Game-Changer in Bremen.

Der Trend in Bremen war eindeutig: INSA veröffentlicht am Dienstag einen 5% Vorsprung für die CDU. Dann kam die Absage der SPD an die CDU. Und es sortiert sich neu.

Ein Game-Changer bricht mit bisherigen Regeln, betritt neues, unerforschtes Territorium und birgt daher hohe Risiken – oder aber die Chance, den Lauf der Dinge nachhaltig und über den Moment hinaus zu verändern. Am Freitag, den 17.5.2019 um 17:00 treten der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling, die SPD Landesvorsitzende Sascha Aulepp und Fraktionschef Björn Tschöpe vor die Presse, um einen möglichen Game-Changer zu verkünden. Einstimmig hat soeben der Landesvorstand der SPD beschlossen, eine Zusammenarbeit mit der CDU, ja sogar Sondierungsgespräche, kategorisch auszuschließen. Es wird in Bremen keine große Koalition geben. Ebenso wird eine Zusammenarbeit mit der FDP ausgeschlossen. Das ist nur konsequent, da die Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der CDU hauptsächlich mit deren Sozial- und Mieterpolitik begründet wird – und diese Argumente gelten in Richtung FDP ebenso.

Es ist das erste Mal, dass eine der beiden Volksparteien eine Koalition mit der anderen vor der Wahl ausgeschlossen hat. Bisher hat man je nach politischer Himmelsrichtung vieles ausgeschlossen – Linke, anfangs auch Grüne, Rechte sowieso – aber keine Koalition untereinander. Auch hat die SPD es in einem der alten Bundesländer bisher nicht gewagt, offensiv für eine Rot-Rot-Grüne Koalition zu werben. Die Grünen und die Linke allerdings auch nicht. Das ist also alles neu – könnte aber die politische Landschaft über Bremen hinaus verändern.

Was keiner bisher wusste: Wie reagieren die Wählerinnen und Wähler auf eine solche klare Aussage nur neun Tage vor der Wahl? In den letzten Jahren hatten die Wähler ja gelernt, dass nach der Wahl alles möglich ist. Schwarz-Grün, Grün-Schwarz, Schwarz-Gelb-Grün, GroKo, Ampel, Rot-Grün, Grün-Rot. Es wurde immer unklarer, was die Stimmabgabe am Ende bewirkt. Und vielleicht finden das die Leute gar nicht so schlecht. Oder doch?

In der sehr diffusen Medienwelt unserer Zeit, muss man mit mindestens 5-7 Tagen rechnen, bis eine solche Nachricht tatsächlich bei den Wählerinnen und Wählern ankommt. Und dann muss man sehen, ob sie überhaupt zu irgendwelchen Reaktionen führt. Und wenn, dann welche Reaktionen sie auslöst.

Heute, am Donnerstag 22:00, ist Tag 6 nach der Gro-Ko Absage und uns liegt die erste Umfrage vor, die nach dieser Entscheidung erhoben wurde. Sie wurde im Auftrag des ZDF von der Forschungsgruppe Wahlen erhoben und zwar noch bis spät in den heutigen Donnerstag-Abend hinein. Frischer geht es nicht.

Zum Vergleich steht die bisher aktuellste Umfrage, die von dem Meinungsinstitut INSA im Auftrag der BILD am Dienstag, den 21.5.2019 veröffentlicht wurde. Diese Befragung fand noch hauptsächlich vor der Pressekonferenz der SPD statt oder so kurz danach, dass die Befragten die Absage an die CDU noch nicht mitbekommen konnten (15.5.-20.5.)

Vergleichen wir die beiden Umfragen Vor/Nach der Entscheidung:

VORHER : INSA / BILD (15.-20.5.2019):
SPD: 23%, CDU 28%, Grüne 18%, FDP 6%, Linke 11%, AfD 6%, BiW 2%

NACHHER: Forschungsgruppe Wahlen (FGW) / ZDF (21.-23.5.2019)
SPD: 24,5%, CDU 26%, Grüne 18%, FDP 5%, Linke 12%, AfD 7%, BiW 3%

Veränderungen:
SPD +1,5%, CDU -2%.
RRG wächst von 52% auf 54,5%,
Schwarz-Gelb sinkt von 34% auf 31%

Im Vergleich zu der letzten vorliegenden Umfrage schrumpft der Abstand zwischen CDU und SPD von 5% auf 1,5% um – 3,5%. Das ist sehr viel in sehr kurzer Zeit. Ab jetzt kann man wieder sehr klar sagen: Das ist ein Kopf-an-Kopf Rennen.In der Direktwahlfrage legt Bürgermeister Carsten Sieling im Vergleich zur letzten FGW-Umfrage sogar noch etwas zu auf 43%. Jetzt steht es bei 12% Vorsprung 43% zu 31%.

