Die Rezeptur des Teufels. (Teil 1 der Populismus-Serie)

Österreich wählte am Ende doch keinen Rechtsausleger zum Präsidenten, Wilders in den Niederlanden landete zum wiederholten Male als Bettvorleger, Le Pen hat nahezu keine Chance, Präsidentin Frankreichs zu werden, die AfD zerlegt sich selbst und von Pegida spricht kein Mensch mehr. Aber wir haben ja keinen Mangel an rechtsnationalen Populisten mit demokratieverachtenden Grundeinstellungen, bleiben uns doch noch Putin, Trump, Orban, die PiS, der Brexit….and whatever comes next.

Dennoch ist es vielleicht gerade in einer kleinen Atempause angebracht, einen erneuten Blick auf die Populisten zu werfen. Wie schon mehrfach betont, halte ich die Bundesrepublik Deutschland 2017 für wesentlich immuner gegen rechten Populismus als manche andere Demokratie westlicher Prägung. Das hat aber auch viel damit zu tun, wie die Parteien mit der Herausforderung umgingen. In Österreich, Frankreich aber auch in England wurde dem Affen viel zu lange durch plumpe Anbiederung Zucker gegeben. In Deutschland muss man jetzt sehr genau darauf achten, was im Wahlkampf geschieht. Schon wollen einige wieder Unterschriften gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft sammeln oder andere „starke“ nationale Signale und Symbole bemühen. Das wird die AfD eher wieder ins Spiel bringen und unsere Gesellschaft sehr viel an innerem Frieden kosten.

Für die aktuelle Neuauflage von „Höllenritt Wahlkampf“, bat mich mein Verlag dtv um ein ausführliches Kapitel zu den Mechanismen des Populismus aus meiner Sicht als aktiver Wahlkämpfer. In loser Folge werde ich auf diesem Blog über die kommenden Wochen Auszüge aus diesem Kapitel veröffentlichen. Wer nicht so lange warten will, sollte das Buch kaufen. Das geht natürlich online, aber noch besser bei einer gut sortierten Buchhandlung. In Berlin Mitte empfehle ich hierfür die wunderbare Buchhandlung von Frau Herschel in der Anklamerstrasse. Viele Grüße!

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Von einem immer wieder nur kurzlebigen Aufflackern in Landtagswahlen abgesehen, blieb Deutschland über Jahrzehnte von einer rechtsnationalen Partei in den Parlamenten verschont. Zu suspekt waren ihre Repräsentaten und nicht selten hatten diese auch eine stramm nationalsozialistische Geschichte.

Erst mit der Gründung bzw. späteren Unterstützung der AfD durch Prof. Bernd Lucke und den ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel, wurde eine rechte Partei mit nationaler Bedeutung in der Bundesrepublik salonfähig gemacht. Über Jahrzehnte hinweg gab es auch in konservativen Kreisen klare Grenzen, die man bewusst nicht überschritt. Die beiden bürgerlichen Gallionsfiguren Lucke und Henkel setzten sich über diese begründeten Bedenken hinweg. Auch wenn sie immer darauf achteten, sich hart am Rande des Populismus zu bewegen, riefen sie gerade mit dieser vermeintlich cleveren Gratwanderung jene Leute auf den Plan, die heute die AfD ausmachen. Ihnen ist ihr eigenes Projekt in einer verheerenden Mischung aus Missmanagement, Selbstüberschätzung und  Ignoranz völlig entglitten – mit bleibenden Schäden für Deutschlands politische Kultur.

Wenn man den Herren trotz allen Unheils, das sie anrichteten, noch eine gewisse Naivität und Unbedarftheit unterstellen kann, sieht es bei Profis wie Horst Seehofer schon anders aus. Ihm kommt bezüglich des bundesweiten Erstarkens des Rechtspopulismus in Deutschland eine Schlüsselrolle zu. Denn als die Menschen auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung 2015 nach Orientierung suchten, bot Seehofer nur ein Bild des Jammerns. Aber er blieb damit leider nicht alleine. Irritierende Signale kamen nicht nur aus der CSU und weiten Teilen der CDU, sondern auch von einigen Linken, Liberalen, Sozialdemokraten und sogar Grünen. Schlimm daran ist, dass Deutschland durch die gesamteuropäische Entwicklung populistischer Parteien eigentlich vorgewarnt hätte sein müssen. Durch politisches Nachgeben und gar die Übernahme populistischer Forderungen durch andere Parteien, ist noch keine populistische Bewegung geschwächt worden.

Mit abnehmender Dominaz der Flüchtlingsdebatte sinkt aktuell auch der Stern der Populisten. Dennoch bleibt die Bedrohung latent. Doch weshalb finden sie auch in dem doch eigentlich wohlhabenden Deutschland heute Gehör?

Visionen, Populisten und die gelangweilte Demokratie.

Leben wir nicht in einer Vision vergangener Generationen? Einer Vision von Demokratie, Bürgerrechten, internationaler Verbundenheit, medizinischer Versorgung, gesunder und ausreichender Ernährung, beispiellos hoher Niveaus bezüglich Wohnungsstandards, Umweltschutz, Bildung, Partizipation, Gleichberechtigung und Minderheitenschutz. Leben wir nicht einen Traum, den vor einhundert Jahren kaum ein Visionär zu träumen gewagt hätte?

Wie gingen wir mit der Erkenntnis um, dass der vorläufige Höhepunkt der demokratischen Zivilisation zwischen den Jahren 1980 und 2005 gelegen haben könnte? In einem geeinten, grenzenlosen, weitgehend prosperierenden Europa mit garantierten Menschenrechten für über 350 Millionen Einwohner? Nicht, dass nicht auch unsere Zeit ihre Probleme hat und es nicht auch vieles zu verbessern gäbe. Aber weshalb wurden in der Vergangeheit wesentlich größere Herausforderungen mit wesentlich weniger Schaum vor dem Mund gemeistert?

