Auch Du, Julia Brutus-Klöckner

Oder: Die Iden des März in Rheinland-Pfalz.

Vor drei Monaten lag die CDU in Rheinland-Pfalz 11 Prozentpunkte vor der SPD. Jetzt sind es noch zwei. Ähnlich wie in Baden-Württemberg droht der CDU auf den letzten Metern ein Debakel – was vor allem an der Spitzenkandidatin Julia Klöckner liegt. Und nicht an der Bundeskanzlerin.

Wie schafft man es, in nur drei Monaten einen zweistelligen Vorsprung zu verspielen? Nun, wie man das eben immer tut: Mit Hektik, überambitionierten Plänen, Panikschüben, offenen Widersprüchen, permanenten Kurskorrekturen und vor allem mit einem Wahlkampf gegen die eigene Partei. Es ist eigentlich immer das gleiche Schema – unabhängig von der Partei und der Person sind die Wahlkampf-Geschichtsbücher voll davon. Und dennoch werden diese Fehler immer wieder begangen.

Nun also Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz. Satte 41% für die CDU und nur 30% für die SPD prognostizierte die Forschungsgruppe Wahlen am 6.11.2015, also vor gerade einmal drei Monaten. Das politische Berlin hakte die Wahl ab und die Journalisten orakelten über Katastrophenszenarien für die SPD. Der Hinweis darauf, dass alle uns vorliegenden Daten zur Direktwahlfrage, den Kompetenzzuordnungen und Sympathiewerten eindeutig zugunsten von Malu Dreyer ausfallen und sich das auch in der Sonntagsfrage niederschlagen würde, wurde milde belächelt.

Jetzt sehen wir in Rheinland-Pfalz aber ebenso in Baden-Württemberg, dass die Nähe zum Wahltag entscheidend ist in einem Jahr, in dem bundespolitische und internationale Themen die Agenda bestimmen. Erst in den letzten drei bis vier Wochen vor der Wahl wird die Aufmerksamkeit der Wählerinnen und Wähler langsam auf die bevorstehende Abstimmung im eigenen Bundesland gelenkt. Dies ist natürlich auch eine Folge der veränderten Mediennutzung, in der die Landespolitik einen immer geringeren Stellenwert einnimmt. In diesen Tagen beginnt nun aber die Debatte im Freundes- und Bekanntenkreis und in eher ländlich geprägten Bundesländern funktioniert diese Interaktion auch noch einigermaßen.

Kurzum: In Baden-Württemberg stellen sich immer mehr Wähler die Frage: Kretschmann oder Wolf? Offenbar fällt die Antwort immer deutlich zugunsten des amtierenden Ministerpräsidenten aus. Und in Rheinland-Pfalz lautet die Frage: Dreyer oder Klöckner?
Und auch hier zeigen alle uns vorliegenden Daten: Die noch Unentschiedenen präferieren eindeutig Malu Dreyer, während die CDU ausmobilisiert ist. Der CDU droht also, auf den letzten Metern die Puste auszugehen, während die SPD noch genug Potential besitzt, um am Wahlabend an der CDU vorbei zu ziehen.

Diese Zahlen kennt natürlich auch Frau Klöckner und so hämmerte sie über das Wochenende in einer Panikkoalition mit Herrn Wolf einen neuen kruden Plan zusammen. Ihr erster Plan, „A2“ genannt, war ja bereits gute zehn Tage alt und damit aus Sicht von Frau Klöckner offenbar völlig veraltet. Jetzt also kommt „A3“ und der einzige Unterscheid zu „A2“ ist, dass „A3“ der CDU-Parteivorsitzenden Angela Merkel noch heftiger in den Rücken fällt als „A2“.

Julia Klöckners neuer Plan ist nichts anderes als ein frisch gewetztes Messer im Rücken der Kanzlerin. Und nichts anderes bezweckt Frau Klöckner. In ihrem Panikwahlkampf gegen die AfD opfert Frau Klöckner nicht nur die Kanzlerin, sondern gleich die gesamte moderate CDU.

