Kurioserweise sollen jetzt einige Menschen Angst vor der AfD bekommen haben. Das macht aber wenig Sinn, denn Ängstlichkeit ist ja der einzige Quell, aus dem sich diese Partei speist. Genauer gesagt: Todesangst.
Man liest ja immer wieder, die Deutschen seien ein ängstliches Volk und begründet dies gern mit dem Dreißigjährigen Krieg, der als hin- und herwogendes Schlachtfeld über viele Jahrzehnte (also genau genommen drei) ein kollektives Trauma noch bis in die abgelegenste Siedlung hinterließ. Gut. Kann man machen. Erklärt dann nicht unbedingt, warum das angstgeplagte Volk noch zwei Weltkriege vom Zaun brechen musste – aber egal. Nehmen wir also mal als These an, wir hätten Angst. Darauf folgt natürlich unmittelbar die Frage: Wovor? Nun, der deutschen Ängste gibt es viele. Eine der beliebtesten ist die vor der Inflation. Auch diese Angst sei angeblich im kollektiven Bewusstsein verankert, seitdem man „mit Waschkörben voller Geldscheinen einen Liter Milch zahlen musste.“ Inflation gab es in Deutschland vor allem im, Obacht!, Dreißigjährigen Krieg, und dann wieder von 1914 bis 1923 in Folge des, Obacht!, Ersten Weltkrieges. Die Zeitzeugen sind jedenfalls rar geworden.
Vor kurzem lauschte ich in einem Meeting dem vortragenden Marktforscher – ich denke, er könnte noch Zeitzeuge gewesen sein – als dieser erläuterte, dass die Inflation nach wie vor eine der Top-Ängste der Deutschen sei und in den ewigen Charts selbst Pink Floyds Dark Side of the Moon auf die hinteren Plätze verwiesen habe. Als ich zum letzten Mal mein Sparbuch checkte, hatte ich aber den völlig gegenteiligen Eindruck. Es war nur noch halb so viel Geld drauf und nicht doppelt so viel, wie es eigentlich bei einer soliden Inflation sein müsste. Ein Volkswirt von der AfD erklärte mir das mit der Deflation in Folge der Griechen. Ich erklärte mir das mit meinem i-phone 6 und ein bisschen redeten wir glaube ich aneinander vorbei. Was mir aber auffiel war, dass doch der gleiche Mann mich vor einem guten Jahr noch vor der Inflation warnte, die natürlich auch von den Griechen kam. Da musste ich kurzzeitig an meinen Vater denken, der mir vor vielen Jahren und in anderen Worten aber sinngemäß riet: „Wenn Du für BWL zu blöd bist, dann werd’ halt Volkswirt“. Das waren aber auch andere Zeiten. Trotz dieses Vorurteiles gegenüber dem Volkswirt von der AfD atmete ich dennoch ein wenig auf, denn immerhin kommen sämtliche Varianten der Flation heute offenbar von den Griechen und nicht mehr von den Kriegen. (Das wiederum könnte aber vor allem in Sachsen zu phonetisch bedingten falschen Zuordnungen führen, die vielleicht manches, aber nicht alles erklären, was in diesem Land vor sich geht). Wie auch immer denke ich, dass die Griechen doch insgesamt gesünder sind als Kriege, wenn auch nicht viel, denn die griechische Küche steckt man auch nicht mehr so leicht weg, hat man die zwanzig einmal überschritten.
Womit wir bei dem eigentlichen Thema des Tages sind, der Angst vor dem Alter. Diese Angst ist nicht so sehr kollektiv in Deutschland verankert, denn bisher wurden wir ja nicht so alt. Meist, weil wir uns in Kriegen (mit K!) gerne selbst davor bewahrten, oder weil das eben früher nicht so war. Deshalb ging das auch mit der Rente rechnerisch auf. Diese erreichte man entweder gar nicht oder überlebt sie noch um höchstens 5 Jahre (Männer). Oder man bekam erst gar keine Rente und lebte dafür ewig (Frauen). Das war für die Frauen praktisch, da man sich vom Gatten eh völlig entwöhnt hatte und nun die paar restlichen gemeinsamen Jahre zu Hause an einer Hand abzählen konnte. So wie man beim Bund die Tage runtergezählt hat. (Für die Jüngeren: Bund war wie FSJ nur ohne F und S). Eine Frau konnte sich also darauf einstellen, dass der Alte bald wieder arbeiten gehen würde, wenn auch diesmal im Weinberg des Herrn.
