beurteilung der gegenwärtigen Ergebnisse für die Parteien der Großen Koalition. Man sollte auf jeden Fall schon einmal beherzigen, dass, wenn drei sich treffen und bis zum Morgengrauen zusammensitzen, nichts Gutes entstehen kann. Eine Formel, die generell für das Leben anzuwenden ist. Klar, man kann und muss die Hauptschuld bei allen missglückten Ergebnissen vor allem bei der CSU suchen und finden, aber das hilft ja am Ende nichts. Schließlich hat diese auch stark verloren. Doch wer an hessischen Infoständen unterwegs war, der hat erlebt, dass es in den letzten 14 Tagen um nichts anderes mehr ging als um Diesel, Diesel, Diesel. Die nicht umsetzbare Quatschformel, die in dieser unglücklichen Nacht entstanden ist, hat es geschafft, alle unglücklich zu machen: Dieselfahrer, Dieselgeschädigte und alle dazwischen.

Der „Dieselkompromiss“ hat den Eindruck verschärft, dass die Regierung nicht auf der Seite der Verbraucher, sondern der Bosse steht. Verkannt wird dabei, dass beiden – Regierung und Bossen – bei dem Blick in die Zukunft der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie der nackte Angstschweiß auf der Stirn steht. Wir stehen hier vor einem möglichen Fiasko, wogegen sich die große Stahlkrise der 80er und 90er Jahre wie ein leises Rumpeln ausmachen könnte. Die eigentlichen Opfer von Dieselgate sind die Kunden, aber eben auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren gute und gut bezahlte Arbeitsplätze von der unglückseligen Allianz aus Vorständen, einigen mächtigen Betriebsräten, Lobbyisten und handzahmen Politikern massiv gefährdet werden.

Die Dieselstrategie der deutschen Industrie ist weltweit so krachend gescheitert, wie kaum eine andere wirtschaftliche Strategie dieser Größenordnung zuvor. Und auch wenn die Politik durch lasche und dehnbare gesetzliche Rahmenbedingungen eine Mitschuld trägt, liegt die Hauptschuld dort, wo sie auch hingehört: bei megabezahlten Vorständen, die nicht nur ein unverschämt vielfaches ihrer Angestellten verdienen – sondern auch das mehrfache Gehalt von Abgeordneten, Ministern oder auch der Kanzlerin. Warum so ein großer Schlenker zur Automobilindustrie? Weil sie symptomatisch ist für das gegenwärtige Ungleichgewicht, das viele wahrnehmen. Die Mitarbeiter wissen doch längst, dass ihre Bosse den Karren breitbeinig und verantwortungslos in den Dreck gefahren haben. Und die Mitarbeiter sind nicht stolz darauf, Dreckschleudern oder gar betrügerische Produkte zu produzieren. Sie würden auch lieber fortschrittliche, saubere und kundenfreundliche Produkte herstellen, da auch sie Kinder haben und diese in einer gesunden Umgebung aufwachsen sehen wollen. Sie sehen nur keinen Ausweg. Diesen Ausweg zu zeigen, den Struktur- und Mentalitätswechsel in dieser Krisenindustrie zu fördern, das ist jetzt die Aufgabe von Politik und einer Arbeitnehmerpartei. Nicht die Zementierung des Status Quo, die am Ende nur zu der Frage führen wird: „Papa, was war denn ein Volkswagen?“ „Ein Auto.“ „Lustiger Name.“

Gleiches gilt natürlich für die Braunkohle, die kein Mensch mehr braucht, außer denen, die unmittelbar davon ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dass der Staat es nicht schafft, Hand in Hand mit der Industrie in Boomzeiten den Betroffenen eine vernünftige Alternative anzubieten, ist ein Armutszeugnis. Vor allem bringt es die Arbeiter in eine schreckliche Situation. Einige von ihnen meinen nun, dass sie ein paar Aktivisten bekämpfen müssten, um ihre Arbeit zu behalten, während absolut jeder Verantwortliche in den betroffenen Unternehmen und der Regierung weiß, dass dieses Kapitel endgültig geschlossen wird – und auch früher als erwartet. Hier ist die Arbeiterpartei gefragt, die erneut nicht den Status Quo erhalten darf. Denn der ist Mist für alle.