Von der Herdprämie über neue Gebühren für Kitas bis hin zu ihrer jetzt offenen Ablehnung der gleichberechtigten Homoehe, bedient Frau Klöckner die gesamte Klaviatur der CDU vor Merkel. Und vor dem 21. Jahrhundert. Vor allem aber widerspricht sie sich immer wieder selbst. Als es noch erfolgversprechend war, im Fahrwasser von Angela Merkel und Ursula von der Leyen die moderne CDU-Frau zu geben, war Frau Klöckner immer vorne mit dabei. Jetzt meint sie, dass das nicht mehr schick ist und wirft eben alles über Bord. Für harmoniegewohnte Unionswähler ist dieser offene Kampf gegen die eigene Kanzlerin natürlich höchst irritierend und demobilisierend. Gleichzeitig verprellt Klöckner die mühsam hinzugewonnenen moderaten CDU-Wähler.

Bei der Bundestagswahl 2013 kam die Merkel-CDU in Rheinland-Pfalz auf 43,3% der Stimmen. In der aktuellen Insa-Umfrage vom 22.2.2016 erreicht sie noch 35%. Julia Klöckner liegt aktuell satte 8,3% unter dem Bundestags-Wahlergebnis von Angela Merkel. Das hat natürlich auch mit dem Verlust der Moderaten zu tun. Für diese wird jetzt immer offensichtlicher, wie eine CDU nach Merkel aussehen wird: konservativ und reaktionär.

Der Effekt ist selbsterklärend: Alle, die sich erst jetzt langsam für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz interessieren, sehen nicht mehr die moderate Frau Klöckner, sondern eine stramm konservative, hektische Kandidatin, die versucht, gegen die eigene Kanzlerin zu punkten. Das mögen die Menschen nicht. Und die in Rheinland-Pfalz schon dreimal nicht.

Die SPD kam bei der Bundestagswahl 2013 in Rheinland-Pfalz auf 27,5%, heute steht sie bei 33%, also bei einem Plus von 5,5%. Die Aufgabe der Mitte durch die Klöckner-CDU eröffnet den Sozialdemokraten jetzt zusätzliches Potential. Das Momentum liegt bei Malu Dreyer, die beständig Kurs hält und den Menschen offenbar ihres Vertrauens würdiger erscheint, als die Herausforderin.

Julia Klöckner hat sich auf diesen Wahlkampf vorbereitet wie auf nichts anderes in ihrem Leben. Sie hat sich äußerlich und inhaltlich neu erfunden und versucht, jeden Trick zu lernen. Auch als jetzt ein Koblenzer CDU-Parteifreund die Ministerpräsidentin deutlich unter der Gürtellinie angriff, konnte Frau Klöckner sich nicht einfach entschuldigen. Sie musste gleich darauf verweisen, dass es so etwas immer wieder auch in anderen Parteien gebe. Ein klassischer „Spin“. Nur eben so billig und durchschaubar wie ein „Spin“ eben ist, wenn er plump und bauernschlau daherkommt. Wir Wahlkämpfer nennen es „überprogrammiert“, wenn sich ein Kandidat so randvoll gepumpt hat mit taktischen Manövern, Soundbites und Westentaschentricks, dass er am Ende implodiert.

Jetzt geht der Wahlkampf auf die Zielgerade und in den beiden Nachbarländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sieht es ganz danach aus, als ob die Staatskanzleien von Winfried Kretschmann und Malu Dreyer verteidigt würden.

Einmal mehr zeigt sich, dass man sich im Rampenlicht auf Dauer nicht verstellen kann. Charakter kann man nicht programmieren.

Tausche deutsch gegen elektrisch.

Oder: Warum das die einzige Sprache ist, die von unserer Automobilindustrie verstanden wird.

Sydney Pollack zeichnet in seinem wunderbar schwermütigen Film „The Electric Horseman“ das surreale Bild eines abgehalfterten Rodeoreiters (Robert Redford) auf die Leinwand, der als traurige Werbefigur mit bunten Glühbirnen besetzt trostlos blinkend seine Runden dreht. Mühsame Runden drehen muss im Deutschland des Jahres 2016 auch, wer die Bundesregierung bei ihrem selbsterklärten Ziel unterstützen will, bis 2020 eine satte Million Elektrofahrzeuge auf deutsche Straßen zu bringen. Ein Erfahrungsbericht.

