Der Grössenplan zur rechten Zeit.

Gegen flatternde Nerven, heulende Ministerpräsidenten und Schaltfehler in den Synapsen des Innenministers hilft nur: der ultimative Grössenplan.

Findet man dieser Tage nicht rasch genug die Fernbedienung, um den heulenden und greinenden Seehofer wegzuzappen, der seine persönliche Überforderung und die seiner Regierung auch noch unentwegt der uninteressierten Öffentlichkeit mitteilen muss, kann einen schon eine Verwirrung der Gefühle ergreifen. Sag doch bitte einer dem Mann, dass Pressekonferenzen keine Therapiesitzungen sind.

Was ist aus den einst so stolzen Bayern geworden, dass sie sich solch ein Weichei an die Spitze wählen? Betteln, bitten, flennen –die große Angela soll es richten – wir hier können es nicht – wir sind zu klein und zu arm! Und wenn es die große Angela nicht richtet, dann bilden wir das neue Bayrisch-Ungarische Mordor Europas mit Stacheldraht, Mauern (und Schießbefehl?) aber ohne Österreicher, denn die mögen wir nicht mehr nicht. Nein.

Wegzappen. Weiterzappen zu: de Maiziere. Oh je. Da fabuliert der Bundesinnenminister der Bundesrepublik Deutschland, dass er gehört habe, dass Flüchtlinge mit dem Taxi! Jawoll. Mit dem Taxi! Und nicht mit dem Fernbus! Kreuz und Quer durch die Republik – und überhaupt – woher haben die das Geld? Ja, lieber de Maiziere, vermutlich von ihrem Konto. Woher man halt Geld nimmt. Denn wo bitte steht geschrieben, dass man arm sein muss, um aus einem Bürgerkrieg zu fliehen? Ich gebe zu – würde ich heute aus Deutschland fliehen müssen, weil mir sonst Folter und Tod drohten – ich würde mein Geld mitnehmen. Doch, das würde ich. Und zwar alles. Es ist ja auch meins. Dem de Maiziere würde ich es jedenfalls nicht geben.

Und dann lese ich noch von einem eher unbedeutenden Berliner CDU-Politiker, dass man diesen Wilden, die da zu uns kommen, unbedingt beibringen müsse, dass die Gleichstellung von Mann und Frau aber so was von unantastbar sei! Jawoll. Gut, das mit den Schwulen, das ist vermutlich wiederum Verhandlungssache, da sind die Taliban aus Sicht der Berliner CDU weiter als wir. Aber Mann und Frau – Gleichberechtigt – das hat in CDU/CSU Jahrzehnte gedauert, bis das fast ganz vielleicht anerkannt war – das lassen die sich von den Flüchtlingen nicht mehr kaputt machen. Die Männer in der Union. Die eben noch für die Herdprämie waren.

Gestern fuhr mich im Taxi ein Bulle von einem Mann. Ein Nacken wie ein Stier, Oberschenkel statt Oberarme und ein Gesicht zum fürchten. Kaum saß ich im Wagen, fing er an zu heulen. Wie das denn alles gehen sollte. Es seien ja so viele „Kanacken“. Als ich ihn bat genau hier, also 5 Meter weiter, anzuhalten und mich aussteigen zu lassen, fing er wiederum zu weinen an, dass das doch so nicht gemeint sei und so weiter und so fort. Es entspann sich dann tatsächlich noch so etwas wie ein Dialog, der gar nicht so hässlich endete, wie ich es ersehnt hatte, um dieser Muskelmemme mal ordentlich die Leviten zu lesen.

Er sprach also davon, dass die doch alle aus einem ganz anderen Kulturkreis kämen, und wie das denn gehen sollte. Ich erwiderte ihm: ungefähr so, wie die letzten 60 Jahre auch. Zumindest in dem Teil der Republik, den man früher als Westen bezeichnete. Und das klappte ja alles in allem ganz gut. Sieht man sich die Belegschaften von Mercedes Benz, BMW oder anderen deutschen Erfolgskonzernen an, hat man ja keinen Mangel an Namen, die nicht unbedingt der vaterländischen Ursuppe entsprungen zu sein scheinen. Kürzlich las ich auch eine Anzeige von Penny, in dem das Unternehmen seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dankte. Beim Zählen kam ich ungefähr auf jeden fünften Namen, den man als eindeutig deutsch identifizieren konnte.

So plauderte ich vor mich hin, bis der der Fahrer dann irgendwann erwiderte – „also meine Kollegen sind ja auch alle Türken. Das klappt prima, muss ich sagen.“ Hat er gesagt. Nicht von mir erfunden. Es gibt halt solche und solche – auch unter den deutschen, war dann die Formel, auf die wir uns verständigten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Kostete aber mich 20 Minuten und ihn Trinkgeld.

