Eine Campaigning-Weihnachtsgeschichte rund um das Memorandum mit dem alles begann. Oder: 25 Jahre Butter, Clinton, Gore und was alles so kam.
In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 1992 ratterte in der Strelitzer Strasse Ecke Anklamer Strasse in Berlin Mitte mein 24-Nadeldrucker geräuschvoll die Nacht hindurch. Zuvor hatte ich auf meinem „Schneider Euro-PC“ ein Memorandum an den SPD Parteivorsitzenden Björn Engholm und den Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing beendet. Beiden war ich nie zuvor begegnet und einen Auftrag hatte ich auch keinen. Aber einen guten Grund.
Ende November 1992 war ich nach zwei Jahren aus Washington, D.C. zurückgekehrt, wo ich als Stipendiat der Fulbright Stiftung zunächst an der George-Washington-University studieren durfte. Später bewarb ich mich beim Senat um ein Praktikum und wurde von Al Gore eingestellt, Gore wurde Vizepräsidentschaftskandidat und ich wechselte vom Senat in die Clinton/Gore Kampagne.
Einer von beiden ging bei der Krawattenauswahl auf Nummer sicher. Und einer nicht.
Am 3. November 1992 wurde Bill Clinton 42. Präsident der Vereinigten Staaten und Al Gore Vizepräsident.
Election Night – bzw. Election Morning Nov 3rd, 1992
Zurück in meiner Berliner Studentenbude schrieb ich dann unter dem Titel „Anleitung zum Glücklichsein“ auf, was ich in der Clinton/Gore Kampagne erlebt hatte. Man könnte das, was dort steht, anmaßend nennen und hätte damit recht. Aber ich war so gefrustet von meiner Loser-SPD, die seit meinem Parteientritt 1982 noch keine einzige Bundestagswahl gewonnen hatte, dass mir das ziemlich egal war.
Mein wahrscheinlich wertvollstes Zeugnis und Grundlage für alles, was dann noch kam.
Noch im Dezember klingelte in meiner Ost-Berliner Wohnung das Telefon. Was ein kleines Wunder war, denn ich teilte mir die Leitung mit einem unbekannten Zweitnutzer. In der DDR hatte ja überhaupt nur jeder 10. Haushalt ein Telefon und die wenigen Anschlüsse waren häufig doppelbelegt. Auch noch 1992, zwei Jahre nach der Wiedervereinigung. Das bedeutete: telefonierte der mir unbekannte Zweitnutzer selbst, war mein Anschluss tot und umgekehrt. Wann er dann wieder frei würde, wusste man nicht. „Warum hast Du dann nicht mit dem Handy telefoniert oder geskyped“ wäre heute eine berechtigte Frage… WEIL ES KEINE HANDYS GAB 1992 UND AUCH KEIN INTERNET die Antwort.
On the Campaign-Trail 1992. Da es kaum Mobilfunk gab, wurden vor Ort einfach 50-100 Festnetztelefone aufgebaut. Links im Bild George Stephanopoulos in Clinton, Maryland.
Es klingelte also mein Telefon und es meldete sich ein Herr: „Butter hier, guten Tag. Sie kennen mich nicht, aber ich habe eine Werbeagentur in Düsseldorf. Der SPD Parteivorstand hat mir ein Papier von Ihnen geschickt. Das finde ich hervorragend. Ich würde sie gerne kennenlernen. Aber können Sie sich überhaupt vorstellen in einer Werbeagentur zu arbeiten?“
Tja, so war das. Ich sagte etwas wie „Ich studiere Politik im 9. Semester und kann mir daher alles vorstellen.“ Er fuhr fort: „Wunderbar, ich bin jetzt über Weihnachten auf Mallorca und dann treffen wir uns im Januar. Meine Kollegin prüft jetzt die Termine und dann ruft sie zurück.“ Ich rief „NEIN! Bitte nicht zurückrufen!“ Werner Butter war zurecht konsterniert und ich erklärte: „Ich teile mir die Leitung, ich weiss nicht, wann sie wieder durchkommen.“ Zum Glück konnte Werner mein Gestammel einordnen, denn er kannte die Doppelbelegung auch aus den 50er Jahren im Westen. Ich fuhr fort: „Sagen Sie einfach, wann es Ihnen passt. Ich habe sowieso keine Termine.“
Und so kam der kleine Frank 1993 nach Düsseldorf. Wurde Werber und wird im März 2018 tatsächlich das Vierteljahrhundert bei BUTTER. erreicht haben.
