Zeitverlust im Unions-Stau: Mindestens 5-20 Jahre.

Mit nur einem Jahrzehnt Verspätung orakelt man in der CDU über die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes. Es folgt, was jede noch so kleine gesellschaftliche Veränderung in der Union auslöst: Ein Gezeter alter Männer. Schlimm ist, dass in der Union von heute als modern gilt, wer die Ideen anderer Parteien Jahre später als richtig erkennt. Ein Blick zurück eröffnet eine trostlose Bilanz: Der Unions-Stau auf der deutschen Zukunftsautobahn führt generell zu Zeitverzögerungen von mindestens 5-20 Jahren.

James Carville, der begnadete Campaigner der US Demokraten und Mastermind der Clinton/Gore-Kampagnen, veröffentlichte einmal ein schönes Buch unter dem Titel „We’re right, they’re wrong“, in dem er historische und aktuelle innenpolitische Positionen der Republikaner mit denen der Demokraten verglich. Das überraschungsfreie Ergebnis: Die Demokraten hatten immer Recht und die Republikaner Unrecht.

Egal ob es um die Einführung einer sozialen Mindestsicherung unter Roosevelt, der Abschaffung der Südstaaten-Apartheid unter Johnson, dem Beginn einer neuen Energiepolitik unter Carter, um Frauenrechte, die Gleichstellung Homosexueller, eine investitionsorientierte Wirtschaftspolitik vs. Trickle-Down-Economics und so weiter und so fort ging – am Ende kam es immer so, wie die Demokraten es gefordert haben. Nur hat es manchmal unglaublich lange gedauert und immer wieder gab es Rückschläge und Zeiten der republikanischen Reaktion, in denen die Uhr mal wieder ein paar Stunden zurückgestellt wurde. Wie es sich für das Buch eines Wahlkämpfers gehört, war es frei von überflüssigem Objektivitätsgeschwurbel und grauzonigem Abwägegewäsch.

Wenn ich die großen Debatten der Gegenwart betrachte, stimmt die Aufteilung in richtig und falsch bei uns in Deutschland nicht weniger, als in den USA. Unser Land könnte schon wesentlich weiter sein und hätte auch einige bedeutende Probleme weniger, wenn ihm nicht ständig ein Bremsklotz namens CDU/CSU am Bein hinge. Es ist sicher nicht ganz falsch, zu erwähnen, dass dieser Bremsklotz ja immer wieder gewählt wird. Aber das tut jetzt hier nichts zur Sache. Es geht nicht um Taktik, sondern um richtig oder falsch.

Richtig ist: Jahrzehntelang hat die Union gegen ein Einwanderungsgesetz polemisiert, die Doppelte Staatsbürgerschaft torpediert, die grobschlächtigsten Wahlkämpfe gegen Einwanderung („Kinder statt Inder“) organisiert und im Bundesrat blockiert – nur damit die Parteivorsitzende im Urlaub jüngst auf den Einkaufszettel schaut und feststellt: „Mensch, doof, jetzt haben wir das Einwanderungsgesetz ganz verdaddelt.“ Ja, liebe Union, es wäre schon echt supi, wenn wir das schon hätten, denn dann müssten wir jetzt nicht mitten in der größten Einwanderungswelle anfangen, daran zu arbeiten. Mit all den Risiken und Nebenwirkungen der Ewiggestrigen aus der CDU-Fraktion.

Da tönt es dann: „Das brauchen wir doch gar nicht, das haben wir doch schon alles irgendwo irgendwie geregelt.“ Klaro. Hier ein Beispiel, wie großartig das geregelt ist: Im Augenblick kann nur problemlos nach Deutschland einwandern, wer ein Arbeitsplatzangebot nachweist, das ein Einkommen von mindestens 47.600 EURO im Jahr garantiert. Oder 3.966 EUR brutto im Monat. Das ist natürlich viel zu viel – auch für manche Fachkräfte. Zu viel ist es aber ganz besonders für diejenigen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Genau die brauchen wir aber. Denn uns fehlen ja junge, arbeitswillige, engagierte Leute, die auch noch eine Familie gründen wollen und einmal genug in unsere Sozialsysteme einzahlen, damit davon später die Rente von den nichtsnutzigen sächsischen Rüpelfaschos finanziert werden kann. Also: geregelt ist vieles, aber leider falsch. Heute gibt es eine breite Front von konservativen Arbeitgebern bis linken Aktivisten für ein Einwanderungsgesetz – haben könnten wir es schon längst. Wenn, ja wenn, CDU/CSU führen würden, statt so lange rumzueiern bis der letzte Mostkopp die Zeichen der Zeit erkennt. Zeitverlust: Mindestens 10 Jahre.

