Der ehrliche Zorn des Michael Müller.

Eigentlich poste ich auf dieser Seite nur meinen eigenen Senf. Einmal habe ich eine Ausnahme gemacht für die wirklich große Rede des Olaf Scholz auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsjahres im September 2015. Jetzt ist es wieder so weit. Denn was Michael Müller exklusiv für die taz geschrieben hat, habe ich so deutlich noch von keinem Politiker mitten in einem Wahlkampf gehört. Es ist eigentlich ein Rant. Gegen die Rechten – aber noch mehr gegen die Gleichgültigen.

Forsa hat soeben (15.9., 14:00) neue Zahlen veröffentlicht. Die AfD steht in Berlin bei 13%. SPD 24, CDU 17, Grüne 17, Linke 15, FDP 5. Was mich erschüttert: 9% wollen noch „Sonstige“ wählen. Parteien, die keine Chance haben, ins Parlament einzuziehen. Ist denn wirklich sonst nichts dabei, um ein klares Zeichen gegen die AfD zu setzen? Keine SPD, Grüne, Linke? Und wer es konservativ mag, von mir aus FDP? Die Henkel-CDU lasse ich mal raus, die ist mir in Berlin zu nahe an der AfD. Wer aber jetzt noch seine Stimme verschenkt und so tut, als sei das alles nur ein großer Spaß, der hat den Schuss einfach nicht gehört. Jetzt geht es darum, die zu stärken, die im Parlament den Rechten Paroli bieten werden.

Ich verstehe die Gleichgültigkeit jedenfalls nicht. Was muss eigentlich noch geschehen, damit wir mit dem politischen Snobismus aufhören, nur noch zu 100% nach unserer persönlichen Erfüllung in einer Partei zu suchen? Und wenn diese nicht 1:1 erfüllt wird, dann gehen wir eben nicht wählen. Oder wählen irgendeinen Quatsch. Ich möchte jedenfalls, dass links von der AfD sehr viel mehr gute Leute im Parlament sitzen. Leute, die in der Lage sind, diesen hasserfüllten Menschen entschlossen entgegenzutreten. Und nicht diese herumeiernden CDU-ler oder reine Dilettanten, die sich auf der Strecke selbst zerlegen. Aber jetzt zu Michael Müller:

Aus der taz:

Wer am Sonntag seine Stimme verschenkt, könnte am Montag in einer anderen Stadt aufwachen.

Von Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin.

Man kann es nicht anders sagen, aber wenige Tage vor der Wahl herrscht eine seltsame Gleichgültigkeit in der Stadt. AfD 10, 12 oder 14% egal! Noch ein bisschen NPD dazu? Ist dann halt so.

Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, als fast alle in meinem Umfeld gegen die Apartheid in Südafrika demonstriert haben. Heute kann ein hochrangiger AfD – Repräsentant lautstark Verständnis dafür äußern, wenn man „einen Boateng“ nicht zum Nachbarn haben will. Die vielen anderen Entgleisungen bis hin zum Schießen auf Flüchtlingskinder als Ultima Ratio der Grenzsicherung, wie es die Berliner AfD Vorsitzende vorschlug, reihen sich nahtlos ein in ein durch und durch menschenfeindliches und rassistisches Weltbild.

Schulterzucken? 10-14% sind egal? Sie sind es nicht. Sie werden auf der ganzen Welt als ein Zeichen des Wiederaufstiegs der Rechten und Nazis in Deutschland gewertet werden. Berlin ist nicht irgendeine Stadt. Berlin ist die Stadt, die sich von der Hauptstadt Hitlers und Nazi-Deutschlands zum Leuchtturm der Freiheit, Toleranz, Vielfalt und des sozialen Zusammenhalts entwickelt hat. Berlin hat auch Teilung, Mauerbau und Schießbefehle überwunden und für alle sichtbar aus einer grausamen Geschichte von Leid, Verfolgung, Terror und Krieg die richtigen Lehren gezogen. Berlin ist heute die Hauptstadt der Freiheit. Ein Symbol für viele freiheitsliebende Menschen auf der Welt die sehen: es geht auch so.

