Wutbürger der Aufklärung

Ich muss nicht Verständnis aufbringen für die Sorgen und Ängste von Menschen, die offenbar zu kalt und gefühlsverarmt sind, um zu erkennen, welche Ängste ihre instinktlosen Demonstrationen bei Flüchtlingen und Einwanderern auslösen.

Ich muss nicht verstehen, warum 25 Jahre nach dem Mauerfall – in nahezu ausländerfreien Zonen –  Menschen gegen Ausländer auf die Straße gehen, nur weil sie nach über zwei Jahrzehnten nicht kapiert haben, womit Deutschland sein Geld und seinen Wohlstand verdient: mit Internationalität.

Ich muss nicht ertragen, dass eine Demonstrantin in Dresden in die Kamera spricht: „Wir sind nicht ’89 auf die Straße gegangen, damit die jetzt alle kommen“ während sie so aussah, als sei sie ’89 nur auf die Straße gegangen, um bei ihrem Führungsoffizier die zu verpfeifen, die wirklich gingen. Diese Demonstrationen „Montagsdemonstrationen“ zu nennen, ist eine weitere Instinktlosigkeit gegenüber denjenigen, die ’89 für Freiheit und offene Grenzen auf die Straße gingen.

Ich muss nicht akzeptieren, dass Menschen, die seit Jahrzehnten direkt und indirekt Transferleistungen in bisher ungekannten Höhen entgegengenommen haben, nun nicht einmal Flüchtlingskindern ein Dach über dem Kopf gönnen.

Ich muss nicht wie CSU und manche in der CDU die Fehler vor allem dieser beiden Parteien aus den 60er bis 90er Jahren wiederholen und diesen eiskalten Demonstranten auch noch verbale Zückerchen zuwerfen – von AfD und der anderen braunen Brut ganz zu schweigen.

Ich muss nicht christlich sein zu Menschen, die angeblich die christliche Tradition verteidigen, um dann ausgerechnet zur Weihnachtszeit Hass und Ausgrenzung zu predigen.

Ich muss nicht nach Ursachen suchen, um den niedersten Instinkt, zu dem die menschliche Rasse fähig ist, zu erkennen: Das Treten nach unten und das Abwälzen persönlicher Probleme und Unfähigkeiten auf willkürlich ausgewählte Sündenböcke.

Ich muss nicht ertragen, dass Menschen, die seit Jahren den Hintern nicht bewegt bekommen, ausgerechnet dann aktiv werden, wenn es gegen Minderheiten geht.

Ich muss nicht daran erinnern, dass die deutschen sozialen Sicherungssysteme im Jahr 2012 über 22 Milliarden EUR netto durch Einwanderer und deren Nachfahren eingenommen haben – und dass diese Gelder am Ende dem Pöbel von Dresden auch noch die Rente zahlen werden.

Ich muss nicht diplomatisch sein, sondern so, wie noch viel mehr Menschen in Deutschland sein sollten, offensiv:

Braune Brut von Dresden: Ihr seid die Schande Deutschlands.
Unbarmherzig, hasserfüllt, menschenfeindlich und aus ganzem Herzen verachtenswert.

Sozialdemokratische Jammerlappen

In der SPD wird mal wieder lamentiert. Es wurde ja auch Zeit, denn Jammern gehört für viele dort zum Handwerk, das aus ihrer Sicht viel zu lange vernachlässigt wurde. Aber jetzt gibt es ja wieder einen Anlass: 5 Jahre Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender.

