Laaaaangweilig: Sozen-Bashing

Sozen Bashing ist wieder mal dran. Fröhlich und sinnbefreit wird aus der linken oder rechten Arschbacke gefurzt, dass einem ganz blümerant wird.

Wer will nochmal, wer hat noch nicht? Einmal von ganz links bis ganz rechts und noch ein paar ältere Herrschaften aus der Mitte: SPD-Bashing ist angesagt. Und jeder hat einen Freifahrtschein. Die Grundlage allen Bashings: Schlechte Umfragewerte. Ja, das stimmt. Nicht schlechte Regierungsarbeit (im Gegenteil) oder schlechte Wahlergebnisse (die gibt es nämlich auch nicht), sondern schlechte Umfragewerte. Na, das ist ja mal eine ganz tolle Recherchearbeit. Vergessen ist das Mediendesaster bei der Bundestagswahl 2005 oder in Israel vor einer Woche oder in Frankreich am Wochenende – wo jedes Mal echte Wahlen die Umfragen zur Makulatur werden ließen. Und Schuld sind auch nicht die Institute, die jedem der es wissen will, ausdrücklich erläutern, dass eine Umfrage keine Prognose ist. Man könnte diesen Dilettantismus im Umgang mit Umfragen noch halbwegs entschuldigen, wenn eine Bundestagswahl irgendwo in der Nähe wäre. Ist sie aber nicht. Sie ist sage und schreibe über zwei Jahre entfernt. Bei realen Wahlen hingegen sieht die SPD wiederum gar nicht so schlecht oder sogar blendend aus, während die CDU gerne mal deutlich unter den Erwartungen zurückblieb: Hamburg (15,9%), Brandenburg (23%), NRW (26,3%).

Aber darum geht es jetzt gar nicht. Es geht eher darum, wie ernsthafte Journalisten einerseits einen Diskurs über die Zukunft des Landes einfordern, andererseits aber immer wieder ins rein Taktische zurückfallen. Um dann am Ende der SPD Taktieren vorzuwerfen. Fassen wir zusammen: In der Essenz wirft man der SPD vor, ihre Wahlversprechen Schritt für Schritt umzusetzen, daraus aber keinen Vorteil ziehen zu können. Um diesen taktischen Vorteil zu erlangen, verlangt man von der SPD entweder mehr TTIP (Blome im Spiegel) oder weniger TTIP (Prantl in der SZ). Gleichzeitig verlangt man von der SPD aber, weniger taktisch zu agieren. Nun, das ist alles so fröhlich und sinnbefreit aus der linken oder rechten Arschbacke gefurzt, dass einem ganz blümerant wird.

Lassen wir einmal beiseite, dass der einzige Input der Konservativen zur Zukunftsdebatte des Landes mal wieder „irgendwas mit Autobahnen“ zu tun hat, oder man Grüne, Linke und AfD nur unter den drei „-ös“ führen kann: komatös, nebulös, desaströs. Widmen wir uns einfach völlig sachorientiert und emotionsfrei den tatsächlichen Anforderungen der Zeit. Denn das angebliche „reine Abarbeiten“ der Wahlversprechen der SPD ist doch in Wirklichkeit ein dringend notwendiges Einschlagen wichtiger Pfeiler und Leitplanken für eine Gesellschaft im Wandel.

Der Mindestlohn ist eine Antwort auf die Frage, wie wir in diesem Land in Zukunft den Wert der Arbeit bemessen und eine extrem wichtige Grenze nach unten. Durch das Getöse einzelner Wirtschaftsvertreter nach Einführung des Mindestlohnes wurde das Scheinwerferlicht ja erst richtig auf die zum Teil desaströsen Arbeitsbedingungen in nicht wenigen Branchen unseres Landes gelenkt. Wer es bis dato nicht glauben wollte, konnte jetzt sicher sein, dass vielen Menschen nicht nur kein anständiger Lohn bezahlt wurde, sondern auch noch ihre Arbeitszeit reiner Willkür unterlag. Ja – ich erkenne an, dass es sich um schwarze Schafe einzelner Branchen handelt – aber um ziemlich viele und nicht selten unter Duldung ihrer Branche.

