Sozialdemokratische Jammerlappen

In der SPD wird mal wieder lamentiert. Es wurde ja auch Zeit, denn Jammern gehört für viele dort zum Handwerk, das aus ihrer Sicht viel zu lange vernachlässigt wurde. Aber jetzt gibt es ja wieder einen Anlass: 5 Jahre Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender.

Dies bedeutet für seine Amtszeit unter dem Strich: Die Rückeroberung strategisch wichtiger Länder wie allen voran Nordrhein-Westfalen (SPD 39,1%, Abstand zur Union: +12,8%), Hamburg (SPD 48,4%, Abstand zur Union: +26,5%), Niedersachsen (SPD 32,6%, Abstand zur Union: -3,4%), Schleswig Holstein (SPD 30,4%, Abstand zur Union: -0,4) das Halten von Bremen (SPD 38,6%, Abstand zur Union: +18,2%), Berlin (SPD 28,3%, Abstand zur Union: + 4,9%), Brandenburg (SPD 31,9%, Abstand zur Union: +8,9%), Mecklenburg Vorpommern (SPD 35,5%, Abstand zur Union: +12,6,%), Rheinland-Pfalz (SPD 35,7%, Abstand zur Union: +0,5%);  neue Regierungsbeteiligungen im Saarland (SPD Zugewinn 6,1%), Sachsen (SPD Zugewinn +2%). In Hessen gewann die SPD 7% hinzu, blieb aber dennoch aus der Regierung, in Sachsen Anhalt gab es ein leichtes Plus (0,1%) in Bayern ebenfalls (+2%), in Baden-Württemberg ein leichtes Minus (-2,1%), dafür eine Regierungsbeteiligung und ein tatsächliches Desaster in Thüringen.

Auf Bundesebene gewann die SPD 2,7% hinzu, wurde wieder Regierungspartei und setzte innerhalb weniger Monate zentrale Wahlversprechen vom Mindestlohn über die Rente mit 63 oder auch die Mietpreisbremse um oder aber steht kurz vor deren Umsetzung.

Also ehrlich. Das ist doch mal eine richtig beschissene Bilanz.

Mannmannmann, wie kann der Kerl überhaupt noch morgens aufstehen.

Thüringer Veggie-Wursttage

Das Problem für die SPD in Thüringen ist, dass sie das entscheidende halbe Prozent zu wenig verloren hat. Aber welchen Gaul reiten eigentlich die Grünen und was hat er vorher bekommen?

Diese ganze scheinheilige Debatte darüber, ob 25 Jahre nach dem Mauerfall die Linke einen Ministerpräsidenten stellen können sollen darf oder nicht ist absurd. Moralisch, ethisch, historisch macht es keinen Unterschied, ob die Linke unter der SPD regiert oder ob sie den MP stellt. Entweder ist beides falsch, oder nichts. Und da wir nun schon seit 1994 eine Tolerierung (Sachsen Anhalt) und seit 1998 ein Regieren der SPD mit der Linken bzw. PDS (Mecklenburg Vorpommern) auf Länderebene kennen, ist der Käse ja wohl gegessen, dieser Drops gelutscht usw.

Taktisch gesehen – und das ist ja eher mein Beruf – liegt das große Dilemma der Thüringer SPD vor allem darin, trotz beeindruckender und mit viel Liebe zum Detail eingefahrener Verluste, am Wahltag nicht genug verloren zu haben, um sauber aus dem Schneider zu sein. Nur wenn keine Regierungsmehrheit für Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün zustande gekommen wäre, hätte die SPD entspannt die (kleine) Oppositionsrolle einnehmen dürfen, die ihr die Thüringer ganz deutlich zugeteilt haben. Dann hätte der Ball bei allen anderen im Feld gelegen und im schlimmsten Fall wäre es eben zu Neuwahlen gekommen. Da darf man das Volk aus meiner Sicht auch nicht aus der Verantwortung lassen.

Wenn das Volk instabilen Mist wählt, muss es eben so lange wählen, bis kein instabiler Mist mehr dabei rauskommt – das sind ja schließlich alles erwachsene Leute.

