No Gro-Ko – Was passiert denn da in Bremen?

Auch wenn die ganz große Aufmerksamkeit dem Thriller „Koksnasen auf Ibiza“ gehört, lohnt sich doch ein Blick ins kleinste deutsche Bundesland. Dort hat die SPD der CDU eine knallharte Absage erteilt. Und die Grünen schwallwabern bei der Koalitionsfrage mal wieder puddingleicht durch das Mäandertum.

Der SPD Landesvorstand Bremen beschließt einstimmig, dass die SPD Bremen nach der Wahl ausschließlich für eine Mitte-Links-Regierung zur Verfügung steht. Anschließend treten die Parteivorsitzende, der Fraktionschef und der Bürgermeister am Freitag gemeinsam vor die Presse, um genau das 9 Tage vor der Wahl zu verkünden. Das ist nicht nur ziemlich geschlossen, sondern in seiner Konsequenz auch einmalig in der Geschichte bisheriger Landtagswahlkämpfe in Deutschland.

Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass es jemals einen solchen Beschluss von einer der beiden Volksparteien gegeben hätte.

Gleichzeitig wäre eine nun mögliche Mitte-Links-Regierung – in diesem Fall also aus SPD, Grünen und Linkspartei, die erste Rot-Grün-Rote Landesregierung in einem der alten Bundesländer. Die Bremerinnen und Bremer könnten also den Beweis für eine funktionierende Mitte-Links Regierung „im Westen“ antreten und damit neue linke Optionen über Bremen hinaus wieder denkbar machen.

Das kann man nun diskutieren. Hier mein Beitrag.

PRO:

1. Klarheit statt Unberechenbarkeit
Die Segmentierung der Parteienlandschaft in Deutschland hat mittlerweile dazu geführt, dass kein Wähler vor der Wahl noch weiß, was er nach der Wahl bekommt. Es gibt alle, wirklich alle Modelle. Jamaika, Ampel, GroKo, RRG (mal mit der SPD vorne in Berlin, mal mit der Linken in Thüringen, Schwarz-Grün, Grün-Schwarz, Rot-Grün, Schwarz-Gelb und in Brandenburg überlegt die CDU, ob man nicht doch mit der Linken…. Was die CDU in Sachsen überlegt bzw. macht, wenn sie ihren jetzigen MP abserviert hat, will ich gar nicht wissen.

Übrig bleibt eine unüberschaubare Kakophonie, Unklarheit und Unberechenbarkeit und das in Zeiten, in denen sowieso schon sehr viel Unsicherheit und Unklarheit die Sicht trüben. Die SPD sagt jetzt den Wählern: Mitte-Links oder nichts.

2. Regieren nicht um jeden Preis – sondern mit klaren Zielen.
Nach der Ankündigung der SPD kamen natürlich gleich Kommentare wie „SPD klammert sich an die Macht.“ Sorry, aber der Gedanke muss nochmal in die Logikklinik. Genau das Gegenteil ist ja der Fall. Sie schließt mehrere Machtoptionen kategorisch aus: Rot-Schwarz, Schwarz-Rot sowie die Ampel, da die FDP in Bremen sich aufgrund jahrzehntelanger Ohnmacht völlig ins Abseits marktradikalisiert hat.

Das heißt, selbst wenn die SPD erneut stärkste Partei würde (was aufgrund der aktuellen Umfragen durchaus drin ist), geht sie ein hohes Risiko ein.  Wichtiger sind ihr die Ziele, die sie mit CDU und FDP nicht erreichen kann. Etwa beim Mieterschutz, einer verschärften Mietpreisbremse und bezahlbarem Wohnungsneubau.

Wie in allen Metropolen ist auch in Bremen der Wohnungsmarkt zu der großen sozialen Frage unserer Zeit geworden. Obwohl dort die SPD nicht die gleichen Fehler begangen hat wie viele andere Regierungen. Sie hat eben gerade nicht städtische Wohnungen gekauft, sondern im Gegenteil, sogar neue erworben. Das ist gut. Aber das reicht nicht. Es braucht dringend mehr sozialen und generell bezahlbaren Wohnraum. Denn auch Bremen boomt und steht mit seinem Wirtschaftswachstum im zweiten Jahr in Folge bundesweit auf dem Siegertreppchen.