Ja gut, ich habe eine Schwäche, die andere nicht immer teilen. Ich teile nicht gerne. Also vor allem mein Auto nicht. Und ich mag auch gerne große Autos, in denen ich am liebsten alleine sitze. Das ist in höchstem Masse egoistisch, egozentrisch, egomanisch, ichbezogen und auch teuer. Dessen bin ich mir bewusst und trage mir einmal im Jahr ein schlechtes Gewissen im Kalender ein. Die anderen 364 Tage verdrängt sich mein Defizit von selbst. In den vergangenen zehn Jahren wurde meine Egozentrik hinreichend mit einem Mercedes CLS bedient. Ein wahrhaft wunderschönes und margenträchtiges deutsches Spitzenprodukt. Ich schätze beim Blick über die Schulter die Weite und die Leere im Fond, die unberührte Schönheit der hinteren Mittelkonsole, das noch neuduftende Ledergestühl, über das ich in einem unbeobachteten Augenblick – und von diesen gibt es viele – liebevoll streichle. Aber gut, man geht wenigstens ein bisschen mit der Zeit. Bei der Neubestellung vor 4 Jahren war es daher immerhin schon ein „Blue-Something-Diesel-Eco-Whatever“, der nur noch die Hälfte von der Vorgängersau verbrauchte. Immerhin ist es kein SUV.

Nun war es also wieder an der Zeit für etwas Neues und man schaute sich um. Der CLS ist immer noch super, aber der dritte in Folge muss nicht sein. Da bin ich untreu und auch zu vielem fähig. Schnell verlässt mein Blick die Grenzen von MB, wandert am Flughafen in Frankfurt kurz zum ausgestellten BMW i8, um festzustellen, dass dieser satte 37 km elektrisch fahren kann. Siebenunddreißig Kilometer hätte Redford auf seinem abgehalfterten Gaul und etwas Heu auch noch geschafft.

Irgendwie angefixt von diesem Elektrokram weitete sich meine Suche aus und landete dann zwangsläufig bei Tesla. Dem Hobby von PayPal-Gründer Elon Musk, der neben seiner Autofabrik auch noch an wiederverwertbaren Weltraumraketen bastelt. Der Tesla schafft ordentliche Reichweiten von je nach Witterung 300-450 km und reicht damit für meinen Radius völlig aus. Mehr als 400 km am Stück bin ich die vergangenen Jahre kaum noch gefahren. Da nehme ich den Zug oder fliege. Müsste ich aber nicht, denn Tesla hat auf eigene Kosten entlang aller Autobahnstrecken alle 200 km Super-Schnellladegeräte aufgestellt, an denen ich in Rekordzeit (maximal 30 Minuten) kostenlos Strom tanken kann.

Hallo?! Ja, genau! Tesla hat nicht darauf gewartet, dass an deutschen Tankstellen vielleicht der Besitzer auf die Idee kommen könnte, mit Bezahlstrom und 30 Minuten Aufenthalt der Kunden Geld zu machen. Oder dass vielleicht der Staat für Infrastruktur sorgt. Die Freaks haben einfach von Oslo bis Lissabon und kreuz und quer dazwischen alle 200 km kostenlose Supercharger für ihre Kunden aufgestellt. Immer nach dem Motto: Probleme? Welche Probleme? Auf meinen ersten Langstreckenfahrten hat das super funktioniert. Das Navi sagte mir in Schwerin: „Von hier bis zur Haustür in Berlin reicht das nicht mehr. Aber in 120 km steht auf der Strecke ein Supercharger, da führe ich dich hin und in 15 Minuten hast Du soviel Saft, dass es bis nach Mitte dicke reicht“. Großartig!

Die Karre sieht auch noch sehr geil aus. Nicht so scharf wie der CLS, aber eben auch nicht wie diese ersten Hybriden von Toyota, die aussahen wie ein aufgebockter toter Fisch.

