Der TV-Debatten-Superhype.

Wer darf rein, wer muss raus? Wer reißt oder überspringt die willkürlich-variable Elefantenrundenteilnahmehürde? Was soll das alles, wen interessiert das und was sagt der tote Thunfisch dazu?

TV-Debatten in deutschen Landtagswahlkämpfen entfalten auf die meist sehr wenigen Zuschauer ungefähr die Wirkung einer lauwarmen Tasse Baldriantee. In nunmehr über 20 Landtagswahlkämpfen habe ich noch nie eine messbare Wirkung auf die Umfragen und späteren Ergebnisse feststellen können. Der Grund dafür ist sehr einfach. Solche Debatten schalten nur Menschen an, die politisch sehr interessiert sind und bereits eine Entscheidung getroffen haben, die sie nun bestätigt haben wollen. Oder solche, die aus dem Haus gehen und das flackernde Fernsehlicht zur Abschreckung von Einbrechern benötigen. Sonst niemand.

Am ermüdendsten sind natürlich die TV-Debatten mit 4 oder 5 oder noch mehr Gästen und nochmal 2 Moderatoren obendrauf, in denen absolut nichts debattiert, geschweige denn vertieft wird, sondern alle nur ihre Sprüchlein aufsagen. Von den peinlichst auf Proporz gepolten Moderatoren werden noch 2-3 „überraschend“ kritische Fragen eingeworfen, die selbst ein toter Thunfisch hätte voraussagen können.

Am ehesten kommt noch bei den „Duellen“ von zwei Spitzenleuten etwas rum – aber selbst dort habe ich nach dem größten anzunehmenden Unfall – nämlich dem Totalaussetzer eines Herausforderers – absolut keine Bewegung in den Umfragen vor und nach der Sendung wahrnehmen können.

Auch auf Bundesebene muss man den Effekt der Debatten kritisch sehen. So gewann etwa Frank Walter Steinmeier nach Zuschauerbefragungen das Duell gegen Angela Merkel 2009, nur um dann mit 23% am Wahltag nach Hause zu gehen. Etwas anders lag der Fall bei Schröder gegen Merkel 2005. Aber dieses Duell gewann Schröder auch im deutlich zweistelligen Bereich – je nach Institut mit 16% – 33% Vorsprung. Schröder galt damals als totgesagt und Merkel schon als sichere Siegerin, die Menschen waren durch die vorgezogenen Neuwahlen hochpolitisiert und nutzten die Debatte tatsächlich, um einen letzten kritischen Blick auf die Herausforderin zu werfen.

Das ist über zehn Jahre her und wie gesagt – alle Debatten auf Landesebene hatten bisher den Erregungswert des Kuhfladenweitwurfes von Unteroberkirchtal. Die Wirkungsabstinenz von TV-Debatten steht im krassen Widerspruch zur Erregung der Sendeanstalten, Parteien und Journalisten vor einer solchen Debatte. Wie man gerade wieder in Süddeutschland beobachten kann.

Doch zunächst zu den Regeln: In den „Elefantenrunden“ vor der Wahl (nicht zu verwechseln mit den „Duellen“), sitzen üblicherweise die Vertreter der in dem jeweiligen Landtag vertretenen Parteien. Oder der im Bundestag vertretenen Parteien. Am meisten Sinn macht es natürlich, die im Landtag vertretenen Parteien zu nehmen, denn es wird ja auch ein Landtag gewählt.

Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass weitere Parteien in dem Sender nicht auch vorkommen dürfen. Wir haben ja auch im Augenblick keinen Mangel an politischem Personal von AfD oder FDP oder auch der Linken im Fernsehen. Diese Parteien sind alle nicht im Landtag von Rheinland-Pfalz vertreten. AfD und FDP auch nicht im Bundestag.

Der Intendant des SWR möchte nun ein neues* System einführen, das nach Umfragen entscheidet, wer in die Sendung darf. Aber nach welcher Umfrage? Infratest? Forschungsgruppe? Forsa? Emnid? INSA? Oder darf sich jede Partei ein Institut ihres Vertrauens aussuchen? Und dann zieht man den Mittelwert? Wo liegt denn die vom Sender festgelegte Elefantenrundenteilnahmehürde? Bei 5%? Und wann ist der Stichtag? Was passiert, wenn die FDP beim Stand von 5% eingeladen wird, am Sendetag aber nur noch bei 4,5 steht? Haben dann andere Parteien das Recht, sich einzuklagen? Und wie sieht es dann zum Beispiel mit den Piraten in anderen Parlamenten aus? Die liegen in den Umfragen bei 0,0 und damit deutlich unter der Elefantenrundenteilnahmehürde. Dürfen die dann nicht mehr hin, obwohl sie drin sind? Hallo? Klopf-Klopf? Sendeanstalt? Hat da jemand drüber nachgedacht?

Hatte ich 2013 nur überhört, dass die FDP darauf bestanden hätte, die AfD in die Elefantenrunde vor der letzten Bundestagswahl einzuladen, da ja mindestens die Chance bestand, dass diese in den Bundestag einziehen würde? Die Argumentation „Ich komme nur, wenn XY kommt“,  oder „Ich komme nur, wenn XY nicht kommt“, oder „Ich würde gerne kommen, aber ich habe keine Lust“ (Werner Butter) gehört zum Selbstbestimmungsrecht des Menschen, der hingehen darf und wegbleiben kann, wie er/sie es will, ist aber eigentlich gar nicht nötig. Denn der Ball liegt eindeutig beim Sender, der es ordentlich verbockt hat und einfach klarstellen sollte:

AfD und FDP sind nicht eingeladen, weil sie sich für dieses Format nicht qualifiziert haben. Aber wenn sie am 13. März in den Landtag kommen, sind sie bei der nächsten Wahl dafür qualifiziert. Es gibt eben Dinge, die muss man sich erarbeiten – in diesem Fall, durch eine echte Wahl mit echten Stimmen und nicht durch mehr oder minder präzise Umfragen.

Aber wurscht. Das Kind ist jetzt in den Brunnen gefallen. Im echten Leben wird diese Sendung niemand vermissen und die Leute sind auch ohne TV-Debatte in der Lage, sich ein Urteil zu bilden. Und tun es bisher ja auch schon, denn zugeschaut hat ja schon lange niemand mehr.

Allen Fans von dramatischen TV-Debatten empfehle ich die entsprechende Folge in „The West-Wing“, in der die Gattin von Präsident Bartlet diesem kurz vor Sendebeginn die Krawatte abschneidet. Während der Präsident versucht, sich in den letzten Sekunden vor dem Duell einen neuen Binder anzulegen, sagt sie sinngemäß zu den entsetzen Beratern: „Das hat er gebraucht. Jetzt ist er auf Betriebstemperatur.“ Das ist Drama. Ach, Amerika.

*Hinweis: Der SWR hatte zwar 2011 die Grünen zur TV Debatte eingeladen, obwohl sie nicht im Landtag vertreten waren. Allerdings saßen diese im Bundestag, was als Legitimation betrachtet wurde.