Das ist heute anders und meine persönliche, natürlich in keiner Weise repräsentative Erklärung für so manches, was heute falsch läuft ist: Alte, ängstliche Männer. Die haben wirklich vor so ziemlich allem Angst, wovor man Angst haben kann: Inflation, Europa, Frauen, Jugendliche, Schwule, Deflation, Unverheiratete, Stefan Raab (ja, immer noch!), verheiratete Schwule, Ausländer, linke Inländer, mit linken Inländern verheiratete ausländische Schwule, dem Morgen, dem Abend und dem Theaterabonnement, weil die Pause einfach nicht kommen will und man so dringend raus muss.
Alte Männer stehen morgens früh verrentet auf und stellen fest: Das sind noch locker 10 bis 20 Jahre die ich rumbringen muss und ich habe nicht den geringsten Schimmer, was ich tun soll. Das gilt für sehr viele – von ehemaligen Wirtschaftskapitänen bis zum jung vergreisten Sachbearbeiter oder dem Herrn Oberstudienrat a.D . Die wenigsten ziehen daraus die Konsequenz, etwas Sinnvolles zu tun. Etwa ein gutes Buch zu lesen („Das lohnt sich doch nicht mehr, jetzt noch damit anzufangen.“). Statt dessen liest man lieber schlechte Bücher von noch schlechter gelaunten, granteligen, alten Männern aus deren Zeilen nur eines immer wieder strömt: der nackte, kalte Angstschweiß. Todesangst.
Angst vor Überfremdung, Angst vor Veränderung, Angst vor Englisch, Angst vor Morgen und Angst vor der eigenen Bilanz im Leben, die man meint, jetzt nicht mehr korrigieren zu können. Also sucht man Gleichgesinnte mit ebenso viel Angst und findet sie in einem der reichsten, sichersten, saubersten und demokratischsten Ländern der Erde zum Beispiel beim Horst aus der weitgehend ingnorierten „Initiative gegen den ausgeschriebenen Umlaut“, der einen dann mit zur AfD nimmt und zusammen hat man nicht mehr ganz so viel Angst. Denn jetzt ist man nicht mehr so alleine und hat noch mehr Menschen um sich, um die Gründe für persönliche Probleme nicht bei sich zu suchen, sondern im Euro, bei den Griechen, in den Kriegen, den Chinesen, in der Defla-, Infla- oder kommenden Generation, bei den Nachbarn im Osten, den Nachbarn im Süden oder dem Nachbarn gegenüber.
Und so verrinnen die Tage wie Blei und die letzte Zeit, die man noch so sinnvoll hätte nutzen können, verbringt man damit, Plakate gegen alles und jeden zu kleben. Statt sich aufzuraffen, im Gemeindezentrum mit anzupacken, den Nachbarkindern Nachhilfe zu geben oder auch einfach mal eine schöne Pflanze großzuziehen und sich des Lebens zu freuen. Nein, man sammelt sich und verrammelt sich lieber in kollektiver Angst. Bis einem eines Tages die chinesische Pflegekraft zum letzten Mal die Augen schließt, die wohl riechende Hua Fang, die sich vor vielen Monden auf den weiten Weg gemacht hat, um in diesem fernen, reichen, glücklichen Land ohne Kinder aber mit Parkhausleitsystemen ihre Zukunft zu finden. Und natürlich auch, um endlich in Euro bezahlt zu werden. So schließt sich der Kreis und so schließt sich der Greis und demnächst gibt es hier wieder anständige Politkolumnen. Wo kommen wir denn sonst hin!