Gut, das war jetzt etwas lange, daher kürzer weiter im Text:

Energiewende: Rot/Grün organisiert den Atomausstieg, Schwarz-Gelb dreht die Uhr zurück. Bum-zack explodiert ein Kernkraftwerk in Japan und es kommt die überhastete und in schlampiger Hektik verabschiedete Doppel-Volte. Wir wären schon weiter und unsere Energieunternehmen nicht in solchen Schwierigkeiten, wenn man den von Rot/Grün ausgehandelten Ausstieg einfach anerkannt hätte. Obendrauf kommen auch noch 2-3 Seehofersche Zickenbaustellen um Stromtrassen linksrum, rechtsrum, obenrum oder untendurch. Zeitverlust: Mindestens 5 Jahre.

Frauenquote, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern: Hin und her seit 20 Jahren, am Ende findet man in der CDU 2009 noch die einzige junge Frau, die bereit ist, aktiv gegen die Interessen junger Frauen zu arbeiten und macht sie unter Schwarz/Gelb zur Anti-Frauenministerin. Zeitverlust: Mindestens 10 Jahre.

Gleichstellung Homosexueller, oder vulgo: Homoehe: Das einst fortschrittliche Deutschland lässt sich von Irland, Argentinien, Uruguay, den USA und sonst so ziemlich der gesamten westlichen Welt überholen. Doch die Bremsklotz-Union kassiert lieber eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht nach der anderen. So kommen die Menschen irgendwann doch noch zu ihrem Recht. Nur eben unter größtmöglichen Schmerzen für alle – einschließlich der CDU, die es in Berlin durch akute Führungsschwäche auch noch geschafft hat, ihr Mäandern in der peinlichsten Mitgliederbefragung der Weltgeschichte zu manifestieren. Hier gab es, wenn ich es recht erinnere, sieben (7!) Antwortmöglichkeiten auf die eine Frage: Sind Sie schwul? 1. Sehr. 2. Meistens. 3. Nur mit Männern. 4. Wir sind nur gute Freunde 5. Unter der Bettdecke, wenn das Licht aus ist. 6. Wenn ich damit Regierender Bürgermeister werde, gerne. 7. Im Beichtstuhl. Zeitverlust: Mindestens 7 Jahre.

Kitaplätze, Ganztagsschulen: Was für ein ewiger Krampf der Union. Mit härtesten Bandagen über Jahrzehnte in den Bundesländern ausgetragen. Arbeitende Mütter = Rabenmütter, Ganztagsschulen = Abschiebehöfe. Kein Argument zu blöde, kein Vorurteil zu dämlich. Darunter leiden viele Familien in den Ländern, die von der Union regiert wurden, heute noch. Und in Bayern suchen sie immer noch den Ausgang aus dem Gestern. Zeitverlust: Mindestens 20 Jahre.

Turbo-Abi und Turbo-Uni. Wahrscheinlich eine der dümmsten Ideen der Welt mitten im demographischen Wandel. Man weiß, dass die Kids von heute später einmal viel fitter sein werden und vermutlich auch länger arbeiten, klaut ihnen aber noch ein Jahr Jugend und schaufelt dafür Turbo-Teenage-Akademiker auf den Arbeitsmarkt. Sinn: Keiner. Unruhe: Massiv. Zeitverlust: Unermesslich, wie viel Zeit und Stress in diesen Quatsch investiert wurde.

Mindestlohn. Ein ewiger Kampf, ein ewiger Krampf. Dann ist er endlich da und die letzten Bremser der Union führen immer noch unnötige Rückzugsgefechte. Nervfaktor: Enorm. Und immer wieder tut sich die Union schwer damit, auch nur irgend etwas in Richtung sozialer Gerechtigkeit und Arbeitnehmerrechte zu unternehmen. Alles wird torpediert, nichts passt, alles geht angeblich auf Kosten der Wirtschaft, der Bauern, vor allem aber der alten grantigen Männer. Zeitverlust: Mindestens 5 Jahre.

Das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Katalog der verpatzten Chancen, hervorgerufen durch meinen ärztlichen Fernbefund der Union: Akute Reaktionitis. Wenn sich in dieser Bundesregierung überhaupt etwas bewegt, dann ist dies alleine den Initiativen des Koalitionspartners zu verdanken oder es handelt sich noch um eine Spätfolge der Rot/Grünen Regierungsjahre, in denen der Reformstau von 16 Jahren CDU/CSU aufgearbeitet werden musste.