Was aber bedeutet ein Mindestlohn auch für die digitale Zukunft? Nun, wie man am Beispiel UBER sieht, eine ganze Menge. Digitale Zukunft bedeutet eben manchmal auch, dass Ausbeutung und Selbstausbeutung unter dem Deckmantel der Moderne daherkommen. Und es zeigt auch, wie Sigmar Gabriel richtig sagt, dass es nicht darum gehen kann, alle hart erkämpften Rechte aus der analogen Welt automatisch zu entsorgen, nur weil es schwieriger wird, sie in der digitalen Welt einzuhalten. Im Gegenteil.

Und das führt uns auch gleich zu Fragen wie der Mietpreisbremse. Diese ist keine Antwort von Gestern, sondern ein weiterer Eckpfeiler für Morgen. Landflucht und Konzentration auf wenige, attraktive Städte ist ja kein deutsches, sondern ein weltweites Phänomen. Dieses wird uns weiter begleiten und auch hier ist es Aufgabe der Politik, den Rahmen zu setzen. Die Mietpreisbremse ist ein flexibles Instrument, das für einzelne Städte oder Stadtteile wirksam eingesetzt werden kann – aber in anderen gar nicht nötig sein wird. Also auch hier haben wir es mit einer Zukunftsfrage zu tun, die weit mehr Menschen betreffen wird, als wir heute annehmen.

Was wir unter dem sperrigen Begriff der „Entgeltgleichheit“ diskutieren, ist ebenso eine Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage wie auf den zukünftigen Fachkräftemangel. Es geht hier erneut um die Anerkennung des Wertes von Arbeit, aber am Ende auch um einen Ansporn an Mädchen und junge Frauen, die sehen sollen, dass sich ihre Ausbildung lohnt und ihre guten Abschlüsse am Ende auch etwas wert sind. Die Frauenquote in Aufsichtsräten sendet ein zusätzliches Signal an Mädchen, dass sie in diesem Land alles werden können. Und dass dieses Land das auch will.

Viele weitere Themen, wie etwa die Familienarbeitszeit, die Energiewende und natürlich auch die Frage von Sicherheit und Datenschutz in Zeiten grenzenlosen Terrors sind wichtige Debatten, die aber auch irgendwann einer Antwort bedürfen. Die SPD quatscht daher nicht nur, sondern sie setzt auch um. Manchmal unter Schmerzen und mit Lust zur Debatte – aber am Ende auch mit einem Ergebnis.

Die doppelte Staatsbürgerschaft und auch die Integrationsdebatte sind ein weiterer Ausweis: Dieses Land wäre weiß Gott schon weiter, wenn weite Teile von CDU/CSU nicht alles blockiert hätten, was sie jetzt unter Schmerzen doch als richtig anerkennen müssen. Häufig sind doch diejenigen, die mangelnde Integration bemängeln die gleichen, die sie aktiv verhindert haben und erst den Nährboden für Resignation und Radikalisierung geschaffen haben. Da lob ich mir doch eine SPD, die auf diesem Feld schon lange einen klaren Kurs fährt. Auch wenn ihr das über viele Jahre „taktische“ Probleme bereitet hat.

Heute schon stellt diese Regierungspartei viele wichtige Weichen für die Zukunft, die vor lauter Besessenheit der Medien mit taktischen Fragen, Umfragen oder Stinkefingern untergepflügt werden. Dennoch wird sich dieser Kurs am Ende als der richtige erweisen. Denn er bringt Deutschland an entscheidenden Stellen voran. Im Gegensatz zu diesem laaaaaangweiligen, unkreativen, hirnverödenden, unfassbar vorhersehbaren und intelligenzuntertunnelnden Taktik- und Koalitionsgeblubber. So. Jetzt bitte weitermachen. Danke.

So viel Arbeit – Meine Top-5-Liste

Die SPD regiert. Und hat damit die Chance, die Zukunft zu gestalten. Hier wären ein paar Aufgaben, die vermutlich mehr Menschen berühren als vieles, was die Headlines bestimmt.

Meine Top-Five Liste (von ungefähr 287).