Fazit: Da es kein ähnlich relevantes Ereignis in den letzten Tagen des Wahlkampfes in Bremen gegeben hat, muss man davon ausgehen, dass die klare Ansage der SPD zu diesen in der Kürze der Zeit doch relevanten Verschiebungen geführt hat. Schon jetzt sind alle Auguren, die der SPD einen Zusammenbruch nach der Absage an CDU und FDP attestiert haben, widerlegt. Das Gegenteil ist der Fall. Das durchaus vorliegende Momentum der CDU in den letzten Wochen wurde gestoppt, wenn nicht sogar gedreht. Die Zustimmung zur SPD steigt. Und wir sind jetzt erst bei Tag 6 – es folgen noch 3.

Die Wählerinnen und Wähler goutieren offenbar die klare Ansage der SPD. Sie wissen jetzt zu 100%, woran sie sind, und dass die mit der SPD keine Regierungsbeteiligung von CDU oder FDP bekommen werden. Die Grünen haben entschieden, sich eine Koalition mit CDU und FDP offenzuhalten. Das bringt sie nicht wirklich weiter. Da sie bei der letzten Wahl bereits 15,5% erreicht hatten, ist ihr jetziger Stand gemessen an der Entwicklung im Bund unterdurchschnittlich.

Das alles heißt noch lange nicht, dass die Wahl am Sonntag entschieden ist. Aber sie ist wieder offen. Für die SPD Bremen hat sich das volle Risiko bisher als Game-Changer mit positiver Tendenz erwiesen. Durch die Basis ging ein spürbarer Motivationsschub und an den Infoständen wird viel Zustimmung zu dem klaren Kurs deutlich.

In Bremen gibt es wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Momentum liegt für die letzten drei Tage wieder auf Seiten der SPD. Vieles deutet auf eine sehr volatile Wählerschaft mit vielen Unentschlossenen hin. Es ist übrigens längst nicht das erste Kopf-an-Kopf Rennen zwischen SPD und CDU in Bremen. Bei der Wahl 1995 trennten beide nur 0,8 Prozentpunkte beim Endstand von 33,4%: 32,6% zugunsten der SPD.

Auch diesmal wird die Wahl in Bremen wohl zu den wenigen Wahlen zählen, bei denen wir wirklich bis Sonntag um 18:00 warten müssen, bis wir ein Ergebnis haben. Oder noch länger.

No Gro-Ko – Was passiert denn da in Bremen?

Auch wenn die ganz große Aufmerksamkeit dem Thriller „Koksnasen auf Ibiza“ gehört, lohnt sich doch ein Blick ins kleinste deutsche Bundesland. Dort hat die SPD der CDU eine knallharte Absage erteilt. Und die Grünen schwallwabern bei der Koalitionsfrage mal wieder puddingleicht durch das Mäandertum.

Der SPD Landesvorstand Bremen beschließt einstimmig, dass die SPD Bremen nach der Wahl ausschließlich für eine Mitte-Links-Regierung zur Verfügung steht. Anschließend treten die Parteivorsitzende, der Fraktionschef und der Bürgermeister am Freitag gemeinsam vor die Presse, um genau das 9 Tage vor der Wahl zu verkünden. Das ist nicht nur ziemlich geschlossen, sondern in seiner Konsequenz auch einmalig in der Geschichte bisheriger Landtagswahlkämpfe in Deutschland.

Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass es jemals einen solchen Beschluss von einer der beiden Volksparteien gegeben hätte.

Gleichzeitig wäre eine nun mögliche Mitte-Links-Regierung – in diesem Fall also aus SPD, Grünen und Linkspartei, die erste Rot-Grün-Rote Landesregierung in einem der alten Bundesländer. Die Bremerinnen und Bremer könnten also den Beweis für eine funktionierende Mitte-Links Regierung „im Westen“ antreten und damit neue linke Optionen über Bremen hinaus wieder denkbar machen.

Das kann man nun diskutieren. Hier mein Beitrag.

PRO:

1. Klarheit statt Unberechenbarkeit
Die Segmentierung der Parteienlandschaft in Deutschland hat mittlerweile dazu geführt, dass kein Wähler vor der Wahl noch weiß, was er nach der Wahl bekommt. Es gibt alle, wirklich alle Modelle. Jamaika, Ampel, GroKo, RRG (mal mit der SPD vorne in Berlin, mal mit der Linken in Thüringen, Schwarz-Grün, Grün-Schwarz, Rot-Grün, Schwarz-Gelb und in Brandenburg überlegt die CDU, ob man nicht doch mit der Linken…. Was die CDU in Sachsen überlegt bzw. macht, wenn sie ihren jetzigen MP abserviert hat, will ich gar nicht wissen.