Der SPD Ortsverein bestand in dieser Broschüre ausschliesslich aus KollegInnen der Agentur BUTTER., mit Werner Butter in der Rolle des Ortsvereinsvorsitzenden. Foto: Thomas Krüsselmann, Herausgeber: SPD Parteivorstand, Bonn.
Aber begonnen hat alles mit dem Memo vom 7. Dezember 1992. Das Papier kursierte bald in Bonn und fand seine erste Teilveröffentlichung ohne mein Wissen in der Erstausgabe eines Magazins namens „Focus“. Selbstverständlich druckte der Focus nur die kritischen Passagen über die SPD. Da hat sich nicht viel verändert.
Ich stelle das Memo hier bereit. Vieles hat sich verändert – aber vieles auch nicht. Denn auch 25 Jahre später hilft es sehr, wenn man eine positive Zukunftsvision vermitteln kann.
Eines darf man nämlich nie: stehen bleiben, im Gestern leben und Erfahrung zu Routine werden lassen. Zwischen 2007 und 2017 hat sich wesentlich mehr verändert als zwischen 1992 und 2002. Und so wird es weiter gehen. Rasend schnell. Und nur wer dran bleibt, bleibt.
Ausweis der Modernität 1994: Ein Laptop und zwar ein MAC!
Soviel also zur Nostalgie. Zum 25. Jubiläum ziehe ich mit meinem Team 2018 in die nächste Schlacht. Diesmal um Hessen. Ausruhen gilt nicht.
Frohes Fest, guten Rutsch und alles Gute, euch Campaignfreaks dieser Welt.
Und hier noch mein Beitrag zur aktuellen Lage:
Die SPD, in den Worten Johannes Raus, ist die „Schutzmacht der kleinen Leute“. Genau das ist ihr Problem. Dass die SPD die Partei der sozialen Sicherheit ist, muss sie nicht ständig betonen. Wer soll es denn sonst sein? Auf diesem Feld gibt es keine Konkurrenz. Aber was hat die Partei denjenigen zu bieten, deren Priorität im Leben darin besteht, nicht zum Sozialfall zu werden? Bietet sie den Aufstrebenden, die Erfolg haben wollen, ohne ihr soziales Gewissen zu verlieren, eine Alternative zum Sozialdarwinismus der FDP? Überzeugt sie mit durchdachten Konzepten zur Stimulierung der deutschen Wirtschaft als Alternative zu den wirren trial- and- error – Versuchen der Union? Bettet sie ihr wirtschaftliches Erfolgskonzept ein in ein ökologisches Rahmenprogramm und bringt sie dadurch heimatlose Ökologen zurück an die Mutterbrust? Die SPD hat die Fähigkeit verloren zu träumen. Sie wagt es nicht, eine Vision für das moderne Deutschland zu schaffen. Nicht das Beschneiden eigener Kreativität unter den Druck zukünftiger Koalitionspartner führt zum Erfolg. Als Opposition muss man nicht schon den Alptraum von morgen träumen, sondern die Chance nutzen, die Zukunft unbelastet und positiv zu definieren. Der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus führt zur Bildung einer eigenen Koalition. Der Koalition zwischen der SPD und der Bevölkerung Deutschlands. Auszug aus: Frank Stauss, Memorandum an Björn Engholm, 7.12.1992