Wer die Thüringer SPD ein bisschen beobachtet erkennt, dass aus einer kleinen Menge Menschen mit dem gleichen Parteibuch nicht automatisch eine eingeschworene Gemeinschaft wird. Schlimme interne und seit nunmehr Jahrzehnten andauernde Feind- und Seilschaften haben die Partei an den Rand ihrer Existenz gebracht. Da mag die CDU im Land auch noch so arrogant und selbstverliebt regiert haben – Profit konnte die SPD weder in der Opposition noch in der Regierung daraus ziehen. Vor allem, weil sie sich selbst einfach nicht leiden kann. Und wie wir das aus jeder menschlichen Beziehung kennen, haben Personen mit solidem Selbsthass meist wenig Energie übrig, um andere zu lieben und für sich zu gewinnen.

Jetzt also strebt der übrig gebliebene Rumpf der Partei ein Dreierbündnis mit einer Stimme Mehrheit an, in dem die SPD den beliebten Mittelplatz bekommt. Das kann man natürlich machen. Man kann es aber auch sein lassen. Ein Dilemma bleibt es in jedem Fall. Denn auch Schwarz-Rot hätte nur eine Stimme Mehrheit gehabt und ist in der SPD natürlich mindestens ebenso umstritten. Mit viel gutem Willen kann man also noch verstehen, dass die innere Verfasstheit es der Thüringer SPD verbat, aus dem aktuellen Desaster heraus noch einmal in den Wahlkampf ziehen zu müssen. Vor allem auch aus Mangel an Kandidaten. Einer wurde schon vorher abgesägt, die Zweite verbrannt und der Dritte wartet mal wieder lieber ab – vielleicht länger als es die Partei noch gibt, für die er kandidieren könnte.

Nun braucht man für ein Dreierbündnis aber drei. Und jetzt komme ich beim besten Willen nicht darauf, warum Die Grünen da mitmachen. Die hätten nun wirklich den allerschlankesten Abgang hinlegen können. Ein Hinweis des ungefähren Inhaltes „Sorry, aber das riecht nach Harakiri“ und alle hätten sofort genickt. Denn es riecht ja auch nach Harakiri. Wenn man Harakiri überhaupt riechen kann, dann hier. Also was kann es sein? Nach gründlicher Abwägung aller mir vorliegenden Informationen komme ich auf absolut nichts, was diese Partei in diesem Bündnis zu suchen hat. Selten erlebe ich mich wirklich ratlos vor mir selbst. Jetzt ist es soweit. Wer das Gras findet, das die dort geraucht haben, nur der findet auch den Schlüssel zu dieser Frage. Ich suche weiter.

„Leicht wird es so oder so nicht…“

Regine Zylka führte ein Interview mit mir, das am Samstag, den 18. Oktober, in der Berliner Zeitung erschienen ist – also bevor das Ergebnis des Mitgliederentscheides fest stand. Da ich nichts zurückzunehmen habe, hier noch einmal ungekürzt zum Nachlesen:

Wahlkampf-Profi zur SPD in Berlin:

„Leicht wird es nicht, egal wer gewinnt.“

Der Rücktritt von Ulrich Nußbaum wäre dann ein Affront gewesen, wenn der Berliner Finanzsenator noch länger damit gewartet hätte, erklärt Wahlkampf-Profi Frank Stauss im Interview. Auf die Chancen eines neuen Regierenden Bürgermeisters beim Volk habe Nußbaums Rückzug keinen Einfluss.

Frank Stauss hat mit seiner Werbeagentur über 20 Wahlkämpfe begleitet, darunter alle drei von Klaus Wowereit. Als Berliner SPD-Mitglied hat er sich für einen Kandidaten entschieden, aber als Wahlkampf-Profi ist es ihm egal, wer Nachfolger wird. Sagt er.

Erst Wowereit, jetzt Nußbaum… Ist die SPD noch zu retten, Herr Stauss?

Ob die SPD zu retten ist, hängt nicht von einzelnen Senatoren ab. Ich kann verstehen, dass Herr Nußbaum zum jetzigen Zeitpunkt einen Schnitt macht, denn wenn er es nach Bekanntgabe des Gewinners getan hätte, wäre dies ein unnötiger Affront gegenüber dem zukünftigen Regierenden Bürgermeister gewesen. Er wurde von Klaus Wowereit geholt und geht jetzt mit ihm. Für die Wahlchancen 2016 ist das völlig irrelevant. Die meisten Menschen wissen gar nicht, was Senatoren eigentlich so machen und orientieren sich an der Nummer eins.