Wie kann sich gerade auf dem Höhepunkt der Zivilisation ein Populismus Bahn brechen, der die Monster der Vergangenheit zu neuem Leben erweckt? Ausgrenzung, Hass, Nationalismus, Wut, Egoismus und Abschottung – sie haben scheinbar nur geschlafen und das für zu kurze Zeit.

Werfen wir daher einen etwas ausführlicheren Blick auf die Ursachen und Wirkmethoden des Populismus und auch darauf, wie man damit umgehen sollte.

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Teil I – Die Rezeptur des Teufels.

Eine populistische Mixtur ist relativ einfach herzustellen und das Gebräu wird im Grunde auch seit Menschengedenken angerührt. Dennoch verbreitet sich der Trunk nur unter bestimmten Bedingungen. Dazu später mehr.

Für den Teufelstrank benötigt man:
1-3 x potentielle Sündenböcke.
1 x Mehrheitsgesellschaft in Opferlaune.
1 x Wordingsetzkasten Populismus (Oben, Unten, Elite, Establisment)
2-3 Prisen Anti-Bildung
1 Hauch Fremdbestimmung

Die Bestandteile im Einzelnen:

1-3 x potentielle Sündenböcke.
Die findet man in jedem Land. Sehr gerne genommen sind Ausländer und religiöse Minderheiten, am allerbesten sind aber natürlich Ausländer die einer religiösen Minderheit angehören. Hat man weder Ausländer noch religiöse Minderheiten zur Hand tun es aber auch Schwule, Behinderte, lautstarke Frauen oder politische Minderheiten. Im Deutschland der Gegenwart fällt Muslimen die Hauptrolle zu, aber das ist reiner Zufall. Nur ein paar Kilometer über den Ärmelkanal rüber waren die – immerhin europäischen und christlichen – Polen Zielscheibe des Brexit-Hasses und in den USA sind es die mehrheitlich katholischen Latinos. Man nimmt eben, was jeweils passt – da ist der Populist nicht zimperlich.

1 x Mehrheitsgesellschaft in Opferlaune.
Daran muss man beständig arbeiten, das bekommt man aber mit etwas Zeit und viel schlechter Laune hin. Ziel ist es, die deutliche gesellschaftliche Mehrheit im Land, die im Grunde auch alle Schaltstellen der Macht besetzt, dazu zu bringen, sich nach und nach als eigentliche Minderheit und Opfer zu begreifen. Am Ende sollte möglichst viele aus der Mehrheitsgesellschaft einem Satz wie: „Für die Minderheiten tut ihr alles, aber für uns tut ihr nichts.“ zustimmen.

Ein Beispiel: Schwule, die eine volle Gleichberechtigung auf allen Ebenen einfordern, werden gerne als „Schrill“ eingestuft. Wenn dann ein Gericht nach dem anderen bis hin zum Bundesverfassungsgericht dieser „schrillen Minderheit“ Recht gibt, hat aus Sicht der Populisten erneut eine Minderheit über die Mehrheit gesiegt. Die Mehrheit ist Opfer. Für die Minderheit tun „die“ alles. Dabei blendet man gerne aus, dass etwa ein Eherecht der Mehrheit nichts wegnimmt, sondern der Minderheit nur ein gleiches Recht eingesteht. Um es noch etwas klarer auszudrücken: würde man der Minderheit einfach das Mehrheitsrecht zugestehen, wäre sie auch nicht mehr laut, man müsste nicht eine Niederlage nach der anderen vor den Gerichten einfahren und der Fall wäre einfach erledigt. Das will man aber nicht, denn man braucht die Minderheit ja. Als Sündenbock.

1 x Wordingsetzkasten mit den Standardvokabeln Elite, Establishment, Oben, Unten.
Es ist unerlässlich, dass es ein „oben“ und ein „unten“ gibt. Wobei die Gegner grundsätzlich „oben“ sind und man selbst „unten“ – und zwar ganz unabhängig von den Fakten. Dafür benötigt es „Eliten“ an den vermeintlichen Schaltstellen der Macht. Das ist für Deutschland etwas schwierig, da es eine Elite wie wir sie aus Frankreich, England oder den Vereinigten Staaten kennen, gar nicht gibt. Kaum ein Land hat mit seiner Elite so aufgeräumt wie Deutschland. Es gibt faktisch keine Elitenkader und Elitenschmieden und unsere politische Führung ist so wenig elitär, dass man sich eher ein bisschen Glamour herbeisehnt. Angela Merkel entstammt keiner Dynastie, sondern einer unscheinbaren ostdeutschen Pfarrersfamilie, Bundespräsident Steinmeier ist der Sohn eines einfachen Tischlers und einer heimatvertriebenen Fabrikarbeiterin, der ehemalige Bundeskanzler Schröder wurde hart am Rande der Armut von seiner alleinerziehenden Mutter großgezogen. Und so kann man fast die gesamte politische „Elite“ des Landes durchgehen und trifft auf kaum mehr als klassische Mittelschichtsbiographien oder anerkennenswerte Aufstiege. Aber das zählt natürlich nicht, Hauptsache diese Menschen sind heute „Oben“.

Zur Saga gehört natürlich auch die vermeintliche Unterdrückung der eigenen Meinung obwohl man sie permanent, lautstark und selbstverständlich ungestraft äußert. Widerspricht man dieser Meinung, will man sie natürlich „unterdrücken“ oder die „echte Wahrheit totschweigen“.

Rechtspopulistische Wordings haben sich heute bereits nicht wenige Satiriker, Comedians und Kolumnisten angeeignet. Zum Beispiel bei den Themen „Political Correctness“ oder „Gender Studies.“ Beides zu Bashen gehört heute zum guten Ton von der ZEIT bis zum Satire-Special. Mir ist nicht ganz klar, was es unserer Gesellschaft bringen sollte, wenn man wieder von „Krüppeln“, „Tussis“, „Mongos“, „Schwuchteln“, „Knoblauchfressern“ oder „Negern“ sprechen dürfte. Das wäre ja nichts anderes als Rülpsen und Furzen im Restaurant und die meisten von uns empfinden es ja durchaus als gesellschaftlichen Konsens, dieses zu unterlassen. Aber einen billigen Lacher kann man damit immer abholen.