Das Wohnungsbauprogramm der CDU:
Wenn Du kein Geld für Miete hast, warum kaufst Du nicht Wohnung? Eh?!“

In dem 100-Tage Programm der CDU findet man hierzu ein dürres Sätzchen unter Position 25 (von 33 und zwar kurz vor dem Punkt: „Wir wollen Einweggeschirr untersagen“ – was sowieso schon verboten wurde). Es lautet sinngemäß: Die Leute sollen sich was kaufen. Oder wörtlich „Unser Ziel ist es, über alle Stadtteilen (sic!) kurzfristig mindestens Grundstücke für 500 Wohneinheiten für Familien zu identifizieren um sie zur Bebauung zur Verfügung (Verkauf oder Erbpacht) zustellen.“ Dankeschön. Deutsch Sprach schwer Sprach aber übersetzt: „Wenn Du kein Geld für Miete hast, warum kaufst Du nicht Wohnung? Eh?!“. Wenn das Volk kein Brot hat, warum isst es keinen Kuchen? Hinzu kommen bei der CDU: Ablehnung der verschärften Mietpreisbremse, Ablehnung der Bebauung eines bereits ausgewiesenen Bauprojektes (Rennbahn) usw. Kurzum: Mit einer Groko wird hier absolut nichts voran gehen. Warum soll man sie dann eingehen?

Es gibt noch viele weitere Punkte, aber der reicht mir eigentlich schon.

3. Wenn ihr links wählt, bekommt ihr links.
In Bremen gibt es seit vielen Jahren und über alle Umfragen hinweg stabile Mehrheiten für SPD, Grüne und Linke zwischen 54% und 57%. Die Verteilung innerhalb des Lagers verteilt sich, die Lager selbst bleiben sehr stabil. CDU/FDP liegen auf der anderen Seite im Korridor 30-34, aktuell sind es 32%. Dann gibt es noch AfD und/oder Bürger in Wut sowie die Besonderheit, dass wer in Bremerhaven die 5% bekommt, auch dann in die Bürgerschaft einzieht, wenn es in Bremen nicht reicht. Das sorgt für zusätzliche Verwirrung.

Kurzum: Die SPD Entscheidung sagt den Wählerinnen und Wählern: Wenn ihr eine Mitte-Links Regierung wählt, dann bekommt ihr sie mit uns garantiert. Das kann man bei den Linken auch voraussetzen, bei den Grünen nicht. Die Grünen schwallwabern mal wieder puddingleicht durch das Mäandertum. Kann man machen und viele Grün-Wähler wachen dann am Ende mit der CDU auf, die sie nie wollten. Was aber ist verwerflich daran, den Wählern klar zu sagen: Wenn es für eine linke Mehrheit reicht, sind wir in jedem Fall dabei. Wenn nicht, dann gehen wir in die Opposition?

Fazit: Ein Gewinn an Klarheit für die Wählerinnen und Wähler – und wie ich finde, auch für die Demokratie. Denn am Ende gibt es wieder etwas zu entscheiden. Für die SPD ist das ein Risiko, in das noch keiner gegangen ist. Aber auch sie wird danach Klarheit haben. Auf jeden Fall kommt nochmal Schmackes in den Endspurt.

CONTRA:

Ooops, ich muss los. Eurovision-Party vorbereiten. Riiiiise like a Phoenix! Es gab sie doch, die guten Dinge – auch aus Österreich.

 

 

 

Sunday, bloody Sunday.

Kanzlerinnendämmerung, drohender Rechtsruck der Union, SPD-Dauerkrise, neue Vorhaben, mögliche Ultimaten. Nach Merkels angekündigtem Rückzug sollte man sich Größerem widmen als einem „störungsfreien“ Abarbeiten des Koalitionsvertrages. Oder es einfach sein lassen. Einordnungen und Anregungen.

Bei der Bundestagswahl im September 2017 verloren die GroKo-Parteien zusammen 13,8 Punkte. Von 67,2% auf 53,3%. Man dachte, das sei viel. Nach der Neuauflage im März 2018 verloren sie in Bayern gemeinsam 21,4% und schließlich in Hessen erneut 22,2 Prozent. Die Wahl in Niedersachsen passt nicht als Gegenbeispiel, da diese bereits drei Wochen nach der Bundestagswahl stattfand, als die SPD eine Neuauflage der GroKo noch ausgeschlossen hatte. Nach diesem dritten blutigen GroKo Wahlabend in Hessen sollte allen klar sein, dass es so nicht weitergehen kann. In aktuellen Umfragen kommen die drei Koalitionspartner zurzeit noch auf 39-41%. Aber was ist zu tun?