Ich bin es leid, dass man Rassismus, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit nicht mehr benennen kann, ohne dass einem „die Nazi-Keule“ vorgeworfen wird. Aber genau das, verbunden mit den „völkischen“ Gedanken der AfD-Vorsitzenden, sind die Zutaten aus denen die braune Suppe angerührt wird.

Mit einem Rechtsruck wird sich das Leben in Berlin verändern. Davon bin ich überzeugt. Minderheiten, „anders“ aussehende Menschen werden nicht nur im Netz angepöbelt werden, sondern auch auf der Straße. So, wie es leider vielen demokratischen Wählkämpferinnen und Wählkämpfern in diesen Tagen heute schon geht. Spalter, Ausgrenzer und Ausländerfeinde werden einen Rechtsruck in unserer Stadt als Freibrief für ihre Hassideologie und –taten sehen. Klar: Es wird keine Veränderung von einem Tag auf den anderen geben, sondern dies wird ein schleichender Prozess sein, der das liberale Koordinatensystem unserer Stadt nach rechts verschieben würde.

Die Passivität vieler Demokratinnen und Demokraten angesichts dieser Entwicklung treibt mich um. Warum stellen sich so wenige die Frage: „Willst Du das, Berlin?“ – wie es kürzlich in einem Video die bekannten Künstler Joko&Klaas, Clemens Schick, Oliver Kalkofe oder die beiden Sänger der Band Boss Hoss getan haben. Wir brauchen mehr solche staatspolitische Verantwortung – erst recht in Berlin.

Wir treten an, um Berlin in einer neuen Koalition gut zu regieren. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch und damit kann man sich auseinandersetzen: Von einer Spekulationsbremse für Immobilieninvestoren, mehr guter Arbeit bis hin zu neuen bezahlbaren Mietwohnungen oder gebührenfreien Kitas. Das kann man gut, schlecht oder zu spät finden. Man kann über den richtigen Weg dorthin streiten. Jeder dieser politischen Vorschläge auch der Konkurrenz im Abgeordnetenhaus bringt Berlin mehr voran als die dummen, ausgrenzenden Parolen.

Ich kann verstehen, dass man an jeder Partei irgendetwas auszusetzen hat. Keine ist perfekt, aber eine der vielen wird eben besser passen, als die anderen. Aber eines kann ich nicht verstehen: Rechts zu wählen, angesichts der offensichtlichen unsozialen und unmenschlichen Politik dieser Parteien. Oder aber seine Stimme zu verschenken und gar nicht zu wählen. Denn das macht es den Spaltern einfach, ihr Werk zu beginnen.

Die Tage der politischen Leichtigkeit sind vorbei, wir erleben eine Zeit, die mehr Ernsthaftigkeit von allen erfordert. Ich wünschte mir, es wäre nicht so. Aber ich hoffe, dass jetzt immer mehr Demokratinnen und Demokraten verstehen, dass es so ist. Ich jedenfalls sehe es als meine Aufgabe als Regierender Bürgermeister von Berlin an, alle aufzurufen, diese Wahl nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Berlin sollte jetzt ein ganz deutliches Zeichen in die Welt senden. In Zeiten der Trumps, Orbans, Le Pens, Hofers und anderer Rechtsausleger stimmt Berlin für die Freiheit. Jede Einzelne und jeder Einzelne hat es am Sonntag in der Hand, in welcher Stadt und in welchem Klima wir am Montag aufwachen. Ich vertraue Berlin, dass die Stadt ihr Schicksal abermals in die eigene Hand nimmt, und eine Wiederholung der Geschichte verhindert.

Quelle: taz und Michael Müller auf Facebook

 

 

 

Auf Messers Schneide.