Dies bedeutet für seine Amtszeit unter dem Strich: Die Rückeroberung strategisch wichtiger Länder wie allen voran Nordrhein-Westfalen (SPD 39,1%, Abstand zur Union: +12,8%), Hamburg (SPD 48,4%, Abstand zur Union: +26,5%), Niedersachsen (SPD 32,6%, Abstand zur Union: -3,4%), Schleswig Holstein (SPD 30,4%, Abstand zur Union: -0,4) das Halten von Bremen (SPD 38,6%, Abstand zur Union: +18,2%), Berlin (SPD 28,3%, Abstand zur Union: + 4,9%), Brandenburg (SPD 31,9%, Abstand zur Union: +8,9%), Mecklenburg Vorpommern (SPD 35,5%, Abstand zur Union: +12,6,%), Rheinland-Pfalz (SPD 35,7%, Abstand zur Union: +0,5%);  neue Regierungsbeteiligungen im Saarland (SPD Zugewinn 6,1%), Sachsen (SPD Zugewinn +2%). In Hessen gewann die SPD 7% hinzu, blieb aber dennoch aus der Regierung, in Sachsen Anhalt gab es ein leichtes Plus (0,1%) in Bayern ebenfalls (+2%), in Baden-Württemberg ein leichtes Minus (-2,1%), dafür eine Regierungsbeteiligung und ein tatsächliches Desaster in Thüringen.

Auf Bundesebene gewann die SPD 2,7% hinzu, wurde wieder Regierungspartei und setzte innerhalb weniger Monate zentrale Wahlversprechen vom Mindestlohn über die Rente mit 63 oder auch die Mietpreisbremse um oder aber steht kurz vor deren Umsetzung.

Also ehrlich. Das ist doch mal eine richtig beschissene Bilanz.

Mannmannmann, wie kann der Kerl überhaupt noch morgens aufstehen.

Thüringer Veggie-Wursttage

Das Problem für die SPD in Thüringen ist, dass sie das entscheidende halbe Prozent zu wenig verloren hat. Aber welchen Gaul reiten eigentlich die Grünen und was hat er vorher bekommen?

Diese ganze scheinheilige Debatte darüber, ob 25 Jahre nach dem Mauerfall die Linke einen Ministerpräsidenten stellen können sollen darf oder nicht ist absurd. Moralisch, ethisch, historisch macht es keinen Unterschied, ob die Linke unter der SPD regiert oder ob sie den MP stellt. Entweder ist beides falsch, oder nichts. Und da wir nun schon seit 1994 eine Tolerierung (Sachsen Anhalt) und seit 1998 ein Regieren der SPD mit der Linken bzw. PDS (Mecklenburg Vorpommern) auf Länderebene kennen, ist der Käse ja wohl gegessen, dieser Drops gelutscht usw.

Taktisch gesehen – und das ist ja eher mein Beruf – liegt das große Dilemma der Thüringer SPD vor allem darin, trotz beeindruckender und mit viel Liebe zum Detail eingefahrener Verluste, am Wahltag nicht genug verloren zu haben, um sauber aus dem Schneider zu sein. Nur wenn keine Regierungsmehrheit für Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün zustande gekommen wäre, hätte die SPD entspannt die (kleine) Oppositionsrolle einnehmen dürfen, die ihr die Thüringer ganz deutlich zugeteilt haben. Dann hätte der Ball bei allen anderen im Feld gelegen und im schlimmsten Fall wäre es eben zu Neuwahlen gekommen. Da darf man das Volk aus meiner Sicht auch nicht aus der Verantwortung lassen.

Wenn das Volk instabilen Mist wählt, muss es eben so lange wählen, bis kein instabiler Mist mehr dabei rauskommt – das sind ja schließlich alles erwachsene Leute.

Wer die Thüringer SPD ein bisschen beobachtet erkennt, dass aus einer kleinen Menge Menschen mit dem gleichen Parteibuch nicht automatisch eine eingeschworene Gemeinschaft wird. Schlimme interne und seit nunmehr Jahrzehnten andauernde Feind- und Seilschaften haben die Partei an den Rand ihrer Existenz gebracht. Da mag die CDU im Land auch noch so arrogant und selbstverliebt regiert haben – Profit konnte die SPD weder in der Opposition noch in der Regierung daraus ziehen. Vor allem, weil sie sich selbst einfach nicht leiden kann. Und wie wir das aus jeder menschlichen Beziehung kennen, haben Personen mit solidem Selbsthass meist wenig Energie übrig, um andere zu lieben und für sich zu gewinnen.