Da ich ja ein sehr politischer Mensch bin, wurde ich jetzt langsam ein bisschen zornig. Warum muss erst ein dahergelaufener Internetmilliardär kommen, um den Deutschen zu zeigen, wie man ein Elektroauto baut? Und wie konnte das passieren, nachdem wir hier schon das Hybridauto sauber verpennt hatten? Wie kann es eigentlich sein, dass im Vorzeigeland der Automobilindustrie und Worldwide Supervorreiter der Energiewende ein Auto mit 37 km elektrischer Reichweite überhaupt noch präsentiert wird? Verstecken sollte man es und die „Ingenieure“ zum Schämen in die Ecke stellen.

Sobald ich das Thema Elektroantrieb oder gar Tesla bei einem Händler – von BMW über Porsche zu Mercedes – anspreche: immer die gleichen Antworten. Interessante Spielerei. Reichweite. Exot. Reichweite. Braucht man nicht wirklich. Reichweite. Der Deutsche geht auf Nummer Sicher. Reichweite. Die Menschen haben Benzin im Blut und brauchen einen röhrenden Motor. Reichweite…..Da kann ich nur sagen: wie peinlich ist das denn? Da baut ein Nobody ein Auto mit 250 km/h Spitze, von 0 auf 100 in 3,3 Sekunden, Allrad mit allem drum und dran, einer lebenslangen kostenlosen SIM und begegnet den Reichweite-Bedenkenträgern mit privat finanzierten Ladestationen. Ich kann da nur sagen: Hut ab! Und wenn die Chinesen weiter in ihrem eigenen Dreck ersticken, finden sie ein Elektroauto vielleicht auch noch viel spannender als Made in Germany Luxusautos.

Und für alle „Benzin-im-Blut“ Nostalgiker. Seit ich den Tesla fahre und an der Tankstelle nur noch an der Waschanlage auftauche, werde ich nicht von Ökofreaks oder Professoren belagert und mit Fragen bombardiert, sondern von Taxifahrern, Brummifahrern, Motorradfahrern und vielen anderen, die vor Begeisterung jauchzen, wenn ich die „Motorhaube“ öffne und man was sieht? Eben. Keinen Motor. „Das ist die Zukunft“ höre ich dann immer wieder und zwar völlig ohne Nostalgie. Jeder von denen würde seinem Motor sofort einen Tritt in den Arsch versetzen, wenn die Elektroautos nicht so teuer wären. In sehr naher Zukunft kann das dazu führen, dass wir ganz schön weit hinten landen auf den Innovationsplätzen und Wertschöpfungsketten dieser Welt. Mal ganz abgesehen davon, dass es nicht nur dem Luxussegment an den Kragen gehen wird, sondern vor allem auch den täglich genutzten Kleinwagen, mit denen sowieso kaum jemand weiter als 50 km am Tag fährt.

Am Ende fiel die Entscheidung also leicht und ich habe sie nach jetzt 6 Wochen nicht im Geringsten bereut. Klar, man muss sich etwas umgewöhnen und ich genieße den Luxus, dass mein Wagen in einer Tiefgarage parkt, in die ich einen Starkstromanschluss legen konnte. Aber in Garagen stehen 60% aller Autos und vor allem die teuren. Ein weiterer Antrieb war aber auch, dass man in den deutschen Konzernzentralen vermutlich erst dann den Schuss hört, wenn noch mehr Käufer im Luxussegment abwandern. Denn ich wäre nie auf die Idee gekommen, zu wechseln, wenn mir Mercedes, BMW oder Audi ein wirklich gutes Produkt angeboten hätten.

Im Jahr 2002 brachte mein heutiger Gatte, der damals noch in New York lebte, mir einen nagelneuen iPod mit, der gerade auf den Markt gekommen war. Den schaute ich mir kurz an und sagte: „Daniel, das Ding braucht kein Mensch.“ An meinem sicheren Gespür für Megatrends hat sich bis heute nichts geändert und daher sage ich der deutschen Automobilindustrie: 37 km elektrisch? Reicht dicke! Macht euch nur nicht kirre. Nutzt eure Kreativität lieber, um die Software für eure alten Stinker zu pimpen. Elektroautos braucht kein Mensch. IHR PENNER!