Wie wir in Zukunft in unserem Land leben wollen, entscheidet sich gerade in diesen Tagen. In den Medien, in den Parteien, in uns allen.

Nach Recherchen der FAZ* handelt es sich bei dem Amokläufer von München um einen rechtsextremistischen Attentäter, der bewusst acht Jugendliche im Alter von 14 – 21 Jahren sowie eine erwachsene Frau aufgrund ihres Migrationshintergrundes erschoss. Oder hinrichtete. Nach dem Bericht der FAZ betonte der Attentäter seinen Stolz darauf, am 20. April, also „Führers Geburtstag“ geboren zu sein. Er legte seinen Anschlag bewusst auf den 5. Jahrestag des rechtsextremistischen Attentats von Oslo und Utoya. Er hat die „AfD verehrt“ wie ein Bekannter des Täters dem SPIEGEL* berichtete und er verstand sich als Arier.

Der Attentäter von München hat also an einem Tag fast so viele Menschen mit Migrationshintergrund ermordet wie die rechte Terrorzelle NSU, die über Jahre hinweg in unserem Land hinterrücks Gemüsehändler und Imbissbesitzer abschlachtete.

Ich finde, die Berichterstattung und die politischen Reaktionen zu diesem rechtsextremistischen Hintergrund eines Mehrfachmörders fallen eher verhalten aus. Aber das bin vielleicht nur ich. Fakt ist: Wenn labile Menschen für IS-Propaganda anfällig sind, dann sind offenbar andere labile Menschen für AfD-Propaganda anfällig. Wer Hass sät, erntet Hass. Diese Geschichte ist so alt wie die Welt.

Weniger verhalten wiederum fällt das Polit-Floskel-Bingo zu den Attentaten von Würzburg und Ansbach aus. Die üblichen Verdächtigen von CDU/CSU, AfD und Linkspartei überbieten sich gegenseitig wieder darin, wer auf Kosten bereits genug gebeutelter Menschen noch mehr Öl ins Feuer gießen darf. Ja, liebe Linke, so lange ihr Beatrix von Wagenknecht in euren Reihen duldet, gehört DIE LINKE leider mit in diese Aufzählung. Bewusst gesetzte Aufreger-Tweets die man dann ebenso gespielt unschuldig wieder zurück nimmt, sind das Handwerkszeug eiskalt berechnender Populisten.

Berlins immer peinlicher agierender Innensenator Henkel (CDU) verstieg sich gar zu dem Zitat: „Wir haben offenbar einige völlig verrohte Personen importiert, die zu barbarischen Verbrechen fähig sind, die in unserem Land bislang kein Alltag waren.“ Nein, er sprach nicht vom Adolf aus Österreich. Und ob die von Henkel angesprochen Verbrechen Alltag werden, sei noch einmal dahingestellt. Aber dies Stunden nach dem tatsächlich tödlich verlaufenen Amok-Attentat eines Deutschen in München zu behaupten, zur selben Zeit, als die unsagbar grausamen Verbrechen eines Deutschen an zwei Kindern in Berlin verhandelt werden, in einer Zeit, in der ein Deutscher vor wenigen Wochen in Grafing wahllos auf Passanten einstach und dabei einen von ihnen tödlich verletzte, in einer Zeit, in der ein Deutscher einer Kölner Lokalpolitikerin in den Hals sticht und sie beinahe tötet und natürlich auch in einer Zeit in der nach wie vor Deutsche Brände in Flüchtlingsheimen legen, Molotowcocktails in Schlafzimmer von Familien werfen ist das schon ein starkes Stück. Und wozu Deutsche historisch betrachtet sonst noch so fähig sind, lasse ich jetzt mal stecken.

Niemand verharmlost Anschläge, Gewalt und Attentate. Aber daraus wieder die billigste aller billigen Nummern zu machen: Deutsch = Gut, Ausländisch = Böse, dafür muss man schon die radikale Einfalt im Hirn tragen, die Herr Henkel offenbar kiloweise täglich mit sich rumschleppt.