Übrig bleibt eine unüberschaubare Kakophonie, Unklarheit und Unberechenbarkeit und das in Zeiten, in denen sowieso schon sehr viel Unsicherheit und Unklarheit die Sicht trüben. Die SPD sagt jetzt den Wählern: Mitte-Links oder nichts.

2. Regieren nicht um jeden Preis – sondern mit klaren Zielen.
Nach der Ankündigung der SPD kamen natürlich gleich Kommentare wie „SPD klammert sich an die Macht.“ Sorry, aber der Gedanke muss nochmal in die Logikklinik. Genau das Gegenteil ist ja der Fall. Sie schließt mehrere Machtoptionen kategorisch aus: Rot-Schwarz, Schwarz-Rot sowie die Ampel, da die FDP in Bremen sich aufgrund jahrzehntelanger Ohnmacht völlig ins Abseits marktradikalisiert hat.

Das heißt, selbst wenn die SPD erneut stärkste Partei würde (was aufgrund der aktuellen Umfragen durchaus drin ist), geht sie ein hohes Risiko ein.  Wichtiger sind ihr die Ziele, die sie mit CDU und FDP nicht erreichen kann. Etwa beim Mieterschutz, einer verschärften Mietpreisbremse und bezahlbarem Wohnungsneubau.

Wie in allen Metropolen ist auch in Bremen der Wohnungsmarkt zu der großen sozialen Frage unserer Zeit geworden. Obwohl dort die SPD nicht die gleichen Fehler begangen hat wie viele andere Regierungen. Sie hat eben gerade nicht städtische Wohnungen gekauft, sondern im Gegenteil, sogar neue erworben. Das ist gut. Aber das reicht nicht. Es braucht dringend mehr sozialen und generell bezahlbaren Wohnraum. Denn auch Bremen boomt und steht mit seinem Wirtschaftswachstum im zweiten Jahr in Folge bundesweit auf dem Siegertreppchen.

Das Wohnungsbauprogramm der CDU:
Wenn Du kein Geld für Miete hast, warum kaufst Du nicht Wohnung? Eh?!“

In dem 100-Tage Programm der CDU findet man hierzu ein dürres Sätzchen unter Position 25 (von 33 und zwar kurz vor dem Punkt: „Wir wollen Einweggeschirr untersagen“ – was sowieso schon verboten wurde). Es lautet sinngemäß: Die Leute sollen sich was kaufen. Oder wörtlich „Unser Ziel ist es, über alle Stadtteilen (sic!) kurzfristig mindestens Grundstücke für 500 Wohneinheiten für Familien zu identifizieren um sie zur Bebauung zur Verfügung (Verkauf oder Erbpacht) zustellen.“ Dankeschön. Deutsch Sprach schwer Sprach aber übersetzt: „Wenn Du kein Geld für Miete hast, warum kaufst Du nicht Wohnung? Eh?!“. Wenn das Volk kein Brot hat, warum isst es keinen Kuchen? Hinzu kommen bei der CDU: Ablehnung der verschärften Mietpreisbremse, Ablehnung der Bebauung eines bereits ausgewiesenen Bauprojektes (Rennbahn) usw. Kurzum: Mit einer Groko wird hier absolut nichts voran gehen. Warum soll man sie dann eingehen?

Es gibt noch viele weitere Punkte, aber der reicht mir eigentlich schon.

3. Wenn ihr links wählt, bekommt ihr links.
In Bremen gibt es seit vielen Jahren und über alle Umfragen hinweg stabile Mehrheiten für SPD, Grüne und Linke zwischen 54% und 57%. Die Verteilung innerhalb des Lagers verteilt sich, die Lager selbst bleiben sehr stabil. CDU/FDP liegen auf der anderen Seite im Korridor 30-34, aktuell sind es 32%. Dann gibt es noch AfD und/oder Bürger in Wut sowie die Besonderheit, dass wer in Bremerhaven die 5% bekommt, auch dann in die Bürgerschaft einzieht, wenn es in Bremen nicht reicht. Das sorgt für zusätzliche Verwirrung.