Die Antwort für die größte Leidtragende der zwei Oktoberwahlen, die SPD, fällt nicht so einfach aus, wie man es sich in einer solchen Situation wünschen mag. Denn wenn die Partei ehrlich zu sich selbst ist, löst ein Groxit keines ihrer inhaltlichen oder auch personellen Probleme. Die Grünen haben sich in den langen Jahren der Opposition inhaltlich wie personell deutlich verändert. Dafür haben sie 13 Jahre benötigt. Und sind immer noch Opposition. Dreizehn Jahre, in denen sie erst nach links, dann deutlich in die Mitte gewandert sind und auch erst vor einem Jahr die klare personelle Erneuerung gewagt haben. Dazwischen lagen sehr lange Durststrecken bis in den Oktober des Jahres 2017, als sie als kleinste Fraktion in den neugewählten Bundestag einzogen. Das war gerade einmal vor einem Jahr.

Heute erntet die Partei die Früchte dieser Erneuerung und hat sich zur moderneren, klareren und dynamischeren Antwort für die moderne Mitte in Deutschland gemausert als es SPD und Linke sind. Sie profitieren auch von dem Unions-Fallout, der bei Weitem nicht so hoch ausfallen würde, wenn große Teile der CSU und kleinere der CDU nicht so scharf rechts blinken würden. Die Grünen entfalten heute eine Dynamik, wie sie die SPD mit Martin Schulz für sehr kurze Zeit Anfang 2017 entfachen konnte. Und zwar so lange, bis Kandidat und Partei in eine inhaltliche und angstgetriebene Schwurbelei zurückverfallen sind, die jede Illusion eines progressiven Aufbruchs zerplatzen ließ.

Diese angstgetriebene Schwurbelei – über viele Jahre seit 2005 praktiziert – wird die SPD auch in die Opposition begleiten. Dazu zählen heute besonders die ungeklärten Positionen in der Sozialpolitik, der Umweltpolitik und der Europa- und Friedenspolitik. Wem das zu abstrakt ist, hier ein paar Stichworte: Braunkohle, Diesel, Hartz IV, Putin, Trump, Europäische Integration und Waffenexporte. Eine SPD in der bundespolitischen Opposition kann diese Fragen dann mit Landesverbänden klären, die sich politisch verantwortlich für Arbeitsplätze in der Braunkohle und/oder der Automobilindustrie fühlen. Das ist lösbar. Aber weder so schnell noch so radikal wie sich das einige vorstellen.

Kann die SPD sich also trotz allem auch in der Regierung erneuern? Das zu glauben fällt schwerer denn je. Und das hat nichts mit dem sehr sozialdemokratischen Koalitionsvertrag zu tun, sondern maßgeblich mit einem schlimmen Tripple: Grenzzurückweisungen, Maaßen und Diesel. Denn nichts davon hatte mit Regieren zu tun, auch nicht mit einem zwar guten, wenn auch nicht wirklich „großen“ Koalitionsvertrag. Man kann den „Dieselkompromiss“, als dritten und vorläufigen Gro-Gau-Höhepunkt gar nicht ernst genug nehmen bei der Beurteilung der gegenwärtigen Ergebnisse für die Parteien der Großen Koalition. Man sollte auf jeden Fall schon einmal beherzigen, dass, wenn drei sich treffen und bis zum Morgengrauen zusammensitzen, nichts Gutes entstehen kann. Eine Formel, die generell für das Leben anzuwenden ist. Klar, man kann und muss die Hauptschuld bei allen missglückten Ergebnissen vor allem bei der CSU suchen und finden, aber das hilft ja am Ende nichts. Schließlich hat diese auch stark verloren. Doch wer an hessischen Infoständen unterwegs war, der hat erlebt, dass es in den letzten 14 Tagen um nichts anderes mehr ging als um Diesel, Diesel, Diesel. Die nicht umsetzbare Quatschformel, die in dieser unglücklichen Nacht entstanden ist, hat es geschafft, alle unglücklich zu machen: Dieselfahrer, Dieselgeschädigte und alle dazwischen.

Der „Dieselkompromiss“ hat den Eindruck verschärft, dass die Regierung nicht auf der Seite der Verbraucher, sondern der Bosse steht. Verkannt wird dabei, dass beiden – Regierung und Bossen – bei dem Blick in die Zukunft der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie der nackte Angstschweiß auf der Stirn steht. Wir stehen hier vor einem möglichen Fiasko, wogegen sich die große Stahlkrise der 80er und 90er Jahre wie ein leises Rumpeln ausmachen könnte. Die eigentlichen Opfer von Dieselgate sind die Kunden, aber eben auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren gute und gut bezahlte Arbeitsplätze von der unglückseligen Allianz aus Vorständen, einigen mächtigen Betriebsräten, Lobbyisten und handzahmen Politikern massiv gefährdet werden.

