Wenige Wochen vor der Wahl in Rheinland-Pfalz baut Ministerpräsidentin Malu Dreyer ihren Vorsprung in der Direktwahl auf 20% aus. Ihre Herausforderin verliert zusehends an Boden – und die Nerven.
„Einfach mal die Klappe halten“, damit zitiert die Presse hitzige Streitgespräche aus der Bundesvorstandssitzung der CDU vom 19. Januar. Gesagt haben soll das Julia Klöckner. Ein weiterer Spruch: „Man kann auch mal ein Mikrofon stehen lassen und vorbei gehen.“ Das ist interessant, denn gerade dafür ist Frau Klöckner ja nicht bekannt.
Aber schauen wir zunächst einmal auf die Fakten der jüngsten Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des SWR „Wahlrennen in Rheinland-Pfalz völlig offen“ vom 14.1. (Erhebungszeitraum 6.-11.1.2016, Fallzahl 1001). Es stimmt: Die CDU liegt immer noch 6% vor der SPD. Allerdings betrug dieser Abstand im September noch satte 10%. Und mit 37% rutscht die CDU auf den tiefsten Wert seit Juli 2012.
Aufschlußreich ist, dass trotz Omnipräsenz der Herausforderin in den Medien, die Ministerpräsidentin nicht nur in der Direktwahlfrage davonzieht, sondern auch in den Kompetenzzuweisungen. Malu Dreyer überholt die Herausforderin auf dem CDU-Stammkompetenzfeld Wirtschaftspolitik ebenso wie im Kompetenzfeld „Bewältigung der Flüchtlingskrise“. Bei Wirtschaftskompetenz legt Dreyer satte 9% zu, Klöckner verliert 3.
Ganz besonders stark ist auch die Dynamik, die ich so deutlich selten erlebt habe. Malu Dreyer legt in der Direktwahlfrage satte 10% zu – und überspringt damit klar die für eine Wiederwahl wichtige 50%-Hürde.
In der Frage der „Bewältigung der Flüchtlingskrise“ legt die SPD auch in der Parteienfrage 9% zu. Woran liegt das in einem ansonsten für die SPD schwierigen Umfeld?
Zwei Erklärungsansätze:
- In Rheinland-Pfalz ist die Grundstimmung wesentlich besser als in anderen Bundesländern. Hier sagt noch eine Mehrheit, man blicke mit Zuversicht in die Zukunft. Auch wissen wir aus vergleichbaren Studien, dass Toleranz und Weltoffenheit wesentlich ausgeprägter sind als etwa im Nachbarland Baden-Württemberg.
- Die Unterbringung der Flüchtlinge verläuft in Rheinland-Pfalz nahezu reibungslos. Jeder Flüchtling wird registriert, der Einsatz der freiwilligen Helfer ist beeindruckend – aber auch der Staat beweist Handlungskompetenz. Mit einem starken Innenminister Roger Lewentz – bis vor kurzem noch Chef der Innenministerkonferenz – hat die SPD außerdem das Heft des Handelns in der Hand.
- Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat sich – ebenso wie der Innenminister – zu keiner Zeit an einem Überbietungswettlauf in welche Richtung auch immer beteiligt. Sie hat früh viele Organisationen einschließlich der Kirchen eingebunden und so für eine breites Bündnis der Vernunft im Land gesorgt. Kurz: Deeskalation statt Eskalation.
- Im Gegensatz zu ihrer Herausforderin hat die Ministerpräsidentin jeglichen Populismus vermieden und weder verklärt noch Öl ins Feuer gegossen.
Dann werfen wir einen Blick auf Frau Klöckner.
Noch vor wenigen Monaten ließ sie sich von der Bild mit einem „Refugees-Welcome“ Schild ablichten. Das taten viele, aber nur wenige vollzogen danach eine solche Kehrtwende wie Frau Klöckner. Ausserdem unterstützte sie den Vorstoß für ein Einwanderungsgesetzt von CDU Generalsekretär Tauber.
Dann drehte sich die Stimmung und mit ihr drehte sich Frau Klöckner. Tagesaktuell (19.1.16) ist sie gegen ein Einwanderungsgesetz. Glaube ich.
