Seehofers AfD, Klöckners Schande.

Spielen wir einmal einen kurzen Augenblick mit dem Gedanken, Horst Seehofer hätte die Kanzlerin einfach so lautstark unterstützt, wie er sie tatsächlich bekämpft hat. Diese Theorie erörtere ich heute mit Heiner Geißler, Julia Klöckner und dem Außenminister der Republik Österreich.

Heiner Geißler sagte heute früh um kurz nach 7 Uhr auf dem Weg zur Arbeit zu mir: „Die CSU – insbesondere Seehofer – hat mit ihrer öffentlichen Stellungnahme sozusagen die Stichworte geliefert für Pegida und auch die AfD, indem sie die Kanzlerin konterkariert haben mit der unbewiesenen Behauptung „Wir schaffen es nicht.“

Ich nickte eifrig und kurz bevor wir in die Tiefgarage fuhren, fügte Geißler noch hinzu: „Dieses ‚Wir schaffen es nicht’ und die Befürchtung, wir kämen ins Chaos, hat natürlich dazu geführt, dass viele Leute gesagt haben: ‚Den Rechtsradikalen glauben wir nicht, aber wenn so einer wie Seehofer oder wenn die CSU solche Meinungen äußert, dann muss ja etwas dran sein’.“

Dann hatte ich leider keinen Empfang mehr. Im Büro hörte ich mir auch noch den Anfang des Interviews im RBB Inforadio an (zum Interview geht es hier). Und um es nochmal auf den Punkt zu bringen, fragte der Journalist: „Hätte denn eine geschlossene Union den Erfolg auch von Rechtspopulisten in Deutschland verhindern können?“ Antwort Heiner Geißler: „Das ist ganz sicher so. … Die Kritik von Seehofer an Merkel war ja der Beginn dieser ganzen psychologischen Verirrung, in die wir in der Flüchtlingsfrage hineingekommen sind.“

Nehmen wir dieses offene Gespräch mit dem früheren CDU-Generalsekretär doch zum Anlass, uns einmal vorzustellen, wie nicht nur die Wahlen, sondern vielleicht sogar die Europäische Union durch die Attacken von Seehofer auf die Kanzlerin negativ beeinflusst wurden.

Vielen ist ja noch das Bild vor Augen, als in der Finanzkrise Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück geschlossen vor die Kameras traten und der deutschen Öffentlichkeit versicherten: „Ihre Sparbücher sind sicher. Gehen Sie nicht in die Bank, ziehen Sie nicht ihr Geld ab, gehen Sie nicht über Los und ziehen Sie auch keine Ereigniskarte, denn: es wird nichts passieren. Alles ist gut.“ Das hat funktioniert und alles ist gut.

Jetzt das Wunsch-Bild vom September 2015: Die Vorsitzenden der Dreiparteienkoalition stehen vor uns. Die Bundeskanzlerin, der Wirtschaftsminister und der bayerische Ministerpräsident. Sie sagen: „Es kommen jetzt viele Menschen zu uns, die unsere Hilfe brauchen. Darauf sind wir nicht zu 100% vorbereitet und es wird sicher in den ersten Wochen oder auch Monaten zu Problemen kommen. Aber wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass erst die Unterbringung und dann auch die Integration gelingen werden. Wir drei versichern Ihnen: Mit vereinten Kräften werden wir diese Herausforderung meistern, so dass wir alle stolz auf unser Land sein können. Gleichzeitig arbeiten wir an einer europäischen Lösung, die langfristig zur Entspannung der Lage beitragen wird. Als Sofortmaßnahmen leiten wir folgenden 10-Punkte-Plan ein: …“

Natürlich hätten sie dann in Dresden dennoch Galgen durch die Gegend getragen und im Erzgebirge gezündelt. Aber die Verunsicherung insgesamt wäre wesentlich geringer gewesen.

Ich gehe sogar noch weiter: Seehofer, die CSU und ihre Verbündeten in der CDU wie Wolfgang Bosbach, Julia Klöckner, Guido Wolf etc. haben die Verhandlungsposition der Kanzlerin in Europa nachhaltig geschwächt.

Die Zerrüttung der CDU wurde von Merkels Gegnern in Europa sofort aufgegriffen und es wurde immer weiter Zwietracht gesät. Höhepunkt: Die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Julia Klöckner, lädt den Außenminister Österreichs ein, um gemeinsam mit ihr in Rheinland-Pfalz Wahlkampf gegen die deutsche Kanzlerin zu machen. Das muss man einmal zusammenbringen. Angela Merkel sagt dem SWR im Interview: „Ich bin Österreich nicht dankbar.“ Und Frau Klöckner macht mit eben diesem Repräsentanten der Republik Österreich Wahlkampf. Wer soll das verstehen? Welches Bild gibt das ab? Wie unpatriotisch kann man als Repräsentantin der Regierungspartei CDU denn agieren?