Was für einen erfrischenden Unterschied zu den heulenden Männern machen doch in diesen Tagen die Frauen in der Politik. Bundeskanzlerin Merkel, die nur noch nervenflatternde Parteifreunde um sich hat, sagt sinngemäß: „Ist jetzt so. Gehen wir jetzt durch. Anpacken.“ Arbeitsministerin Nahles sagt wörtlich in der SZ: „… es ist eine Hochzeit der Politik. Man kann viel gestalten – das gefällt mir, auch wenn es mich in diesen Tagen einige Stunden Schlaf kostet.“

Was haben diese Frauen, was viele Männer nicht haben?

Nun, zunächst einmal keine Angst. Und wenn man keine Angst hat, kann man auch besser arbeiten. Das ist wirklich eine Hilfe. Früher hatte ich Flugangst, bis ich ein Anti-Flugangst-Seminar besuchte. Heute kann ich im Flugzeug super arbeiten statt mich in lähmender Angst an den Sitz zu krallen. Gut, meistens schlafe ich, aber das ist jetzt nicht der Punkt. Warum 80 Millionen Deutsche vor einer Million plus x Flüchtlingen Angst haben sollen, hat mir noch niemand erklären können. Und es wäre doch schön, wenn die Flattermänner das auch immer wieder betonen würden, statt öffentlich zu weinen.

Da alle nach einem Plan rufen, aber keinen haben, beuge ich mich dem Flehen und offeriere hier meinen Größenplan für Deutschland.

  1. Ich empfehle dringend Anti-Flüchtlingsangst-Seminare für Politiker in Leitungsfunktionen. Und für manche flatternde Nerven auch Anti-Umfrageangst-Seminare. Denn allen, die jetzt darauf verweisen, dass „die Stimmung kippt“ sei gesagt: Zwischen „Ich denke, das sind jetzt ein bisschen viele“ und „Ich ziehe nach Sachsen“, gibt es noch jede Menge Variationen. Nicht jeder, der die objektive Feststellung teilt, dass es ziemlich viele Leute sind, die da kommen (finde ich auch, die Kanzlerin auch und die Flüchtlinge finden das übrigens auch), erkrankt deshalb gleich am Mauerbausyndrom oder akuter Hitleritis. Also: bitte entspannen und an Blumenwiesen denken. Danke.
  2. Ich empfehle im zweiten Schritt Kinder-Land-Verschickungen. Liebe Jugend in den Metropolen Deutschlands, es wird Zeit, dass Ihr euch um eure Opas, manchmal auch Papas und Onkels kümmert, die ihr auf eurer berechtigten Suche nach Glück und Arbeit in einem leicht bis stark paranoiden Paralleluniversum landseits zurück gelassen habt. Einige von ihnen drohen nun, in die Radikalisierung abzudriften. Aber es gibt kein besseres Mittel gegen die Radikalisierung, als eine wache, funktionierende Familienstruktur. Deshalb, liebe Enkel, Neffen, Nichten – greift mal wieder zum Telefon oder setzt euch in Bus und Bahn und fahrt mal wieder nach Dresden oder noch kleinere Dörfer und sprecht mit eurer Verwandtschaft. Erzählt ihnen von eurem Leben und euren Erfahrungen in der Schule, auf der Arbeit, und der Uni. Erzählt ihnen davon, dass kein Mensch mehr fragt, welcher Religion der andere angehört und die Trennlinie eher zwischen Flexitariern und Veganern (nein, die sind nicht aus „Raumschiff Enterprise“) verläuft, als zwischen Christen und Muslimen. Erzählt Ihnen, dass euch wahrhaftig im Leben viele Arschlöcher begegnen, diese sich aber nicht durch ihre Staatsbürgerschaft oder Hautfarbe auszeichnen, sondern durch ihr Verhalten. Und erzählt ihnen vor allem, dass sie sich um euch keine Sorgen machen müssen, sondern wenn, dann darüber, dass Opa durch sein Verhalten eure Zukunft verhagelt und es in vielen Dörfern bald nur noch Rollatoren-Rennen als Hauptattraktion geben wird. Es sei denn, sie lassen endlich mal wieder frisches Blut ins Land und ins Dorf.
  3. Ich empfehle drittens: Offensive Planlosigkeit. Viele Menschen, einschließlich zahlreicher Grüner, Linker und nicht so linker fordern jetzt Pläne, Masterpläne und Großmasterpläne. Well. Imagine: There is no plan. Kein kleiner, kein großer. Deswegen implodieren bei Menschen wie de Maiziere ja auch die Synapsen. Error, error, error – puff-bang aus. Die Flüchtlinge, die gerade zu uns kommen, hatten nicht geplant, dass ihr Land in Schutt und Asche versinkt, die Auffanglager der Nachbarländer überfüllt und unterfinanziert sind und eine Reihe europäischer Länder vergessen haben, was europäische Wertegemeinschaft faktisch bedeutet. Wenn es keinen Plan gibt, muss man eben das Beste draus machen. Und den Menschen auch sagen, dass man jetzt eben das Beste draus machen muss. Dann machen sie auch das Beste draus. Das ist der Plan.
  4. Ich empfehle viertens: Glückshormone. Wer hätte gedacht, dass dieses Deutschland einmal das leuchtende Land würde, das es heute ist. Anziehungspunkt für hunderttausende mehrheitlich junge Menschen aus aller Welt. Gott sei Dank, kann ich da nur sagen. Was für eine super Chance gerade auch für Landstriche, die unter Vergreisung und Abwanderung leiden. Vor kurzem sprach ich fernmündlich mit einer Brennholzfachkraft im Brandenburgischen und bat sie, selbstverständlich gegen Aufpreis, das Brennholz vor meiner Datsche während meiner Abwesenheit bitte nicht nur auszukippen, sondern auch hinter dem Haus im Unterstand zu stapeln. „Wir können nur kippen.“ Auf meine vorsichtige Anfrage, ob es denn nicht einen jungen Mann gebe, der sich etwas dazuverdienen wolle, antwortete sie: „Hier gibt’s keine jungen Männer.“ Case closed. Ähnliche Antworten – allerdings geschlechtsneutral – erhielt ich in den vergangenen Monaten auch vom örtlichen Klempner, dem Elektriker, dem Gartenbaubetrieb und natürlich auch in dem Krankenhaus, in das ich einen Freund brachte, nachdem er versucht hatte, mein Brennholz nicht nur zu stapeln sondern auch noch händisch zu verfeinern.