Bedenkt man, welch minimale Rolle die Studien über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Geschlechter und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft (Gender Studies) an den Forschungseinrichtungen dieser Welt spielen, ist es wiederum erstaunlich, welche Bedeutung sie für die Populisten haben. Geht man einen Schritt zurück und fragt sich, welchen Alltagseinfluss Gender Studies zum Beispiel in Sachsen-Anhalt Land, einem Baden-Württembergischen Mittelzentrum oder einem Mannheimer Arbeiterbezirk haben, so gelangt man zu der Einsicht: absolut keinen. Kaum ein Mensch weiß, was das überhaupt ist. Dennoch gehört dieser Forschungszweig zum Top-Angriffsziel rechter Populisten weltweit.

Letztendlich sind diese Themen nur weitere völlig überzogene Ablenkungs-Aufreger, die zur Saga der angeblich Entmündigten gehören: Man darf nicht mehr sagen, was man denkt und die Frau soll bitte wieder die klassische Familienrolle annehmen und nicht rumzicken.

2-3 Prisen Anti-Bildung
Bildung als Vorwurf ist elementar für eine populistische Bewegung. Ergänzt natürlich mit der Heroisierung mangelnder Bildung. Unkenntnis wird zum „gesunden Menschenverstand“ und unlogischer Nonsens zum postfaktischen. Das können alle. Selbst Absolventen von Ivy-League-Universitäten in den USA. Die erklären dann dieses eigene Wissen zu unnötigem Ballast, um sich auf eine Stufe mit dem „Volk“ zu stellen. Denn auch hier gilt die alte Erkenntnis: Dumm stellen kann sich auch der Gescheite, andersrum wird es schwieriger.

Bildung als Vorwurf ist einer der ältesten Verhetzungsfaktoren des Populismus und funktioniert immer dort am besten, wo es die meisten Ungebildeten gibt. Daher bleibt die Breitenbildung eine der stärksten Waffen im Kampf gegen den Populismus.

Zum Abschmecken noch ein Hauch Fremdbestimmung.
Zum Schluss würzt man das Gebräu noch mit einer sehr wichtigen Zutat: Der Fremdbestimmung. Das eigene Volk wurde entmachtet, weil die „korrupten Eliten“ Zuständigkeiten an internationale Institutionen abgegeben haben. Fremdbestimmung trägt praktischer Weise das „Fremde“ und damit das Feindliche schon im Namen. Ob internationale Handelsabkommen, UNO, EU, NATO, UNESCO – alle grundsätzlich böse, alle leben nur von uns, alle wollen was von uns. Man ist nicht mehr Herr im eigenen Haus.

Ende Teil 1.

Kommende Veröffentlichungen im Rahmen der Populismus-Serie:
Teil 2: Wann funktioniert der Unfug?
Teil 3: Wahlkampf in Zeiten des Populismus.

Oder sofort hier:

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Dieser Beitrag erschien in einer leicht gekürzten Fassung am 26. April 2017 auch im Feuilleton der Sächsischen Zeitung.

SZ 26.4.2017

Endlich mal wieder was los hier.

Die ersten Zahlen nach der Verkündung des Wechsels an der SPD-Spitze zeigen, was man sich als überzeugter Demokrat für diesen Wahlkampf nur erhoffen konnte: Es kommt Bewegung in die Sache.

Die Bundestagswahl 2017 war ja im Prinzip schon gelaufen und die einzige Frage im Raum lautete: Wie schlimm wird es für die SPD? Jetzt lautet die Frage: Wie stark wird die SPD? Das ist ja schon mal ein Unterschied. Von dieser veränderten Fragestellung kann noch wesentlich mehr ausgehen. Es gibt tatsächlich die Chance auf Momentum zugunsten der SPD, das, wenn es denn eintritt, zwangsläufig alle anderen Akteure schwächer werden lässt. Denn in den vergangenen Monaten ernährte sich die Konkurrenz, also Grüne, Linke, FDP, CDU/CSU und zu einem geringen Teil auch die AfD, wie die Geier am Aas der scheinbar verstorbenen SPD. Wenn man in alle Richtungen blinkt, bekommt man eben nicht mehr Zustimmung, sondern verliert in alle Richtungen. Aber Totgesagte leben länger und es besteht nun begründete Hoffnung auf Besserung.

Schauen wir also auf die ersten sich abzeichnenden zarten Bewegungen. In der politischen Stimmung, welche die Forschungsgruppe Wahlen dankenswerterweise zusammen mit ihren gewichteten Daten veröffentlicht, schnellt die SPD von 21% auf 29%. Gewichtet fällt der Anstieg dann moderater aus, nämlich um 3%. Aber immerhin. Das deckt sich mit den ersten Zahlen von Infratest.

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Nach der ersten Blitzumfrage von Infratest für die ARD wünschen sich 41% Angela Merkel als zukünftige Kanzlerin und 41% Martin Schulz. Das ist eine Momentaufnahme an der mich vor allem eines interessiert: 82% der Befragten wollen entweder von Martin Schulz oder Angela Merkel regiert werden. Ein beeindruckendes Votum für die beiden Akteure und für die Volksparteien CDU/CSU und SPD. Denn nur 11% der Befragten antworten mit „keinen von beiden.“ Und wer in den 11% hauptsächlich steckt, ahnen wir ja schon.

Doch nochmal zurück zur politischen Stimmung: Dort bleibt die Union bei beeindruckenden 40% (gewichtet 36), die Grünen verlieren klar von 10 auf 7%, die FDP von 8 auf 6, die AfD deutlich von 10 auf 7. Die Linke gewinnt einen Punkt von 8 auf 9. Gewichtet kommen die Volksparteien damit wieder auf 60% (36+24), Grüne 8, FDP 6, Linke 10, AfD 11.