Es wird Zeit, der Union endlich ihren verdienten Platz als Halbtagsfossil im Heimatmuseum zuzuweisen, statt sie weiter als Vollzeit-Bremsklotz nutzlos im Weg stehen zu lassen. Ich weiß, es sind noch zwei Jahre, aber es ist Sommer, es ist heiß, die Leine ist zu kurz und das Halsband scheuert… We’re right, they’re wrong. Now let me off the leash!

Von Helikoptern und Furzkissen

Für die neue Ausgabe von SPIEGEL WISSEN mit dem Schwerpunkt Kommunikation, hat mich Jan Fleischhauer im Büro von BUTTERBERLIN besucht. Wir hätten uns grundsätzlich natürlich sehr viel zu sagen gehabt, blieben aber sachlich. Also –  er zumindest. Als kleiner Teaser drei Fragen/Antworten aus dem Interview. Das ganze Gespräch gibt es natürlich nur im Heft. Denn wir lieben Print!

SPIEGEL: Es ist in der Nachkriegsgeschichte erst zweimal gelungen, einen amtierenden Kanzler durch eine Wahl aus dem Amt zu vertreiben: Kohl 1998 durch Schröder, und dann Schröder sieben Jahre später durch Merkel. Warum ist es so schwer, über Wahlen eine Veränderung an der Spitze herbeizuführen?

Stauss: Der Herausforderer hat im Gegensatz zum Amtsinhaber noch nichts bewiesen, deshalb hängt für ihn auch so viel vom Wahlkampf ab. Bei dem Oppositionskandidaten ist die Art und Weise, wie er angreift, ein Hinweis an die Öffentlichkeit, ob er regierungsfähig ist. Wenn einer nicht im Stande ist, seine Kampagne zusammenzuhalten, warum sollte er dann in der Lage sein, ein Land zu regieren?

SPIEGEL: Das heißt, Fehler wiegen bei dem Herausforderer doppelt so schwer?

Stauss: Mindestens. Rudolf Scharping hat 1994 im Wahlkampf in einer Rede Brutto- und Nettobeträge verwechselt. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft Helmut Kohl irgendwas verwechselt hat. Aber das war bei Kohl völlig irrelevant, der war bereits Kanzler. Bei Scharping hingegen hat das sofort durchgeschlagen. Dann kamen noch zwei weitere Geschichten, und er war erledigt.

SPIEGEL: Würden Sie den Auftrag annehmen, den nächsten Wahlkampf gegen Angela Merkel zur führen? Vielen in der Opposition erscheint die Kanzlerin so unangreifbar, dass sie sich Gedanken machen, wer als Fallobst gegen sie antreten könnte.

Stauss: Ich halte Merkel gar nicht für so unschlagbar…. Wenn Sie gegen Merkel gewinnen wollen, dürfen Sie aber nicht vorsichtig anklopfen. Sie dürfen auch nicht den gleichen Baldriantee zum Frühstück trinken wie sie. Das muss eine Schlacht werden, die alle wachrüttelt, mit Pauken, Trompeten, Flugzeugträgern, Helikoptern, Furzkissen und Konfetti. Man schläft sich verdammt noch mal nicht ins Kanzleramt.

Auszug aus: SPIEGEL WISSEN 3/2015: „Versteh mich nicht falsch – Erfolgreiche Kommunikation in der Liebe, im Beruf, in der digitalen Welt.” Frank Stauss im Gespräch mit Jan Fleischhauer: “Wir überschätzen Charisma.”, Seiten 94-98.

 

Liebe in Zeiten der Saarländischen Inquisition

Folgen Sie mir auf eine persönliche Erfahrungsreise von Montevideo über das Königreich Spanien, Berliner Hinterhöfe, die Windy City am Lake Michigan bis hin zum Mordor der Homo-Ehe: Saarbrücken.

