Das verschwurbelte und verstammelte „go“ der Kanzlerin zur Homoehe erinnert sehr an Günter Schabowskis Maueröffnung aus Versehen. Muss man als Schwuler Angela Merkel jetzt dankbar für die Ehe für alle sein? Keine fünf Sekunden. Für dieses unwürdige, zum Himmel stinkende und dann auch noch völlig verstolperte taktische Manöver nach über zwölf Jahren Vollblockade der CDU-Vorsitzenden kann man sich nur fremdschämen.
Als mein Gatte und ich uns vor 10 Jahren im Säulensaal des Roten Rathauses vor einer Standesbeamtin das Ja-Wort gaben, war es eine reine Liebesheirat. Zumindest bilde ich mir das bis heute ein. Denn außer Pflichten hatte das Lebenspartnerschaftsgesetz uns nichts zu bieten. Gut – ein gegenseitiges Besuchsrecht im Krankenhaus und natürlich die Verpflichtung, im Notfall füreinander zu sorgen – und den Staat damit zu entlasten.
Dieses „Lebenspartnerschaftsgesetz light“, das von der Rot-Grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder gegen den massiven Widerstand von CDU/CSU und deren Vorsitzende Angela Merkel und Edmund Stoiber überhaupt erst durchgesetzt werden musste, war ein Pflichtenkatalog ohne Rechte. Dennoch waren wir dankbar, dass es jetzt wenigstens überhaupt einen rechtlichen Rahmen für unsere Ehe gab. Die wir damals wie heute natürlich Ehe nannten – wie unsere Eltern, Verwandten, Freunde und viele andere auch. Dieses Light-Gesetz war deshalb so schwach auf der Brust weil der CDU/CSU dominierte Bundesrat es so hart bekämpft hatte, dass nichts darin übrig geblieben war, was man als Gleichstellung hätte werten können: Keine Hinterbliebenenrente, keine gemeinsame Steuererklärung geschweige denn ein Ehegattensplitting, kein Erbrecht und schon gar kein Adoptionsrecht – ob sukzessive oder nicht.
Wir bauten damals gerade und schlossen dann gegenseitig hohe Risikolebensversicherungen ab, um die im Todesfall fällige horrende Erbschaftssteuer zahlen zu können. Denn im Erbrecht wurden wir behandelt wie Fremde – trotz Lebenspartnerschaft. Im Todesfall eines von uns beiden, wäre der Hinterbliebene nicht nur auf den offenen Krediten sitzen geblieben – er hätte auf sein eigenes Haus Erbschaftssteuer in voller Höhe zahlen müssen.
Danke für nichts, Frau Merkel.
Als wir im Roten Rathaus heirateten – wir reden über 2007 – blockierten unionsgeführte Bundesländer noch die Standesämter für Lebenspartnerschaften. Dort durfte man dann in der KFZ-Zulassungsstelle den Bund fürs Leben schließen – oder im Forstamt. Diese entwürdigende Zeremonie fand in meinem Heimatland Baden-Württemberg erst mit der Grün-Roten Koalition und der Abwahl der CDU ein Ende. Im Jahre 2012. Gab es zuvor ein Wort der CDU-Vorsitzenden zum Thema?
Danke für nichts, Frau Merkel.
Das Bundesverfassungsgericht brachte dann die Reformen. In der Hinterbliebenenrente, im Erbrecht, im Steuerrecht. Alle Koalitionspartner der CDU/CSU – die FDP, mit dem schwulen Außenminister und Parteivorsitzenden Guido Westerwelle, oder die SPD (es war ja schließlich ihr Gesetz), hätten diese Reformen sofort mit Merkel umgesetzt. Aber sie wollte nicht– sie hielt sogar aktiv dagegen. Bei jedem einzelnen Punkt. Nicht nur beim Adoptionsrecht.
Nachdem mein Mann und ich endlich eine gemeinsame Steuererklärung abgeben durften, bekam ich noch zwei Jahre lang meine Unterlagen vom Finanzamt an Frau Stauss geschickt. Denn die bundesweite Software (aus Bayern) kannte keine zwei Männer in der Steuererklärung. Und so hielt man es einfach so, dass der zweite Mann im Alphabet zum Weiblein gemacht wurde. Haha. Wirklich lustig. Jahre vorher hätte diese Umstellung schon stattfinden können. Politisch gewollt und ordentlich vorbereitet. Frau Merkel überließ dem Verfassungsgericht die Arbeit.
Danke für nichts, Frau Merkel.