Die dritte bedeutende Baustelle ist die Frage einer solidarischen EU, die angesichts neuer ökonomischer wie militaristischer Bedrohungen aus dem Osten wie dem Westen die einzige Antwort sein kann. Auch hier tritt allen Beteiligten der Angstschweiß auf die Stirn. Mehr EU ohne mehr Solidarität geht nämlich nicht. Und mehr Solidarität bedeutet natürlich auch engere Kooperation und Verantwortung. Die Bundesregierung hat sich bisher entschlossen, die Initiativen von Macron weitgehend zu ignorieren. Man kann diese in Teilen gut oder schlecht finden, aber die Frage bleibt dann, welche Initiativen denn von dieser Großen Koalition ausgehen, damit sie den Namen „Groß“ verdient.

Dies waren nur einige Beispiele die zeigen, dass sehr, sehr große Herausforderungen vor dieser Regierung liegen. Dies kann eine Chance sein, wenn man sie jetzt angstfrei angeht. Hat man aber Angst davor, zu regieren, dann sollte man es einfach sein lassen. Nur mit Trippelschritten ist diese Regierung jedenfalls nicht zu retten – und man wüsste auch nicht, weshalb man sie retten sollte.

Deutschland steht nicht vor einem Rechtsruck. Auch das haben die letzten Wahlen gezeigt und die Umfragen ebenso. Die große friedliche und demokratische deutsche Mitte – rund 75-85%, sortiert sich zwischen CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und in manchen Bundesländern, wie etwa Thüringen, zähle ich die Linke mit zur demokratischen Mitte. Das Pendel schlägt zurzeit eindeutig in Richtung des modernen Deutschlands. Dafür muss die Politik die Zukunft der Arbeit mit der Zukunft der Welt, in der wir leben und der Art, wie wir in dieser Welt zusammenleben wollen, verbinden. Welche progressive Partei sich hierfür am besten aufstellt, wird die Zukunft gewinnen. Eine tolle Aufgabe. Man sollte irgendwas mit Politik machen.

Dieser Beitrag erschien erstmalig auf richelstauss.de

 

How not to do it.

Das Cleverle Cameron hat erneut eindrucksvoll bewiesen, wie man Nationalismus, Rechtspopulismus oder schlichtweg Altersstarrsinn nicht begegnen sollte: Mit Zweideutigkeit, Opportunismus und Nachsicht.

Es ist zum wahnsinnig werden, wenn man zusehen muss, wie die immer gleichen Fehler gemacht werden. Man könnte sich ja noch irgendwie hinwegtrösten, wenn es nur irgendwelche Dorfdödel in Randregionen beträfe. Aber mal eben aus reiner Dummheit sein komplettes Land aus der größten zivilisatorischen Errungenschaft der Menschheitsgeschichte zu manövrieren und dabei auch noch dem innerstaatlichen Zerfall auszusetzen, das setzt schon neue Maßstäbe.

Aus gegebenem Anlass verweise ich daher noch einmal eindringlich auf den Beitrag „Keine Sorge dieser Welt“ auf diesem Blog, der mit schönen Fehl-Fallbeispielen aus Österreich, Frankreich oder auch Bayern aufwartet.

Das Cameronsche Kalkül lautete kurz zusammengefasst: „Wenn ich den Menschen über Jahre hinweg erzähle, wie richtig scheiße die EU ist, dann werden sie mir am ehesten zutrauen, die Interessen des Vereinigten Königreiches in der EU durchzusetzen.“

Ja. Genau. Und das kannst Du ja jetzt auch mit aller Macht ohne Amt, ohne EU und bald auch ohne Vereinigtes Königreich, Du Vollhonk.