5. Vorsorgen – aber wie?

Wir erwarten von den Menschen, dass sie immer eigenständiger vorsorgen – für das Alter, aber auch für die Gesundheit, etwa durch den Abschluss einer privaten Zusatzversicherung. Das macht ja alles auch Sinn – aber wenn Lebensversicherungen und andere risikofreie Anlagen angesichts mangelnder Zinsen nicht mehr liefern, was tun wir dann? Fördern wir zum Beispiel den Erwerb von Ersteigentum? Helfen wir dadurch den Menschen auch, steigenden Mieten zu entkommen und gleichzeitig Sicherheit zu schaffen? Das ist nur eine Idee. Die Aufgabe lautet: Wie geben wir den Menschen mehr Sicherheit beim Aufbau eigener Rücklagen?

4. Hilfe, ich werde 85

Demographischer Wandel bliblablub kommt allen aus den Ohren raus. Aber jetzt mal ohne ewige Schwarzmalerei: Wir werden alle älter, aber wir werden nicht alle Alzheimer bekommen, bettlägerig sein und zum Pflegefall werden. Im Gegenteil. Viele von uns bleiben quietschfidel. Dann haben wir aber ein anderes Problem: Was zum Teufel soll man mit zwei Jahrzehnten ohne Arbeit anfangen? Damit, absolut nichts zu tun zu haben? Das hält man vielleicht fünf Jahre aus. Aber selbst die, die sich eine Kreuzfahrt leisten können, haben spätestens nach der vierten die Schnauze voll davon. Also was heißt das jetzt? Unterbeschäftigte und unzufriedene alte Männer landen irgendwann in der AfD oder in Dresden. Was setzen wir dagegen? Längere, flexiblere Arbeitszeiten? Mehr Wahlfreiheit? Und wie bekommen wir das hin, ohne Arbeitnehmerrechte zurückzufahren?

3. Offensiver Pragmatismus in der Einwanderungspolitik

Die Bertelsmann Stiftung errechnet, dass im Jahr 2012 unterm Strich gut 22 Mrd. EURO netto durch Menschen mit Einwanderer-Biographie in die deutschen Sicherungssysteme flossen. Und die OECD kürt uns gleich zum beliebtesten Einwanderungsland nach den USA (und wer will da schon hin?). Gleichzeitig bejammern wir die armen zukünftigen Generationen (denen es, by the way, besser geht als allen Generationen zuvor)  die später für viel zu viele Alte zahlen müssen. Also her mit den jungen Einwanderern! Aber dann lasst uns das auch ordentlich organisieren. Im Augenblick kann nur problemlos nach Deutschland einwandern, wer ein Arbeitsplatzangebot nachweist, das ein Einkommen von mindestens 47.600 EURO im Jahr garantiert. Oder 3.966 EUR brutto. Das ist natürlich viel zu viel – auch für manche Fachkräfte. Zu viel ist es aber ganz besonders für die, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Und genau die brauchen wir, wenn wir schon selbst zu faul zum Fortpflanzen sind. Also: das macht alles keinen Sinn. Das kann weg.

2.  Arbeitnehmerrechte & Arbeitnehmerwünsche im 21. Jahrhundert

Wie organisiert man Arbeitnehmerrechte, wenn vieles nicht mehr so sein wird, wie es einmal war? Und wie nimmt man Arbeitnehmerwünsche auf, die vielleicht quer zur bisherigen Vorstellung und Programmatik liegen? Ein Beispiel: Eltern, zwei Kinder. Der konservative Klassiker wäre: Mann arbeitet, Frau bleibt zu Hause oder arbeitet später in Teilzeit. Die sozialdemokratische Wunschvariante wäre: Beide arbeiten Vollzeit, die Kinder wandern von Ganztagskita in Ganztagsschule auf Ganztagsuni in Ganztagsstelle, bekommen Kindern und diese….  Empfindet irgendjemand den einen oder den anderen Entwurf als den ultimativen Höhepunkt der menschlichen Entwicklung?

1. Ruhezeiten.

Wir erleben dramatische Umbrüche nicht mehr nur als Zukunftsszenarien, sondern zu Hause und am Arbeitsplatz – jeden Tag: demographisch (die Kinder ziehen aus, Oma und Opa ziehen ein), digital (Dauererreichbarkeit und Dauerberieselung) und zeitlich (immer mehr technische Hilfsmittel, aber immer weniger Zeit). Wie schützen wir uns und andere vor dem ewigen Hamsterrad? Und ist „Home-Office“ nur ein neues Wort für 24/7 Arbeitgeberhörigkeit und Selbstausbeutung?

