Die FDP ohne Zielgruppe.

Um die Probleme der FDP verstehen zu können, muss man etwas tiefer in ihre Positionierung einsteigen. Und da beginnen schon die Schwierigkeiten.

Tempi passati. Es gab eine Zeit, da hatte die FDP mit Christian Lindner ein Potenzial von über 15%. Und tatsächlich notierte sie ja bei den Wahlen 2017 und 2021 jeweils zweistellig. Der triumphale Wiedereinzug in den Bundestag 2017 nach dem Scheitern an der 5%-Hürde bei der Wahl zuvor war der Frische des Vorsitzenden und auch einer herausragenden Kampagne geschuldet. Eine Regierungsbeteiligung schloss die FDP damals mit größtmöglicher Dramatik aus, weshalb in der Opposition nicht weiter auffiel, dass es mit der Frische der tatsächlichen Politik nicht weit her war.

Damals jedoch stand das Fenster weit offen, eine neue, moderne Wählerschaft dauerhaft zu binden. Die Grünen hatten noch keine neue Doppelspitze und kamen recht altbacken daher.

Aber trotz ihres frischen Images und herausragenden Marketings erfüllten weder die FDP als Partei noch die wichtigsten Akteure dieses moderne Versprechen. Im Gegenteil. Von wenigen lobenswerten gesellschaftlichen Symbolthemen abgesehen, versagte die FDP auf drei zentralen Feldern: der Wirtschafts-, Bildungs- und Umweltpolitik. Heute wirft sie im Todeskampf auch noch gesellschaftlich liberale Grundrechte über Bord, aber das ist auch schon egal.

Die FDP hatte die Chance, die wachsende und zukunftsträchtige Zielgruppe der modernen, urbanen, digitalen, aber auch international ausgerichteten, aufstiegsorientierten Bürger:innen zu erreichen. Diese sehen die Zukunft grundsätzlich eher als Chance denn als Bedrohung, wollen persönlich weiterkommen und vereinen liberale gesellschaftliche Grundüberzeugungen mit leistungsorientiertem Erfolgsstreben. Wir finden sie in allen möglichen Berufsfeldern: in international ausgerichteten Konzernen (auch Industriekonzernen), in Start-ups, in der digitalen Wirtschaft, Kommunikationsagenturen, bei Freelancern/Digitalnomaden, Selbständigen, in der Finanz- und Versicherungswirtschaft, in der Entertainment-, Event-, Hotellerie-, Medienbranche und so weiter und so fort. Sie wären die Lebensversicherung der FDP auf Jahrzehnte mit Potenzialen um die 20%. Allerdings gehört zum Lebensstil dieser Klientel auch ein Mindestmaß an Umweltbewusstsein, gesunder Ernährung, internationaler Zusammenarbeit, Gleichberechtigung, sozialem Frieden und europäischer Orientierung.

Aber außer ihrer Werbeagentur interessiert sich niemand in der FDP für sie. Die FDP hat sich immer weiter ideologisch verzwergt und hält sich heute nur noch mit einem überalterten, erzkonservativen und staats- und europaskeptischen Fundi-Flügel über 3% in den Umfragen.

Das FDP-geführte BMBF mit einer skandalbelasteten Ministerin ist ein Totalausfall. In der Wirtschaftspolitik steht die FDP angesichts massiver Probleme unserer Industrie weiter fest auf der Schuldenbremse und verstört damit auch die sehr große Klientel der dort arbeitenden modernen und aufstrebenden Potenziale. Und das entgegen aller guten Ratschläge führender und auch nicht führender Wirtschaftswissenschaftler. Also aller.

Umweltpolitisch positioniert sich die FDP als Bremsklotz, und ihre neue Migrationsrhetorik sucht noch ihren Platz zwischen Söder und Weidel. Das kann man alles machen. Aber diese Zielgruppe gibt es nicht. Vielleicht finden sich zehn Leute, die diesen kruden Politikmix in sich vereinen können. Aber es ist eine seltene Gabe.

Es gibt keine modernen, innovativen, liberalen, global- und erfolgsorientierten Menschen, die gleichzeitig die umweltfeindliche, europaskeptische, investitions- und zunehmend auch ausländerfeindliche Politik der gegenwärtigen FDP attraktiv fänden.

Gleichzeitig gibt es keine erzkonservativen, neoliberalen Diesel- und Atomnostalgiker, die mit der Legalisierung von Dope, der Selbstbestimmung Transsexueller oder dem Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Verbrechensbekämpfung etwas anfangen können.

Die FDP hat sich auf eine Zielgruppe verengt, DIE ES GAR NICHT GIBT. Falls ich das noch nicht erwähnte. Sie hat sich in eine Ecke manövriert, in der die CDU unter Merz ihr komplett das Wasser auf konservativer Seite abgräbt, und Robert Habeck sich gerade eine Partei bastelt, die exakt das brachliegende moderne Potenzial adressiert.

Der vermutlich anstehende Rechtsruck der FDP ist dann ihr endgültiges Todesurteil – denn dieser Markt ist besetzt, und die FDP hinkt angeschlagen einem Zug hinterher, der längst abgefahren ist – und das auch noch in die falsche Richtung.

Bevor die FDP jetzt Selbstmord aus Angst vor dem Tod begeht, sollte sie sich vielleicht noch einmal auf ihre eigentlichen Stärken besinnen … und auf all the things that could have been. Or maybe still can…