Die SPD steht vor der Existenzfrage.

Mit Jana Hannemann führte ich am Montag nach der Wahl ein Gespräch, das in der Berliner Morgenpost erschien. So ganz bin ich mir noch nicht sicher, ob wirklich alle Akteure verstanden haben, wie ernst die Lage ist.

Sie gelten als krisengestählter Wahlkämpfer, haben über 20 Kampagnen für die SPD geprägt. Die Genossen hatten sie fest für den Wahlkampf eingeplant. Doch sie sagten ab. Fühlen Sie sich durch das Bundestagswahlergebnis in Ihrer Entscheidung bestätigt?

Frank Stauss: Zum Teil leider ja, obwohl ich mir ein deutlich besseres Ergebnis für die SPD erwünscht hätte. Leider hat dieses Ergebnis einiges von dem gezeigt, was wir im Herbst des vergangenen Jahres bei uns im Team befürchtet hatten.

Nämlich?

Das eine ist: Wenn man eine Kanzlerin wie Angela Merkel schlagen will, die seit zwölf Jahren im Amt ist und auch gute persönliche Werte hat, muss man das mit einer langfristigen Strategie angehen. Es war klar, dass sie nach zwölf Jahren – und das hat das CDU-Ergebnis am Ende auch gezeigt – nicht unschlagbar war. Sie war schlagbar. Es gab eine Art Merkel-Müdigkeit. Dafür hätte die SPD aber auch eine moderne Programmatik entwickeln müssen, mit der sie, neben dem Markenkern sozialer Gerechtigkeit, auch ein zweites Standbein gehabt hätte.

Und womit?

Mit Themen wie Modernität, Innovation, Fortschritt. Das war bis zum Herbst aber nicht geschehen. Und dann ist zweitens natürlich die Frage der Kanzlerkandidatur wichtig. Wir haben 2013 erlebt, wie die SPD mit Peer Steinbrück eine Kanzlerkandidatur aus der Hüfte geschossen hat. Wir haben es 2009 erlebt, als Kurt Beck zurücktrat und Frank-Walter Steinmeier Kandidat wurde. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Frage der Kanzlerkandidatur früher hätte entschieden werden müssen und nicht erst acht Monate vor der Wahl.

Sehen Sie noch weitere Punkte, die zu diesem schlechten Ergebnis geführt haben?

Stauss: Tatsächlich ist es so, dass manche in der SPD, aber auch in ihrem Umfeld, noch der Meinung sind, dass die SPD mit den Rezepten von 1998, manchmal sogar von 1968, heutzutage Wahlen gewinnen kann. Das ist aber falsch. Wir können uns nicht mehr nach dem traditionellen Wahlverhalten orientieren nach dem Motto „Die Arbeiter wählen dieses, die Jungen dieses, die Rentner wählen so, auf dem Land wählt man so und in der Stadt so“.

Um was geht es dann?

Heutzutage bestimmt eine kulturelle Haltung das Wahlverhalten – also sind die Leute pro-europäisch eingestellt, sind sie weltoffen, liberal, sehen sie in der Digitalisierung eher eine Chance als eine Gefahr. Und wenn sie in einigen Teilen der Bevölkerung ein eher traditionelles Weltbild haben – etwa Ausländerfeindlichkeit, Homophobie, Europafeindlichkeit – und das für die Menschen wahlentscheidend ist, dann können sie dort als SPD nicht punkten. Deswegen kann man nicht mehr sagen, dass Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger von der SPD aufgrund ihrer Geschichte erreichbar sein müssen. Diese Personen können trotzdem nicht erreichbar sein, eben weil ihnen andere Dinge wichtiger sind.

Im Januar wurde Martin Schulz noch als „Gottkanzler“ gefeiert und gehypt. Woran liegt es, dass die SPD dieses Stimmungshoch nicht halten konnte?

Stauss: Das liegt daran, dass die Partei in den vergangenen vier Jahren unter Sigmar Gabriel diese eben angesprochene Programmatik nicht entwickelt hat. Die SPD muss sich neue moderne, junge Wählerschichten erschließen und gleichzeitig muss sie denen, die am skeptischsten sind, einen Weg zeigen, wie ein modernes und erfolgreiche Deutschland gerade durch die Veränderungen in der Arbeitswelt, auch ein sicheres Deutschland sein kann, was die Arbeitsplätze angeht. Diese Themen haben im SPD-Wahlkampf aber überhaupt keine Rolle gespielt. Und der Unterschied zum Angebot der Union war nicht groß genug.

Was kann die SPD jetzt aus der Schlappe lernen? Welche Fehler muss die Partei künftig vermeiden?

Stauss: Die SPD muss wieder zu sich selbst finden, sie muss an ihrer Programmatik arbeiten, klarer werden, deutlicher werden, die Unterschiede benennen. Es wird eine harte Aufgabe sein in der Opposition gegen die AfD zu reüssieren. Die AfD ist, wie man jetzt ja schon miterlebt, ein chaotischer Haufen, der jedoch mit den Mechanismen der modernen Medienlandschaft umzugehen weiß. Die SPD hat aber die Chance, als eine glaubwürdige und beständige Kraft zu reüssieren.

Und sonst?

Ein anderer Punkt ist: Die CDU/CSU ist extrem angeschlagen. Wir werden jetzt erleben, dass dort Nachfolgedebatten und Richtungskämpfe entstehen. Die beginnen ja jetzt schon. Gleichzeitig wird die Partei in eine Koalition mit den Grünen getrieben, wobei es dann natürlich schwer fällt, sich weiter rechts zu platzieren. Das sind alles Chancen für die SPD.

Die SPD will jetzt in die Opposition. Die richtige Entscheidung?

Stauss: Es bleibt ihr ja nichts anderes übrig, wenn von ihr noch etwas übrig bleiben soll. Die große Koalition hat eine riesige Watsche bekommen. Die SPD hat in dieser Koalition wichtige Teile ihrer Programmatik umsetzen können und geht trotzdem mit dem schlechtesten Ergebnis nach Hause. Da muss man den Wählerwillen auch mal respektieren. Und der ist eindeutig: Wir wollen nicht, dass ihr regiert.

Droht der Partei womöglich das Ende?

Die SPD steht vor der Existenzfrage. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Deswegen ist der Gang in die Opposition der richtige Schritt. Sie muss sich nun darauf konzentrieren, sich selbst zu erneuern, sich zu finden und die Positionen klar herauszuarbeiten. Das geht nicht, wenn sie gleichzeitig noch fünf Ministerien besetzen muss. Die SPD leistet der Demokratie einen Beitrag, wenn sie diesen harten Weg in die Opposition geht. Das ist ja ein Rückzug aus Ämtern, von Posten und Einfluss, der mir einen hohen Respekt abnötigt.

Ist das mit Martin Schulz als Parteichef und Andrea Nahles möglich?

Stauss: Martin Schulz ist nicht verbrannt, die Menschen finden ihn nach wie vor sympathisch und glaubwürdig. Er will sich nun auf den Wiederaufbau der Partei konzentrieren. Bei Frau Nahles muss man sehen, dass ein Teil dieser wichtigen Programmatik, also die Zukunft der Arbeitswelt, in ihrem Haus hervorragend vorbereitet worden ist. Sie hat da ein umfassendes Wissen. Damit ist aber noch keine Entscheidung darüber gefällt, wer in vier Jahren die SPD in den Wahlkampf führt, aber auf diese beiden Personen ist Verlass.

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