Nun haben in den vergangenen Tagen einige weitere Entwicklungen Anlass zu Veränderungen im Wahlverhalten geboten. Die Grünen haben ihre Spitzenkandidatur mit einem klaren Signal für Schwarz-Grün entschieden, die AfD streitet mal wieder über die Relevanz des Holocaust und Donald Trump hat erkennbar keine zweite Persönlichkeitsebene. All dies spielt  auch mit in die Zahlen rein und lässt Raum für Spekulationen. Zum Beispiel, ob die Linke ansteigt, weil die Grünen rechts blinken, oder ob die AfD wegen Höcke verliert oder doch eher an Schulz. Time will tell. Dafür ist es tatsächlich noch zu früh.

Wichtig ist aber, immer vor Augen zu haben, wer denn die Wahl am Ende entscheiden wird und in welcher grundsätzlichen Verfasstheit die Menschen im September wählen werden.

Die Forschungsgruppe Wahlen hat im ersten ZDF-Politbarometer des Jahres 2017 (im Feld 10.1.-12.1.2017) den höchsten Zufriedenheitswert bezüglich der persönlichen und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage in Deutschland gemessen, der je in der Geschichte des Politbarometers gemessen wurde. 66% der Deutschen empfinden ihre eigene wirtschaftliche Lage als gut. Gerade einmal 6% als schlecht. 28% teils/teils.

Erfahrungsgemäß gehen die 66% mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit wählen als die 6%, was sie in einer realen Wählergewichtung vermutlich auf etwa 75% der Wählerschaft bei der Bundestagswahl im September 2017 bringen wird. Die Wahl wird also von Menschen entschieden, denen es nach eigenem Bekunden gut geht.

Hinzu kommt, dass die AfD ihr Potential weitgehend ausgeschöpft hat und trotz des ersten größeren Anschlags auf deutschem Boden nicht weiter anwächst. Geht man von 10-14% Potential aus (es kann auch noch bis September deutlich runter gehen), wird sie keinen größeren Raum im Wahlkampf einnehmen können – es sei denn man gibt ihn ihr von Seiten der anderen Akteure. Die AfD selbst ist kein programmatischer Akteur sondern lediglich Resonanzboden für die Reaktionen Dritter. Dafür muss sie aber immer schriller werden, da man sich an ihre Provokationen weitgehend gewöhnt hat. Und mal im Ernst: Wer interessiert sich für die Provokationen der AfD, wenn der größte Provokateur unserer Zeit im Weißen Haus sitzt? Aktuell müssen die Rechten bereits die ganz harten Nummern auffahren, was sie jedoch immer weiter ins Abseits führt.

In ihrer Untersuchung zum Jahresauftakt hat die Forschungsgruppe erhoben, dass sich die Positionierung der AfD aus Sicht der Deutschen immer weiter nach rechts außen verschoben hat. Lag sie zu ihrer Gründungsphase mit Repräsentanten wie Lucke und Henkel noch zwischen CDU und FDP bei einem Wert von ca. 6,5 auf der Skala von 1 (ganz links) bis 11 (ganz rechts), so liegt sie jetzt bei 9. Zum Vergleich: Linke (3), Grüne (4,5), SPD (5), FDP (5,8), CDU (6,5), CSU (7,2). Das bedeutet auch, dass die Radikalisierung der AfD ihr Wachstum deutlich hemmt und sie für immer größere Bevölkerungsteile unwählbar wird.

Der nun wieder erstarkende Wettbewerb zwischen den Volksparteien und die personelle Konfrontation zwischen Merkel und einem Herausforderer, der nicht am Kabinettstisch sitzt, ist Gift für die kleineren Parteien im Wettstreit um Aufmerksamkeit. Das werden sie auch zu spüren bekommen. Ein Duell Merkel vs. Schulz ist auch ein Kampf um die Meinungsführerschaft innerhalb der 75% plus X der Bevölkerung, die für die Volksparteien grundsätzlich erreichbar sind. Und in diesem Potential wird mancher schon einen vorsichtigen Blick auf die Union nach Merkel werfen. Eine Union nach Merkel wird jedenfalls deutlich nach rechts rücken und das gefällt nicht allen.

Die SPD hat in den letzten Jahren ihre Wähler vor allem im ständig wachsenden, modernen Mittelstand an die Merkel-CDU aber auch an die Grünen, die Nichtwähler und zuletzt sogar wieder an die FDP verloren. Dieses Milieu will durchaus, dass es fair zugeht, möchte keine Armut im Land und keine sozialen Verwerfungen. Aber dieses Milieu steht auch für Fortschritt, Aufstieg, Europa, Gleichberechtigung, Minderheitenschutz, Umweltschutz, Freiheit und das Streben nach persönlichem Wohlstand. Wählerinnen und Wähler aus diesem Milieu haben die Merkel-Union von 33,8% im Jahre 2009 auf 41,5% im Jahr 2013 katapultiert. Grundsätzlich sind sie aber bereit, wieder zu gehen – wenn man ihnen ein attraktives Angebot macht.

Deutschlands modernes bürgerliche Milieu wird auch eher von jenen geprägt, die zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle in den Keller oder auf den Dachboden gegangen sind, um Spielzeug, Mäntel, Decken zu greifen und damit zum nächsten Flüchtlingsheim zu fahren. Ja, auch diese Leute sind heute zum großen Teil froh, dass nicht mehr so viele Flüchtlinge bei uns ankommen wie 2015 – aber sie wären dennoch niemals auf die Idee gekommen, deshalb nach rechts zu driften. Eine Union ohne Merkel, dafür aber mit mit einem Haufen erzkonservativer Männer, ist für diese Wähler schwer erträglich. Das aber ist die Zukunft der Union.

Natürlich sind die Deutschen auch verunsichert durch Trump, Brexit, Putin, Erdogan, Krieg, Gewalt und Terror. Doch sie reagieren völlig anders als andere Gesellschaften in Europa. Die Deutschen reagieren anti-nationalistisch. 88% der Deutschen wünschen sich im aktuellen Politbarometer eine stärkere Zusammenarbeit in Europa als Reaktion auf Donald Trump. Auch das spricht für Schulz.

