Jetzt wissen wir, weshalb Angela Merkel bis zum allerletzten Moment gegen einen Bundespräsidenten Joachim Gauck gekämpft hat. Gauck hat Haltung, Gauck hat Meinung und Gauck will etwas erreichen für Deutschland. Damit fremdelt die Kanzlerin.
Um ehrlich zu sein, hatte ich ein wenig Angst vor Joachim Gauck und nach seiner Wahl die Sorge, dass wir nun täglich eine neue Predigt mit erhobenem Zeigefinger zu erwarten hätten. Aber ich habe mich getäuscht. Unser Bundespräsident setzt seine Zeichen sehr bedacht – allerdings auch nicht immer leise. Dass seine beachtenswerte Begrüßungsrede bei einer Einbürgerungsfeier auf Schloss Bellevue nun aber eine besondere Aufmerksamkeit erfährt, das hat er der bewussten Taktlosigkeit der Bundeskanzlerin zu verdanken, am gleichen Tag ins rechte Jagdhorn zu blasen.
Denn wie schon kurz vor der Bundestagswahl 2013, als sie in der TV-Arena völlig inhaltsbefreit gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle vor sich hin blubberte, so springt sie auch kurz vor der Europawahl nochmal auf den Karren der AfD und der „Das-wird-man-doch-mal-noch-sagen-dürfen-Fraktion.“ Gut, wer wenig erwartet, wird auch nicht enttäuscht. Aber dass die Kanzlerin ihren Blinker rechts außen ausgerechnet an dem Tag setzt, an dem der Bundespräsident mit sorgfältig gewählten Worten neue deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in unserer Mitte begrüßt – das hat schon eine besondere Qualität.
Also, dann bewerten wir mal die „Migrations-Battle“ Merkel vs. Gauck.
Joachim Gauck hat klar Stellung bezogen und auch den Weg gewiesen. Diesem Land, seinen heutigen Bewohnern und zukünftigen Einwanderern. Er hat dabei nicht nur das hohe Lied des Multikulturalismus gesungen, sondern auch die Errungenschaften der Aufklärung, der Demokratie, der Menschenrechte und des Respekts als Voraussetzung für eine moderne Gesellschaft gewürdigt. Er hat Ansprüche an Einwanderer und an bereits hier lebende Migranten ebenso formuliert wie an diejenigen, deren Wurzeln schon seit Jahrhunderten hier wachsen. Und er hat klar für die doppelte Staatsbürgerschaft gesprochen:
„Die doppelte Staatsbürgerschaft ist Ausdruck der Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von Menschen. Es ist gut, dass sie nun nicht mehr als notwendiges Übel oder als Privileg bestimmter Gruppen betrachtet wird. Unser Land lernt gerade, dass Menschen sich mit verschiedenen Ländern verbunden und trotzdem in diesem, unserem Land zu Hause fühlen können. Es lernt, dass eine Gesellschaft attraktiver wird, wenn sie vielschichtige Identitäten akzeptiert und niemanden zu einem lebensfremden Purismus zwingt.
Und es lernt, jene nicht auf Abstand zu halten, die schon längst zu uns gehören.“
Am Ende begrüßte der Bundespräsident die neuen deutschen Staatsbürger noch sehr persönlich:
„Ich bin sicher: Die Geduldigen wie die Ungeduldigen werden gemeinsam dafür sorgen, dass alle, die hier leben, zu diesem Land „unser Land“ sagen können.
Dieses, unser Land ist heute, und es ist auch mit Ihrer Ankunft in der Staatsbürgerschaft, nicht vollendet und nicht perfekt. Nach Ihnen werden andere Menschen zu uns kommen wollen. Und es wird weiter Reibung geben und Annäherung. Und Sie werden dann zu den Alteingesessenen gehören und werden, zusammen mit meinen Kindern, neu um Toleranz, Respekt und Teilhabe ringen. In einer offenen Gesellschaft sind es auch die Kontroversen, die zu neuen Normalitäten führen.
Zu dieser Gesellschaft, zu diesem Deutschland sagen Sie heute ganz bewusst „ja“. Und dieses Land sagt „ja“ zu Ihnen.“
Und hier der Beitrag von Angela Merkel zum Thema:
„Europa ist keine Sozialunion.“
Ja, das kann man sagen, an solch einem Tag. Kann man aber auch sein lassen. Dafür müsste man aber so etwas wie Respekt vor dem Bundespräsidenten besitzen. Doch wenn man sich lieber vor Lucke & Co in die Hosen scheißt, statt dem Bundespräsidenten und den neuen Deutschen Respekt zu erweisen, dann sind wohl einige Parameter verrutscht.
Joachim Gauck jedenfalls hat von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht.
Ach, da fällt mir ein – die liegt ja eigentlich im Kanzleramt. Eigentlich.