Wenn die Antworten auf diese Fragen vorliegen, können wir andere spannende Themen diskutieren. Wie zum Beispiel die Zukunft von Benjamin Blümchen, internationale Freihandelsabkommen oder was man macht, wenn die Kehrwoche in die Urlaubszeit fällt.

Dieser Beitrag erscheint in der aktuellen Jubiläumsausgabe 1/2015 des Debattenmagazins BERLINER REPUBLIK.

 

Demokratie ist eine schützenswerte Minderheit

Nach PEGIDAs Ende (Teil 2)

Der Schrecken über die Unverfrorenheit und Unmenschlichkeit der PEGIDA-Bewegung sitzt vielen Menschen noch in den Gliedern. Aber die Frage, wie wir mit unserer Demokratie umgehen wollen, stellt sich grundsätzlicher – 70 Jahre nach Kriegsende und nur 26 Jahre nach Ende der letzten Diktatur auf deutschem Boden.

Irgendwann in den 1980er Jahren entstand ein vielfach bemühter und am Ende auch etwas überstrapazierter Slogan der Umweltbewegung: „Wir benehmen uns, als ob wir eine zweite Welt im Kofferraum hätten“. Heute ist es angebracht zu sagen: „Wir benehmen uns, als ob wir eine zweite Demokratie im Kofferraum hätten.“ Die Verachtung des Staates, von Politikern, Institutionen und Parteien ist bei weitem kein Phänomen der PEGIDA. Diese Verachtung zieht sich durch unsere Sprache und Debattenkultur – nicht nur im feigen Rückzugsraum anonymer Netzkommentare.

Vom „gut bürgerlichen“ Milieu bis zur linksautonomen Szene finden sich immer wieder grobe Vereinfachungen und Diffamierungen mit Verhetzungscharakter. Da geht es um „Die da oben“ (als ob die sich da selbst installiert hätten und nicht gewählt wurden), um „Die Politiker“ (sind die wirklich alle so schrecklich – und werden die nicht auch gewählt?) „Die Reichen“ (Wo beginnt das, wo hört das auf? Und warum nicht gleich: „Die reichen Juden“, woher der Vorwurf ja eigentlich mal kam?), „Die Parteien“ (diese bestehen zu 95% aus engagierten, unbezahlten Menschen) und natürlich um „Die Medien“. Einbezogen werden aber häufig auch staatliche Verfassungsorgane, Parlamente, Richter, Sicherheitsbehörden etc. Grundsätzlich sind „Die“ immer inkompetent, korrupt, verachtenswert, böse oder alles zusammen. Die Wütenden machen sich selbst gerne besonders klein („wir da unten“) oder besonders groß („die dummen und ungebildeten Politiker, Journalisten“ usw.)

Einer klaren Menschenverachtung wird in Foren noch häufig widersprochen, Staatsverachtung ist hingegen in vielen Kreisen gesellschaftsfähig. Staatsverachtung in einer Demokratie ist aber nicht weit entfernt von Demokratieverachtung. Denn der Staat ist ja nichts anderes als ein organisiertes Gemeinwesen – in Demokratien auf demokratischem Fundament, mit funktionierenden, sich gegenseitig kontrollierenden Organen, einer freien Presse und freien Bürgern, die sich nur einem fügen müssen: dem demokratischen Mehrheitsentscheid. Dies ist der ultimative Test für jeden mündigen Bürger. Und zwar vor allem dann, wenn demokratische Wahlen Mehrheiten ergeben, die einem persönlich nicht passen. Nach aktuellen Umfragen kommen die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD zusammen nah an die 70%. Addiert man Grüne und Linke hinzu, so erreichen die im Bundestag vertretenen Parteien rund 90% Zustimmung – und zwar bei allen Befragten, inklusive der Nichtwähler, die nach allen Erkenntnissen der Wahlforschung eben nicht automatisch zum Protestpotenzial gezählt werden dürfen. Seit der Bundestagswahl 2013 hat sich also so gut wie nichts verändert. Das kann man mögen oder nicht. Es ist so. Wer Demokratie wirklich innerlich respektiert, der muss damit klarkommen, dass er unter Umständen ein Leben lang wählen geht – und ein Leben lang bei den Verlierern ist. Ich weiß, wovon ich spreche, ich bin als Sozialdemokrat in Baden-Württemberg aufgewachsen.