Die Dieselstrategie der deutschen Industrie ist weltweit so krachend gescheitert, wie kaum eine andere wirtschaftliche Strategie dieser Größenordnung zuvor. Und auch wenn die Politik durch lasche und dehnbare gesetzliche Rahmenbedingungen eine Mitschuld trägt, liegt die Hauptschuld dort, wo sie auch hingehört: bei megabezahlten Vorständen, die nicht nur ein unverschämt vielfaches ihrer Angestellten verdienen – sondern auch das mehrfache Gehalt von Abgeordneten, Ministern oder auch der Kanzlerin. Warum so ein großer Schlenker zur Automobilindustrie? Weil sie symptomatisch ist für das gegenwärtige Ungleichgewicht, das viele wahrnehmen. Die Mitarbeiter wissen doch längst, dass ihre Bosse den Karren breitbeinig und verantwortungslos in den Dreck gefahren haben. Und die Mitarbeiter sind nicht stolz darauf, Dreckschleudern oder gar betrügerische Produkte zu produzieren. Sie würden auch lieber fortschrittliche, saubere und kundenfreundliche Produkte herstellen, da auch sie Kinder haben und diese in einer gesunden Umgebung aufwachsen sehen wollen. Sie sehen nur keinen Ausweg. Diesen Ausweg zu zeigen, den Struktur- und Mentalitätswechsel in dieser Krisenindustrie zu fördern, das ist jetzt die Aufgabe von Politik und einer Arbeitnehmerpartei. Nicht die Zementierung des Status Quo, die am Ende nur zu der Frage führen wird: „Papa, was war denn ein Volkswagen?“ „Ein Auto.“ „Lustiger Name.“

Gleiches gilt natürlich für die Braunkohle, die kein Mensch mehr braucht, außer denen, die unmittelbar davon ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dass der Staat es nicht schafft, Hand in Hand mit der Industrie in Boomzeiten den Betroffenen eine vernünftige Alternative anzubieten, ist ein Armutszeugnis. Vor allem bringt es die Arbeiter in eine schreckliche Situation. Einige von ihnen meinen nun, dass sie ein paar Aktivisten bekämpfen müssten, um ihre Arbeit zu behalten, während absolut jeder Verantwortliche in den betroffenen Unternehmen und der Regierung weiß, dass dieses Kapitel endgültig geschlossen wird – und auch früher als erwartet. Hier ist die Arbeiterpartei gefragt, die erneut nicht den Status Quo erhalten darf. Denn der ist Mist für alle.

Die dritte bedeutende Baustelle ist die Frage einer solidarischen EU, die angesichts neuer ökonomischer wie militaristischer Bedrohungen aus dem Osten wie dem Westen die einzige Antwort sein kann. Auch hier tritt allen Beteiligten der Angstschweiß auf die Stirn. Mehr EU ohne mehr Solidarität geht nämlich nicht. Und mehr Solidarität bedeutet natürlich auch engere Kooperation und Verantwortung. Die Bundesregierung hat sich bisher entschlossen, die Initiativen von Macron weitgehend zu ignorieren. Man kann diese in Teilen gut oder schlecht finden, aber die Frage bleibt dann, welche Initiativen denn von dieser Großen Koalition ausgehen, damit sie den Namen „Groß“ verdient.

Dies waren nur einige Beispiele die zeigen, dass sehr, sehr große Herausforderungen vor dieser Regierung liegen. Dies kann eine Chance sein, wenn man sie jetzt angstfrei angeht. Hat man aber Angst davor, zu regieren, dann sollte man es einfach sein lassen. Nur mit Trippelschritten ist diese Regierung jedenfalls nicht zu retten – und man wüsste auch nicht, weshalb man sie retten sollte.

Deutschland steht nicht vor einem Rechtsruck. Auch das haben die letzten Wahlen gezeigt und die Umfragen ebenso. Die große friedliche und demokratische deutsche Mitte – rund 75-85%, sortiert sich zwischen CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und in manchen Bundesländern, wie etwa Thüringen, zähle ich die Linke mit zur demokratischen Mitte. Das Pendel schlägt zurzeit eindeutig in Richtung des modernen Deutschlands. Dafür muss die Politik die Zukunft der Arbeit mit der Zukunft der Welt, in der wir leben und der Art, wie wir in dieser Welt zusammenleben wollen, verbinden. Welche progressive Partei sich hierfür am besten aufstellt, wird die Zukunft gewinnen. Eine tolle Aufgabe. Man sollte irgendwas mit Politik machen.