Doch bevor jetzt irgendjemand in Deutschland auf die Idee kommt, dass der Euro-Skeptizismus doch in ganz Europa ausgebreitet sei und damit auch in Deutschland – und dass das doch im Umkehrschluss auch bedeuten müsste, dass auch wir viel, viel stärker die EU bekämpfen müssten um sie zu reformieren, erlaube ich mir eine Blutgrätsche:

NEIN!

WEIL:

Zur Stimmung in Deutschland ein paar aktuelle Zahlen:

Im aktuellen Politbarometer* der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF stieg der Anteil der Deutschen, die in der EU hauptsächlich Vorteile sehen auf 45%. Nur 14% sehen Nachteile, 38% sehen Vor- und Nachteile. Einen Austritt Großbritanniens aus der EU finden 69% schlecht, nur 7% gut und 22% ist es egal. Das Bedauern liegt bei den Anhängern aller Parteien bei über 72% –außer bei den AfD-Anhängern mit 37%.

Werfen wir dann noch einen Blick auf eine aktuelle europäische Vergleichsstudie des Pew Research Center**.

Auf die Frage, ob das eigene Land außenpolitisch auch Rücksicht auf die Interessen anderer Länder nehmen solle – auch wenn das Kompromisse bedeutet – antworten 67% der Deutschen mit „Ja“. Der höchste Wert in Europa vor Schweden mit 54%.

Das Engagement des Landes in der globalen Wirtschaft finden 70% der Deutschen gut. Ebenfalls ein Spitzenwert mit Schweden und den Niederlanden. Zum Vergleich: In Frankreich stimmen dem nur 51% zu.

So zieht sich das weiter durch. Wenig verwunderlich: In Ländern mit stark nationalistisch ausgerichteten Bewegungen ist auch die Bevölkerung am nationalistischsten eingestellt. Spitzenreiter sind Griechenland, Ungarn, Polen, Italien.

Pro-europäisch, global und international am solidarischsten ausgerichtet sind die Bevölkerungen in Spanien, Schweden und Deutschland.

Auf die Frage, ob die Menschenrechte eine zentrale Rolle in der Außenpolitik des jeweiligen Landes einnehmen sollten, antworten 67% der Spanier, dass ihnen das sehr wichtig ist, 27% halten es für wichtig gemeinsam mit anderen Themen und nur 7% für unwichtig.

In Deutschland halten dies sogar 62% für sehr wichtig, 27% für eher wichtig und nur 4%, für unwichtig.

Über mehrere Umfragen hinweg zeigt sich auch, dass der Front National und das teilweise Anbiedern der etablierten Parteien an dessen Thesen, Spuren in Frankreich hinterlassen haben. Hier sehen wir Abweichungen von um die 20% zwischen dem deutlich internationaler ausgerichteten Deutschland und Frankreich.

Nun, warum erzähle ich das alles: Weil ich zum wiederholten Male alle Meinungsbildner – ob Journalisten, Politiker, Blogger oder sonstwen darauf hinweisen möchte, dass die Bevölkerung in Deutschland in allen Vergleichsstudien sehr viel moderner, internationaler, europäischer und fortschrittlicher eingestellt ist, als die anderer Länder. Darunter auch die USA. Apropos: Laut Forschungsruppe Wahlen wünschen sich 88% der Deutschen Hillary Clinton als nächste Präsidentin der USA und nur 3% Donald Trump. Der scheint also selbst bei der AfD-Klientel durchzufallen. Oder sie wissen nicht, wer das ist. Was ich für wahrscheinlicher halte.

Also: Wer wieder mit mehr Begeisterung für Europa wirbt, trifft bei den Deutschen auf offene Ohren. Wer aber unbedingt ein nationalistisches Förderprogramm für Populisten unterstützen möchte, der kann ja den Cameron machen. Oder den Faymann. Oder den Sarkozy. Oder den … ach.. die hat`s ja alle zerrissen! Dann vielleicht besser doch nicht, oder Horst?

 

* ZDF Politbarometer, Juni II, 24.6.2016
** Pew Research Center, „Europeans Face the World Divided“, June 13, 2016