Als mein Mann und ich vor jetzt auch schon wieder zwei Jahren im Souterrain der Botschaft des Königreichs Spanien am Berliner Tiergarten saßen, ahnten wir nicht, dass wir diesen Ort in nur wenigen Minuten peinlich berührt und bis auf die Knochen blamiert wieder verlassen würden. Im Fußballerjargon würde man sagen: Wir wurden deklassiert. Denn als wir dem zuständigen Konsul zur Beurkundung eines Vertrages unsere Lebenspartnerschaftsurkunde aushändigten, verstieg ich Trottel mich zu dem Kommentar: „Wir sind ja quasi verheiratet, aber bei uns heißt das Lebenspartnerschaft. Aber wir würden gerne gemeinsam beurkunden, ich hoffe, das geht bei Ihnen in Spanien.“ Der Konsul hatte kurz zuvor den Raum betreten und Aufgrund seines sehr konservativen Äußeren, des dunklen Anzuges, der gegelten Haare, der Siegel, Orden, Ringe, Bänder um und an ihm und vermutlich auch des Königs an der Wand hinter ihm, war ich so hin und hergerissen gewesen, dass ich nicht wusste, ob ich zur Begrüßung salutieren, niederknieen oder drei Ave Maria beten sollte. Also hatte ich mich nur halb erhoben und war nach seiner abwehrenden Haltung wieder zurück auf die Sünderbank geplumpst. Dieser Bilderbuch-Diplomat blickte mich nun also milde lächelnd an und sagte: „Herr Stauss, ich weiß natürlich was das ist. Natürlich wird ihre Lebenspartnerschaft bei uns anerkannt. In Spanien heißt das Ehe und ist auch eine Ehe. Wir sind da, wenn Sie erlauben, etwas weiter als Ihr Land.“

Nach Beurkundung kroch ich beschämt durch die Sicherheitsschleuse, zurück aus dem Hoheitsgebiet dieses freien Landes in mein dunkles Deutschland. Als Werber dachte ich noch an einen Slogan: „Gay Marriage. Proudly presented by the homeland of the Spanish Inquistion.“

Die waren also schon weiter. Na gut. Wenig später las ich von der Einführung der Homoehe in Uruguay und kaufte mir einen Atlas. 71 von 92 Abgeordneten hatten dort im April 2013 für die Einführung der Homoehe gestimmt und waren damit gleichgezogen mit dem Nachbarland Argentinien. Argentinien? 71 von 92? Und nun auch noch Irland. IRLAND?

Jetzt bin ich wieder in Deutschland angelangt und höre die Ministerpräsidentin eines Bundeslandes in Bezug auf die Homoehe zu Protokoll geben: „Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen.“ Homoehe = Inzest = Polygamie.

Das war es, denke ich auch, was die Mehrheit der Iren, die Abgeordneten in Uruguay, Spanien und vieler anderer Ländern angetrieben hat: Sie wollten einfach, dass enge Verwandte sich über ihre enge Verwandtschaft hinaus ehelichen können und am besten nicht nur der Bruder die Schwester, sondern der Bruder gleich zwei – ach was – alle drei Schwestern! Das hatte der Ire doch im Sinn!

Wenn man das Trauerspiel schon ein Weilchen mitmacht, härtet man naturgemäß etwas ab. Da kann man auch mit der Analyse einer durchgeknallten Ratgeberin im Westfalen-Blatt leben, die einem Vater rät, seine Kinder von der Hochzeit seines eigenen Bruders fern zu halten. „Sagen Sie Ihrem Bruder, dass Ihre Kinder an der Feier nicht teilnehmen, weil Sie nicht möchten, dass die Kinder verwirrt werden“. Das hätten wir auch berücksichtigen sollen. Als meine Schwester und mein Schwager die damals 9 und 11-jährigen Kinder mit zu unserer Hochzeit brachten, musste man davon ausgehen, dass sie nachhaltig davon verwirrt würden. Heute leben beide ihre Heterosexualität offen aus und wir können nichts mehr dagegen tun.

Man nimmt, wie gesagt, so einiges mit. Am liebsten ist mir immer noch die „Vorbildsvariante“. Also die These: wenn die Kinder sehen, dass Schwule und Lesben einfach so gut zusammenleben können, dann werden alle schwul und lesbisch. Ja sicher, das macht ja Sinn. Und bedeutet im Umkehrschluss? Dass die, die heute schon schwul und lesbisch sind, sich eines Tages dazu entschlossen haben, weil es so super ist, zu einer Minderheit zu gehören? Weil es schon immer Spaß machte, sich das saudumme Gequatsche vom Nachbartisch oder aus der Staatskanzlei des Saarlandes oder direkt von der Kanzlerin in einer TV-Debatte anzuhören?