Eine SPD mit Martin Schulz ist also eine attraktive Alternative im progressiven aber auch im bürgerlich-modernen Milieu. Und bevor jetzt wieder jemand fragt, was denn mit den Arbeitern und dem kleinen Mann auf der Strasse ist, dem sei geantwortet: Es gibt jede Menge Arbeiter und „kleine Männer von der Strasse“, die pro-europäisch, nicht ausländerfeindlich, dafür sozial und demokratisch eingestellt sind. Dafür gibt es auch Faschos mit Abitur, Geld und Haaren. Wahlverhalten lässt sich schon länger nicht mehr alleine von soziodemographischen Daten ableiten, sondern von Grundeinstellungen. Aber das ist ein weites Feld und ein anderes Thema. Wichtig ist: Schulz kann Menschen ähnlicher Einstellung erreichen, denn er bietet den Menschen wieder politische Orientierung und alleine schon durch sein Temperament eine klare Alternative zur ewigen Kanzlerin. Und Schulz kann Nichtwähler mobilisieren, denen die SPD im Bund zuletzt nicht klar und sichtbar genug war, die aber auch sonst keine politische Heimat fanden. In Rheinland-Pfalz konnte im März 2016 eine sehr klare und fortschrittliche SPD wesentlich mehr Wählerinnen und Wähler aus dem Lager der Nichtwähler gewinnen, als sie zum Beispiel an die AfD abgeben musste. Auch im Bund kann man hier Potentiale heben.

Untermauern kann die Regierungspartei SPD ihren Anspruch durch eine gute Bilanz. Ihre Wahlversprechen haben die Sozialdemokraten Punkt für Punkt abgearbeitet und eingelöst. Mindestlohn, Rente ab 45 Beitragsjahren, Entgeltgleichheit, Frauenquote auf Führungsebene, Mietpreisbremse und so weiter und so fort. Millionen Menschen in Deutschland profitieren direkt von dieser Politik. Das alleine hätte nicht gereicht, aber in Kombination mit einem attraktiven Kandidaten ist das ein klares Plus für die Glaubwürdigkeit der Partei.

Vieles ist noch im Entstehen und vieles wird sich noch verändern in den kommenden Monaten. Mit der Kandidatur von Martin Schulz wird die SPD auch nicht umgehend eine dauerhafte Sofortrendite einfahren können. Dafür braucht sie Nerven, Beständigkeit und ein überzeugendes Programm mit frischen Impulsen. Aber sie ist wieder ein relevanter Akteur im Bundestagswahlkampf.

Kurz zusammengefasst:

Die SPD mit Schulz ist wieder spannend, hat aber noch ordentlich zu tun.
Die Union mit Merkel ist verlässlich abgestanden, es droht aber eine Rechtsdrift.
Die Grünen starten belanglos und gähnend langweilig ins Wahljahr.
Die AfD verblasst im Schatten von Donald Trump.
Die FDP muss wieder zittern.
Und die Linke ist auch irgendwie noch da.

Insofern war das eine gute Woche für eine lebendige Demokratie in Deutschland. Endlich mal wieder was los hier.

PS: Am 10. Februar erscheint die deutlich erweiterte und aktualisierte 3. Auflage von „Höllenritt Wahlkampf“ bei dtv. Mit ein paar schönen neuen Kapiteln (siehe den vorherigen Blogbeitrag).

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Der ehrliche Zorn des Michael Müller.

Eigentlich poste ich auf dieser Seite nur meinen eigenen Senf. Einmal habe ich eine Ausnahme gemacht für die wirklich große Rede des Olaf Scholz auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsjahres im September 2015. Jetzt ist es wieder so weit. Denn was Michael Müller exklusiv für die taz geschrieben hat, habe ich so deutlich noch von keinem Politiker mitten in einem Wahlkampf gehört. Es ist eigentlich ein Rant. Gegen die Rechten – aber noch mehr gegen die Gleichgültigen.

Forsa hat soeben (15.9., 14:00) neue Zahlen veröffentlicht. Die AfD steht in Berlin bei 13%. SPD 24, CDU 17, Grüne 17, Linke 15, FDP 5. Was mich erschüttert: 9% wollen noch „Sonstige“ wählen. Parteien, die keine Chance haben, ins Parlament einzuziehen. Ist denn wirklich sonst nichts dabei, um ein klares Zeichen gegen die AfD zu setzen? Keine SPD, Grüne, Linke? Und wer es konservativ mag, von mir aus FDP? Die Henkel-CDU lasse ich mal raus, die ist mir in Berlin zu nahe an der AfD. Wer aber jetzt noch seine Stimme verschenkt und so tut, als sei das alles nur ein großer Spaß, der hat den Schuss einfach nicht gehört. Jetzt geht es darum, die zu stärken, die im Parlament den Rechten Paroli bieten werden.

Ich verstehe die Gleichgültigkeit jedenfalls nicht. Was muss eigentlich noch geschehen, damit wir mit dem politischen Snobismus aufhören, nur noch zu 100% nach unserer persönlichen Erfüllung in einer Partei zu suchen? Und wenn diese nicht 1:1 erfüllt wird, dann gehen wir eben nicht wählen. Oder wählen irgendeinen Quatsch. Ich möchte jedenfalls, dass links von der AfD sehr viel mehr gute Leute im Parlament sitzen. Leute, die in der Lage sind, diesen hasserfüllten Menschen entschlossen entgegenzutreten. Und nicht diese herumeiernden CDU-ler oder reine Dilettanten, die sich auf der Strecke selbst zerlegen. Aber jetzt zu Michael Müller:

Aus der taz:

Wer am Sonntag seine Stimme verschenkt, könnte am Montag in einer anderen Stadt aufwachen.

Von Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin.

Man kann es nicht anders sagen, aber wenige Tage vor der Wahl herrscht eine seltsame Gleichgültigkeit in der Stadt. AfD 10, 12 oder 14% egal! Noch ein bisschen NPD dazu? Ist dann halt so.

Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, als fast alle in meinem Umfeld gegen die Apartheid in Südafrika demonstriert haben. Heute kann ein hochrangiger AfD – Repräsentant lautstark Verständnis dafür äußern, wenn man „einen Boateng“ nicht zum Nachbarn haben will. Die vielen anderen Entgleisungen bis hin zum Schießen auf Flüchtlingskinder als Ultima Ratio der Grenzsicherung, wie es die Berliner AfD Vorsitzende vorschlug, reihen sich nahtlos ein in ein durch und durch menschenfeindliches und rassistisches Weltbild.

Schulterzucken? 10-14% sind egal? Sie sind es nicht. Sie werden auf der ganzen Welt als ein Zeichen des Wiederaufstiegs der Rechten und Nazis in Deutschland gewertet werden. Berlin ist nicht irgendeine Stadt. Berlin ist die Stadt, die sich von der Hauptstadt Hitlers und Nazi-Deutschlands zum Leuchtturm der Freiheit, Toleranz, Vielfalt und des sozialen Zusammenhalts entwickelt hat. Berlin hat auch Teilung, Mauerbau und Schießbefehle überwunden und für alle sichtbar aus einer grausamen Geschichte von Leid, Verfolgung, Terror und Krieg die richtigen Lehren gezogen. Berlin ist heute die Hauptstadt der Freiheit. Ein Symbol für viele freiheitsliebende Menschen auf der Welt die sehen: es geht auch so.

Ich bin es leid, dass man Rassismus, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit nicht mehr benennen kann, ohne dass einem „die Nazi-Keule“ vorgeworfen wird. Aber genau das, verbunden mit den „völkischen“ Gedanken der AfD-Vorsitzenden, sind die Zutaten aus denen die braune Suppe angerührt wird.

Mit einem Rechtsruck wird sich das Leben in Berlin verändern. Davon bin ich überzeugt. Minderheiten, „anders“ aussehende Menschen werden nicht nur im Netz angepöbelt werden, sondern auch auf der Straße. So, wie es leider vielen demokratischen Wählkämpferinnen und Wählkämpfern in diesen Tagen heute schon geht. Spalter, Ausgrenzer und Ausländerfeinde werden einen Rechtsruck in unserer Stadt als Freibrief für ihre Hassideologie und –taten sehen. Klar: Es wird keine Veränderung von einem Tag auf den anderen geben, sondern dies wird ein schleichender Prozess sein, der das liberale Koordinatensystem unserer Stadt nach rechts verschieben würde.

Die Passivität vieler Demokratinnen und Demokraten angesichts dieser Entwicklung treibt mich um. Warum stellen sich so wenige die Frage: „Willst Du das, Berlin?“ – wie es kürzlich in einem Video die bekannten Künstler Joko&Klaas, Clemens Schick, Oliver Kalkofe oder die beiden Sänger der Band Boss Hoss getan haben. Wir brauchen mehr solche staatspolitische Verantwortung – erst recht in Berlin.

Wir treten an, um Berlin in einer neuen Koalition gut zu regieren. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch und damit kann man sich auseinandersetzen: Von einer Spekulationsbremse für Immobilieninvestoren, mehr guter Arbeit bis hin zu neuen bezahlbaren Mietwohnungen oder gebührenfreien Kitas. Das kann man gut, schlecht oder zu spät finden. Man kann über den richtigen Weg dorthin streiten. Jeder dieser politischen Vorschläge auch der Konkurrenz im Abgeordnetenhaus bringt Berlin mehr voran als die dummen, ausgrenzenden Parolen.

Ich kann verstehen, dass man an jeder Partei irgendetwas auszusetzen hat. Keine ist perfekt, aber eine der vielen wird eben besser passen, als die anderen. Aber eines kann ich nicht verstehen: Rechts zu wählen, angesichts der offensichtlichen unsozialen und unmenschlichen Politik dieser Parteien. Oder aber seine Stimme zu verschenken und gar nicht zu wählen. Denn das macht es den Spaltern einfach, ihr Werk zu beginnen.

Die Tage der politischen Leichtigkeit sind vorbei, wir erleben eine Zeit, die mehr Ernsthaftigkeit von allen erfordert. Ich wünschte mir, es wäre nicht so. Aber ich hoffe, dass jetzt immer mehr Demokratinnen und Demokraten verstehen, dass es so ist. Ich jedenfalls sehe es als meine Aufgabe als Regierender Bürgermeister von Berlin an, alle aufzurufen, diese Wahl nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Berlin sollte jetzt ein ganz deutliches Zeichen in die Welt senden. In Zeiten der Trumps, Orbans, Le Pens, Hofers und anderer Rechtsausleger stimmt Berlin für die Freiheit. Jede Einzelne und jeder Einzelne hat es am Sonntag in der Hand, in welcher Stadt und in welchem Klima wir am Montag aufwachen. Ich vertraue Berlin, dass die Stadt ihr Schicksal abermals in die eigene Hand nimmt, und eine Wiederholung der Geschichte verhindert.

Quelle: taz und Michael Müller auf Facebook

 

 

 

Donald Henkel und der entschlossene Herr Müller.

In jeder Kampagne gibt es den entscheidenden Wendepunkt. Der Moment, an dem man weiß: Jetzt liegen alle Karten auf dem Tisch. Jetzt sind alle Katzen aus dem Sack. Jetzt hat der Wähler klare Alternativen vor sich. Jetzt geht es richtig los.

Und in jedem Wahlkampf gibt es Momente, an denen klar wird, mit wem man es am Ende wirklich zu tun hat. Für mich war ein solcher Moment der 4. Februar 2016, als sich Michael Müller in einer Sondersendung des RBB den Fragen der Bürger zur Flüchtlingsthematik stellte. Zunächst einmal hat er das überhaupt getan und sich nicht wie manche andere Ministerpräsidenten versteckt. Er war klar, er war offen. Aber vor allem hat er sofort gegengehalten, wenn er bei dem Fragesteller plumpe Vorurteile oder den typischen AfD-Pegida-Jargon heraushörte. Müller hat dann nicht laviert, sondern Haltung bewiesen.