Jetzt also strebt der übrig gebliebene Rumpf der Partei ein Dreierbündnis mit einer Stimme Mehrheit an, in dem die SPD den beliebten Mittelplatz bekommt. Das kann man natürlich machen. Man kann es aber auch sein lassen. Ein Dilemma bleibt es in jedem Fall. Denn auch Schwarz-Rot hätte nur eine Stimme Mehrheit gehabt und ist in der SPD natürlich mindestens ebenso umstritten. Mit viel gutem Willen kann man also noch verstehen, dass die innere Verfasstheit es der Thüringer SPD verbat, aus dem aktuellen Desaster heraus noch einmal in den Wahlkampf ziehen zu müssen. Vor allem auch aus Mangel an Kandidaten. Einer wurde schon vorher abgesägt, die Zweite verbrannt und der Dritte wartet mal wieder lieber ab – vielleicht länger als es die Partei noch gibt, für die er kandidieren könnte.

Nun braucht man für ein Dreierbündnis aber drei. Und jetzt komme ich beim besten Willen nicht darauf, warum Die Grünen da mitmachen. Die hätten nun wirklich den allerschlankesten Abgang hinlegen können. Ein Hinweis des ungefähren Inhaltes „Sorry, aber das riecht nach Harakiri“ und alle hätten sofort genickt. Denn es riecht ja auch nach Harakiri. Wenn man Harakiri überhaupt riechen kann, dann hier. Also was kann es sein? Nach gründlicher Abwägung aller mir vorliegenden Informationen komme ich auf absolut nichts, was diese Partei in diesem Bündnis zu suchen hat. Selten erlebe ich mich wirklich ratlos vor mir selbst. Jetzt ist es soweit. Wer das Gras findet, das die dort geraucht haben, nur der findet auch den Schlüssel zu dieser Frage. Ich suche weiter.

„Leicht wird es so oder so nicht…“

Regine Zylka führte ein Interview mit mir, das am Samstag, den 18. Oktober, in der Berliner Zeitung erschienen ist – also bevor das Ergebnis des Mitgliederentscheides fest stand. Da ich nichts zurückzunehmen habe, hier noch einmal ungekürzt zum Nachlesen:

Wahlkampf-Profi zur SPD in Berlin:

„Leicht wird es nicht, egal wer gewinnt.“

Der Rücktritt von Ulrich Nußbaum wäre dann ein Affront gewesen, wenn der Berliner Finanzsenator noch länger damit gewartet hätte, erklärt Wahlkampf-Profi Frank Stauss im Interview. Auf die Chancen eines neuen Regierenden Bürgermeisters beim Volk habe Nußbaums Rückzug keinen Einfluss.

Frank Stauss hat mit seiner Werbeagentur über 20 Wahlkämpfe begleitet, darunter alle drei von Klaus Wowereit. Als Berliner SPD-Mitglied hat er sich für einen Kandidaten entschieden, aber als Wahlkampf-Profi ist es ihm egal, wer Nachfolger wird. Sagt er.

Erst Wowereit, jetzt Nußbaum… Ist die SPD noch zu retten, Herr Stauss?

Ob die SPD zu retten ist, hängt nicht von einzelnen Senatoren ab. Ich kann verstehen, dass Herr Nußbaum zum jetzigen Zeitpunkt einen Schnitt macht, denn wenn er es nach Bekanntgabe des Gewinners getan hätte, wäre dies ein unnötiger Affront gegenüber dem zukünftigen Regierenden Bürgermeister gewesen. Er wurde von Klaus Wowereit geholt und geht jetzt mit ihm. Für die Wahlchancen 2016 ist das völlig irrelevant. Die meisten Menschen wissen gar nicht, was Senatoren eigentlich so machen und orientieren sich an der Nummer eins.

Bedauern Sie den Rücktritt von Wowereit?

Wenn ich daran denke, wie sehr sich Berlin zum Positiven gewandelt hat, auf jeden Fall. Und mal ehrlich: Welcher Ministerpräsident schafft es schon, sein Land oder seine Stadt so zu repräsentieren wie Wowereit? Aber alles und jeder hat seine Zeit.

Hätte er noch eine Wahl gewinnen können oder wäre der BER eine zu große Last gewesen?