Eine Demokratie muss aushalten, dass ihre Repräsentanten und ihre Institutionen kritisiert und kontrolliert werden – sie kann auf Dauer nicht aushalten, dass diese Kritik in einer Mischung aus Diffamierung, Verschwörungstheorien oder Sündenbockrhetorik zu einem Dauerbeschuss ausartet. Denn dieser Dauerbeschuss bleibt nicht ohne Folgen und findet am Ende dort einen Resonanzboden, wo man ihn am wenigsten haben möchte.

Deutschland ist heute eine stabile, weltweit respektierte und auch wehrhafte Demokratie. Eine Selbstverständlichkeit ist diese Staatsform deswegen aber noch lange nicht. Auf deutschem Boden sind Unfreiheit und Diktatur der historische Normalfall und Demokratie die Ausnahme. Dies sollte sich jeder auch bezüglich seines eigenen Verhaltens immer vor Augen führen. Die Demokratie ist eine schützenswerte Minderheit unter den Staatsformen der Deutschen.

Bedroht wird die Demokratie nicht nur von klassischen Anhängern des Totalitarismus, sondern auch durch Egozentrik und Hybris. 2013 gipfelte dies in einem Aufruf im SPIEGEL zum Wahlboykott, da der Gastautor von 34 wählbaren Parteien seine eigenen Vorstellungen nicht 1:1 zum Ankreuzen vorgesetzt bekam. Die bequeme Vorstellung eines Paschas, mit 5-Sterne-Service-Anspruch an die Demokratie. Aber natürlich auch eine Selbstüberhöhung und Verachtung gegenüber den 73% Wählerinnen und Wählern, die dann offenbar alle nur dummes Zeug wählten. Zu Ende gedacht, führt diese Haltung zu einem Stände- oder Klassenwahlrecht. Bürger mit meiner Meinung bekommen dann drei Stimmen, die anderen nur eine. Mit Demokratie hat das herzlich wenig zu tun, aber mit Elitendiktatur.

Der Grundsatz einer wahrhaften Demokratie beruht auf freien und gleichen Wahlen. Und „gleich“ bedeutet: eine Stimme für jeden und jede. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass Wahlen in Deutschland nicht frei und gleich wären. Wer das Ergebnis von freien und gleichen Wahlen aber nicht respektiert, betrachtet sich selbst als Übermensch. Diese Grundeinstellung ist kein Exklusivrecht der PEGIDAs, sondern findet sich auch in anderen gesellschaftlichen Gruppierungen. Aus dieser Grundeinstellung nährt sich die größte Gefahr für unsere Demokratie: die Verachtung von Mehrheitsentscheiden.

Die politische Debatte – vor allem im Netz – aber auch in anderen Medien ist in den letzten Jahren schärfer und polemischer geworden. Skandalisierungen bringen Clicks und Auflage, Differenzierungen weniger. Beschädigt bleibt am Ende unser Gemeinwesen zurück. Besonders in Zeiten zunehmender Individualisierung ist es wichtig, immer wieder klar zu betonen, dass die Demokratie nie die Diktatur des einzelnen Willens sein kann, sondern nur die kollektive Vergabe von Macht auf Zeit. Halten wir aber nur noch unsere eigene Meinung für die einzig legitime, laufen wir Gefahr, immer mehr Staatsverächter heranzuziehen. Diese marschieren am Ende nicht nur durch Dresden, sondern begründen aus dieser Verachtung heraus Anschläge auf staatliche Institutionen, Polizisten, Richter, Politiker und andere. Weil der Staat der Feind ist oder Dinge nicht so regelt, wie man es gerne hätte, nimmt man das selbst in die Hand. So geschehen in Oklahoma (McVeigh), Oslo (Breivik) und auch in Deutschland (NSU).

Es ist Zeit, unsere Haltung gegenüber diesem Land und seiner demokratischen Gesellschaftsordnung zu überdenken. Hierzu gehört auch, zu betonen, dass die Gemeinschaft nie in der Lage sein wird, jedes individuelle Problem und jede Unzufriedenheit lösen zu können. Die Gemeinschaft kann nie Ersatz sein für Selbstbestimmtheit und Selbstverantwortung – auch nicht im persönlichen Scheitern. Sie kann nur Hilfe leisten und gute Rahmenbedingungen schaffen. Das macht Deutschland heute so gut, wie noch nie in seiner Geschichte – und dennoch nicht perfekt.