Nein – nicht alle, die zu uns kommen, sind Ärzte, Symphoniker, Spiele-Programmierer oder alles zusammen. Aber Brennholz stapeln und auch Anspruchsvolleres wird schon klappen. Und in dem Alter machen und kriegen die dann auch noch Kinder, was dafür sorgt, dass die Dorfkita nicht schließen muss, die Schule nicht schließen muss, der Bus weiter fährt, Geschäfte Geschäfte machen und so weiter und so fort. Toll.

Ich bin mir auch sicher, dass das mit der Integration besser klappt, jetzt, wo auch weite Teile der Union mit nur drei Jahrzehnten Verspätung kapiert haben, dass das wichtig ist. Und auch der Fortschritt hin zu einem vernünftigen Einwanderungsgesetz wird nicht mehr aufzuhalten sein. Diesbezüglich haben doch die Syrer in einem halben Jahr schon mehr geschafft als die Politik in den letzten 60 Jahren. Chapeau!

Ich hätte noch zahlreiche weitere Anmerkungen und natürlich ist mein Größenplan noch wesentlich umfangreicher als ich es hier zugeben kann. Aber schon jetzt wird, denke ich, für jeden klar: Mit diesem Plan ohne Plan wird Deutschland schon morgen glücklich, weltoffen, friedlich und optimistisch. Wir schaffen das! Du auch. Und Du und Du. Und Du da hinten erst! Jetzt müssen wir nur noch Fußballspielen lernen.

Die große Rede des Olaf Scholz

Wenn man sich über viele Jahre mit politischer Kommunikation beschäftigt, dann kommt man an bedeutenden Reden natürlich nicht vorbei. Von manchen Reden kennen wir nur noch berühmte Soundbites („I have a dream“, „Ich bin ein Berliner“, „A house divided against itself cannot stand“. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“) – aber eine richtig gut komponierte Rede in Gänze zu lesen ist leider ein seltenes Vergnügen geworden.

Am 12. September 2015 hielt Olaf Scholz in Hamburg so eine Rede. Und ich möchte euch empfehlen, die Zeit zu nehmen, diese ganz zu lesen. Es lohnt sich.

Mein liebster Absatz:
„Sie sehen kleine Jungs, die vielleicht aus Syrien kommen und mit kleinen deutschen Fahnen winken, Sie können Geschichte, die gerade passiert, hier erleben: Auf dem Hauptbahnhof, in ihrem Viertel. Sie haben die Chance, der Geschichte Deutschlands ein neues, gutes Kapitel hinzuzufügen.“

Rede zur Kundgebung „Hamburg bekennt Farbe“ für Demokratie, Toleranz und Vielfalt

Sehr geehrte Frau Präsidentin der Bürgerschaft,
liebe Hamburgerinnen und Hamburger,

am Durchgang zu Brücke 3 an den St. Pauli Landungsbrücken gibt es eine Gedenktafel. Sie erinnert an 900 deutsche Juden, die hier in Hamburg im Mai 1939 auf der Flucht vor dem Terror der Nationalsozialisten das Schiff „St. Louis“ bestiegen. Voller Trauer und auch mit Hoffnung verlassen sie ihr Land mit gültigen Einreisepapieren für Kuba und die USA. Und kommen nie da an.

Gustav Schröter hieß der Kapitän, des Dampfers der HAPAG-Rederei, der alles versuchte, um für die Flüchtlinge einen sicheren Hafen zu finden. Trotz der Zusage weist Kuba die Flüchtlinge ab und auch Roosevelt, damals Präsident der USA, will niemanden mehr aufnehmen. Die Flüchtlinge sehen schon die Lichter von Miami als das Kommando aus Hamburg kommt: Die „St. Louis“ muss zurück. Zurück nach Deutschland, das bedeutete den sicheren Tod. Inzwischen wird die Weltöffentlichkeit auf das Schicksal der verzweifelten Juden aufmerksam. Im Juni kommt die erlösende Nachricht: Belgien, Holland, Frankreich und England nehmen die Flüchtlinge auf. Fast alle überleben den Krieg, dennoch 254 der Passagiere, die auf den Kontinent verteilt wurden, ermorden die Nazis. Wir dürfen die St. Louis, und das Schicksal ihrer Passagiere nicht vergessen, wenn wir heute handeln!