Merkel-Austria

Kurz & Klein

Kurz in RLP

Quelle: Die Welt

Es ist das gute Recht der Regierung Österreichs, eine andere Meinung zu vertreten als die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Es ist auch durchaus üblich, mit befreundeten Parteien aus dem Ausland Wahlkampf in Deutschland zu machen. Und die ÖVP ist auch nicht die FPÖ (immerhin habe ich auch schon mal für die ÖVP gearbeitet). Aber in diesem Fall macht man doch in einer sowieso schon kritischen Phase nicht gegen die eigene Parteivorsitzende Wahlkampf! Das nennt man zwar „Friendly Fire“ ist aber trotzdem tödlich. Niemand zwingt Julia Klöckner dazu, Herrn Kurz oder Herrn Seehofer in ihren Wahlkampf einzuladen und gegen die eigene Bundesregierung und die eigene Parteivorsitzende Stellung zu beziehen. Mal ganz abgesehen davon, dass kein Mensch weiß, was die CSU in dieser Bundesregierung eigentlich noch macht. Haltung beweist sie jedenfalls nicht, wenn sie ständig beißt, aber weiter am Kabinettstisch sitzen will.

Gemessen an diesen Verwirrungen ist die Bevölkerung in Deutschland noch sehr stabil. Siehe hierzu auch meinen Beitrag „Bitte leiser kreischen..“

Wie würde die Welt heute aussehen, wenn Seehofer und Co unser Land nicht gespalten, verunsichert und einige Wähler sogar den Rechtspopulisten in die Arme getrieben hätten?

Eine schöner Gedanke. Und vielleicht noch nicht zu spät.

Geissler-rbb

Der Trend heißt Dreyer.

Um den desaströsen Auftritt von Julia Klöckner im TV-Duell gegen Malu Dreyer einordnen zu können, muss man nur die aktuellen Zahlen der Institute mit denen vor dem Duell vergleichen.

Wenn man sich eine gute Weile mit Wahlkämpfen und TV-Duellen beschäftigt, entwickelt man schon ein ganz gutes Gespür dafür, wie es am Ende gelaufen ist. Man kennt auch so ziemlich alle Methoden, um danach mögliche Sieger und Verlierer zu ermitteln. Sofern es welche gibt. Die meisten Duelle enden im Patt. Nicht so am vergangenen Dienstag, den 1.3. im Sendegebäude des SWR in Mainz. Als die Sendung zu Ende war, dachte und sagte ich: „Das sollte reichen, um stärkste Partei zu werden.“ Frau Klöckner war von der ersten Minute an fahrig und mangelhaft vorbereitet auf die naheliegendsten Fragen zu den Widersprüchen ihrer Flüchtlingspolitik. Von den ersten schlimmen fünf Minuten der Debatte hat sie sich nie wieder erholt und warf zum Ende hin nur noch zusammenhanglos mit Schlagwörtern aus ihrem Wahlkampfsetzkasten um sich. Mit diesen antrainierten Satzbausteinen kommt man in einer 5er Runde der üblichen TV-Talkshows vielleicht durch, aber nicht in einer einstündigen TV-Debatte. So etwas muss man wissen und ernst nehmen.

Und jetzt sehen wir die Auswirkungen der Niederlage von Frau Klöckner. Gerade kamen die frischen Zahlen der Institute. Am längsten, nämlich bis spät in den Donnerstag Abend hinein war die Forschungsgruppe Wahlen (FGW) im Auftrag des ZDF im Feld. Und je länger sie im Feld war, desto klarer ging die CDU nach unten und die SPD nach oben. Am Ende war der Vorsprung der CDU auf die SPD seit der letzten Erhebung der FGW von 7% auf 1% zusammengeschmolzen. Infratest Dimap war nicht ganz so lange im Feld, dort schmolz der Vorsprung der CDU von zuletzt 4% auf jetzt 2%.

Forschungsgruppe Wahlen: CDU: 35% (-3%), SPD: 34% (+ 3%). Abstand: von 7% auf 1%. Und der Trend setzt sich fort.

Das sind mitten im Wahlkampfendspurt tektonische Verschiebungen. Und sie können nur eine Ursache haben: Julia Klöckner hat das TV-Duell gegen Malu Dreyer nicht nur ein wenig verloren, sondern krachend. Der unmittelbar während der Sendung mit einer NICHT repräsentativen Untersuchung gemessene „kleine“ Sieg von Malu Dreyer, muss in Wirklichkeit ein sehr, sehr großer gewesen sein.

Einen solchen Swing zwischen den Erhebungen vor und nach dem Duell erlebte ich zuletzt im Bundestagswahlkampf 2005 zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel. Dort lagen uns repräsentative Untersuchungen von vier Instituten unmittelbar nach dem Duell vor. Der Sieg Schröders bewegte sich damals in Dimensionen von 16-33% Vorsprung auf Frau Merkel. Danach verlor die CDU in der nächsten Umfrage 2% und die SPD gewann 2% hinzu. Diese Entwicklung setzte sich dann so fort, dass der Vorsprung der Union in den verbleibenden Tagen von 13% auf 1% zusammenschmolz. Interessant war damals auch, dass in den Tagen danach der Sieg Schröders bei den Befragten noch höher ausfiel. Das bedeutet: am Arbeitsplatz und im Freundeskreis wurde im persönlichen Gespräch Schröder noch deutlicher favorisiert als am Sendetag selbst gemessen. So eine Entwicklung findet jetzt gerade auch in Rheinland-Pfalz statt.