Kurzum: Die SPD Entscheidung sagt den Wählerinnen und Wählern: Wenn ihr eine Mitte-Links Regierung wählt, dann bekommt ihr sie mit uns garantiert. Das kann man bei den Linken auch voraussetzen, bei den Grünen nicht. Die Grünen schwallwabern mal wieder puddingleicht durch das Mäandertum. Kann man machen und viele Grün-Wähler wachen dann am Ende mit der CDU auf, die sie nie wollten. Was aber ist verwerflich daran, den Wählern klar zu sagen: Wenn es für eine linke Mehrheit reicht, sind wir in jedem Fall dabei. Wenn nicht, dann gehen wir in die Opposition?

Fazit: Ein Gewinn an Klarheit für die Wählerinnen und Wähler – und wie ich finde, auch für die Demokratie. Denn am Ende gibt es wieder etwas zu entscheiden. Für die SPD ist das ein Risiko, in das noch keiner gegangen ist. Aber auch sie wird danach Klarheit haben. Auf jeden Fall kommt nochmal Schmackes in den Endspurt.

CONTRA:

Ooops, ich muss los. Eurovision-Party vorbereiten. Riiiiise like a Phoenix! Es gab sie doch, die guten Dinge – auch aus Österreich.

 

 

 

Sie ist es nicht.

Viele – innerhalb und außerhalb der CDU – hatten die Hoffnung, dass Frau Kramp-Karrenbauer Garantin für eine Fortführung des Modernisierungskurses ihrer Vorgängerin sein würde. Sie ist es nicht. Sie ist sogar das Gegenteil davon. Und man kann nicht einmal behaupten, dass sie jemals etwas anderes vorgetäuscht hätte, als die zu sein, die sie ist: Eine fundamental konservative, tiefreligiöse Katholikin, die weder mit Frauenrechten noch mit Klimaschutz, Europäischem Fortschritt oder auch einfach nur mit gutem Benehmen gegenüber befreundeten Nationen oder gesellschaftlichen Minderheiten etwas am Hut hat.

Wirklich allen auf der weiten Welt ist mittlerweile bekannt, wie Mark Zuckerbergs politische Good-Will-PR-Touren aussehen und wie wenig Veränderungen er am Ende in seinen Unternehmen bereit ist, vorzunehmen. Von Datenschutz über Steuerehrlichkeit bis zur konsequenten Eindämmung von Hasskommentaren. Kann man sich vorstellen, dass Angela Merkel sich für eben diesen Mark Zuckerberg mit Sneakern verkleidet hätte? Und ihre eigene Partei dazu tweeten würde: „AKK passend dazu im Sillicon (sic!)-Valley-Look.“ Kann es eine peinlichere Anbiederung und Bankrotterklärung der Politik vor einem globalen Player geben? Nun greift jeder mal morgens daneben, aber nicht jeder will Kanzlerin werden. Und es handelt sich ja auch nicht um einen Fehlgriff, sondern um ein absichtlich inszeniertes PR-Produkt, das nur ein weiteres Beispiel für die schlimmen ersten Wochen der CDU-Vorsitzenden darstellt. Hier sind noch ein paar weitere.

Abfuhr statt Schulterschluss.
Über Emmanuel Macron ist viel gesagt worden und gibt es viel zu sagen. Aber dass er ein glühender Anhänger der Europäischen Idee ist, die in diesen Zeiten dringend eine Wiederbelebung braucht, steht außer Frage. Die kleinkarierte Antwort der CDU-Vorsitzenden auf seine umfassenden Reformvorschläge gipfelte in der diplomatischen Frechheit, von Frankreich doch erstmal den Verzicht auf Straßburg als Parlamentssitz zu fordern. Als ob Frankreich das Problem sei oder der Sitz des Parlaments. So erbsenzählend behandelt man einen Rivalen, keinen Freund. Als Vision wurde dann noch schnell ein gemeinsamer Flugzeugträger hinterhergeschoben, während die eigenen Streitkräfte kaum in der Lage sind, bereits vorhandenes Fluggerät von festem Grund abheben oder ein altes Segelschiff einfach segeln zu lassen. Wie verlockend ist das denn?

Schulpflicht vor Zukunft.
Zum Thema Fridays for Future, beziehungsweise dem Klimawandel, hatte Frau Kramp-Karrenbauer nur die Betonung der Schulpflicht zu bieten. Und dass sie ihren Kindern das verboten hätte. Ergänzt wurde das selbstredend mit handelsüblichem, konsequenzfreiem Klimaschutzgeschwurbel aus dem Rhetoriksetzkasten der Union („Muss man irgendwie machen, darf aber die Industrie/ Dieselfahrer/ Eigenheimbesitzer/ Mieter/ Handwerker/ Nichthandwerker/ Eheleute (also die richtigen), Raser/ etc. nicht belasten“).