Denn: Unter den Augen der Weltöffentlichkeit, fliehen auch heute wieder Frauen, Männer und Kinder vor Krieg und Terror.

Sie fliehen aus Syrien. Seit mehr als vier Jahren tobt dort ein Krieg, der aus einem Aufstand gegen das Regime hervorgegangen ist und mittlerweile mehrere kämpfende Parteien hat. Vor allem aber hat er sämtlichen Städten und Regionen massenhaft Tod und Zerstörung gebracht. Die staatlichen Strukturen zerfallen. Das Risiko für die Bevölkerung, Opfer von Gewaltakten zu werden ist sehr hoch und die Terrororganisation IS kontrolliert große Teile vor allem im Osten des Landes.

Sie fliehen aus Afghanistan: Frauen, Männer und Kinder. Wir kennen die lange tragische Vorgeschichte des Landes, über das jahrzehntelang immer andere bestimmt haben und wo das Leben und die Rechte der Bewohner geringen Wert hatten. Nach dem Ende von ISAF ist die Sicherheitslage in vielen Landesteilen instabil.

Sie fliehen aus dem Irak, weiterhin eines der gewalttätigsten und gefährlichsten Länder der Welt. Durch Terroranschläge und Gewalttaten sind in den vergangenen Jahren unzählige Bewohner ums Leben gekommen. Man spricht von etwa 3,7 Millionen Irakern, die sich bis heute auf der Flucht befinden, übrigens die Hälfte davon im eigenen Land.

Die Sicherheitslage ist im Irak fast überall schlecht, am meisten in den Provinzen, die unter Kontrolle terroristischer Milizen stehen. Ja auch hier wütet der Terrorismus des IS, werden Unzählige wegen ihres Glaubens verfolgt.

Aus Eritrea und Somalia, zwei Ländern einer Katastrophenregion kommen Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen. In Eritrea, einer präsidialen Diktatur ohne Gewaltenteilung, wird die Lage seit Jahren durch den Grenzkonflikt mit Äthiopien bestimmt. Die Gesellschaft ist weitgehend militarisiert, Grundrechte können so gut wie überhaupt nicht wahrgenommen werden, es gibt Sondergerichte und zahlreiche Regimekritiker sind in den vergangenen 15 Jahren ohne rechtsstaatliche Verfahren verhaftet und an geheimen Orten inhaftiert worden.

Hamburg steht – aus all diesen Gründen – vor einer großen Aufgabe. Und ich habe den Eindruck, dass sehr viele Hamburgerinnen und Hamburger mutig und mit ganzem Herzen an diese Aufgabe gehen. Hamburg bekennt Farbe… oder wonach sieht es sonst aus?

Viele, die zurzeit zu uns kommen, tun das übrigens auch, Farbe bekennen. Manche ganz wörtlich, indem sie sich mit Fingerfarben schwarz/rot/gold markiert haben. Andere, indem sie auf die Frage, wie sie sich kurz nach ihrer Ankunft jetzt fühlen, als erstes sagen: frei und optimistisch, und ich möchte am liebsten in einem bekannten Industriebetrieb arbeiten. Oder Informatik studieren. Jedenfalls: etwas tun und vorankommen.

Nicht jeder Traum wird in Erfüllung gehen – viele hoffentlich ja –, aber dass wir für so viele ein Hoffnungsland, das Hoffnungsland sind, kann uns – noch während wir tief durchatmen angesichts der Aufgabe und der Verantwortung – kann uns stolz machen.

Viele sind heute hier, die so denken und fühlen und das für alle hörbar zum Ausdruck bringen wollen; andere sind nicht hier, weil sie auch jetzt zur Stunde anpacken und helfen an einer Stelle, an der sie gebraucht werden. Ich danke allen sehr herzlich. Ohne Sie, Ihren Einsatz und Ihr Bekenntnis zur Hilfsbereitschaft ginge es nicht.

Das übrigens ist patriotisches Handeln. Im Vorfeld der für heute angemeldeten Demonstration ist versucht worden, dem Begriff eine falsche Bedeutung zu geben. Patriotismus ist gut, er bedeutet, sich als Bürgerin und Bürger für das Gemeinwohl zu engagieren. Er bedeutet nicht, sich aggressiv und herabwürdigend gegen andere abzugrenzen, Flüchtlinge und Zuwanderer auszugrenzen, sich fremdenfeindlich und nationalistisch zu verhalten. Sondern: Gegenseitige Hilfe und Solidarität, die machen unsere Gesellschaft stark.