In Rheinland-Pfalz haben wir keine repräsentative „Duell-Messung“ vorliegen, aber wir können eben anhand des vorliegenden Swings sehr klar feststellen: Die 400.000 Zuschauer des Duells haben offensichtlich nicht nur Malu Dreyer als klare Siegerin gesehen, sondern sie sprechen auch jetzt noch darüber am Arbeitsplatz und im Freundeskreis. Denn der Niedergang der CDU setzt sich wie erwähnt weiter fort, was darauf deutet, dass sich immer mehr Unentschiedene für Dreyer entscheiden. Und Infratest betont in der Bewertung der Direktwahlfrage (Dreyer 50%, Klöckner 30%), dass Dreyer besonders in den Tagen nach dem TV-Duell ihren Vorsprung weiter ausbauen konnte.

Vor allem aber passiert jetzt auch verstärkt, was ich bisher als unmöglich betrachtete: Es wechseln Wähler direkt von der CDU zur SPD. Demnach will jetzt selbst jeder 5. CDU-Wähler Malu Dreyer als Ministerpräsidentin.

Julia Klöckner entwickelt sich in den letzten Tagen des Wahlkampfes deutlich zum Klotz am Bein der CDU. Mit 30% in der Direktwahlfrage liegt sie jetzt 5% unter der CDU. Malu Dreyer hingegen liegt mit 50% deutliche 16% über der SPD und zieht diese jetzt auch (endlich) mit.

Bezüglich der Dynamik des Prozesses ist es nicht mehr unmöglich, dass die SPD nicht nur stärkste Partei wird, sondern dass Malu Dreyer sogar das letzte Wahlergebnis von Kurt Beck übertrifft. Doch einige Unsicherheitsfaktoren bestehen. Die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer erwarten mit über 10% Vorsprung einen Wahlsieg Malu Dreyers. Das ist zwar nett, aber doch auch etwas verfrüht. Und wir sollten auch sehen, dass die Briefwähler bereits Stimmen abgeben konnten, als die CDU noch 7% vor der SPD lag.

Wie selten zuvor wird es also auf den Wahltag selbst ankommen, an dem die SPD vermutlich ein halbes Prozent vor der Union landen muss, um am Ende auch mit den Briefwählern vorne zu bleiben. Das ist wie gesagt gut möglich, erfordert aber eine Rundum-Mobilisierung.

Der beste Mobilisierungsfaktor zur Zeit ist die Erkenntnis von vielen Menschen in Rheinland-Pfalz, dass sie am 14. März aus Versehen mit einer Ministerpräsidentin Klöckner aufwachen können. Das scheint sie nachhaltig zu erschrecken. Denn der Zick-Zack-Kurs von Julia Klöckner in der Flüchtlingsfrage, vor allem aber, dass sie der Bundeskanzlerin immer offener in den Rücken fällt, ist bei den Leuten gar nicht gut angekommen. Die Glaubwürdigkeit von Frau Klöckner ist durch ihr eigenes Zutun mittlerweile so beschädigt, dass ich keinen Weg wüsste, wie sie diesen Imageschaden in den verbleibenden Tagen reparieren könnte.

Was wir in Rheinland-Pfalz gerade erleben, nennt sich Momentum und zwar mit hoher Dynamik und klarer Richtung zugunsten von Ministerpräsidentin Malu Dreyer und der SPD. Diese Entwicklung ist noch klarer zu erkennen, wenn man sie mit der Entwicklung der SPD in den anderen wahlkämpfenden Bundesländern vergleicht. Sie ist aber nicht atypisch für Rheinland-Pfalz, das bei der Bundestagswahl 2013 noch zu 43,3% CDU wählte, so wie die CDU auch die vergangenen Bundestagswahlen in Rheinland-Pfalz immer gewann. Nicht aber die letzten vier Landtagswahlen. Jetzt liegt die CDU von Frau Klöckner über 8% unter dem Wahlergebnis von Frau Merkel in Rheinland-Pfalz.

Der Wahlkampf der CDU in Rheinland-Pfalz, man muss es so sagen, ist eine Blaupause dafür, wie man eine Wahl auf den letzten Metern in den Sand setzt. Der Wahlkampf der CDU ist unkonzentriert, unentschieden, unglaubwürdig in der zentralen Politikfrage und hat zu allem Überfluss auch noch eine erratische Frontfrau an der Spitze.

Zuletzt erlebte ich eine solche Entwicklung in NRW 2010, als Jürgen Rüttgers seinen sicheren Vorsprung erst einbüßte und in den letzten acht Tagen völlig verlor. Die letzten Umfragen von ZDF und ARD sahen damals acht Tage vor der Wahl die Rüttgers-CDU mit 2% – 4% vorne. Die Ministerpräsidentin hieß dann Hannelore Kraft.