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I say goodbye and I say hello, hello, hello!

Der TV-Debatten-Superhype.

Wer darf rein, wer muss raus? Wer reißt oder überspringt die willkürlich-variable Elefantenrundenteilnahmehürde? Was soll das alles, wen interessiert das und was sagt der tote Thunfisch dazu?

TV-Debatten in deutschen Landtagswahlkämpfen entfalten auf die meist sehr wenigen Zuschauer ungefähr die Wirkung einer lauwarmen Tasse Baldriantee. In nunmehr über 20 Landtagswahlkämpfen habe ich noch nie eine messbare Wirkung auf die Umfragen und späteren Ergebnisse feststellen können. Der Grund dafür ist sehr einfach. Solche Debatten schalten nur Menschen an, die politisch sehr interessiert sind und bereits eine Entscheidung getroffen haben, die sie nun bestätigt haben wollen. Oder solche, die aus dem Haus gehen und das flackernde Fernsehlicht zur Abschreckung von Einbrechern benötigen. Sonst niemand.

Am ermüdendsten sind natürlich die TV-Debatten mit 4 oder 5 oder noch mehr Gästen und nochmal 2 Moderatoren obendrauf, in denen absolut nichts debattiert, geschweige denn vertieft wird, sondern alle nur ihre Sprüchlein aufsagen. Von den peinlichst auf Proporz gepolten Moderatoren werden noch 2-3 „überraschend“ kritische Fragen eingeworfen, die selbst ein toter Thunfisch hätte voraussagen können.

Am ehesten kommt noch bei den „Duellen“ von zwei Spitzenleuten etwas rum – aber selbst dort habe ich nach dem größten anzunehmenden Unfall – nämlich dem Totalaussetzer eines Herausforderers – absolut keine Bewegung in den Umfragen vor und nach der Sendung wahrnehmen können.

Auch auf Bundesebene muss man den Effekt der Debatten kritisch sehen. So gewann etwa Frank Walter Steinmeier nach Zuschauerbefragungen das Duell gegen Angela Merkel 2009, nur um dann mit 23% am Wahltag nach Hause zu gehen. Etwas anders lag der Fall bei Schröder gegen Merkel 2005. Aber dieses Duell gewann Schröder auch im deutlich zweistelligen Bereich – je nach Institut mit 16% – 33% Vorsprung. Schröder galt damals als totgesagt und Merkel schon als sichere Siegerin, die Menschen waren durch die vorgezogenen Neuwahlen hochpolitisiert und nutzten die Debatte tatsächlich, um einen letzten kritischen Blick auf die Herausforderin zu werfen.

Das ist über zehn Jahre her und wie gesagt – alle Debatten auf Landesebene hatten bisher den Erregungswert des Kuhfladenweitwurfes von Unteroberkirchtal. Die Wirkungsabstinenz von TV-Debatten steht im krassen Widerspruch zur Erregung der Sendeanstalten, Parteien und Journalisten vor einer solchen Debatte. Wie man gerade wieder in Süddeutschland beobachten kann.

Doch zunächst zu den Regeln: In den „Elefantenrunden“ vor der Wahl (nicht zu verwechseln mit den „Duellen“), sitzen üblicherweise die Vertreter der in dem jeweiligen Landtag vertretenen Parteien. Oder der im Bundestag vertretenen Parteien. Am meisten Sinn macht es natürlich, die im Landtag vertretenen Parteien zu nehmen, denn es wird ja auch ein Landtag gewählt.

Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass weitere Parteien in dem Sender nicht auch vorkommen dürfen. Wir haben ja auch im Augenblick keinen Mangel an politischem Personal von AfD oder FDP oder auch der Linken im Fernsehen. Diese Parteien sind alle nicht im Landtag von Rheinland-Pfalz vertreten. AfD und FDP auch nicht im Bundestag.