Dieses Land stetig zu verbessern, bleibt Auftrag für alle seine Bürgerinnen und Bürger – nicht nur für die Politiker. Hierzu gehört die Benennung von Problemen und Defiziten. Sonst gäbe es ja keinen Fortschritt. Aber die Anerkennung, dass Deutschland heute ein besseres Land ist als je zuvor, macht wesentlich bessere Laune, um am Ende Probleme auch lösen zu können. Diese Anerkennung ist auch eine Respektsbekundung für fast 70 bzw. 26 Jahre stabile Demokratie und die Generationen von Deutschen, die daran mitgewirkt haben. Eine ermutigende Erfolgsgeschichte.

Sorgen wir dafür, dass wieder mehr Menschen Freude an der Gestaltung der Zukunft bekommen. Konstruktiv und engagiert an einem besseren Land zu arbeiten – was kann eigentlich befriedigender sein? Wo auf der Welt gibt es bessere Voraussetzungen dafür? Und was kann ein besserer Gegenpol sein zu den destruktiven Griesgramen, die für ein paar Wochen ihre fruchtlosen, energiefressenden Bahnen durch Dresden zogen? Empört euch jetzt nicht nur über PEGIDA & Co. Engagiert euch für das demokratische Deutschland.

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Nach PEGIDAs Ende (Teil 1)

Nach dem Export-Flop und absehbarem Ende der PEGIDA ist es Zeit für eine erste Analyse, wie es gelang, die Bewegung zu besiegen.

150 Hanseln in Düsseldorf, 200 in Saarbrücken, 300 in Berlin, 150 in Hannover – nachdem es PEGIDA auch nach den Anschlägen von Paris nicht gelungen ist, über Sachsen hinaus zu strahlen, ist es an der Zeit, die Bewegung dorthin zurückzuschicken, woher sie gekommen ist: in den braunen Sumpf der sächsischen Landeshauptstadt. Dresden hat ganz offensichtlich ein Problem. Der Rest der Republik kann sich jetzt wieder Wichtigerem zuwenden und hoffen, dass die Dresdner dieses Problem lösen und unsere Gesellschaft nicht weiter mit ihrer verschleppten Geschichtsaufarbeitung belästigen. Deutschland ist wesentlich größer und wesentlich weiter als Dresden. Wenn die Stadt ihr mittlerweile internationales Schmuddel-Image wieder ablegen will, muss jedenfalls mehr passieren als eine Gegenkundgebung mit 35.000 Menschen am Samstag.

Wie gelang es nun, PEGIDA einzugrenzen und zu stoppen? Eines ist klar: jedenfalls nicht mit Verständnisheuchelei, Anbiederung und verschwurbelter Dialogbereitschaft. Unser heutiges Kommunikationsverhalten und Medienangebot hat schon seit Jahren zu einer immer weiter zunehmenden Zersplitterung des Konsums von Nachrichten geführt. Dies führt auch immer mehr dazu, dass sich zahlreiche Menschen völlig aus dem Nachrichtenzyklus ausklinken und ein harmloses Leben zwischen Soap-Opera, Sport und Showbiz-News verdaddeln – oder sich aber ihre Nachrichten selbst konfigurieren. Ich sehe nur noch, was ich sehen will und höre nur noch, was ich hören will. In den USA begann dies vor vielen Jahren mit der klaren Positionierung von Nachrichtenkanälen (Fox News für die Republikaner, MSNBC für die Demokraten) und setzt sich international fort bis zur Freakshow von Russia Today. Nun ist der Konsum von Medien nach politischer Präferenz keine Erfindung der Neuzeit (SPIEGEL vs. FOCUS; FAZ vs. SZ usw.), jedoch führt die Ausblendung aller anderen Kanäle durch viele Menschen zu einem gesellschaftlichen Kommunikationsvakuum. Der früher übliche Konsum einer Tageszeitung – und war sie auch noch so schlecht – sorgte trotz einer politischen Präferenz doch noch für Pluralität und Vielfalt. Irgendwann las man sich nach dem Sportteil doch noch bis zum Wirtschaftsteil oder gar dem Feuilleton durch. Und sei es auch nur aus Langeweile. Heute kann ich das völlig ausblenden und mich hierbei auch noch in entsprechenden Foren ständig bestätigen lassen.