Gefolgt von der „Vorbildsvariante“ kommt auf Platz zwei die „Toleranzvariante“. Diese lautet: „Die können doch machen was sie wollen, so lange sie es nicht nach außen tragen. Was im Schlafzimmer passiert geht schließlich keinen was an.“ Die Ehe dieser Leute spielt sich also nur im Schlafzimmer ab. Kein Kuß auf dem Bahnsteig, kein gemeinsames Abendessen bei Kerzenschein beim Italiener, kein gemeinsamer Besuch bei Freunden, kein Tasten nach der Hand des Partners im Kino, keine Reisen, keine Sorge um den Partner, wenn es ihm nicht gut geht, keine gemeinsamen Kinder, keine gemeinsame Wohnung – nur ständiger, heißer, animalischer Sex. Ehe und Partnerschaft so eng auf das Schlafzimmer zu reduzieren, wird vielen von uns Schwulen den Neid ins Gesicht treiben. Aber gut, wir sind ja tolerant. Und offenbar auch noch hoffnungslos romantisch.

Den Spaß verlieren kann man natürlich beim Thema Kinder. Besagte Ministerpräsidentin kommt zu dem Schluss „Seit Jahren heißt es, dass für die Entwicklung von Kindern Vater und Mutter die beste Konstellation ist.“ Tja. Kann sein. Und? Heißt das, dass alle anderen Varianten ins Unheil führen? Was bedeutet das für Alleinerziehende? Eine Zwangsehe? Werden im Saarland bald alleinerziehende Mütter und alleinerziehende Väter willkürlich verehelicht? Seit Jahren werben übrigens viele Bundesländer sogar in Plakatkampagnen um schwule Pflegeeltern. In Deutschland werden im Jahr etwa 40.000 Kinder von den Jugendämtern aus ihren Familien geholt. Wir können einmal davon ausgehen: diese Familien bestehen aus Vater und Mutter. Scheint ja nicht so doll zu laufen in diesen konkreten Fällen. Aber wohl nach Ansicht der Ministerpräsidentin immer noch besser, als wenn zwei Männer oder zwei Frauen sich um die verwahrlosten Kinder kümmern würden.

Wir haben in unserem Freundeskreis drei schwule Paare mit Kindern und selbst eine Pflegepatenschaft für zwei Kinder. Soweit ich das beurteilen kann, fühlen sich alle Beteiligten sehr, sehr wohl. Unsere Freunde aus Amerika durften natürlich voll adoptieren. Das Paar in Chicago hat ein mittlerweile 12-Jähriges Mädchen noch als Baby adoptiert. Die Mutter, die ihr Kind aus gesundheitlichen Gründen zur Adoption frei gab, hat meine Freunde aus dem Angebot mehrerer Adoptionswilliger mit den Worten ausgesucht: „Die beiden freuen sich bestimmt am meisten über meine Tochter.“ Ob sich andere nicht genauso gefreut hätten, möchte ich gar nicht beurteilen, aber auf jeden Fall hat die Kleine es sehr, sehr gut getroffen. Und hier kommt das nächste Argument ins Spiel: der Doppelte Vorurteilsrittberger mit Rückwärtssalto: „Ja, jetzt geht es den Kindern noch gut. Aber wenn sie in die Schule kommen, dann werden sie gemobbt, weil sie zwei Männer als Vater haben.“ Nun, in der Schule werden viele gemobbt. Und Schuld sind dann also die Eltern der Mobbingopfer. Weil sie ihr rothaariges Kind in die Schule lassen, oder ihr kleines Mathegenie, oder das schwarze Mädchen. Oder sind nicht eher die Eltern der Mobber dafür verantwortlich, dass ihre Kinder andere Mobben? Mit den Vorurteilen, die sie zu Hause vorserviert bekommen? Von besagten Kindern unserer schwulen Freunde sind jetzt schon einige in der Schule und alles läuft völlig normal. Wie so oft handelt es sich also auch hier um das eigene Vorurteil, aus dem man dann ein abstraktes „Kindeswohl“ macht. Ebenso perfide wie durchschaubar und eines einigermaßen gebildeten Menschen unwürdig.

Auch in unserer Reihenhaussiedlung ist nun bekannt, dass unsere Jungs seit drei Jahren regelmäßig bei uns sind. Mit dem Effekt, dass die Nachbarn nun auch ihre Kinder bei uns zwischenparken, um mal in Ruhe einkaufen zu können. Oder einfach nur, um in Ruhe Ruhe zu haben. Als mein Mann und ich vor kurzem vor die Türe traten fragte ein neues Nachbarkind: „Wohnt ihr beiden denn zusammen in dem Haus?“. Bevor wir antworten konnten rief eine Fünfjährige: „Das sind doch Daniel und Frank. Die sind doch verheiratet.“ Es könnte so einfach sein.