Der Intendant des SWR möchte nun ein neues* System einführen, das nach Umfragen entscheidet, wer in die Sendung darf. Aber nach welcher Umfrage? Infratest? Forschungsgruppe? Forsa? Emnid? INSA? Oder darf sich jede Partei ein Institut ihres Vertrauens aussuchen? Und dann zieht man den Mittelwert? Wo liegt denn die vom Sender festgelegte Elefantenrundenteilnahmehürde? Bei 5%? Und wann ist der Stichtag? Was passiert, wenn die FDP beim Stand von 5% eingeladen wird, am Sendetag aber nur noch bei 4,5 steht? Haben dann andere Parteien das Recht, sich einzuklagen? Und wie sieht es dann zum Beispiel mit den Piraten in anderen Parlamenten aus? Die liegen in den Umfragen bei 0,0 und damit deutlich unter der Elefantenrundenteilnahmehürde. Dürfen die dann nicht mehr hin, obwohl sie drin sind? Hallo? Klopf-Klopf? Sendeanstalt? Hat da jemand drüber nachgedacht?

Hatte ich 2013 nur überhört, dass die FDP darauf bestanden hätte, die AfD in die Elefantenrunde vor der letzten Bundestagswahl einzuladen, da ja mindestens die Chance bestand, dass diese in den Bundestag einziehen würde? Die Argumentation „Ich komme nur, wenn XY kommt“,  oder „Ich komme nur, wenn XY nicht kommt“, oder „Ich würde gerne kommen, aber ich habe keine Lust“ (Werner Butter) gehört zum Selbstbestimmungsrecht des Menschen, der hingehen darf und wegbleiben kann, wie er/sie es will, ist aber eigentlich gar nicht nötig. Denn der Ball liegt eindeutig beim Sender, der es ordentlich verbockt hat und einfach klarstellen sollte:

AfD und FDP sind nicht eingeladen, weil sie sich für dieses Format nicht qualifiziert haben. Aber wenn sie am 13. März in den Landtag kommen, sind sie bei der nächsten Wahl dafür qualifiziert. Es gibt eben Dinge, die muss man sich erarbeiten – in diesem Fall, durch eine echte Wahl mit echten Stimmen und nicht durch mehr oder minder präzise Umfragen.

Aber wurscht. Das Kind ist jetzt in den Brunnen gefallen. Im echten Leben wird diese Sendung niemand vermissen und die Leute sind auch ohne TV-Debatte in der Lage, sich ein Urteil zu bilden. Und tun es bisher ja auch schon, denn zugeschaut hat ja schon lange niemand mehr.

Allen Fans von dramatischen TV-Debatten empfehle ich die entsprechende Folge in „The West-Wing“, in der die Gattin von Präsident Bartlet diesem kurz vor Sendebeginn die Krawatte abschneidet. Während der Präsident versucht, sich in den letzten Sekunden vor dem Duell einen neuen Binder anzulegen, sagt sie sinngemäß zu den entsetzen Beratern: „Das hat er gebraucht. Jetzt ist er auf Betriebstemperatur.“ Das ist Drama. Ach, Amerika.

*Hinweis: Der SWR hatte zwar 2011 die Grünen zur TV Debatte eingeladen, obwohl sie nicht im Landtag vertreten waren. Allerdings saßen diese im Bundestag, was als Legitimation betrachtet wurde.

Das Nervenflattern der Julia Klöckner.

Wenige Wochen vor der Wahl in Rheinland-Pfalz baut Ministerpräsidentin Malu Dreyer ihren Vorsprung in der Direktwahl auf 20% aus. Ihre Herausforderin verliert zusehends an Boden – und die Nerven.

„Einfach mal die Klappe halten“, damit zitiert die Presse hitzige Streitgespräche aus der Bundesvorstandssitzung der CDU vom 19. Januar. Gesagt haben soll das Julia Klöckner. Ein weiterer Spruch: „Man kann auch mal ein Mikrofon stehen lassen und vorbei gehen.“ Das ist interessant, denn gerade dafür ist Frau Klöckner ja nicht bekannt.