Das Fazit für die Kommunikation heißt: Klare Kante. Ganz besonders angesichts gefährlicher Tendenzen. Dabei geht es nicht um 15.000 oder 25.000 Menschen in Dresden – es geht darum, alle Grenzgänger möglichst laut und deutlich zu erreichen. Also genau die, die sich in Hannover, Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln usw. am Ende entschieden haben, nicht für Hass und Ausgrenzung auf die Straße zu gehen. Verstanden hat dies als erster – und für einige Tage auch als einziger – Bundesjustizminister Heiko Maas. Er hat in der ganzen Debatte den klarsten, schärfsten und auch treffsichersten Ton angeschlagen. Ihm folgte die Kanzlerin mit ihrer Weihnachtsansprache und auch mit dem klaren Statement: „Der Islam gehört zu Deutschland“, für das bereits Altbundespräsident Wulff Respekt gezollt werden muss.

Deutschland brauchte Orientierung in diesen Tagen. Sie kam. Vom Bundespräsidenten, von der Bundeskanzlerin, von der Bundesregierung und der gesamten Opposition. Und das war wichtig. Ersten Irrlichtereien von de Maizière und manchem CSU-Wirrkopf folgten nach Paris unerwartet klare Aussagen vom Bundesinnenminister und auch vom CSU-Vorsitzenden.

Diese Klarheit auf vielen Kanälen erreichte durch ihre Massivität gerade die potentiellen Mitläufer – und um die ging es. Deutschlands Diktatoren der Vergangenheit waren ja nicht so erfolgreich, weil sie so brillant waren, sondern weil sich genug Mitläufer fanden. Doch Mitläufer laufen nur dann mit, wenn sie sich Erfolg davon versprechen. Was besonders bürgerliche potentielle Mitläufer abschreckt, ist, dass sie am Ende nicht nur bei den Verlierern enden, sondern auch noch beschmutzt und besudelt aus der Sache rauskommen (und am Ende die Führerbüste im Hinterhof verscharren müssen). Natürlich bedeutet dies nicht, dass das Gedankengut der PEGIDA damit verschwunden ist. Das ist es nicht und an manchen Stellen tut es nach wie vor Not, die Vorzüge einer offenen Gesellschaft klarer zu erläutern. Dies gilt gerade für die konservativen Parteien, die immer wieder rückfallgefährdet sind. Aber hinter die klaren Bekenntnisse ihrer Vorsitzenden kommen nun auch CDU und CSU nicht mehr zurück.

All dies führte am Ende dazu, dass PEGIDA aus Sachsen nicht herauskommt und wer Gleichgesinnte sucht, muss nach Dresden fahren. Das sind dann vielleicht mehr als beim letzten Mal – doch nur deshalb, weil es eben nur dort funktioniert. Wenn PEGIDA also in Dresden 20.000 oder von mir aus auch eines Tages 30.000 Menschen auf die Straße bringt, muss man sagen: Mit 30.000 Irren kann ein 80-Millionen-Volk schon klarkommen.

Deutschland hat sich in diesen Tagen als stabile und wehrhafte Demokratie erwiesen. Besonders starke Signale kamen dabei aus München. Die Stadt kann stolz darauf sein, die Demonstrationen gegen PEGIDA mit der ersten Großkundgebung angeführt zu haben.

Dresden kann auf gar nichts mehr stolz sein. Dresden muss sich jetzt besinnen. Etwas läuft dramatisch falsch in dieser Stadt und bei ihren Bewohnern. Am Ende dieser Besinnung darf nur eines nicht stehen: die so lieb gewonnene Opferrolle. Die hat Dresden endgültig verspielt. Dresden ist nicht Opfer, sondern gleichzeitig Endstation und Hauptstadt der Bewegung. Einer schrecklichen Bewegung.

Teil 2: Nach PEGIDAs Ende: Wie wollen wir mit unserer Demokratie in Zukunft umgehen? Am 15.1. auf carta.info und frank-stauss.de