Vatikan vor Frauenrechten.
Bei der Reform, beziehungsweise nicht Abschaffung des § 219a, war Frau Kramp-Karrenbauer mitnichten auf der Seite der Reformer, sondern vermutlich nach dem Vatikan die eifrigste Verfechterin keiner Reform: „Der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, hat für die CDU überragende Bedeutung.“ Über die unnötigen Gängelungen der betroffenen Frauen und Ärzte kein Wort.

Verletzen statt vereinen.
Schon ein Klassiker von Frau Kramp-Karrenbauer ist ihre aktive Intoleranz gegenüber allem, was nicht der traditionellen Ehe im Sinne des Vatikans entspricht. Je nach Tagesform ist da sogar der Papst schon weiter. Bei Frau Kramp-Karrenbauer bleibt ihre Feindschaft gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens aber nicht auf einer abstrakten Ebene. Sie wird ausfallend und beleidigend mit dem klaren Vorsatz, andere Menschen zu verletzen und auszugrenzen.

Selbst nach der breiten Mehrheit in Bundesrat und Bundestag für die Ehe für Alle sowie einer Reihe sehr eindeutiger Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, blieb Frau Kramp-Karrenbauer noch 2017 bei der Überzeugung: „Man muss aber im Blick behalten, dass das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens dadurch nicht schleichend erodiert.“ Wie ein gesellschaftliches Fundament durch Eheschließungen erodieren soll, wird auf immer ihr Geheimnis bleiben. Aber Hauptsache, man hat nochmal rechts geblinkt und ein paar Hochzeitsgesellschaften dabei in die Suppe gespuckt.

Dass diese engstirnige Auslegung kein Zufall ist, beweist das Zitat von Frau Kramp-Karrenbauer aus dem Jahr 2015 zur Ehe für alle. Damals betonte sie: „Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen.“ Zusammengefasst: Homoehe = Inzest = Polygamie. Niedriger und verletzender kann man nicht argumentieren. Im Kampf um den Parteivorsitz der CDU 2018 von mehreren Seiten darauf angesprochen, nahm sie übrigens kein Wort zurück, sondern flüchtete sich in den schlimmen PR Satz, dass sie natürlich nicht die Absicht habe, zu verletzen, aber ebenso natürlich dabei bleibe (also dabei, zu verletzen).

Alleinerziehende dissen statt unterstützen.
In diesen Zusammenhang gehört auch ihre faktenfreie Aussage „Seit Jahren heißt es, dass für die Entwicklung von Kindern Vater und Mutter die beste Konstellation ist.“ Was gegen das Adoptionsrecht im Zusammenhang mit der Ehe für alle gemeint war, aber natürlich auch ein Schlag ins Gesicht aller Alleinerziehenden ist. Und natürlich auch ein Schlag ins Gesicht der Kinder von Alleinerziehenden oder gleichgeschlechtlicher Eltern, die ja auch hören und lesen können. Kommt Frau Kramp-Karrenbauer denn nie der Gedanke, was solche Aussagen bei den Betroffenen anrichten?

Minderheiten verhöhnen statt versöhnen.
Die völlige Empathieunfähigkeit von Frau Kramp-Karrenbauer gegenüber anderen Menschen, die nicht ihrem katholisch-konservativen Weltbild entsprechen, zieht sich wie ein roter Faden durch ihre gesellschaftspolitischen Aussagen. Selbstverständlich gehört auch hierzu ihr schlechter Witz zu Karneval, der ja nicht nur einfach ein schlechter Witz war. Oder eine spontane Entgleisung. Es war ein Wort für Wort und Satz für Satz aufgeschriebenes, eingeübtes und abgelesenes Dokument der Ablehnung von allem, was man heute unter gesellschaftlichem Fortschritt versteht. Und es waren kalkulierte Lacher auf Kosten von Menschen, die es weiß Gott schon schwer genug im Leben haben und dafür nicht noch die Häme der CDU-Parteivorsitzenden brauchen. Eine Häme, die ähnlich der Trump’schen Rhetorik nur anderen signalisiert, dass man heute wieder krachdumme Witze über Minderheiten machen kann, die jedoch zu keinem Zeitpunkt das Ziel hatten, witzig zu sein. Es ging nie um ein befreiendes, fröhliches Lachen. Frau Kramp-Karrenbauer suchte die hämische, feindselige Verbrüderung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Schwächeren und fand sie auch. Es war der kalkulierte Missbrauch einer Karnevalsveranstaltung, nach der man immer allen anderen sagen konnte, dass sie doch völlig humorlos seien, weil es ja eine Karnevalsveranstaltung gewesen sei. Das ist typische AfD-Taktik und von der will sie ja auch erklärtermaßen Wähler zurückholen.