Dann kam die demütigende zum fremdschämen peinliche TV-Debatte im Jahre 2013, in der die Bundeskanzlerin einem jungen Mann, der mit seinem Partner gerne gemeinsam ein Kind adoptieren wollte, erklärte: „Ich werde einen solchen Gesetzentwurf nicht einbringen.“ Sie begann den Beitrag aber mit den Worten „Zunächst einmal vorweg – ich bin gegen jegliche Form der Diskriminierung.“ Ein Debattenbeginn, den wir auch in der Variation „Zunächst einmal vorweg: ich habe nichts gegen Ausländer…“ gut kennen. Denn auch bei Merkel folgte dann das Gegenteil – nämlich warum sie sehr wohl gleichgeschlechtliche Eltern weiterhin diskriminieren wolle: Weil sie persönlich sich unwohl dabei fühle und das Kindswohl im Mittelpunkt stehe. Wer sich das Gestammel noch einmal reinziehen will: Youtube macht es möglich. Es gibt politische Entscheidungen, die trifft man nicht aus dem Bauch heraus, denke ich. Es war schlimm, das mitanzusehen. Sie räumt dann noch ein, dass doch die Sukzessivadoption heute schon möglich sei. Ja, aber nicht wegen ihr – denn wer hat’s entschieden? Richtig, das Bundesverfassungsgericht. Und wer war dagegen? Richtig: Frau Merkel und die CDU/CSU.
Danke für nichts, Frau Merkel.
Und dann kam die „Brigitte“ und die Kanzlerin schwafelte sich einmal mehr in eine Reform – genauso verdruckst, genauso verklemmt wie sie 2013 die Ehe für alle ablehnte, versuchte sie sich nun in die Gegenwart zu schrauben. Herhalten musste diesmal ein lesbisches Paar im Wahlkreis, das sich um acht Pflegekinder kümmert. Darunter geht es natürlich nicht. Eines oder zwei Kinder hätten Merkel nicht gereicht, denn solche schwulen oder lesbischen Elternpaare hätte sie in den letzten Jahren ja schon überall kennenlernen können – wenn auch ohne gemeinsamem Adoptionsrecht und damit immer mit einem rechtelosen Elternteil. Abgesehen davon, dass viele Jugendämter in allen Bundesländern schon seit Jahrzehnten sehr gerne gleichgeschlechtliche Paare als Pflegeeltern nutzen. Vor allem auch für die schwierigen Fälle, für die sich keine anderen finden. Ja, wenn der Staat etwas davon hat, dürfen die Schwulen und Lesben gerne einspringen. Aber wehe, sie wollen gleiche Rechte.
Doch selbst das bewundernswerte lesbische Paar im Wahlkreis war noch nicht genug. In der Debatte betonte Merkel, dass es wahrscheinlich vielleicht doch eventuell gegebenenfalls besser sei, von zwei Lesben liebevoll erzogen zu werden, als von heterosexuellen Eltern verprügelt. Dass gleichgeschlechtliche Eltern einfach so ihre Kinder gut erziehen können und nicht nur im Vergleich zu prügelnden Alternativen – das kommt der Kanzlerin selbst 2017 noch nicht in den Sinn.
Danke für nichts, Frau Merkel – für weniger als nichts sogar.
Nach Merkels verschwurbeltem „Go“ zur Ehe für alle, versuchte die Union noch zu retten, was zu retten war. Auf Berlins Sommerfesten säuselte ein schwuler CDU-Abgeordneter etwas von „das war doch erst für nächste Woche geplant.“ Und es wundert einen nicht, dass selbst dieser schwule Unionist damit zufrieden gewesen wäre, wenn man in dieser Legislaturperiode nicht mehr abgestimmt, sondern einfach nur das Thema „abgeräumt“ hätte. Damit es im Wahlkampf nicht weiter stört. So wie Merkel eben schon seit Jahren Inhalte im Wahlkampf nur noch stören.
Es geht und es ging immer um Menschen. Um Eltern, um Mütter, um Väter. Um die täglichen kleinen und großen Demütigungen – die zwar abgenommen haben aber immer noch an jeder Ecke auf uns lauern. Staatlich legitimiert und die längste Zeit nicht nur mit dem Segen der Kanzlerin, sondern wegen ihrer harten, klaren und berechnenden Ablehnung jeder Reformen.
Frau Merkel hat den Weg zur Ehe für alle durch einen Verbalunfall frei gemacht. Was hat sie bewogen? Die Umfragen, die eine klare Mehrheit für die Ehe für alle zeigen? Waren es wieder die Umfragen? Wie bei der Kehrtwende in der Atompolitik? War es wieder nur Berechnung wie bei den vielen anderen Wenden der Angela Merkel? Ohne Überzeugung, ohne inneren Kompass?
Ach, wäre das toll, wenn ein Kanzler mal wieder Spaß am Fortschritt hätte – aus Überzeugung!
Es geht doch, wie man an Trudeau sehen kann. Dem macht Gleichberechtigung Spaß. Und es ist ja auch wunderbar, Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen, ihre Liebe anzuerkennen, ihrem Kinderwunsch oder bereits ihren Familien und Erziehungsleistungen Respekt zu zollen.
Merkels verklemmtes Gestammel ist wahrscheinlich die trostloseste Verkündung einer gesellschaftlichen Reform in der Geschichte der Republik.
Nach den Jahrzehnten des Kampfes hätte die „Ehe für alle“ einen würdevolleren Einzug in das Recht der Deutschen verdient.
Danke für nichts, Frau Merkel.
Bei diesem Anblick bekommen Sie Schnappatmung?
Dann fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Siehe auch den Blogbeitrag „Liebe in Zeiten der saarländischen Inquisition“ von 2015 – geschrieben aus Anlass einer schlimmen Bemerkung von Merkels Schwurbel-Schwester im Geiste, Frau Kramp-Karrenbauer.