Dieser Beitrag erschien erstmalig auf richelstauss.de

 

„Für clever ist es ein bisschen spät.“ Im Interview auf Deutschlandradio Kultur

Wie positionieren sich die Parteien nach dem Verhandlungs-Debakel? Wie formuliert man eine gewinnende Strategie im Verlieren? Was eint Christian Lindner mit Donald Trump außer ihren Twitter Accounts?

Antworten versuche ich im Gespräch mit Liane von Billerbeck auf Deutschlandradio Kultur zu geben.

In der Mediathek vom 21.11.2017, Studio 9, 7:40 Uhr

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Lasst sie gehen.

Vor vier Jahren gab es sehr gute Gründe für einen Einstieg in die Große Koalition und das Mitgliedervotum der SPD unterstützte diesen Kurs. Heute gibt es sehr gute Gründe, andere regieren zu lassen und auf Macht, Einfluss und Gestaltungsspielraum zu verzichten.

Nein, es war kein Automatismus, dass die SPD zwingend so geschwächt aus einer Großen Koalition gehen würde. Dazu gehörten schon auch eine gehörige Portion Gabrielscher Zick-Zack-Kurs mit dem wiederholt verantwortungslosen Umgang bei der Vorbereitung von Kanzlerkandidatur und Wahlkampfstrategie, sowie der immer noch herumspukende Irrglaube, man könne die SPD mit den Rezepten von gestern und vorgestern neu aufstellen.

Wie schwach Merkel und die Union tatsächlich aufgestellt waren, zeigte sich nicht nur im Aufglimmen der SPD nach der Nominierung von Martin Schulz – sondern eben auch am Wahltag selbst. Merkel war schlagbar, doch ein Wahlkampf der verpassten Chancen ließ sie noch einmal davonkommen.

Noch schlimmer verlief allerdings der Wahlkampf der Union. Ende Juni noch bei 40% in den Umfragen – und erst dann begann ja die heiße Phase – verlor die Union satte 7% durch die wohl bräsigste, arroganteste und selbstgefälligste Bundestagswahlkampagne der Neuzeit. „Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ eignet sich vielleicht als Motto für das Dr. Oetker Kochstudio, aber mit Sicherheit nicht als Guideline für die Kanzlerpartei in einer massiven Zeitenwende. Die Wähler fühlten sich zu recht veräppelt und flüchteten sich – nicht vordringlich zur AfD – sondern vor allem zur FDP oder in die Nichtwählerschaft.

Das Versagen aller drei Regierungsparteien – und auch die intellektuelle Unterforderung der progressiven Wählerinnen und Wähler im Wahlkampf – machte das Ausfransen an den Rändern erst möglich. An manchen Tagen fühlte ich mich wie ein Telefonseelsorger und beantwortete Fragen wie: „Ich möchte nicht, dass die SPD untergeht, aber ich möchte auch nicht, dass sie weiter regiert – was soll ich tun?“ Antwort: Wähl sie trotzdem, es wird schon schlimm genug werden. Oder: „Ich kann das Grünen-Duo nicht leiden, bei der Linken stören mich die Putin-Lover und die SPD soll nicht mehr regieren – wen soll ich wählen?  Antwort: „Dann wähl halt die Grünen, wenn es sonst passt, es ist ja kein Sympathiewettbewerb.“ Und dann kamen natürlich auch einige, die Frau Merkel unterstützen wollten, aber nicht auf die Gefahr hin, damit Herrn Seehofer zu stärken. Tja. Eine Antwort auf die Schizophrenie der Union hatte ich nicht. Die FDP kam natürlich auch vor, weil sie im Gegensatz zu allen anderen auch einen Grafiker bezahlt hatte. Dort störte wiederum die legere Haltung zum Umweltschutz (Motto: Nur nicht einmischen, das wächst von alleine nach).