Bisher war sie damit nicht unerfolgreich. „Klöckner kann sich zu einem Standpunkt bekennen und dann das Gegenteil vertreten“ beobachtete bereits DER SPIEGEL (12.12.15). Dieses Kurs irritiert am 13.12.15 auch die FAZ: „Die Irritation rührt daher, dass sie angesichts der Flüchtlingskrise nicht mehr darauf dringt, kühl und stringent deutsches Recht einzuhalten.“
Während Frau Klöckner also irritiert und damit eher dem panischen Horst Seehofer als der Bundeskanzlerin folgt, setzt die Amtsinhaberin auf Geradlinigkeit, Substanz und geräuschloses Handeln.
Aus Kreisen der Hauptstadtpresse ist überliefert, dass Julia Klöckner zum Jahresende bereits eine Tour durch die Redaktionen absolvierte, in denen sie die Landtagswahl am 13. März als gelaufen erklärte. Nun. Als gelaufen haben schon manche ihre Wahl gesehen. Jürgen Rüttgers in NRW 2010, Heide Simonis in Schleswig-Holstein 2005 und noch viele, viele mehr.
Ein wichtiger Indikator für eine mögliche „Wechselstimmung“ ist natürlich das Vertrauen in die Landesregierung. Auch hier ein klarer Trend: Die Rot/Grüne Landesregierung steigert die Zustimmung um insgesamt 6% auf 61% – den Höchstwert seit Amtsübernahme.
Die Wahl in Rheinland Pfalz ist, wie der SWR titelte, „Völlig offen.“
So sehe ich das auch. Auch durchaus realistisch. Die SPD steht nicht da, wo sie stehen sollte. Aber alle Indikatoren, die wir auch aus eigenen Forschungsergebnissen zur Verfügung haben, zeigen: Die Unentschlossenen, die sich entscheiden, entscheiden sich im Augenblick zu über zwei Dritteln für Malu Dreyer.
Das Bild, das die Union zur Zeit abgibt ist höchst irritierend für deren Anhänger und der Streit zwischen Seehofer und Merkel so eskaliert, dass er demobilisierend auf die eigene Wählerschaft wirkt. Daraus lässt sich auch das Absinken der CDU in Rheinland-Pfalz ableiten. Die Union war dort „ausmobilisiert“, die SPD hingegen hatte und hat ein Defizit. Alle Signale zeigen, dass die CDU jetzt deutlich nachlässt und die SPD die Chance hat, im unmittelbaren Duell und auf den letzten Metern zu mobilisieren. Auch durch die entscheidende Frage, wem die Menschen am Ende Vertrauen entgegenbringen wollen.
Das ist nun der dritte Wahlkampf in Rheinland-Pfalz, den ich begleiten und aus nächster Nähe erleben darf – und es ist mit Abstand der spannendste. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Herausforderin eine veritable Gegnerin ist, die mit allen Wassern des modernen Politmarketings gewaschen ist und vor keinem Mikro, keiner Kamera oder Tweet zurückscheut. Allerdings zeigt die aktuelle Entwicklung auch: Je mehr die Menschen von Julia Klöckner sehen, desto eher entscheiden sie sich für Malu Dreyer.
Diese Wahl wird am 13. März entschieden und keinen Tag früher.
Diese lapidare Feststellung war selten so zutreffend wie in diesem Wahlkampf.
Nicht eine lange Führung, sondern das Timing am Wahltag entscheidet. Und im Augenblick läuft die Zeit gegen Julia Klöckners CDU.
Es steht zu erwarten, dass Frau Klöckner angesichts dieser für sie möglicherweise karrierebeendenen Entwicklung ganz tief in die „Roland-Koch-Gedenkpopulismus-Kiste“ greift. Denn auch wenn sie sich selbst gerne als Verteidigerin der Kanzlerin sieht, sind ihre Absetzbewegungen unübersehbar. Man kann sich jedenfalls vorstellen, dass in der CDU Rheinland-Pfalz die vielen geplanten Auftritte einer immer unpopuläreren Kanzlerin kritisch gesehen werden. Für beide – Merkel und Klöckner – geht es am 13. März um sehr viel – wenn nicht ums Ganze. Mal sehen, wer zuerst den Seehofer macht. Wem das am Ende helfen wird, wird man sehen. Rheinland-Pfalz mit Sicherheit nicht.
Ach ja: Hier noch ein Bild aus der BILD (Foto: Thomas Frey)
Früher war eben alles besser (Sommer 2015).
Julia Klöckner #refugeeswelcome