Bedauern Sie den Rücktritt von Wowereit?

Wenn ich daran denke, wie sehr sich Berlin zum Positiven gewandelt hat, auf jeden Fall. Und mal ehrlich: Welcher Ministerpräsident schafft es schon, sein Land oder seine Stadt so zu repräsentieren wie Wowereit? Aber alles und jeder hat seine Zeit.

Hätte er noch eine Wahl gewinnen können oder wäre der BER eine zu große Last gewesen?

2009 sahen die Umfragen kein bisschen besser aus und zwei Jahre später hat er klar gewonnen. Man weiß also nie. Hängt immer auch vom Gegenüber ab. Bisher sind diese ja von Steffel bis Künast meist über die eigenen Füße gestolpert und lagen im Ring auf dem Boden, bevor Klaus in die Halle kam. Im Wahlkampf geht immer alles.

War Wowereit ein Naturtalent?

War ist gut. Das können Sie heute noch beobachten. Gehen Sie mit ihm mal durch Berlin. Da kommen Sie keine fünf Meter weit. Alle wollen Selfies mit ihm, Autogramme aufs T-Shirt, Autogramme unters T-Shirt. Die Menschen haben überhaupt keine Distanz, weil sie spüren, dass er ihnen offen zugewandt ist. So etwas kann man nicht trainieren. Bei vielen anderen Politikern bleiben die Menschen weit weg und trauen sich nicht.

Ist so einer ersetzbar für eine Partei?

Wenn man genau den gleichen sucht, natürlich nicht. Den Fehler darf man nicht machen. Jetzt geht es darum, anderen Leuten ihre Chance zu geben. Wowereit kannte ja auch kaum einer, bevor er ins Amt kam.

Was ist, wenn der BER bis zur Wahl 2016 nicht fertig ist? Muss die SPD dann nicht sowieso in die Opposition?

Da haben sie recht. Wenn deutsche Ingenieure und Großkonzerne zu blöd sind, eine Entlüftungsanlage zu bauen, dann muss die SPD in die Opposition. Das sollten wir zur Regel machen. Wahrscheinlich könnten die CDU, die Grünen, Linke und Piraten den Flughafen viel besser bauen. Oder gleich die AfD, dann brauchen wir auch kein internationales Terminal mehr.

Wowereit hatte offenbar nicht mehr die Kraft für einen geordneten Übergang. Ist das nicht eine Last für den Nachfolger?

Das ist aber eine paternalistische Sichtweise. Ich würde sagen, dass es in 13 Jahren niemand geschafft hat, sich als natürlicher Nachfolger zu empfehlen. In der SPD nicht und in anderen Parteien auch nicht.

Was halten Sie von solchen Mitgliedervoten?

Wenn wir bedenken, dass früher eine handvoll Leute im Hinterzimmer entschieden haben, sind doch 17 000 Stimmberechtigte ein ziemlicher Fortschritt. Eine Mitgliedschaft hat immer ihre Privilegien. Im Sportverein darf man umsonst duschen, bei der SPD den Regierenden bestimmen. Und wenn man in beiden Vereinen ist, darf man duschen und wählen. Toll.

Mit welchem Kandidaten hätten Sie es als Wahlkämpfer am leichtesten?

Leicht wird das so oder so nicht. Insofern wäre mir das egal.

Was ist, wenn Jan Stöß gewinnt? Wie würden Sie ihn als Spitzenkandidat positionieren?

Jan Stöß steht für eine langfristige, achtsame Politik, um diese wachsende Stadt sozial zu gestalten. Dieses Ziel verfolgt er zäh, durchsetzungsstark und uneitel.

Und Raed Saleh?

Er ist ja schon selbst eine Berliner Erfolgsgeschichte. Diese will er fortschreiben für möglichst viele Menschen in dieser Stadt. Dafür müsste man allerdings noch den phonetischen Rassismus überwinden, der einem leider auch beim ach so aufgeklärten Großstadtpublikum immer wieder entgegenschlägt. Dabei spricht er besseres Deutsch als ich. Zumindest ein gewählteres.

Wie sieht es mit Michael Müller aus?