Szenenwechsel. Vor ein paar Tagen stand ich rechtzeitig zum Ferienbeginn an einem unserer improvisationserprobten Berliner Flughäfen und wartete auf einen Bekannten. Aus mir heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen hatte ich in einem Moment menschlicher Schwäche oder vielleicht auch nur Unachtsamkeit versprochen, ihn abzuholen. Da stand ich nun dumm rum und stand dumm rum und stand und guckte und sah dann einen jungen Mann mit arabisch wirkendem Aussehen, der leicht verschwitzt und hektisch auf seinem Mobiltelefon rumhackte. Neben ihm geparkt: ein sehr, sehr großer Rollkoffer.

Da ich nichts zu tun hatte, beschloss mein Unterbewusstsein, doch mal wieder die alten Angstphobien spazieren zu schicken, da sie etwas aus der Form gekommen waren. Die machten einen guten Job und ich begann, den barackenartigen Hangar nach weiteren schwitzenden vermeintlichen Arabern mit Rollkoffern abzuschreiten. Da muss man nicht weit gehen. Irgendwann, als ich gerade erneut bei meinem ersten Phobieopfer angekommen war, schaute er mich an. Ich schaute weg. Aber nicht lange. Ich versuchte jetzt die unauffällige Nummer: Mal hinter einer Säule vorbei zu ihm rüber sehen, mal vom Zeitschriftenstand hinter einer Zeitschrift hervorlugen. Er schaute mich jedes Mal an. Aha. In der Zwischenzeit hätte mich ein „Arier“ wie Anders Breivik zehn mal erschießen können.

Irgendwann ging eine Frau auf den jungen Mann zu und er ging mit ihr weg, mein Bekannter kam und wir fuhren nach Hause. Auf der Rückfahrt dachte ich: wie muss sich eigentlich ein junger Mann mit südländischem oder arabischen Aussehen gerade auf deutschen Flughäfen fühlen? Wie eine junge Frau mit Kopftuch? Wie soll das eigentlich weiter gehen, wenn wir uns nur noch abchecken, ob Gefahr droht?

Ich habe keine Antwort. Aber ich weiß, dass wir ganz dringend auf der Hut sein müssen, dass Vorurteile, Hass, Misstrauen und das schleichende Gift des Rassismus nicht noch weiter in unser Leben dringen. Das ist es, was der IS will, das ist es, was die Nazis wollen, das ist es, was Pegida und Teile der AfD wollen. Das ist ihr schäbiges Geschäft und wir müssen klar sein in unserer Haltung. Alle. Auch alle Politiker. Und auch alle Wählerinnen und Wähler. Man nennt es Verantwortung, genau dann gegen zu halten, wenn ein Panikkreislauf beginnt.

Deshalb sollten wir in diesen Tagen sehr genau darauf achten, wer wie Henkel, Seehofer, Wagenknecht oder auch die Orbans, Kazcinskys, Johnsons oder Trumps dieser Welt Populismus mit Populismus anfeuert. Wer nicht von solchen Leuten regiert werden will, wer nicht in solchen Gesellschaften leben will, der muss jetzt aufstehen und gegen halten.

* „Täter von München war Rassist mit rechtsextremistischem Weltbild. Hass auf Türken und Araber.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.7.2016, Seite 1; “Neunfacher Mord in München – Hinweise auf rassistisches Motive verdichten sich.“ SPIEGEL ONLINE, 27.7.2016.

Manchmal sagt ein Bild doch mehr als 1000 Worte:

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„Hass kann niemals die Antwort auf Hass sein. Noch nie ist etwas Gutes aus Intoleranz und Ignoranz entstanden.“ Michael Müller

Ansprache des Regierenden Bürgermeisters von Berlin nach dem Anschlag von Nizza, Brandenburger Tor, Berlin, 15.7.2016.