Beim Wahl-O-Mat siegten bei mir erstmals in meiner persönlichen Geschichte die Grünen. Ich nehme an, es war die Braunkohle. Aber am Ende lasse ich mir von einem schnöden Programm meine Fehlentscheidungen nicht verbieten. Die Grünen landen dann auch ohne mich – nach 13% in den Umfragen im November letzten Jahres – auf einem sehr mageren letzten Platz mit einem Ergebnis von 8,9%, für das Jürgen Trittin vor vier Jahren sofort zurücktreten musste (8,4%). Sie feiern sich dusselig.

Es war ein Trauerspiel.

Ein völlig unnötiges Trauerspiel. Spannende Themen lagen zu Hauf auf der Straße, wurden aber ignoriert. Auch von den mindestens ebenso denkfaulen Fragestellern in den meisten Talkrunden und dort vor allem in dem unsäglichen „DUELL“. Ein in den ersten 40 Minuten lupenreines AfD-Förderprogramm (Maischberger: „Man hat uns versprochen, dass nur gut ausgebildete Akademiker kommen“ Wer? Wann? Quelle?), bei dem ich zum ersten Mal im Leben ernsthaft Zweifel an meinen Gebühren für die Öffentlich-Rechtlichen bekam. Man nimmt ja vieles an Volksberieselung in Kauf in der Annahme, dafür Qualitätsjournalismus zu bekommen. In diesem Wahlkampf leider Fehlanzeige bis hin zur Elefantenrunde danach. Bei der ich erstmals Sympathie für Frau Kipping empfand, die auch dort einmal auf ein paar wirkliche Themen zu sprechen kommen wollte. Der Moderator verhinderte dies erneut mit aller Kraft.

Jetzt will die SPD nicht mehr und ich kann sie verstehen. Wenn mir jetzt wieder einer damit kommt, dass die SPD Verantwortung übernehmen müsse, dann wäre hier meine Antwort: Deutschland ist nicht im Krisenmodus und es steht auch nicht der Untergang vor der Türe. 87% der Deutschen haben nicht AfD gewählt, dafür die Union zur stärksten Kraft gemacht und zwei kleinere, demokratische Parteien ins Parlament gewählt, die in einem Bundesland bereits miteinander koalieren.

Sowohl die Grünen als auch die FDP haben die Regierung in diesem Wahlkampf hart angegriffen – was ja ihr Job ist – und haben jetzt die Gelegenheit, mit ihren Konzepten zu liefern. Diese Chance haben sie sich redlich verdient. Die Grünen wollten ja eh mit Frau Merkel regieren, die FDP auch, dann wird ja auch einem flotten Dreier nichts im Wege stehen. Frau Merkel jedenfalls nicht.

Die SPD wurde nach allgemein anerkannten politischen Erfolgen in der Regierung mit dem schlechtesten Ergebnis in der Geschichte nach Hause geschickt. Man kann beim besten Willen von ihr nicht verlangen, diesen Wählerwillen zu ignorieren und weiter zu regieren.

Sie stand nun vor der Frage, der AfD die Position der stärksten Oppositionspartei zukommen zu lassen, oder selbst diese Rolle zu übernehmen. Sie verzichtet auf entscheidende Häuser: Das Arbeits- und Sozialministerium, das Wirtschaftsministerium, Justiz-, Familien-, Umweltministerien mit all den politischen Einflussmöglichkeiten und auch den entsprechenden Posten. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang.

Die SPD leistet mit ihrem Gang in die Opposition einen wichtigen Beitrag für die Demokratie. Es ist dabei trotz allem ein mutiger Schritt. Denn Opposition alleine bedeutet noch keine Rekonvaleszenz, wie die Jahre 2009-2013 – und vor allem auch dort mal wieder die versemmelte K-Frage gezeigt haben.

Diesmal aber geht es um alles – auch um die Existenz. Die SPD befindet sich seit 2002 in einem permanenten Niedergang. Sie wird daher auch einen langen Weg gehen müssen, um wieder stark zu werden. Sie wird ihre Programmatik aktualisieren müssen – und das bei einer alternden Mitgliedschaft- und Gesellschaft. Sie wird intensiv junge Talente suchen und fördern müssen. Sie wird sich in den Ländern organisatorisch neu aufstellen – und vermutlich auch den finanziellen Kahlschlag der letzten Jahre verarbeiten müssen.

Und dann muss sie eine überzeugende Oppositionsarbeit leisten, die nicht nur die neue Regierung herausfordert, sondern auch die Feinde der Demokratie rechts von ihr.

Das wird ein hartes Stück Arbeit. Dafür braucht die SPD alle verfügbaren Kräfte. Und unsere Hochachtung für diesen Dienst an der Demokratie. Lasst sie gehen.

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