Rückwirkende Grenzschließung statt Werben für Verständnis.
Als eine der ersten Amtshandlungen berief die neue Parteichefin im Februar 2019 ein „Werkstattgespräch“ ein, auf dem zum gefühlt achthunderttausendstenmal die Grenzsituation 2015 aufgearbeitet werden sollte. Nun hatte die gesamte Republik freiwillig oder unfreiwillig bereits einige Jahre darüber diskutieren dürfen, Bücher und Studien zum Thema wurden gedruckt, Wahlen gewonnen oder verloren – aber die CDU war der Meinung, man habe sich noch nicht genug im eigenen Merkelhass gesuhlt. Da ahnte Frau Kramp-Karrenbauer, dass sie sich über ein bisschen Merkel-Bashing den ostrechten Landesverbänden und natürlich der strammrechten Baden-Württemberg-Sauerland-Schiene anbiedern könnte. Gesagt, getan. Und in Folge kam kein Interview mehr ohne Sozialmissbrauch, Frühwarnsystemen (wie beim Tsunami, nur mit dem umgekehrten Vorsatz, nämlich Menschen gerade nicht zu retten) und einer rückwirkenden Grenzschließung aus: „Wir haben gesagt, als Ultima Ratio wäre das durchaus auch denkbar.“ Das wolle man, weil man „Schengen nach innen offen halten“ möchte. Schengen nach innen offenhalten bedeutet ja eigentlich offene Grenzen innerhalb der EU. Hm? Das muss eigentlich nochmal komplett in die Logikklinik, solange Österreich, Italien und Ungarn da noch drin sind, aber Hauptsache, man hat mal wieder rechts geblinkt und ein paar Flüchtlinge in Zusammenhang mit Sozialmissbrauch gebracht. Mission erfüllt, wenn auch keine christliche.

Deutschland ist zum Glück schon weiter.
Aus strategischer Sicht könnte man nun argumentieren, dass es doch gut sei, wenn die Union wieder weiter nach rechts rutsche, um die von Merkel verlorenen Wählerinnen und Wähler zu holen. Könnte man machen, wenn man den gesellschaftlichen Kollateralschaden einmal außen vorließe. Wäre aber dennoch falsch. Denn Frau Merkel hat für die Union durch ihren Modernisierungskurs vor allem eine Menge an Machtoptionen gewonnen. Von Schwarz/Grün über Jamaika zu Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Rot-Schwarz und in Brandenburg liebäugelt die CDU sogar mit der Linken.

Merkels Wählerkoalition reicht weit in die urbane Mitte, in der die CDU sonst kein Bein mehr auf den Boden bringt. Jenseits des medialen Getöses hat die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich über die Merkel-Jahre hinweg klar in Richtung des progressiven Lagers verschoben. Effektiver Klimaschutz, eine proeuropäische Grundeinstellung, ein modernes Bild von Familie und Ehe, die Unterstützung moderner Arbeitsformen (Recht auf Heimarbeit lehnt die CDU auch ab), der Wunsch nach einem funktionierenden Sozialstaat, gesunde Ernährung, effektiver Verbraucherschutz und ein handlungsfähiger Staat, der für eine zeitgemäße Infrastruktur sorgt, sind die Anliegen dieser Wählerkoalition. Und in Zeiten wie diesen wünscht sich diese Wählerkoalition auch eine nach innen wie außen friedfertige Gesellschaft, deren Führung nicht unnötig Öl ins Feuer gießt.

Frau Kramp-Karrenbauer bietet für niemanden aus dieser gesellschaftlichen Gruppe einen Anlass, sie zu wählen. Im Gegenteil. Je mehr Frau Kramp-Karrenbauer aus dem Schatten von Frau Merkel tritt, desto deutlicher wird allen werden: Sie ist es nicht. Sie ist nicht die Zukunft. Sie ist das Gesicht des gesellschaftlichen Rückschritts. Sie ist die falsche Wahl für Deutschland und Europa.

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Zurück in die Zukunft von Vorgestern.

Die CDU-Kandidaten für den Parteivorsitz liefern sich eine beeindruckende Schlacht über die Zukunft der Vergangenheit, weil sie auf das völlig falsche Wählerpotential schielen.

Es hätte eigentlich richtig gut laufen können. Der Kandidat war zwar der Politik immer verbunden geblieben, hatte aber gleichzeitig bewiesen, dass er von ihr nicht abhängig ist. Dass er wirklich Charakter zeigen kann, „die Brocken hinschmeißen“, sich nicht alles gefallen lassen muss und Unabhängigkeit nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich leben kann. Einer, der nicht nur davon träumt, beim Zigarettenholen nach New York abzuhauen, sondern am nächsten Tag tatsächlich auf der Freiheitsstatue steht. Oder eben in Midtown Manhattan, im Black Rock Tower.