2009 sahen die Umfragen kein bisschen besser aus und zwei Jahre später hat er klar gewonnen. Man weiß also nie. Hängt immer auch vom Gegenüber ab. Bisher sind diese ja von Steffel bis Künast meist über die eigenen Füße gestolpert und lagen im Ring auf dem Boden, bevor Klaus in die Halle kam. Im Wahlkampf geht immer alles.

War Wowereit ein Naturtalent?

War ist gut. Das können Sie heute noch beobachten. Gehen Sie mit ihm mal durch Berlin. Da kommen Sie keine fünf Meter weit. Alle wollen Selfies mit ihm, Autogramme aufs T-Shirt, Autogramme unters T-Shirt. Die Menschen haben überhaupt keine Distanz, weil sie spüren, dass er ihnen offen zugewandt ist. So etwas kann man nicht trainieren. Bei vielen anderen Politikern bleiben die Menschen weit weg und trauen sich nicht.

Ist so einer ersetzbar für eine Partei?

Wenn man genau den gleichen sucht, natürlich nicht. Den Fehler darf man nicht machen. Jetzt geht es darum, anderen Leuten ihre Chance zu geben. Wowereit kannte ja auch kaum einer, bevor er ins Amt kam.

Was ist, wenn der BER bis zur Wahl 2016 nicht fertig ist? Muss die SPD dann nicht sowieso in die Opposition?

Da haben sie recht. Wenn deutsche Ingenieure und Großkonzerne zu blöd sind, eine Entlüftungsanlage zu bauen, dann muss die SPD in die Opposition. Das sollten wir zur Regel machen. Wahrscheinlich könnten die CDU, die Grünen, Linke und Piraten den Flughafen viel besser bauen. Oder gleich die AfD, dann brauchen wir auch kein internationales Terminal mehr.

Wowereit hatte offenbar nicht mehr die Kraft für einen geordneten Übergang. Ist das nicht eine Last für den Nachfolger?

Das ist aber eine paternalistische Sichtweise. Ich würde sagen, dass es in 13 Jahren niemand geschafft hat, sich als natürlicher Nachfolger zu empfehlen. In der SPD nicht und in anderen Parteien auch nicht.

Was halten Sie von solchen Mitgliedervoten?

Wenn wir bedenken, dass früher eine handvoll Leute im Hinterzimmer entschieden haben, sind doch 17 000 Stimmberechtigte ein ziemlicher Fortschritt. Eine Mitgliedschaft hat immer ihre Privilegien. Im Sportverein darf man umsonst duschen, bei der SPD den Regierenden bestimmen. Und wenn man in beiden Vereinen ist, darf man duschen und wählen. Toll.

Mit welchem Kandidaten hätten Sie es als Wahlkämpfer am leichtesten?

Leicht wird das so oder so nicht. Insofern wäre mir das egal.

Was ist, wenn Jan Stöß gewinnt? Wie würden Sie ihn als Spitzenkandidat positionieren?

Jan Stöß steht für eine langfristige, achtsame Politik, um diese wachsende Stadt sozial zu gestalten. Dieses Ziel verfolgt er zäh, durchsetzungsstark und uneitel.

Und Raed Saleh?

Er ist ja schon selbst eine Berliner Erfolgsgeschichte. Diese will er fortschreiben für möglichst viele Menschen in dieser Stadt. Dafür müsste man allerdings noch den phonetischen Rassismus überwinden, der einem leider auch beim ach so aufgeklärten Großstadtpublikum immer wieder entgegenschlägt. Dabei spricht er besseres Deutsch als ich. Zumindest ein gewählteres.

Wie sieht es mit Michael Müller aus?

Ganz klar der Mann für eine solide, berechenbare Politik, mit der Berlin in geordneten Bahnen regiert wird. Eine verdiente Phase der Konsolidierung nach den aufwühlenden Jahren des Aufbruchs.

Wen haben Sie selbst gewählt?

Obwohl es auch mal Zeit für eine Frau gewesen wäre, habe ich mich für einen Mann entschieden.

Quelle: Berliner Zeitung. Das Gespräch führte Regine Zylka.