Groß ist die Aufgabe, kein Zweifel, vor der Hamburg steht – wie ganz Deutschland, wie ganz Europa. Fast 20.000 Flüchtlinge, die an einem einzigen Wochenende allein über Ungarn in Deutschland angekommen sind; vielleicht 40.000 an diesem Wochenende. Das ist eine Situation, die uns Fragen stellen lässt, die uns herausfordert. Und doch: wenn auf dem Budapester Bahnhof verzweifelte Flüchtlinge Deutschland rufen, Germany, Germany, dann bleibt keiner von uns unberührt. Wenn im Internet, in den sozialen Netzwerken, in den Nachrichtensendungen der Fernsehsender in aller Welt gezeigt wird, wie in den Bahnhöfen Deutschlands Flüchtlinge mit Beifall empfangen werden, dann dürfen wir ein wenig glücklich sein über unser Land. Unser Land, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so viel Unheil angerichtet hat und das sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts von einer ganz anderen Seite zeigt.

Migration und Zuwanderung gehören zur Geschichte Hamburgs.
Hamburg hat z.B. nach dem Krieg, in Zeiten von Hunger, Arbeitslosigkeit und vollständiger Entkräftung 275.000 Heimatvertriebene und Flüchtlinge aufgenommen. In der Stadt gab es damals keine 300.000 Wohnungen, die Hälfte der einstigen Wohnungen waren zerstört. 1,7 Millionen Menschen lebten im zerstörten Hamburg.

Und Hamburg hat es doch geschafft. Sie kennen die Bilder von den Baustellen und den Nissenhütten. Wir sehen sie heute als Symbole einer Zeit des beispiellosen Aufbaus, der Eingliederung und der Hoffnung.

Aufbau, Eingliederung und Hoffnung, das sind drei Faktoren, die für das Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre eine entscheidende Rolle spielten. Viele von Ihnen, die heute hier auf dem Rathausmarkt stehen, haben diese Zeit erlebt, haben vielleicht selbst Eltern oder Großeltern, die fliehen mussten.

Die Aufgabe heute klingt deshalb ähnlich und ist doch anders: Eingliederung wird ein langer Weg. Er beginnt mit Sprachkursen und Integration in Schulen. Es geht weiter mit der Integration in den Arbeitsmarkt und in das soziale Umfeld. Die Frauen und Männer, die zu uns kommen, sprechen andere Sprachen, kommen aus anderen Traditionen und haben andere Wurzeln. Es wird Probleme geben. Und Konflikte. Und die Herausforderung, der wir uns stellen, darf nicht klein geredet werden. Das hilft niemandem; schon gar nicht den Flüchtlingen. Unterkünfte müssen schnell geschaffen werden und werden lange das Stadtbild prägen. Wir müssen Kitas und Schulen ausbauen und noch mehr Wohnungen errichten. Wir brauchen Wachstum und Arbeitsplätze. Und die öffentlichen Finanzen werden in ungeplanter und nicht gekannter Höhe in Anspruch genommen. Und weil wir die Größe der Herausforderung genau kennen und nicht unterschätzen, können wir doch sagen: wir kriegen das hin!

Ja, wir werden Unterstützung leisten – und gleichzeitig werden wir Anforderungen stellen: Die demokratische, säkulare und tolerante Gesellschaft, die die Flüchtlinge freundlich aufnimmt, wird sich verändern, aber sie wird auch weiterhin demokratisch, säkular und tolerant sein!

Wir werden darauf bestehen, dass nicht nur Nahrung und Hilfsangebote, sondern auch unsere Werte weiter gegeben werden. Werte von Leistung und Zuverlässigkeit, die unsere Arbeitswelt prägen, freiheitliche Werte, von Selbstbestimmung und Respekt, die den Umgang mit Religion und Sexualität bestimmen und politische Werte der Partizipation und Anerkennung von Opposition.

Meine Damen und Herren,
Deutschland und Hamburg haben aus bitteren Erfahrungen mit Gewalt und Extremismus gelernt. Wir sind Demokraten. Als Demokraten schenken wir denen, die Gewalt und Hass verbreiten, nicht unsere Angst. Wir wollen sie nicht größer machen als sie sind. Sie werden nicht zerstören, was unser Miteinander ausmacht: den Respekt vor der Würde der Menschen.

Weit jenseits unserer Werte- und unserer Rechtsordnung stehen diejenigen, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden und Menschen bedrohen, womöglich gewalttätig angreifen. Weit jenseits von demokratischen Werten stehen auch alle, die Argumente durch Ressentiments ersetzen und die Gesellschaft spalten, statt zu erkennen, dass das Gegenteil gefragt ist: zusammenhalten.

Und ich bin froh, dass in Deutschland eine so deutliche Mehrheit die öffentliche Diskussion bestimmt, die für den Zusammenhalt steht. Und dabei können wir uns auf engagierte Medien, die kontrovers, investigativ und an Fakten orientiert arbeiten, verlassen; Medien, denen es gelingt, ein so hoch emotional besetztes Thema zu strukturieren und die Gefühle trotzdem zuzulassen.