Und dann hätte er die Erfahrungen aus einem Jahrzehnt jenseits der Politik mit voller Wucht in seine Kandidatur gegen lupenreine Parteikarrieristen einsetzen können. Mit seinem geballten Wissensvorsprung über die Zukunftschancen und Risiken unseres Landes. Mit dem objektiven Blick von außen und dem fundierten Wissen von innen. Diese auf dem Papier so gelungene Kombination von einem, der es geschafft hat, zwei erfolgreiche Karrieren in Wirtschaft und Politik hinzulegen, ohne dafür seine Familie, seinen Glauben oder seine ländlichen Wurzeln zu opfern. Ein Mann gemacht für den Parteivorsitz der Christlich Demokratischen Union Deutschlands.

Pffffffffttt.

Übrig blieb eine alternde, dünnnervige Diva, die damals aus verletzter Ehrenpusseligkeit die Brocken hingeschmissen hat, um danach nicht etwa jenseits der Politik Karriere zu machen, sondern durch das Verkaufen seiner politischen Kontakte und der sich politisch nicht viel weiter entwickeln konnte, da er zehn Jahre lange nur Frust über die Entscheidungen der Anderen von Gestern oder Vorgestern angesammelt hat, ohne über das Morgen der Gesellschaft jenseits der eigenen persönlich Zukunft auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Ein Mann aus dem Jenseits der sieben Berge, der nach seiner Niederlage auch ebendort wieder anzutreffen sein wird.

Das sind die beiden Geschichten, die man sich über Friedrich Merz erzählt – je nachdem welchem Lager in der CDU man angehört. Aber das eigentlich Schlimme daran ist, dass es vielleicht eine einzige Geschichte ist. Denn über die Zukunft hört man herzlich wenig in der Kandidatenshow der Union. Das jedenfalls hat Friedrich Merz schon einmal geschafft – in Kombination mit dem anderen Rechtsausleger und einer zunehmende verunsicherten und daher auch zunehmend strengen und humorbefreiten Frontrunnerin.

Die CDU streitet mal wieder über die Vergangenheit und begeht dabei alle Fehler, die sie in den letzten Wahlen so hart hat abstürzen lassen. Ja, das geht dem Koalitionspartner aus ähnlichen Gründen nicht anders, aber der ist heute ausnahmsweise nicht das Thema.

Zunächst einmal traten Kandidaten wie Merz und Spahn mit der klaren Ansage an, Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückholen zu wollen. Frau Kramp-Karrenbauer ist jetzt auf dem gleichen Trip, wenngleich sie eher mit ihrer traditionell stark ausgeprägten Homophobie punkten möchte, als mit Migration. Aber als ersten Kollateralschaden kann man schon einmal den UN Migrationspakt vermelden, den erst Spahn aus dem finsteren Verschwörungsreich der Salvinis, Orbans und Gaulands in die bis dahin zu Recht nicht stattfindende Debatte verzerrte. Und damit Merz prompt zu einer plumpen Grundgesetzgrätsche veranlasste. Noch mal ganz kurz zur Info: Bei dem Migrationspakt geht es vor allem darum, dass andere Länder sich dem im internationalen Vergleich hohen Niveau Deutschlands, Schwedens etc. bezüglich des menschenwürdigen Umgangs mit Geflüchteten annähern. Was Verbesserungen für die betroffenen Menschen aber eben durch eine breitere Verteilung der Schutzsuchenden auch für Deutschland mit sich brächte. Warum man hier in Deutschland deshalb Schaum vorm Mund bekommen muss, weiß kein Mensch.

Grundlage dieser Unfugdebatte ist einmal mehr das Bestreben „Wähler von der AfD zurückzugewinnen.“ Verkannt wird hierbei, dass das gar nicht geht. Dies der SPD beizubringen fällt bei manchen Repräsentanten schon schwer genug, bei der CDU scheint es völlig unmöglich. Dabei würden sich der CDU ganz andere – wesentlich erfolgreichere – Optionen bieten. Aber dazu später mehr.

Zunächst einmal zu den AfD Wählerinnen und Wählern. Diese zeigen in allen quantitativen aber vor allem auch qualitativen Studien ein nahezu unerschütterliches Weltbild, das sie von den Wählerinnen und Wählern der Grünen, der SPD, aber auch der CDU/CSU massiv unterscheidet. Das gilt auch für die Wählerinnen und Wähler der Linken und der FDP, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen nicht ganz so ausgeprägt wie bei den anderen.

