Keine Sorge dieser Welt.

Zum Umgang mit Rechtspopulisten empfehle ich heute einen Shiraz aus Südafrika sowie einige weitere plausible Verhaltensoptionen. Zum Wohl!

So nahe liegen Moderne und Vergangenheit beieinander, getrennt nur durch 31.000 Stimmen. Statt eines Rechtspopulisten bekommt Österreich nun den ersten grünen Politiker als Präsidenten in Europa. Wenn das Spektakel für eines gut war, dann vielleicht für die Erkenntnis, dass man eine moderne, tolerante Gesellschaft nicht geschenkt bekommt. Im Gegenteil: Man muss sie sich jeden Tag neu erkämpfen. Damit man sich in Zukunft ein solches Foto-Finish sparen kann, hier ein paar nützliche Hinweise für Praktiker.

Die wichtigsten Erkenntnisse – das zeigt ein kurzer Blick nach Frankreich, Österreich, England usw. – sind so eindeutig, dass es schon weh tut, sie noch einmal aufschreiben zu müssen.

Erstens: Gib niemals auch nur einen Millimeter Freiheit, Rechtstaatlichkeit, Menschenwürde und Minderheitenschutz auf.

Zweitens: Versuche niemals, den Rechten durch verbale Verrenkungen und Verständnisduselei auch nur den kleinen Finger zu geben, denn sie werden nie genug bekommen. Ein humaner, empathischer Demokrat kann niemals einen Wettlauf um hassbasierten Populismus gewinnen. Niemals. Jedes Entgegenkommen wird als Schwäche gewertet. Jede Einschränkung des Rechtstaates wird Forderungen nach noch mehr Einschränkungen nach sich ziehen.

Drittens: Jede Handlung, die als Anbiederung gewertet werden kann, wird als Scheitern ausgeschlachtet, demagogisch verdreht und in der irren Welt der Rechten als Bestätigung gesehen.

Viertens: Verlasse nicht die Koalition der Demokraten. Damit geht man nur der „Establishment“ – Saga auf den Leim, die alle zum Establishment erklärt, die nicht Rechtspopulisten sind. Und zwar vom Rastafari bis zum Vorstandsvorsitzenden. Wer jetzt meint, sich herauslösen zu müssen, um damit zu punkten, wird genau das Gegenteil erreichen. Die Versuche nach dem Motto „Aber ich gehöre doch auch nicht zum Establishment – in Wahrheit bin ich doch einer von euch geblieben und spiele gerne mit Eisenbahnen“ sind nicht nur peinlich, sondern vor allem kontraproduktiv. Denn die Kernaussage wird damit bestätigt und die Verschwörungstheorie untermauert. Die große Mehrheit hat genug Realitätssinn und erwartet nicht, dass ein Spitzenpolitiker das Leben eines Durchschnittsbürgers führt. Man erwartet einfach nur, dass der Job gemacht wird, für den man ihn gewählt hat.

Fünftens: Die auch von Medien oder vor allem von Polit-Rentnern gerne gespielte Saga: „Die Politiker von heute haben den Draht zum Volk verloren“ ist reiner Bullshit. Heieiei, diese Schmerzen! Der Vorwurf ist so alt und so billig, man könnte schreien, dass er immer noch aufgegriffen wird. Wahrscheinlich war noch keine Politikergeneration näher am Volk als die heutige – und noch kein Volk näher an den Politikern. Es ist ja gerade die Distanzlosigkeit, die permanente mediale Präsenz und die gegenseitige Durchleuchtung und Transparenz, also die völlige Entmystifizierung von Volk und Regierung die wir beobachten können, und nicht das Gegenteil. Über Willy Brandt wurde einmal der schöne Satz gesprochen „Er hatte ein großes Herz für die kleinen Leute, aber er wollte um Himmels Willen nichts mit ihnen zu tun haben.“ Ja – das ging damals noch. Heute muss man mit Spitzenpolitikern Eierlikör trinken oder Mutti Merkels Kochrezepte verdauen. Man kann Politik für „kleine Leute“ machen, ohne einer von ihnen zu sein. Und die meisten „kleinen Leute“ bevorzugen es auch, nicht von ihrem Nachbarn regiert zu werden. Ich für meinen Teil möchte gerne von Leuten regiert werden, die mehr können als ich. Und ich bin überzeugt davon, dass es grundsätzlich möglich ist, mehr zu können als ich. Von diesen Selbstzweifeln sind allerdings nur wenige Brandstifter in Sachsen-Anhalt geplagt, die mindestens so gut regieren wie Fußball spielen oder Feuer legen können.

Bereits jenseits des Erträglichen sind die alltäglichen Anbiederungen, die wir aus allen Parteien in Deutschland kennen. Damit bewegt man sich zu 100% auf dem Territorium der Rechten und verunsichert kollateral auch noch eigene Anhänger.