Wir stehen für eine Stadt, die von ihrer Vielfalt und ihrer Weltoffenheit lebt. So sagt es der Aufruf zu dieser Kundgebung, den ein großes Bündnis unterschrieben hat. Und ich füge hinzu: In ganz Deutschland erkennen wir immer klarer, dass die Welt so oder so näher zusammenrückt und dass es gut ist, diese Entwicklung zu gestalten.

Klar ist auch, dass Fortschritte im Kampf gegen Fluchtursachen erzielt werden müssen, auch wenn diese Ursachen komplex und in vielen Fällen der Einfluss Europas gering ist. Mehr Hilfe für die Nachbarländer der Krisengebiete wäre ein Schritt, überhaupt Krisenbewältigung und -prävention. Entwicklungspolitik hat seit jeher ihre Grenzen dort, wo kaum Staatlichkeit besteht, schon gar nicht demokratisch legitimierte, und wo institutionelle Strukturen und die Möglichkeit friedlicher Konfliktlösung stabilisiert oder erst geschaffen werden müssen.

Die vielen Flüchtlinge sind eine gemeinsame Sache Europas. Alle Länder Europas müssen zusammen handeln. Und es ist gut, dass darüber jetzt geredet oder genauer – gestritten – wird. Unsere gemeinsamen Überzeugungen sind ja nicht schon immer da. Sie sind in der offenen Gesellschaft das Ergebnis eines Ringens um den richtigen Standpunkt. Unser Standpunkt ist klar: alle Länder müssen Flüchtlinge aufnehmen. Nicht nur einige wenige.

Hamburg wird einen eigenen Beitrag leisten. Wir konzentrieren – wie das ganze Land – unsere Hilfe auf diejenigen, die zu uns kommen und Schutz vor Verfolgung und Krieg suchen. Wir werden die Herausforderung annehmen und beispielhaft Lösungen finden. Das betrifft aktuell zu allererst die Unterbringung, und zwar die Erstaufnahme und die Folgeunterbringung. Viele Unterkünfte sind durch vereinte Anstrengungen schon geschaffen worden, darunter etliche Zeltdörfer, die hoffentlich nur eine vorübergehende Lösung und keine für die Wintermonate sein werden. Wir werden mit Provisorien leben müssen, das geht gar nicht anders. Weder hier noch sonst wo auf der Welt. Und doch: Wir werden stolz sein können, dass wir uns kümmern, dass wir nicht nachlassen, unsere Kräfte zu bündeln, und gemeinsam anzupacken.

Die Behörden dieser Stadt, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten in diesen Tagen Großes und die Zustimmung und Mithilfe der Hamburgerinnen und Hamburger ist ebenfalls groß, fast an allen Standorten gibt es Unterstützerinitiativen. Ich bitte alle, darin nicht nachzulassen. Und vor allem: Danke!

Ich danke auch für die Initiativen der Handelskammer und der Handwerkskammer, überhaupt der hamburgischen Wirtschaft und vieler einzelner Betriebe. Denn der entscheidende Schlüssel zur Integration besteht in schnellerer und besserer Ausbildung und darin, dass so viele wie möglich in eine berufliche Tätigkeit vermittelt werden.

Hamburg hat seinerseits sein neues Projekt „Work and Integration for Refugees“ vorgestellt, kurz „WIR“. Wir, ein gutes Wort! Es geht darum, vorhandene Qualifikationen abzufragen, alle Personen im erwerbsfähigen Alter zu registrieren und diejenigen mit einer guten Bleibeperspektive in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das heißt unter anderem, die ungefähr 15.000 offenen Stellen für sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten, die es in Hamburg gibt, zu besetzen, wovon alle Seiten etwas haben. Und natürlich ist auch hier das Deutschlernen das A und O. Hamburg wird seine guten Erfahrungen mit der Jugendberufsagentur nutzen.

Meine Damen und Herren,
„Gestern bin ich mit dem Zug aus München, gemeinsam mit hunderten Flüchtlingen gekommen“, das sind die Geschichten die sich Hamburgerinnen und Hamburger heute erzählen. Sie sehen kleine Jungs, die vielleicht aus Syrien kommen und mit kleinen deutschen Fahnen winken, Sie können Geschichte, die gerade passiert, hier erleben: Auf dem Hauptbahnhof, in ihrem Viertel. Sie haben die Chance, der Geschichte Deutschlands ein neues, gutes Kapitel hinzuzufügen.

Es ist eine logistische Herausforderung, es ist eine gigantische finanzielle Herausforderung. Aber all das ist zu schaffen, wenn Sie alle weiter mitmachen.
Deutschland hat sich verändert. Durch Sie.