Ganz klar der Mann für eine solide, berechenbare Politik, mit der Berlin in geordneten Bahnen regiert wird. Eine verdiente Phase der Konsolidierung nach den aufwühlenden Jahren des Aufbruchs.

Wen haben Sie selbst gewählt?

Obwohl es auch mal Zeit für eine Frau gewesen wäre, habe ich mich für einen Mann entschieden.

Quelle: Berliner Zeitung. Das Gespräch führte Regine Zylka.

Angst für Deutschland (AfD)

Kurioserweise sollen jetzt einige Menschen Angst vor der AfD bekommen haben. Das macht aber wenig Sinn, denn Ängstlichkeit ist ja der einzige Quell, aus dem sich diese Partei speist. Genauer gesagt: Todesangst.

Man liest ja immer wieder, die Deutschen seien ein ängstliches Volk und begründet dies gern mit dem Dreißigjährigen Krieg, der als hin- und herwogendes Schlachtfeld über viele Jahrzehnte (also genau genommen drei) ein kollektives Trauma noch bis in die abgelegenste Siedlung hinterließ. Gut. Kann man machen. Erklärt dann nicht unbedingt, warum das angstgeplagte Volk noch zwei Weltkriege vom Zaun brechen musste – aber egal. Nehmen wir also mal als These an, wir hätten Angst. Darauf folgt natürlich unmittelbar die Frage: Wovor? Nun, der deutschen Ängste gibt es viele. Eine der beliebtesten ist die vor der Inflation. Auch diese Angst sei angeblich im kollektiven Bewusstsein verankert, seitdem man „mit Waschkörben voller Geldscheinen einen Liter Milch zahlen musste.“ Inflation gab es in Deutschland vor allem im, Obacht!, Dreißigjährigen Krieg, und dann wieder von 1914 bis 1923 in Folge des, Obacht!, Ersten Weltkrieges. Die Zeitzeugen sind jedenfalls rar geworden.

Vor kurzem lauschte ich in einem Meeting dem vortragenden Marktforscher – ich denke, er könnte noch Zeitzeuge gewesen sein –  als dieser erläuterte, dass die Inflation nach wie vor eine der Top-Ängste der Deutschen sei und in den ewigen Charts selbst Pink Floyds Dark Side of the Moon auf die hinteren Plätze verwiesen habe. Als ich zum letzten Mal mein Sparbuch checkte, hatte ich aber den völlig gegenteiligen Eindruck. Es war nur noch halb so viel Geld drauf und nicht doppelt so viel, wie es eigentlich bei einer soliden Inflation sein müsste. Ein Volkswirt von der AfD erklärte mir das mit der Deflation in Folge der Griechen. Ich erklärte mir das mit meinem i-phone 6 und ein bisschen redeten wir glaube ich aneinander vorbei. Was mir aber auffiel war, dass doch der gleiche Mann mich vor einem guten Jahr noch vor der Inflation warnte, die natürlich auch von den Griechen kam. Da musste ich kurzzeitig an meinen Vater denken, der mir vor vielen Jahren und in anderen Worten aber sinngemäß riet: „Wenn Du für BWL zu blöd bist, dann werd’ halt Volkswirt“. Das waren aber auch andere Zeiten. Trotz dieses Vorurteiles gegenüber dem Volkswirt von der AfD atmete ich dennoch ein wenig auf, denn immerhin kommen sämtliche Varianten der Flation heute offenbar von den Griechen und nicht mehr von den Kriegen. (Das wiederum könnte aber vor allem in Sachsen zu phonetisch bedingten falschen Zuordnungen führen, die vielleicht manches, aber nicht alles erklären, was in diesem Land vor sich geht). Wie auch immer denke ich, dass die Griechen doch insgesamt gesünder sind als Kriege, wenn auch nicht viel, denn die griechische Küche steckt man auch nicht mehr so leicht weg, hat man die zwanzig einmal überschritten.