Peinliches Anbiedern ist zum Beispiel:

  • EU-Bashing bzw. Lächerlich machen der EU als Institution (Gurkenkrümmungstheorie). Immer nach dem Motto: Die EU ist an allem schuld, das nicht funktioniert aber an nichts von dem, das funktioniert. Ist natürlich sehr bequem und großer Quatsch.
  • Verhöhnen von gesellschaftlichen Errungenschaften wie gutem Benehmen gegenüber Minderheiten (Political Correctness). Mir ist nicht ganz klar, was es unserer Gesellschaft bringen sollte, wenn man wieder von Krüppeln, Tussis, Mongos, Schwuchteln, Knoblauchfressern oder Negern sprechen dürfte. Das ist halt wie Rülpsen und Furzen im Restaurant und die meisten von uns empfinden es ja durchaus als gesellschaftlichen Konsens, dieses zu unterlassen.
  • Verächtlichmachung der Gleichberechtigung der Frau (Gender-Policy). Gleiche Geschichte. Kommt vor allem dann komisch, wenn man die Gleichberechtigung seit Jahrzehnten ganz oben auf der Agenda hat. Olle Macho-Witze haben aber meist ganz andere Ursachen (Kleinschwanztheorie).
  • Einordnung von Umweltschutz als Verhandlungsmasse und Schwadronieren über „nicht 100% sichere Forschungserkenntnisse“ bis auf Grönland die erste Palme wächst und man über ganz Schleswig-Holstein Kite-Surfen kann.
  • Einstimmen in das „das wird man doch noch sagen dürfen“ – Mantra, auf das dann immer nur pure Stahlhelm-Rhetorik folgt.
  • Grenzen schließen.

Das schleichende Gift der Ignoranz ist eben schleichend, denn sonst wäre es ja kein schleichendes Gift. Häufig geht man ihm auch mal eben mit einem schlechten Witz auf den Leim, immer frei nach dem Motto: Lieber eine gesellschaftliche Errungenschaft aufs Spiel setzen, als einen höhnischen Lacher verlieren. Dabei gibt es auch super Witze, die ohne Vorurteil auskommen. Wie zum Beispiel: „Ich kann auch ohne Alkohol fröhlich sein.“ Gut. Das ist jetzt ein anderes Thema. Wo war ich? Ach ja:

Klare Kante. Klare Haltung. Kein Anbiedern. Klare Abgrenzung. Kein verstehen wollen, wo es kein Verständnis geben kann. Niemals – wirklich niemals – ein inhumanes Weltbild durch Meinungsfreiheit abgedeckt sehen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Punkt. Punkt!

Keine Sorge dieser Welt rechtfertigt höhnische Verachtung von Minderheiten.

Keine Sorge dieser Welt rechtfertigt Hetze gegen Ausländer.

Keine Sorge dieser Welt rechtfertigt pauschale religiöse Diskreditierungen.

Keine Sorge dieser Welt rechtfertigt Einschüchterung, Bedrohung oder gar Gewalt.

Keine Sorge dieser Welt rechtfertigt es, eine Partei zu wählen, die Verhöhnung und geistige Brandstiftung zu ihrem Markenzeichen gemacht hat.

Die Fehler wurden gemacht. In Österreich koalierte erst die ÖVP mit der FPÖ, heute macht es auf Länderebene sogar die SPÖ. Der Wahnsinn in Potenz. Gerne wird diese „Umarmungsstrategie“ oder auch „Entzauberungsstrategie“ als Königsweg zur Selbstdemontage totalitärer Parteien bezeichnet. Und man muss anerkennend feststellen: Die Geschichte gibt dieser Theorie in beeindruckendem Maße zu 100% Unrecht. Da muss man nicht mal bis 33 zurückblicken – aber man könnte es natürlich. Auch in jüngster Zeit hat das überall überhaupt nicht funktioniert, dafür aber ordentliche Krater der demokratischen Verwüstung hinterlassen.

Blickt man ins mehr oder minder Vereinigte Königreich, so haben dort die Tories so lange gegen Europa gewettert, bis sie die UKIP großgezogen, sich selbst gespalten und das Brexit-Movement ordentlich befeuert hatten. In Frankreich versuchen Sozialisten einen auf starken Mann zu machen und man kann nur sagen: Chapeau! Das klappt ja hervorragend.

Also: Keinen Millimeter entgegenkommen und klar bleiben. Eigentlich nur das machen, wofür das eigene Herz schlägt. Für Freiheit. Für Demokratie. Für Zusammenhalt. Für Menschlichkeit. Für Vielfalt. Für Europa. Für alles, was man eben unter einer modernen Gesellschaft versteht.

Liebe Politiker aber auch Kommentatoren: Ihr müsst der Mehrheit in Deutschland vertrauen. Der Mehrheit! Nicht der Minderheit nachlaufen. Wenn ihr euch aktuelle Umfragen anschaut, dann einfach mal den Taschenrechner rausholen und feststellen, dass man heute noch einen anderen Weg einschlagen kann, nämlich den der Bestätigung der Mehrheit, auf dem richtigen Kurs zu sein. Das gilt für die Politik, aber das gilt auch für alle Bürger, die sich als Demokraten verstehen und nicht wollen, dass sich Vorurteile und Zwietracht in unserem Land ausbreiten.

Wir sind die klare Mehrheit im Land. Wir dürfen nicht nur Zuschauer sein. Ob im politischen Umfeld, an der Arbeitsstätte oder auch im Bekanntenkreis. Nicht mal eben aus Bequemlichkeit weghören oder gar gute Miene zum bösen Spiel machen. Gegenhalten, widersprechen und wenn es gar nicht anders geht, dann eben auch den Konflikt aushalten. Es liegt nur an uns. Und an allen, die in CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen, Linken Verantwortung tragen.

Ihr habt es mit in der Hand, ob ihr dem Stumpfsinn in Deutschland weiter Raum gebt oder klar und deutlich sagt: Bis hierhin und nicht weiter. Dazu empfehle ich heute einen 2013er Groenekloof Shiraz von Neil Ellis. Denn ein bisschen Freude am Leben muss ja auch sein. Dafür macht man das ja alles.