Meine Damen und Herren,
gleich um 12 Uhr wollen alle Radiosender Hamburgs ein berühmtes Lied spielen, um an den alten und immer neuen Traum zu erinnern:

„Imagine all the people / Living life in peace“

von John Lennon, dem Engländer und vorübergehend Hamburger, dem dieser Traum, diese Erkenntnis, dass wir alle zusammengehören, nicht in die Wiege gelegt wurde. Er hat sich durch trial and error zu dieser Erkenntnis durchkämpfen müssen, und er ist für sie eingestanden, auch gegen mancherlei Hohn, Spott und Anfeindung. Wir alle sollten nicht davor zurückscheuen, uns ständig weiter zu entwickeln, als Einzelne und als Gesellschaft, und dafür einzustehen, dass wir alle zusammengehören und dass wir gerade für die Platz haben, die unsere Hilfe brauchen.

Ich danke Ihnen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Zeitverlust im Unions-Stau: Mindestens 5-20 Jahre.

Mit nur einem Jahrzehnt Verspätung orakelt man in der CDU über die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes. Es folgt, was jede noch so kleine gesellschaftliche Veränderung in der Union auslöst: Ein Gezeter alter Männer. Schlimm ist, dass in der Union von heute als modern gilt, wer die Ideen anderer Parteien Jahre später als richtig erkennt. Ein Blick zurück eröffnet eine trostlose Bilanz: Der Unions-Stau auf der deutschen Zukunftsautobahn führt generell zu Zeitverzögerungen von mindestens 5-20 Jahren.

James Carville, der begnadete Campaigner der US Demokraten und Mastermind der Clinton/Gore-Kampagnen, veröffentlichte einmal ein schönes Buch unter dem Titel „We’re right, they’re wrong“, in dem er historische und aktuelle innenpolitische Positionen der Republikaner mit denen der Demokraten verglich. Das überraschungsfreie Ergebnis: Die Demokraten hatten immer Recht und die Republikaner Unrecht.

Egal ob es um die Einführung einer sozialen Mindestsicherung unter Roosevelt, der Abschaffung der Südstaaten-Apartheid unter Johnson, dem Beginn einer neuen Energiepolitik unter Carter, um Frauenrechte, die Gleichstellung Homosexueller, eine investitionsorientierte Wirtschaftspolitik vs. Trickle-Down-Economics und so weiter und so fort ging – am Ende kam es immer so, wie die Demokraten es gefordert haben. Nur hat es manchmal unglaublich lange gedauert und immer wieder gab es Rückschläge und Zeiten der republikanischen Reaktion, in denen die Uhr mal wieder ein paar Stunden zurückgestellt wurde. Wie es sich für das Buch eines Wahlkämpfers gehört, war es frei von überflüssigem Objektivitätsgeschwurbel und grauzonigem Abwägegewäsch.

Wenn ich die großen Debatten der Gegenwart betrachte, stimmt die Aufteilung in richtig und falsch bei uns in Deutschland nicht weniger, als in den USA. Unser Land könnte schon wesentlich weiter sein und hätte auch einige bedeutende Probleme weniger, wenn ihm nicht ständig ein Bremsklotz namens CDU/CSU am Bein hinge. Es ist sicher nicht ganz falsch, zu erwähnen, dass dieser Bremsklotz ja immer wieder gewählt wird. Aber das tut jetzt hier nichts zur Sache. Es geht nicht um Taktik, sondern um richtig oder falsch.

Richtig ist: Jahrzehntelang hat die Union gegen ein Einwanderungsgesetz polemisiert, die Doppelte Staatsbürgerschaft torpediert, die grobschlächtigsten Wahlkämpfe gegen Einwanderung („Kinder statt Inder“) organisiert und im Bundesrat blockiert – nur damit die Parteivorsitzende im Urlaub jüngst auf den Einkaufszettel schaut und feststellt: „Mensch, doof, jetzt haben wir das Einwanderungsgesetz ganz verdaddelt.“ Ja, liebe Union, es wäre schon echt supi, wenn wir das schon hätten, denn dann müssten wir jetzt nicht mitten in der größten Einwanderungswelle anfangen, daran zu arbeiten. Mit all den Risiken und Nebenwirkungen der Ewiggestrigen aus der CDU-Fraktion.

Da tönt es dann: „Das brauchen wir doch gar nicht, das haben wir doch schon alles irgendwo irgendwie geregelt.“ Klaro. Hier ein Beispiel, wie großartig das geregelt ist: Im Augenblick kann nur problemlos nach Deutschland einwandern, wer ein Arbeitsplatzangebot nachweist, das ein Einkommen von mindestens 47.600 EURO im Jahr garantiert. Oder 3.966 EUR brutto im Monat. Das ist natürlich viel zu viel – auch für manche Fachkräfte. Zu viel ist es aber ganz besonders für diejenigen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Genau die brauchen wir aber. Denn uns fehlen ja junge, arbeitswillige, engagierte Leute, die auch noch eine Familie gründen wollen und einmal genug in unsere Sozialsysteme einzahlen, damit davon später die Rente von den nichtsnutzigen sächsischen Rüpelfaschos finanziert werden kann. Also: geregelt ist vieles, aber leider falsch. Heute gibt es eine breite Front von konservativen Arbeitgebern bis linken Aktivisten für ein Einwanderungsgesetz – haben könnten wir es schon längst. Wenn, ja wenn, CDU/CSU führen würden, statt so lange rumzueiern bis der letzte Mostkopp die Zeichen der Zeit erkennt. Zeitverlust: Mindestens 10 Jahre.