Grob zusammengefasst lautet dieses Weltbild Stand Jahreswechsel 2018/19 so: Ein AfD-Wähler ist tendenziell Anti-Europäisch, zweifelt am Klimawandel, möchte am liebsten gar keine Ausländer – ob Flüchtlinge oder nicht – im Land, ist autoritätsfixiert mit Sympathien für Trump, Putin und andere „starke“ Männer, findet, dass soziale Sicherheit vor allem für ihn selbst da sein sollte, spricht ausufernd über U-Bahn-Kriminalität, obwohl er mindestens 50 km von der nächsten U-Bahn entfernt wohnt, findet in seiner FB-Gruppe nahezu stündlich neue Hinweise auf von den linken Medien unterdrückte Gewalttaten durch Ausländer, ist latent homophob, es sei denn er ist selbst schwul, hat ein sehr klares Frauenbild aus den 50er Jahren (auch als Frau), betrachtet alles Neue skeptisch bis feindlich (Digitalisierung, Elektroautos, nicht fossile Energieträger) und fühlt sich latent bedroht von allen und allem. Zudem hält er alles Positive, was es über die wirtschaftliche Entwicklung, Sozialstandards, Rentenentwicklung zu vermelden gibt für Fake News und nahezu alle Fake News für echt.

Ich würde hier gerne Übertreiben, aber ich tue es leider nicht. Wir haben bei dieser Wählergruppe ein nahezu hermetisch geschlossenes Weltbild das auch erklärt, weshalb Spendenskandale, radikalverbale Entgleisungen oder auch schlichtweg Nazijargon auf diese Wähler keine abschreckende Wirkung haben. Ein guter Teil von ihnen gehört zu bisherigen Nichtwählern, die für die längste Zeit keine Partei im Angebot fanden, die ihre Paranoia spiegelte, der andere gehört zu einem Sammelbecken aus allen möglichen Parteianhängern, die in diese Szene unwiederbringlich abgedriftet sind. Und diese können vom Hochschullehrer über den gewerkschaftlich organisierten VW-Arbeiter bis hin zur Landfrau oder dem klassischen Protestwähler aus allen Schichten kommen. Und ja – sie können bei einer der letzten Landtagswahlen vor drei oder vier oder fünf Jahren CDU, CSU, FDP, SPD, Linke oder sogar auch mal Grüne gewählt haben – aber sie werden es nie wieder tun. Eher gehen sie irgendwann nicht mehr wählen, als den Weg zurückzufinden. Zumindest nicht in den nächsten 5-10 Jahren.

Für die SPD, mit der wir uns ja ganz gut auskennen, bedeutet das ganz klar, dass keine Wählergruppen 2018/19 weiter voneinander entfernt sind als heutige AfD- und heutige SPD-Wähler. Die Schnittmenge beträgt 0 %. Und nicht anders sieht es bei vielen Wählern der CDU aus. Deren Schnittmenge ist wesentlich größer mit FDP oder Grünen als ausgerechnet mit der AfD. Selbst mit der SPD ist diese größer.

Das heißt im Umkehrschluss, dass ein Friedrich Merz das größte Potenzial bei den aktuellen FDP-Wählern hat – bei gleichzeitigem Halten der noch vorhandenen Merkel-Koalition durch ein etwas moderneres Gesellschaftsbild. Dadurch könnte er auf die 27 Prozent von heute locker noch 4-5 % aus der FDP satteln, die ihrerseits die Chance, sich auch inhaltlich zu erneuern, im Siegestaumel völlig verschlafen hat. Und ein bisschen was bekommt er dann noch von Rand-AfD Sympathisanten, für die die CDU dann wieder wählbar ist, wenn sie nicht länger eine Frau wählen müssen.

Frau Kramp-Karrenbauer könnte die Merkel-Koalition halten und mit etwas weniger Homophobie und Verkrampfung auch wieder für grüne Wählerinnen und Wähler interessant sein. Wenn sie so weiter macht wie gerade, zerdeppert sie alles und subventioniert die Grünen weiter.

Für Jens Spahn gibt es nirgendwo Potenzial.

So wie es gerade aussieht, geben sich alle gemeinsam ordentlich Mühe, am Ende so wenig Attraktivität wie möglich übrig zu lassen. Und so große Wunden innerhalb wie außerhalb der Partei zu schlagen, dass nach dem Abgang der ewigen Kanzlerin das ganze Ausmaß der Leere überhaupt erst sichtbar wird.

Frohes Fest.