Aber schauen wir zunächst einmal auf die Fakten der jüngsten Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des SWR  „Wahlrennen in Rheinland-Pfalz völlig offen“ vom 14.1. (Erhebungszeitraum 6.-11.1.2016,  Fallzahl 1001). Es stimmt: Die CDU liegt immer noch 6% vor der SPD. Allerdings betrug dieser Abstand im September noch satte 10%. Und mit 37% rutscht die CDU auf den tiefsten Wert seit Juli 2012.

Aufschlußreich ist, dass trotz Omnipräsenz der Herausforderin in den Medien, die Ministerpräsidentin nicht nur in der Direktwahlfrage davonzieht, sondern auch in den Kompetenzzuweisungen. Malu Dreyer überholt die Herausforderin auf dem CDU-Stammkompetenzfeld Wirtschaftspolitik ebenso wie im Kompetenzfeld „Bewältigung der Flüchtlingskrise“. Bei Wirtschaftskompetenz legt Dreyer satte 9% zu, Klöckner verliert 3.

Profil Kompetenz

Ganz besonders stark ist auch die Dynamik, die ich so deutlich selten erlebt habe. Malu Dreyer legt in der Direktwahlfrage satte 10% zu – und überspringt damit klar die für eine Wiederwahl wichtige 50%-Hürde.

Direktwahl MP

In der Frage der „Bewältigung der Flüchtlingskrise“ legt die SPD auch in der Parteienfrage 9% zu. Woran liegt das in einem ansonsten für die SPD schwierigen Umfeld?

Zwei Erklärungsansätze:

  1. In Rheinland-Pfalz ist die Grundstimmung wesentlich besser als in anderen Bundesländern. Hier sagt noch eine Mehrheit, man blicke mit Zuversicht in die Zukunft. Auch wissen wir aus vergleichbaren Studien, dass Toleranz und Weltoffenheit wesentlich ausgeprägter sind als etwa im Nachbarland Baden-Württemberg.
  2. Die Unterbringung der Flüchtlinge verläuft in Rheinland-Pfalz nahezu reibungslos. Jeder Flüchtling wird registriert, der Einsatz der freiwilligen Helfer ist beeindruckend – aber auch der Staat beweist Handlungskompetenz. Mit einem starken Innenminister Roger Lewentz – bis vor kurzem noch Chef der Innenministerkonferenz – hat die SPD außerdem das Heft des Handelns in der Hand.
  3. Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat sich – ebenso wie der Innenminister – zu keiner Zeit an einem Überbietungswettlauf in welche Richtung auch immer beteiligt. Sie hat früh viele Organisationen einschließlich der Kirchen eingebunden und so für eine breites Bündnis der Vernunft im Land gesorgt. Kurz: Deeskalation statt Eskalation.
  4. Im Gegensatz zu ihrer Herausforderin hat die Ministerpräsidentin jeglichen Populismus vermieden und weder verklärt noch Öl ins Feuer gegossen.

Dann werfen wir einen Blick auf Frau Klöckner.

Noch vor wenigen Monaten ließ sie sich von der Bild mit einem „Refugees-Welcome“ Schild ablichten. Das taten viele, aber nur wenige vollzogen danach eine solche Kehrtwende wie Frau Klöckner. Ausserdem unterstützte sie den Vorstoß für ein Einwanderungsgesetzt von CDU Generalsekretär Tauber.

Kloeckner Pro-Einwanderung

Dann drehte sich die Stimmung und mit ihr drehte sich Frau Klöckner. Tagesaktuell (19.1.16) ist sie gegen ein Einwanderungsgesetz. Glaube ich.

Kloeckner Contra Einwanderung

Bisher war sie damit nicht unerfolgreich. „Klöckner kann sich zu einem Standpunkt bekennen und dann das Gegenteil vertreten“ beobachtete bereits DER SPIEGEL (12.12.15). Dieses Kurs irritiert am 13.12.15 auch die FAZ: „Die Irritation rührt daher, dass sie angesichts der Flüchtlingskrise nicht mehr darauf dringt, kühl und stringent deutsches Recht einzuhalten.“

Während Frau Klöckner also irritiert und damit eher dem panischen Horst Seehofer als der Bundeskanzlerin folgt, setzt die Amtsinhaberin auf Geradlinigkeit, Substanz und geräuschloses Handeln.