Gut, das war jetzt etwas lange, daher kürzer weiter im Text:

Energiewende: Rot/Grün organisiert den Atomausstieg, Schwarz-Gelb dreht die Uhr zurück. Bum-zack explodiert ein Kernkraftwerk in Japan und es kommt die überhastete und in schlampiger Hektik verabschiedete Doppel-Volte. Wir wären schon weiter und unsere Energieunternehmen nicht in solchen Schwierigkeiten, wenn man den von Rot/Grün ausgehandelten Ausstieg einfach anerkannt hätte. Obendrauf kommen auch noch 2-3 Seehofersche Zickenbaustellen um Stromtrassen linksrum, rechtsrum, obenrum oder untendurch. Zeitverlust: Mindestens 5 Jahre.

Frauenquote, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern: Hin und her seit 20 Jahren, am Ende findet man in der CDU 2009 noch die einzige junge Frau, die bereit ist, aktiv gegen die Interessen junger Frauen zu arbeiten und macht sie unter Schwarz/Gelb zur Anti-Frauenministerin. Zeitverlust: Mindestens 10 Jahre.

Gleichstellung Homosexueller, oder vulgo: Homoehe: Das einst fortschrittliche Deutschland lässt sich von Irland, Argentinien, Uruguay, den USA und sonst so ziemlich der gesamten westlichen Welt überholen. Doch die Bremsklotz-Union kassiert lieber eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht nach der anderen. So kommen die Menschen irgendwann doch noch zu ihrem Recht. Nur eben unter größtmöglichen Schmerzen für alle – einschließlich der CDU, die es in Berlin durch akute Führungsschwäche auch noch geschafft hat, ihr Mäandern in der peinlichsten Mitgliederbefragung der Weltgeschichte zu manifestieren. Hier gab es, wenn ich es recht erinnere, sieben (7!) Antwortmöglichkeiten auf die eine Frage: Sind Sie schwul? 1. Sehr. 2. Meistens. 3. Nur mit Männern. 4. Wir sind nur gute Freunde 5. Unter der Bettdecke, wenn das Licht aus ist. 6. Wenn ich damit Regierender Bürgermeister werde, gerne. 7. Im Beichtstuhl. Zeitverlust: Mindestens 7 Jahre.

Kitaplätze, Ganztagsschulen: Was für ein ewiger Krampf der Union. Mit härtesten Bandagen über Jahrzehnte in den Bundesländern ausgetragen. Arbeitende Mütter = Rabenmütter, Ganztagsschulen = Abschiebehöfe. Kein Argument zu blöde, kein Vorurteil zu dämlich. Darunter leiden viele Familien in den Ländern, die von der Union regiert wurden, heute noch. Und in Bayern suchen sie immer noch den Ausgang aus dem Gestern. Zeitverlust: Mindestens 20 Jahre.

Turbo-Abi und Turbo-Uni. Wahrscheinlich eine der dümmsten Ideen der Welt mitten im demographischen Wandel. Man weiß, dass die Kids von heute später einmal viel fitter sein werden und vermutlich auch länger arbeiten, klaut ihnen aber noch ein Jahr Jugend und schaufelt dafür Turbo-Teenage-Akademiker auf den Arbeitsmarkt. Sinn: Keiner. Unruhe: Massiv. Zeitverlust: Unermesslich, wie viel Zeit und Stress in diesen Quatsch investiert wurde.

Mindestlohn. Ein ewiger Kampf, ein ewiger Krampf. Dann ist er endlich da und die letzten Bremser der Union führen immer noch unnötige Rückzugsgefechte. Nervfaktor: Enorm. Und immer wieder tut sich die Union schwer damit, auch nur irgend etwas in Richtung sozialer Gerechtigkeit und Arbeitnehmerrechte zu unternehmen. Alles wird torpediert, nichts passt, alles geht angeblich auf Kosten der Wirtschaft, der Bauern, vor allem aber der alten grantigen Männer. Zeitverlust: Mindestens 5 Jahre.

Das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Katalog der verpatzten Chancen, hervorgerufen durch meinen ärztlichen Fernbefund der Union: Akute Reaktionitis. Wenn sich in dieser Bundesregierung überhaupt etwas bewegt, dann ist dies alleine den Initiativen des Koalitionspartners zu verdanken oder es handelt sich noch um eine Spätfolge der Rot/Grünen Regierungsjahre, in denen der Reformstau von 16 Jahren CDU/CSU aufgearbeitet werden musste.

Es wird Zeit, der Union endlich ihren verdienten Platz als Halbtagsfossil im Heimatmuseum zuzuweisen, statt sie weiter als Vollzeit-Bremsklotz nutzlos im Weg stehen zu lassen. Ich weiß, es sind noch zwei Jahre, aber es ist Sommer, es ist heiß, die Leine ist zu kurz und das Halsband scheuert… We’re right, they’re wrong. Now let me off the leash!