Regine Zylka führte ein Interview mit mir, das am Samstag, den 18. Oktober, in der Berliner Zeitung erschienen ist – also bevor das Ergebnis des Mitgliederentscheides fest stand. Da ich nichts zurückzunehmen habe, hier noch einmal ungekürzt zum Nachlesen:
Wahlkampf-Profi zur SPD in Berlin:
„Leicht wird es nicht, egal wer gewinnt.“
Der Rücktritt von Ulrich Nußbaum wäre dann ein Affront gewesen, wenn der Berliner Finanzsenator noch länger damit gewartet hätte, erklärt Wahlkampf-Profi Frank Stauss im Interview. Auf die Chancen eines neuen Regierenden Bürgermeisters beim Volk habe Nußbaums Rückzug keinen Einfluss.
Frank Stauss hat mit seiner Werbeagentur über 20 Wahlkämpfe begleitet, darunter alle drei von Klaus Wowereit. Als Berliner SPD-Mitglied hat er sich für einen Kandidaten entschieden, aber als Wahlkampf-Profi ist es ihm egal, wer Nachfolger wird. Sagt er.
Erst Wowereit, jetzt Nußbaum… Ist die SPD noch zu retten, Herr Stauss?
Ob die SPD zu retten ist, hängt nicht von einzelnen Senatoren ab. Ich kann verstehen, dass Herr Nußbaum zum jetzigen Zeitpunkt einen Schnitt macht, denn wenn er es nach Bekanntgabe des Gewinners getan hätte, wäre dies ein unnötiger Affront gegenüber dem zukünftigen Regierenden Bürgermeister gewesen. Er wurde von Klaus Wowereit geholt und geht jetzt mit ihm. Für die Wahlchancen 2016 ist das völlig irrelevant. Die meisten Menschen wissen gar nicht, was Senatoren eigentlich so machen und orientieren sich an der Nummer eins.
Bedauern Sie den Rücktritt von Wowereit?
Wenn ich daran denke, wie sehr sich Berlin zum Positiven gewandelt hat, auf jeden Fall. Und mal ehrlich: Welcher Ministerpräsident schafft es schon, sein Land oder seine Stadt so zu repräsentieren wie Wowereit? Aber alles und jeder hat seine Zeit.
Hätte er noch eine Wahl gewinnen können oder wäre der BER eine zu große Last gewesen?
2009 sahen die Umfragen kein bisschen besser aus und zwei Jahre später hat er klar gewonnen. Man weiß also nie. Hängt immer auch vom Gegenüber ab. Bisher sind diese ja von Steffel bis Künast meist über die eigenen Füße gestolpert und lagen im Ring auf dem Boden, bevor Klaus in die Halle kam. Im Wahlkampf geht immer alles.
War Wowereit ein Naturtalent?
War ist gut. Das können Sie heute noch beobachten. Gehen Sie mit ihm mal durch Berlin. Da kommen Sie keine fünf Meter weit. Alle wollen Selfies mit ihm, Autogramme aufs T-Shirt, Autogramme unters T-Shirt. Die Menschen haben überhaupt keine Distanz, weil sie spüren, dass er ihnen offen zugewandt ist. So etwas kann man nicht trainieren. Bei vielen anderen Politikern bleiben die Menschen weit weg und trauen sich nicht.
Ist so einer ersetzbar für eine Partei?
Wenn man genau den gleichen sucht, natürlich nicht. Den Fehler darf man nicht machen. Jetzt geht es darum, anderen Leuten ihre Chance zu geben. Wowereit kannte ja auch kaum einer, bevor er ins Amt kam.
Was ist, wenn der BER bis zur Wahl 2016 nicht fertig ist? Muss die SPD dann nicht sowieso in die Opposition?
Da haben sie recht. Wenn deutsche Ingenieure und Großkonzerne zu blöd sind, eine Entlüftungsanlage zu bauen, dann muss die SPD in die Opposition. Das sollten wir zur Regel machen. Wahrscheinlich könnten die CDU, die Grünen, Linke und Piraten den Flughafen viel besser bauen. Oder gleich die AfD, dann brauchen wir auch kein internationales Terminal mehr.
Wowereit hatte offenbar nicht mehr die Kraft für einen geordneten Übergang. Ist das nicht eine Last für den Nachfolger?
Das ist aber eine paternalistische Sichtweise. Ich würde sagen, dass es in 13 Jahren niemand geschafft hat, sich als natürlicher Nachfolger zu empfehlen. In der SPD nicht und in anderen Parteien auch nicht.
Was halten Sie von solchen Mitgliedervoten?
Wenn wir bedenken, dass früher eine handvoll Leute im Hinterzimmer entschieden haben, sind doch 17 000 Stimmberechtigte ein ziemlicher Fortschritt. Eine Mitgliedschaft hat immer ihre Privilegien. Im Sportverein darf man umsonst duschen, bei der SPD den Regierenden bestimmen. Und wenn man in beiden Vereinen ist, darf man duschen und wählen. Toll.
Mit welchem Kandidaten hätten Sie es als Wahlkämpfer am leichtesten?
Leicht wird das so oder so nicht. Insofern wäre mir das egal.
Was ist, wenn Jan Stöß gewinnt? Wie würden Sie ihn als Spitzenkandidat positionieren?
Jan Stöß steht für eine langfristige, achtsame Politik, um diese wachsende Stadt sozial zu gestalten. Dieses Ziel verfolgt er zäh, durchsetzungsstark und uneitel.
Und Raed Saleh?
Er ist ja schon selbst eine Berliner Erfolgsgeschichte. Diese will er fortschreiben für möglichst viele Menschen in dieser Stadt. Dafür müsste man allerdings noch den phonetischen Rassismus überwinden, der einem leider auch beim ach so aufgeklärten Großstadtpublikum immer wieder entgegenschlägt. Dabei spricht er besseres Deutsch als ich. Zumindest ein gewählteres.
Wie sieht es mit Michael Müller aus?
Ganz klar der Mann für eine solide, berechenbare Politik, mit der Berlin in geordneten Bahnen regiert wird. Eine verdiente Phase der Konsolidierung nach den aufwühlenden Jahren des Aufbruchs.
Wen haben Sie selbst gewählt?
Obwohl es auch mal Zeit für eine Frau gewesen wäre, habe ich mich für einen Mann entschieden.
Quelle: Berliner Zeitung. Das Gespräch führte Regine Zylka.