Womit wir bei dem eigentlichen Thema des Tages sind, der Angst vor dem Alter. Diese Angst ist nicht so sehr kollektiv in Deutschland verankert, denn bisher wurden wir ja nicht so alt. Meist, weil wir uns in Kriegen (mit K!) gerne selbst davor bewahrten, oder weil das eben früher nicht so war. Deshalb ging das auch mit der Rente rechnerisch auf. Diese erreichte man entweder gar nicht oder überlebt sie noch um höchstens 5 Jahre (Männer). Oder man bekam erst gar keine Rente und lebte dafür ewig (Frauen). Das war für die Frauen praktisch, da man sich vom Gatten eh völlig entwöhnt hatte und nun die paar restlichen gemeinsamen Jahre zu Hause an einer Hand abzählen konnte. So wie man beim Bund die Tage runtergezählt hat. (Für die Jüngeren: Bund war wie FSJ nur ohne F und S). Eine Frau konnte sich also darauf einstellen, dass der Alte bald wieder arbeiten gehen würde, wenn auch diesmal im Weinberg des Herrn.

Das ist heute anders und meine persönliche, natürlich in keiner Weise repräsentative Erklärung für so manches, was heute falsch läuft ist: Alte, ängstliche Männer. Die haben wirklich vor so ziemlich allem Angst, wovor man Angst haben kann: Inflation, Europa, Frauen, Jugendliche, Schwule, Deflation, Unverheiratete, Stefan Raab (ja, immer noch!), verheiratete Schwule, Ausländer, linke Inländer, mit linken Inländern verheiratete ausländische Schwule, dem Morgen, dem Abend und dem Theaterabonnement, weil die Pause einfach nicht kommen will und man so dringend raus muss.

Alte Männer stehen morgens früh verrentet auf und stellen fest: Das sind noch locker 10 bis 20 Jahre die ich rumbringen muss und ich habe nicht den geringsten Schimmer, was ich tun soll. Das gilt für sehr viele – von ehemaligen Wirtschaftskapitänen bis zum jung vergreisten Sachbearbeiter oder dem Herrn Oberstudienrat a.D . Die wenigsten ziehen daraus die Konsequenz, etwas Sinnvolles zu tun. Etwa ein gutes Buch zu lesen („Das lohnt sich doch nicht mehr, jetzt noch damit anzufangen.“). Statt dessen liest man lieber schlechte Bücher von noch schlechter gelaunten, granteligen, alten Männern aus deren Zeilen nur eines immer wieder strömt: der nackte, kalte Angstschweiß. Todesangst.

Angst vor Überfremdung, Angst vor Veränderung, Angst vor Englisch, Angst vor Morgen und Angst vor der eigenen Bilanz im Leben, die man meint, jetzt nicht mehr korrigieren zu können. Also sucht man Gleichgesinnte mit ebenso viel Angst und findet sie in einem der reichsten, sichersten, saubersten und demokratischsten Ländern der Erde zum Beispiel beim Horst aus der weitgehend ingnorierten „Initiative gegen den ausgeschriebenen Umlaut“, der einen dann mit zur AfD nimmt und zusammen hat man nicht mehr ganz so viel Angst. Denn jetzt ist man nicht mehr so alleine und hat noch mehr Menschen um sich, um die Gründe für persönliche Probleme nicht bei sich zu suchen, sondern im Euro, bei den Griechen, in den Kriegen, den Chinesen, in der Defla-, Infla- oder kommenden Generation, bei den Nachbarn im Osten, den Nachbarn im Süden oder dem Nachbarn gegenüber.

Und so verrinnen die Tage wie Blei und die letzte Zeit, die man noch so sinnvoll hätte nutzen können, verbringt man damit, Plakate gegen alles und jeden zu kleben. Statt sich aufzuraffen, im Gemeindezentrum mit anzupacken, den Nachbarkindern Nachhilfe zu geben oder auch einfach mal eine schöne Pflanze großzuziehen und sich des Lebens zu freuen. Nein, man sammelt sich und verrammelt sich lieber in kollektiver Angst. Bis einem eines Tages die chinesische Pflegekraft zum letzten Mal die Augen schließt, die wohl riechende Hua Fang, die sich vor vielen Monden auf den weiten Weg gemacht hat, um in diesem fernen, reichen, glücklichen Land ohne Kinder aber mit Parkhausleitsystemen ihre Zukunft zu finden. Und natürlich auch, um endlich in Euro bezahlt zu werden. So schließt sich der Kreis und so schließt sich der Greis und demnächst gibt es hier wieder anständige Politkolumnen. Wo kommen wir denn sonst hin!