Aus Kreisen der Hauptstadtpresse ist überliefert, dass Julia Klöckner zum Jahresende bereits eine Tour durch die Redaktionen absolvierte, in denen sie die Landtagswahl am 13. März als gelaufen erklärte. Nun. Als gelaufen haben schon manche ihre Wahl gesehen. Jürgen Rüttgers in NRW 2010, Heide Simonis in Schleswig-Holstein 2005 und noch viele, viele mehr.

Ein wichtiger Indikator für eine mögliche „Wechselstimmung“ ist natürlich das Vertrauen in die Landesregierung. Auch hier ein klarer Trend: Die Rot/Grüne Landesregierung steigert die Zustimmung um insgesamt 6% auf 61% – den Höchstwert seit Amtsübernahme.

Zufriedenheit

Die Wahl in Rheinland Pfalz ist, wie der SWR titelte, „Völlig offen.“
So sehe ich das auch. Auch durchaus realistisch. Die SPD steht nicht da, wo sie stehen sollte. Aber alle Indikatoren, die wir auch aus eigenen Forschungsergebnissen zur Verfügung haben, zeigen: Die Unentschlossenen, die sich entscheiden, entscheiden sich im Augenblick zu über zwei Dritteln für Malu Dreyer.

Das Bild, das die Union zur Zeit abgibt ist höchst irritierend für deren Anhänger und der Streit zwischen Seehofer und Merkel so eskaliert, dass er demobilisierend auf die eigene Wählerschaft wirkt. Daraus lässt sich auch das Absinken der CDU in Rheinland-Pfalz ableiten. Die Union war dort „ausmobilisiert“, die SPD hingegen hatte und hat ein Defizit. Alle Signale zeigen, dass die CDU jetzt deutlich nachlässt und die SPD die Chance hat, im unmittelbaren Duell und auf den letzten Metern zu mobilisieren. Auch durch die entscheidende Frage, wem die Menschen am Ende Vertrauen entgegenbringen wollen.

Das ist nun der dritte Wahlkampf in Rheinland-Pfalz, den ich begleiten und aus nächster Nähe erleben darf – und es ist mit Abstand der spannendste. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Herausforderin eine veritable Gegnerin ist, die mit allen Wassern des modernen Politmarketings gewaschen ist und vor keinem Mikro, keiner Kamera oder Tweet zurückscheut. Allerdings zeigt die aktuelle Entwicklung auch: Je mehr die Menschen von Julia Klöckner sehen, desto eher entscheiden sie sich für Malu Dreyer.

Diese Wahl wird am 13. März entschieden und keinen Tag früher.
Diese lapidare Feststellung war selten so zutreffend wie in diesem Wahlkampf.
Nicht eine lange Führung, sondern das Timing am Wahltag entscheidet. Und im Augenblick läuft die Zeit gegen Julia Klöckners CDU.

Es steht zu erwarten, dass Frau Klöckner angesichts dieser für sie möglicherweise karrierebeendenen Entwicklung ganz tief in die „Roland-Koch-Gedenkpopulismus-Kiste“ greift. Denn auch wenn sie sich selbst gerne als Verteidigerin der Kanzlerin sieht, sind ihre Absetzbewegungen unübersehbar.  Man kann sich jedenfalls vorstellen, dass in der CDU Rheinland-Pfalz die vielen geplanten Auftritte einer immer unpopuläreren Kanzlerin kritisch gesehen werden. Für beide – Merkel und Klöckner – geht es am 13. März um sehr viel – wenn nicht ums Ganze. Mal sehen, wer zuerst den Seehofer macht. Wem das am Ende helfen wird, wird man sehen. Rheinland-Pfalz mit Sicherheit nicht.

Ach ja: Hier noch ein Bild aus der BILD (Foto: Thomas Frey)

Kloeckner-Welcome

Früher war eben alles besser (Sommer 2015).
Julia Klöckner #refugeeswelcome