Der andere Wendepunkt kam am 9. August, als erste Eckpunkte einer „Berliner Erklärung“ der (wenigen) CDU-Länder-Innenminister bekannt wurde. Frank Henkel stürzte sich sofort auf die Erklärung und dabei vor allem auf zwei Punkte: Die Abschaffung der Doppelten Staatsbürgerschaft und ein Burka Verbot. Reine AfD-Symbolthemen also, ohne irgendeine Relevanz für die Sicherheitslage in Deutschland.

Postwendend kam die Antwort von Michael Müller: „Eine solche Position hat im Berliner Senat keinen Platz.“ Wer wollte, konnte da schon erkennen: Diese Koalition wird es nicht noch einmal geben, wenn Henkel weiter ins Horn der Populisten bläst. Das hat Herr Henkel wohl nicht ganz richtig verstanden, denn er machte weiter in seiner Rolle als „Little Donald von der Spree“.

Aber wenn Michael Müller AfD-Positionen nur aus der Ferne riecht, reagiert er allergisch. Wenn es irgendetwas gibt, das diesen besonnenen Mann auf die Palme bringen kann, dann billiger Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass.

Nun. Seit dem 9. August riecht Frank Henkel sehr streng nach AfD. Denn wenn man sich so weit in die braune Soße setzt, wird man den Geruch auch nicht mehr los.

Frank Henkel (CDU) schafft es, den Bundespräsidenten, den Bundesinnenminister (CDU), die Bundeskanzlerin (CDU) und seinen Koalitionspartner gegen sich in Stellung zu bringen. Innenminister de Maiziere zum Henkelschen Burka-Verbot: „Mit so einem dahingeworfenen Satz kann man das nicht regeln.“ Und: „Man kann nicht alles verbieten, was einem nicht gefällt.“ De Maiziere zum Henkelschen Angriff auf die Doppelte Staatsbürgerschaft: „Ich halte es nicht für sinnvoll, die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft neu zu eröffnen.“ Bundespräsident Joachim Gauck zu de Maiziere: „Da kann ich doch gut mit leben.“

Alle reden gegen Henkel und über Henkel aber keiner mit Henkel. Er spricht wohl auch mit keinem, sonst wäre er kaum in das offene Messer gelaufen. Einen solch gravierenden innenpolitischen Vorstoß stimmt man mit dem Bundesinnenminister der eigenen Partei ab. Es sei denn, man ist bereits komplett isoliert.

Jetzt steht die CDU wieder zerstritten da und der mühsam zugeschüttete Graben wurde vom eigenen Spitzenkandidaten aufgerissen. Der klassische Konflikt: Alt-CDU (Berlin) gegen Neu-CDU (Merkel) steht wieder auf der Tagesordnung.

Die Henkel-Strategie macht weder in Bezug auf Wählerpotentiale Sinn – noch in Bezug auf Koalitionsoptionen. Ihm bleibt nur noch die AfD.

Welche Strategie verfolgt Henkel?

Wen also wollte Frank Henkel mit dem alten Julia Klöckner Flop „The Burka Rap“ erreichen?  Julia Klöckner, der ja das Kunststück gelang, aus einem 11%-Vorsprung in nur 12 Wochen eine 4,4% Niederlage zu basteln, hatte jedenfalls in ihrem Wahlkampf die AfD fest im Blick. Sie kämpfte mit Horst Seehofer tapfer gegen die Burka-Trägerinnen in Rheinland Pfalz- obwohl die Wahrscheinlichkeit vermutlich größer ist, an der Loreley einem Grizzlybären zu begegnen, als einer Burka. Das sahen die Wähler am Ende auch so und bescherten der CDU das schlechteste Wahlergebnis in der Geschichte von Rheinland-Pfalz.

Die Henkel-Strategie bleibt angesichts möglicher Potentiale in Berlin ebenfalls ein Rätsel. Hier lohnt ein Blick auf die vergangenen drei Wahlen mit ihren recht stabilen Lagerergebnissen.

Zählt man die Grünen zum progressiven Lager, was angesichts ihres gluten-, laktose-, meinungs- und inhaltsfreien Gänseblümchen-Wahlkampfes zumindest diskussionswürdig ist, sieht das so aus:

Wahlergebnisse 2001 – 2011:
SPD, Linke, Grüne: Im Mittel: 58,7%

Aktuelle Umfragen (Infratest, INSA, Forsa) Stand 17.8.16:
SPD, Linke, Grüne: Im Mittel: 57,6

Über 15 Jahre gesehen würde ich sagen: Punktlandung.

Wen man auf der anderen Seite verorten soll, weiß man nicht so recht. Ich versuche es einmal mit dem Klassiker:

Wahlergebnisse 2001 – 2011:
CDU, FDP: Im Mittel 29,6
Aktuelle Umfragen CDU, FDP: Im Mittel 23,6%

Neben diesen schon fast klassischen Lagern gab es dann noch immer viele bunte, mal kleinere, mal größere Pillepalleparteien, die in Berlin immer für locker 15% gut sind. Ob sie jetzt Piraten, Graue, AfD oder Gedönspartei heißen ist dabei relativ wurscht. Denn die meisten der Wähler dieser Parteien wählen einfach gerne „irgendwas mit Protest“.

Henkel blieben nur zwei Optionen.

1. Option: Als der „stabile“ Anker einer modernen großen Koalition anzutreten und auf das höhere CDU-Potential zu setzen, das die CDU in Berlin bei Bundestagswahlen erreicht (2013 waren das 28,4%). Kurz vor dem Wechsel von Wowereit auf Müller war dieses Potential auch auf Landesebene sichtbar, als die CDU im August 2014 bei 29% und damit 5% vor der SPD lag.

Die Merkel-CDU ist für viele Berliner attraktiver, da sie wesentlich liberaler daherkommt als die Hauptstadt CDU. Henkel hätte also genau diesen Weg einschlagen und seine piefige Partei modernisieren müssen. Dann wäre sie auch für die gut bürgerliche Grünen-Klientel wählbar gewesen, so wie das bereits bei der Bundestagswahl geschehen war. Ebenso hätte man Zuckungen der Zombie-FDP vermeiden können, die nun aus der liberalkonservativen Ecke angreift.

Henkel hat die Modernisierung der Berliner CDU nie vorangetrieben. An den entscheidenden Wendepunkten – etwa der CDU Mitgliederbefragung – hat er gekniffen, statt zu kämpfen. Er hat nicht an einem einzigen entscheidenden Punkt Haltung gezeigt und sich gegen die alten Männer durchgesetzt. Entscheidende Wendepunkte hat er verschlafen oder ausgesessen. Auch die Phase des Übergangs zwischen Wowereit und Müller, als die SPD noch ohne Kandidaten dastand. Er hat die Chance seines Lebens einfach vorbeiziehen lassen. Später hat er beim Czaja-Desaster seinem überforderten Senator weder eine helfende Hand gereicht, noch ihn ersetzt. Er hat einfach nichts gemacht.

Nach so vielen verpassten Chancen sehen er und seine Berater nur noch einen Ausweg: Populismus der ganz billigen Kategorie.

2. Option: Die Stahlhelm CDU. Ja, sie ist wieder da! Als ob seit dem Mauerfall kein Vierteljahrhundert vergangen wäre. Als ob die ganze Stadt nicht bereits zehn volle Jahre von Rot/Rot regiert worden wäre. Also ob es keine Bezirksbürgermeister der Linken oder der Grünen gäbe: Die CDU setzt den Stahlhelm auf, rückt die Scheuklappen zurecht, zieht die roten Socken an und galoppiert direkt in das tiefe Tal der Isolation. Nur die ganz Rechten klatschen Beifall, weil sie genau wissen, dass die Prozente am Ende auf ihrem Konto landen.

Mit seinem AfD-Kurs zur Inneren Sicherheit, seinem plumpen Populismus und seiner groben Spaltung der Gesellschaft hat sich Frank Henkel jede Koalitionsoption verbaut. Schlimmer noch: Um seinen eigenen Hintern zu retten, schickte er mit fragwürdigen Argumenten Polizeibeamte in sinnlose Einsätze. Ein trauriger Höhepunkt des bisherigen Wahlkampfes.

Ein neuer Anfang.

Mit Frank Henkel und der Berliner Stahlhelm-CDU können weder die Grünen noch die SPD nach dem 18. September eine Koalition eingehen. Henkel hat damit keine Machtoption. Das bedeutet: er wird in Panik weiter um sich schlagen und noch mehr Schaden in der Gesellschaft anrichten. Das ist nicht gut für das Zusammenleben in unserer Stadt.

Die Grünen sollten daher auch langsam aus ihrer Schmollecke von 2011 heraus kommen und sich bekennen. Ja, die SPD ist damals eine Koalition mit der CDU eingegangen, aber daran waren die Grünen nicht schuldlos. Erst haben sie mit Künasts verbissenem Schwarz/Grün-Wahlkampf die sichere Rot/Grüne Mehrheit in den Sand gesetzt. Und danach waren sie so zerstritten, dass sie nicht einmal mit sich selbst hätten koalieren können. Das gehört auch zur Wahrheit.

Und die Linke kann weiter so tun, als hätte sie von 2001-2011 diese Stadt nicht über ein volles Jahrzehnt regiert und alle Beschlüsse mitgetragen oder gar vorangetrieben, die sie heute kritisiert. Sie hat ab 2011 nicht mehr regiert, weil sie mit 11,7 % von den Berlinerinnen und Berlinern abgewählt wurde und nicht wegen der bösen SPD.

Geschenkt. Das war gestern. Heute ist heute.
Und morgen ist wichtiger.

Wenn man aus den vergangenen Wahlkämpfen etwas lernen kann, dann das: Wenn das progressive Lager sich ständig selbst beschädigt, gibt es am Ende Ergebnisse, die keiner will. Ob es am Ende für eine 2er oder 3er Konstellation reicht, wird man sehen. Gezählt wird am 18. September und die letzten Wahlen im März haben gezeigt, wie viel Bewegung auf den letzten Metern möglich ist.

Immer mehr Berlinerinnen und Berliner beginnen so langsam, diese Wahl ernst zu nehmen. Das spürt man in den Gesprächen, das erlebt man im Wahlkampf. Und es stimmt ja auch. Es geht diesmal um mehr. Es geht darum, welches Zeichen Berlin in die Republik und die Welt sendet.

Will diese Stadt mit AfD und CDU ins Gestern, oder mit einer progressiven Koalition nach vorne? Jetzt ist es an der Zeit, Farbe zu bekennen.

Michael Müller hat sich in diesem Wahlkampf klar und mutig positioniert. Er hält gegen billigen Populismus. Er zeigt den piefigen AfD-Spießern die kalte Schulter. Er wirbt klar und deutlich für das Berlin der Freiheit, der Toleranz, des sozialen Friedens und der Weltoffenheit. Er kämpft für dieses freie Berlin, während andere sich wegducken oder anbiedern. Müller hält gegen die von Storchs, Henkels und Wagenknechts unserer Zeit. Er setzt auf Zusammenhalt gegen Spaltung und das billige Gift der Populisten.

Und wer das auch will, der sollte jetzt mal seinen Allerwertesten in Bewegung setzen.

Dieser Wahlkampf wird in den letzten Wochen entschieden. Tage, in denen allen Berlinerinnen und Berlinern die Bedeutung dieser Wahl für ihre Stadt, ihren Alltag aber auch für den Rest der Republik klar werden muss.

Die ist keine Wahl wie andere.

Es kann Gutes aus dieser Wahl entstehen.

Oder das Gegenteil.

Move your ass – and the rest will follow.